BVerfGE 50, 16 - Mißbilligende Belehrungen


BVerfGE 50, 16 (16):

Mißbilligende Belehrungen, die einem Rechtsanwalt wegen einer Standeswidrigkeit anstelle einer förmlichen Rüge erteilt werden, sind in entsprechender Anwendung von § 223 BRAO anfechtbar (Art. 19 Abs. 4 GG).
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 8. November 1978
-- 1 BvR 589/72 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts X... gegen a) das Belehrungsschreiben des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer ... vom 13. Mai 1971 -- Beschw. Tab. 39/70 --, b) den Beschluß des Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte beim Oberlandesgericht ... vom 14. Oktober 1972 -- EGH 4/72 (I) --, c) den Beschluß des Bundesgerichtshofs -- Senat für Anwaltssachen -- vom 18. Juni 1973 -- AnwZ (B) 4/73 --.
 
Entscheidungsformel:
Der Beschluß des Ehrengerichtshofs für Rechtsanwälte beim Oberlandesgericht Stuttgart vom 14. Oktober 1972 -- EGH 4/72 (I) -- verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an den Ehrengerichtshof zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Dem beschwerdeführenden Rechtsanwalt ist wegen einer Standeswidrigkeit anstelle einer anfechtbaren Rüge eine Belehrung erteilt worden; das dagegen eingelegte Rechtsmittel hat der Ehrengerichtshof als unzulässig zurückgewiesen.
I.
1. Der beschwerdeführende Rechtsanwalt hatte im Auftrag von Bestattungsunternehmen eine Stadt wegen wettbewerbs

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widrigen Verhaltens verklagt und dabei städtischen Bediensteten Amtsmißbrauch sowie strafbare Handlungen und dem Prozeßbevollmächtigten der Stadt Formulierungen vorgeworfen, die rechtsradikalem Denken zuzuordnen seien. Diese Äußerungen wertete der Vorstand der Rechtsanwaltskammer in dem beanstandeten Schreiben vom 13. Mai 1971 als standeswidrig und gab dem Prozeßbevollmächtigten der Stadt davon Kenntnis, daß eine Belehrung erfolgt sei. In dem Schreiben heißt es im einzelnen:
    Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer ... ist ... zu dem Ergebnis gelangt, daß Ihr schriftsätzlicher Vortrag ... gegen § 1 Abs. 3 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts in der Fassung vom 1. Januar 1970 verstößt.
    Die von Ihnen gebrauchten Formulierungen lassen sich mit einer sachlichen Interessenvertretung nicht vereinbaren. ...
    Als sehr bedenklich sieht es der Vorstand der Rechtsanwaltskammer auch an, daß Sie in Ihrer Stellungnahme vom 8. März 1971 erklären, mögliche Äußerungen des Herrn Kollegen ... könnten fatal an nazistische Gedankengänge erinnern.
    Die Kammer hätte bei dem gegebenen Sachverhalt nicht gezögert, Sie wegen Ihres Verhaltens gem. § 74 der Bundesrechtsanwaltsordnung zu rügen. Nachdem Sie im vorliegenden Fall bzw. Beschwerdeverfahren aber erstmals seit Ihrer Zulassung mit Standesrecht in Konflikt geraten, sei es bei der Aufforderung belassen, die beanstandeten Formulierungen oder in Stil und Ton ähnliche Wendungen in Zukunft nicht mehr zu gebrauchen.
    Von der Tatsache dieser Belehrung, nicht aber von ihrem ganzen Inhalt, wird dem Beschwerdeführer, Herrn Rechtsanwalt ..., Mitteilung gemacht werden.
2. Gegen dieses Schreiben erhob der Beschwerdeführer bei der Rechtsanwaltskammer Einspruch. Deren Geschäftsführer teilte ihm mit, ein Rechtsmittel gegen das Belehrungsschreiben sei nicht gegeben. Eine schon vorher eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde wegen Nichterschöpfung des Rechtswegs nicht zur Entscheidung angenommen; eine Rechtswegerschöpfung sei nicht schon deshalb unzumutbar, weil keine letzte Sicherheit über das anzurufende Gericht bestehe.


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Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Klage beim Landgericht mit dem Antrag, die in dem zitierten Schreiben enthaltene Belehrung als rechtswidrig aufzuheben. Das Landgericht verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht, da die subsidiäre Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG nicht gegeben sei. Dieses erklärte auch den Verwaltungsrechtsweg für nicht gegeben und verwies die Sache an den Ehrengerichtshof, der nach seiner Meinung in entsprechender Anwendung des § 223 BRAO zuständig sei.
Der Ehrengerichtshof hat den Antrag des Beschwerdeführers durch Beschluß vom 14. Oktober 1972 als unzulässig zurückgewiesen. Das Belehrungsschreiben sei kein Verwaltungsakt, der gemäß § 223 BRAO anfechtbar sei. Der Kammervorstand habe lediglich seine Rechtsmeinung zum Ausdruck gebracht und auf eine Rechtswirkung nach außen verzichten wollen. Er habe zudem ausdrücklich erklärt, daß das Belehrungsschreiben keine Rüge im Sinne des § 74 BRAO sein solle. Das Schreiben werde auch nicht dadurch zum Verwaltungsakt, daß der Beschwerdeführer aufgefordert werde, die beanstandeten Äußerungen in Zukunft zu unterlassen. Denn jede Belehrung des Kammervorstandes zur standesrechtlichen Unzulässigkeit eines bestimmten Verhaltens enthalte die selbstverständliche Aufforderung an den Belehrten, sein Verhalten in Zukunft der Belehrung anzupassen, gleichgültig, ob eine solche Aufforderung wirklich ausgesprochen werde oder nicht. Auch der Hilfsantrag, die Rechtswidrigkeit des Belehrungsschreibens festzustellen, sei unzulässig. § 223 BRAO sehe die Zuständigkeit des Ehrengerichtshofs nur für Anfechtungen von Verwaltungsakten vor, die nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ergangen seien. Selbst wenn man jedoch davon ausgehe, daß die Ehrengerichtsbarkeit wegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG über verwaltungsrechtliche Feststellungsanträge entscheiden müsse, bleibe der Antrag erfolglos. Es fehle nämlich an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer habe ausdrücklich erklärt, daß er von einer Rüge absehe. Eine

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irgendwie geartete Rechtsbeeinträchtigung des Beschwerdeführers sei daher in der beanstandeten Belehrung weder enthalten gewesen noch zukünftig zu besorgen.
3. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 8. Juni 1973 ebenfalls als unzulässig verworfen. Nach den vom Antragsteller vor dem Ehrengerichtshof gestellten Anträgen handele es sich um ein Verfahren gemäß § 223 BRAO. In einem solchen Verfahren sei die sofortige Beschwerde an den Bundesgerichtshof nur dann zulässig, wenn es sich um eine Angelegenheit von gleicher Schwere oder Tragweite handele wie in den in § 42 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 BRAO genannten Fällen, bei denen es um die Versagung oder die Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gehe. Etwas auch nur annähernd Vergleichbares liege hier, wie keiner weiteren Ausführung bedürfe, nicht vor.
II.
1. Gegen das Schreiben der Rechtsanwaltskammer sowie gegen die Entscheidung des Ehrengerichtshofs hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben und diese nach Erlaß des Beschlusses des Bundesgerichtshofs ergänzt. Er macht die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 GG geltend.
Nachdem der Beschwerdeführer zunächst insbesondere die Verletzung seiner Grundrechte auf freie Meinungsäußerung und freie Berufsausübung durch den Inhalt des beanstandeten Schreibens gerügt hatte, stellt er nach erfolgloser Anrufung der Gerichte vor allem auch auf die Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz ab. Nach seiner Auffassung enthält das beanstandete Schreiben eine scharfe, seine Grundrechtspositionen berührende Zurechtweisung, die vorstrafenähnliche Wirkung habe. Dies sei nur in Form einer anfechtbaren Entscheidung zulässig, um die er im Vorverfahren ausdrücklich gebeten habe. Der Vorstand der Anwaltskammer verkürze seinen Rechtsschutz, indem er die Mißbilligung in eine Belehrung kleide.

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Daß der Ehrengerichtshof dieses Verfahren billige, ohne auf den Inhalt der Mißbilligung einzugehen, verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Auch werde sein Recht auf Gleichbehandlung verletzt, da Beamte und Richter berechtigt seien, tadelnde Äußerungen ihrer Vorgesetzten gerichtlich überprüfen zu lassen, während Rechtsanwälten ein solches Recht gegenüber mißbilligenden Äußerungen des Kammervorstandes nicht zustehe; als Organ der Rechtspflege dürfe er nicht anders als ein Richter behandelt werden.
In bezug auf den Inhalt des Schreibens beanstandet der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt werde in seinem Recht auf persönliche Entfaltung, freie Meinungsäußerung und freie Berufsausübung beeinträchtigt, wenn ihm als Anwalt Äußerungen untersagt würden, die er als Privatmann jederzeit abgeben dürfe. Das anwaltliche Berufsethos habe sich geändert; heute müsse die Freiheit des Wortes höher stehen als kritiklose Konformität. Schließlich verletzten die angegriffenen Entscheidungen auch sein Grundrecht auf rechtliches Gehör; denn der Anspruch der Rechtsuchenden auf rechtliches Gehör erstrecke sich auch auf deren Prozeßbevollmächtigten. Er habe als Anwalt lediglich Tatsachenbehauptungen seiner damaligen Mandanten wiederholt, die diese nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzustellen berechtigt gewesen seien. Soweit seine Äußerungen auch Werturteile enthielten, sei zu berücksichtigen, daß entsprechend harte Formulierungen des damaligen Prozeßbevollmächtigten der beklagten Stadt vorausgegangen seien.
2. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Anwaltverein, die Aktionsgemeinschaft der Deutschen Rechtsanwälte sowie die im Ausgangsverfahren beteiligte Rechtsanwaltskammer geäußert.
a) Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Nach seiner Ansicht zeigt das beanstandete Schreiben die typischen

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Merkmale einer Rüge im Sinne des § 74 BRAO, gegen die der Beschwerdeführer nach erfolgloser Einlegung eines Einspruchs Antrag auf ehrengerichtliche Entscheidung habe stellen können und müssen. Sofern der Beschwerdeführer diesen Rechtsweg noch beschreiten könne, komme allerdings wegen des langen und vergeblichen Bemühens, eine letztgerichtliche Entscheidung zu erlangen, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vor Erschöpfung des Rechtswegs in Betracht.
In diesem Falle sei die Verfassungsbeschwerde aber als unbegründet abzuweisen. Denn die Rüge der Anwaltskammer verletze keine Grundrechte des Beschwerdeführers. Sie beruhe auf der Generalklausel des § 43 Satz 2 BRAO, wonach sich der Rechtsanwalt innerhalb und außerhalb des Berufs der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordere, würdig zu erweisen habe. Diese Klausel stelle eine reine Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG dar, die verfassungsrechtlich nicht angreifbar sei. Sie verstoße auch nicht gegen die Freiheit der Meinungsäußerung, da sie zu den allgemeinen grundrechtsbeschränkenden Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG gehöre und das Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten Rechtspflege schütze, das gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit des einzelnen Anwalts vorrangig sei. Wenn aus § 43 BRAO die Berufspflicht des Rechtsanwalts abgeleitet werde, sachlich nicht gebotene herabsetzende Angriffe auf andere Prozeßbeteiligte zu unterlassen, dann sei das verfassungsrechtlich unbedenklich. Wenn ferner die Rechtsanwaltskammer in den Äußerungen des Beschwerdeführers eine Verletzung dieser Berufspflicht gesehen und ihm deshalb eine Rüge erteilt habe, gehöre dies zu dem Bereich der Würdigung von Tatsachen und der Bewertung des Verschuldens des Beschwerdeführers, der der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei. Anhaltspunkte für ein willkürliches Vorgehen der Kammer seien nicht ersichtlich.
b) Die Bundesrechtsanwaltskammer, deren Stellungnahme

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der Deutsche Anwaltverein beigetreten ist, hat sich nur allgemein zu der Frage geäußert, ob mißbilligende Belehrungen anstelle einer Rüge zulässig sind und welcher Rechtsschutz dem Betroffenen gegen solche Mißbilligungen zusteht. Sie hält eine Belehrung über Fragen der Berufspflichten im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO auch dann für zulässig, wenn sie einen bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt betrifft und Bedenken gegen das Verhalten des Anwalts zum Ausdruck bringt. Die Abgrenzung, ob in solchen Fällen eine Belehrung oder eine Rüge vorliege, müsse sich aus dem Inhalt der entsprechenden Äußerung der Rechtsanwaltskammer selbst ergeben. Die Rüge erhebe den Vorwurf schuldhaften Fehlverhaltens und mißbillige dieses, während in einer Belehrung zum Ausdruck kommen müsse, daß ein persönlicher Vorwurf nicht erhoben werde. Belehrungen dieser Art könnten mündlich oder schriftlich erteilt werden; eine bestimmte Form sei im Gegensatz zur formellen Rüge nicht vorgesehen. Sie seien keine Verwaltungsakte und auch nicht eine sonstige Ausübung öffentlicher Gewalt, sondern lediglich eine unverbindliche Hilfe zur Meinungsbildung. Sie könnten allerdings die Rechtsposition des Betroffenen beeinträchtigen, wenn die Tatsache der Belehrung oder gar ihr Inhalt Dritten mitgeteilt werde. Diese "Außenwirkung" bewirke jedoch nur dann eine Beeinträchtigung, wenn der Belehrung eine unzutreffende Sachverhaltsbeurteilung oder eine irrige Rechtsauffassung zugrunde liege. In solchen Fällen ermöglichten die Vorschriften über die Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens auf eigenen Antrag des betroffenen Rechtsanwalts einen verfassungsrechtlich hinreichenden Rechtsschutz.
Über diese Möglichkeit hinaus seien bei Belehrungen der genannten Art keine Rechtsbehelfe erforderlich. Dadurch würden formlose vorbeugende Belehrungen, die sich als nützliches, wenn nicht sogar notwendiges Mittel erwiesen hätten, um die Beachtung der berufsrechtlichen Regelungen zu fördern, formalisiert und faktisch der Rüge gleichgestellt; ihr informeller Charakter

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und die Möglichkeit ihrer raschen und flexiblen Anwendung würden beseitigt. Ein großer Teil der Belehrungsfälle lasse sich mit einem förmlichen Verfahren nicht erfassen. Die Belehrung sei das schneller und einfacher zu handhabende Mittel, das die Rechte des Belehrten nicht beeinträchtige. Durch sie könne Unsitten, besonders zu Zeiten sich rasch wandelnder Rechtsauffassungen, schon im Vorfeld der Disziplinarmaßnahmen mit einem nicht disziplinarischen Mittel entgegengetreten und das Rechtsbewußtsein gefestigt werden.
c) Die Aktionsgemeinschaft der Deutschen Rechtsanwälte ist demgegenüber der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei begründet. Der Gesetzgeber sei offenbar von der Erziehungsbedürftigkeit des Rechtsanwalts ausgegangen, als er das Institut der Belehrung geschaffen habe. Dies sei ein Relikt obrigkeitsstaatlichen Denkens, das in einer freiheitlichen Demokratie ein Fremdkörper sei. Jedenfalls sei die Belehrungspraxis der Kammern ohne pädagogischen Wert. Ihr Schwerpunkt liege nicht auf der Erteilung fürsorglicher Auskünfte, sondern auf der repressiven Belehrung, die häufig im moralisierenden, schulmeisterlichen oder überheblichen Ton abgefaßt werde und ihre Wirkungen verfehle. Wenn man überhaupt Belehrungen für notwendig halte, so dürften sie grundsätzlich nur auf Ansuchen erteilt werden. Unerbetene Belehrungen könnten je nach den Umständen einen Eingriff der öffentlichen Gewalt in die Rechte des Betroffenen darstellen, insbesondere dann, wenn sie ein bestimmtes, in der Vergangenheit liegendes Verhalten mißbilligten. Denn materiellrechtlich liege hierin der Vorwurf einer Verletzung der Standespflicht; auch entfalte die Belehrung dadurch Außenwirkungen, daß sie in der Regel schriftlich erfolge, zu den Personalakten genommen und damit Gerichten und Behörden zugänglich werde. Gegen Belehrungen solchen Inhalts müsse gemäß Art. 19 Abs. 4 GG der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offenstehen.
d) Die im Ausgangsverfahren beteiligte Rechtsanwaltskammer hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
 


BVerfGE 50, 16 (24):

B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
I.
Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde erschiene nur dann fraglich, wenn das strittige Belehrungsschreiben überhaupt nicht geeignet wäre, Grundrechte des Beschwerdeführers zu beeinträchtigen, oder aber wenn es in Wahrheit als Rüge einzustufen wäre, gegen die das Gesetz einen besonderen, bislang vom Beschwerdeführer nicht beschrittenen Rechtsweg vorsieht. Derartige Bedenken gegen die Zulässigkeit greifen indessen nicht durch.
1. Nach der Regelung der Bundesrechtsanwaltsordnung steht dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer sowohl das Recht zur Erteilung einer Rüge als auch die Aufgabe einer Beratung und Belehrung der Kammermitglieder zu.
a) Die Rüge ist eine Mißbilligung, die der Kammervorstand als Sanktion für begangene Pflichtwidrigkeiten aussprechen kann und die an die Stelle einer ehrengerichtlichen Ahndung von Berufspflichtverletzungen tritt. Unter den Begriff der Rüge sollen -- wie in der amtlichen Begründung ausgeführt wird (BTDrucks. III/120, S. 87) -- alle mißbilligenden Äußerungen fallen ohne Rücksicht darauf, ob der Vorstand den Betroffenen "ermahnt", ihm "Vorhaltungen macht", sein Verhalten "rügt" oder sonst "mißbilligt". Im einzelnen bestimmt das Gesetz folgendes:
    § 73
    Aufgaben des Vorstandes
    (1) ...
    (2) Dem Vorstand obliegt insbesondere,
    1.-3. ...
    4. die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben;
    5.-10. ...
    (3)...


    BVerfGE 50, 16 (25):

    § 74
    Rügerecht des Vorstandes
    (1) Der Vorstand kann das Verhalten eines Rechtsanwalts, durch das dieser ihm obliegende Pflichten verletzt hat, rügen, wenn die Schuld des Rechtsanwalts gering ist und ein Antrag auf Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens nicht erforderlich erscheint.
    (2) Der Vorstand darf eine Rüge nicht mehr erteilen, wenn das ehrengerichtliche Verfahren gegen den Rechtsanwalt eingeleitet ist ...
    (3) Bevor die Rüge erteilt wird, ist der Rechtsanwalt zu hören.
    (4) Der Bescheid des Vorstandes, durch den das Verhalten des Rechtsanwalts gerügt wird, ist zu begründen. Er ist dem Rechtsanwalt zuzustellen. ...
    (5) Gegen den Bescheid kann der Rechtsanwalt binnen eines Monats nach der Zustellung bei dem Vorstand Einspruch erheben. Über den Einspruch entscheidet der Vorstand; Absatz 4 ist entsprechend anzuwenden.
    § 74a
    Antrag auf ehrengerichtliche Entscheidung
    (1) Wird der Einspruch gegen den Rügebescheid durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer zurückgewiesen, so kann der Rechtsanwalt innerhalb eines Monats nach der Zustellung die Entscheidung des Ehrengerichts beantragen. Zuständig ist das Ehrengericht am Sitz der Rechtsanwaltskammer, deren Vorstand die Rüge erteilt hat.
    (2)-(5) ...
Die Befugnis, ein Kammermitglied wegen leichter Pflichtwidrigkeiten zu rügen oder zu mißbilligen, war früher aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht des Kammervorstands hergeleitet worden; der Betroffene stand dem so gut wie schutzlos gegenüber. In Abkehr von dieser rechtsstaatlich bedenklichen Regelung und unter Aufnahme von Forderungen aus der Anwaltschaft (vgl. dazu Friedlaender, Rechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., 1930, Anm. 12 zu § 49; Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung, 1976, Anm. II B und C zu § 74) hat die Bundesrechtsanwaltsordnung das Rügeverfahren formalisiert und den Rechtsschutz des Betroffenen verstärkt; sie gewährt -- wie die amtliche Begründung ausdrücklich betont (BTDrucks. III/120, S. 87) -- in dreifacher Hinsicht Rechtsschutz: Der Betroffene muß vor Erteilung der Rüge gehört werden, die Rüge ist schriftlich

BVerfGE 50, 16 (26):

zu begründen und gegen ihre Erteilung ist nach erfolglosem Einspruch die Anrufung des Ehrengerichts vorgesehen. Die Inanspruchnahme dieses gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutzes ist grundsätzlich Voraussetzung für eine zulässige Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 BVerfGG).
b) Von dem Rügerecht ist die Beratungs- und Belehrungsaufgabe zu unterscheiden, die dem Kammervorstand im Rahmen seiner allgemeinen Aufsichts- und Förderungspflicht übertragen ist. Dazu bestimmt das Gesetz in dem bereits zitierten § 73 folgendes:
    (1) Der Vorstand hat die ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Er hat die Belange der Kammer zu wahren und zu fördern.
    (2) Dem Vorstand obliegt insbesondere,
    1. die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren;
    2.-10. ...
    (3) ...
Das Verhältnis zwischen Rüge und Belehrung und insbesondere Rechtsnatur und Tragweite von Belehrungen sind in Schrifttum und Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Isele neigt anscheinend -- ähnlich wie die Bundesrechtsanwaltskammer im vorliegenden Verfahren -- zu der Auffassung, im Grenzbereich zwischen korrektem und standeswidrigem Verhalten müßten Belehrungen wie früher schon auch als repressive Reaktionen auf ein bestimmtes zurückliegendes Verhalten, also als Mißbilligung unterhalb der Schwelle der Rüge zulässig sein (Isele, a.a.O., Anm. II D l zu § 73). Denkbar wäre demgegenüber aber auch die Auslegung, daß nach der Formalisierung der Rüge- und Mißbilligungsbefugnis durch die Bundesrechtsanwaltsordnung als leichteste Form der Mißbilligung eines bestimmten Verhaltens außerhalb des ehrengerichtlichen Verfahrens allein eine Rüge gemäß § 74 BRAO zur Verfügung steht, zumal das Gesetz nur gegen deren Erteilung ein förmliches Rechtsmittel zugunsten des Betroffenen und im Inter

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esse einer Klärung des Standesrechts vorsieht. Beratung und Belehrung kämen daneben als nicht anfechtbare Maßnahmen vor allem in Gestalt präventiver Auskünfte in Betracht, die der Kammervorstand vorab auf Anfrage oder auch aus gegebenem Anlaß zur Beseitigung künftiger Zweifel erteilt (vgl. dazu Kalsbach, Bundesrechtsanwaltsordnung 1960, nach § 43, Vorspruch Anm. 8, sowie Anm. 2 zu § 73; Cüppers, Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone, 1949, Anm. l zu § 36; kritisch insbesondere Husmann, Freie Advokatur im Zwangsverband?, 1970, S. 37 f.). Da Belehrungen der zuletzt genannten Art keine Bewertung eines bestimmten zurückliegenden Vorgangs und keinen Schuldvorwurf gegen eine bestimmte Person enthalten, sind sie in aller Regel nicht geeignet, Grundrechte eines Rechtsanwalts zu beeinträchtigen; sie könnten daher auch nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG sein (vgl. BVerfGE 18, 203 [213]).
2. Das beanstandete Schreiben kann weder als bloße präventive Belehrung in dem zuletzt umschriebenen Sinne noch als förmliche Rüge im Sinne des § 74 BRAO verstanden werden.
Das Schreiben ist von dem Vorstand der öffentlich-rechtlichen Rechtsanwaltskammer ergangen, der bei der Wahrnehmung der Standesaufsicht über die Mitglieder öffentliche Gewalt ausübt (BVerfGE 18, 203 [212 f.]). Es enthält den mißbilligenden Vorwurf einer begangenen Pflichtverletzung und verbindet das mit der Aufforderung, ein entsprechendes Verhalten zur Vermeidung einer an sich gerechtfertigten Rüge künftig zu unterlassen. Eine Belehrung dieses Inhalts beeinträchtigt den Betroffenen in seiner Berufsehre und ist durchaus geeignet, ihn in seiner grundrechtlich geschützten Freiheit zu beschränken, den Beruf grundsätzlich frei von Reglementierungen eigenverantwortlich auszuüben. Zwar fehlt der Mißbilligung eine unmittelbare Rechtswirkung in Gestalt einer förmlichen Sanktion. Das schließt aber Folgewirkungen zumindest im Wiederholungsfall keineswegs aus. Hinzu kommt eine Au

BVerfGE 50, 16 (28):

ßenwirkung dadurch, daß der Vorgang in den Personalakten des Beschwerdeführers festgehalten wird und daß die Tatsache der Belehrung demjenigen mitgeteilt wurde, der das Einschreiten der Anwaltskammer veranlaßt hatte. Aus diesen Umständen hat der Bundesminister der Justiz sogar gefolgert, daß das strittige Schreiben nach Ziel und Inhalt weit über eine bloße Belehrung hinausgehe und die typischen Merkmale einer Rüge zeige, die nach Beschreiten des Rechtswegs zweifellos Gegenstand einer zulässigen Verfassungsbeschwerde sein könnte.
Entgegen der Meinung des Bundesministers der Justiz kann die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde andererseits nicht damit angezweifelt werden, bei dem Belehrungsschreiben handele es sich in Wahrheit um eine verkappte Rüge, die der Beschwerdeführer gemäß §§ 74 Abs. 5, 74a BRAO habe anfechten können und müssen. Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer hatte ausdrücklich erklärt, er wolle den Beschwerdeführer nicht rügen; auf den vom Beschwerdeführer vorsorglich eingelegten Einspruch hat er mitteilen lassen, gegen das Belehrungsschreiben sei ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auch der Ehrengerichtshof stellt in dem angefochtenen Beschluß klar, daß dem Beschwerdeführer im vorliegenden Falle das gegen eine Rüge gegebene Rechtsmittel nicht zur Verfügung gestanden habe. Es spricht zwar viel dafür, daß der Kammervorstand der Sache nach eine Rüge erteilt hat, die normalerweise anfechtbar wäre; der Form nach ist das aber in Gestalt eines Belehrungsschreibens erfolgt, für das die Bundesrechtsanwaltsordnung eine Anfechtbarkeit jedenfalls nicht ausdrücklich vorsieht. Der Beschwerdeführer erstrebt gerade auch die Überprüfung, ob solche seine Berufsfreiheit beeinträchtigenden Maßnahmen, die sich als mißbilligende Belehrung zwischen förmlicher Rüge und präventiver Beratung bewegen, verfassungsrechtlich überhaupt statthaft sind. Nachdem er alle erdenklichen Wege zur gerichtlichen Überprüfung einer solchen Maßnahme versucht und dabei einen etwaigen Rechtsweg voll ausgeschöpft hat, kann die Zulässigkeit seiner Verfassungsbe

BVerfGE 50, 16 (29):

schwerde nicht mit der Begründung angezweifelt werden, er habe den gegen eine Rüge vorgesehenen Rechtsweg noch nicht beschritten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
1. Die anwaltliche Berufsausübung wird seit einem Jahrhundert durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnet, der einer staatlichen Kontrolle und Bevormundung grundsätzlich entgegensteht (vgl. BVerfGE 15, 226 [234]; 34, 293 [302]; 37, 67 [78]). Auch der Vorstand der Rechtsanwaltskammer darf gemäß Art. 12 Abs. 1 GG in die freie anwaltliche Berufsausübung nur aufgrund eines Gesetzes und nur durch solche Maßnahmen eingreifen, die materiellrechtlich den Anforderungen an Berufsausübungsregelungen genügen (vgl. BVerfGE 36, 212 [219]). Im übrigen unterliegt die anwaltliche Berufsausübung unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freien und unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen. Das beanstandete Schreiben wäre demgemäß als unvereinbar mit Art. 12 Abs. 1 GG zu beurteilen, wenn eine verfassungskonforme Auslegung des anwaltlichen Berufsrechts ergeben sollte, daß für Mißbilligungen außerhalb des förmlichen Rügeverfahrens die erforderliche gesetzliche Grundlage fehlt, wenn derartige Mißbilligungen neben den ehrengerichtlichen Maßnahmen des Verweises und der Warnung (§ 114 BRAO) und der -- in anderen Berufsregelungen nicht vorgesehenen -- Erteilung einer Rüge im Interesse des Gemeinwohls nicht erforderlich oder für den Betroffenen in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung nicht zumutbar wären oder aber wenn das Verhalten des Beschwerdeführers zu Unrecht als standeswidrig mißbilligt worden wäre. Ob diese Voraussetzungen vorliegen oder ob das Belehrungsschreiben eine gesetzlich zulässige, für den Betroffenen sogar schonendere Maßnahme darstellt und auch inhaltlich zu keinen Bedenken Anlaß gibt, ist bislang nicht überprüft worden. Eine derartige Überprüfung

BVerfGE 50, 16 (30):

und die damit verbundene Auslegung und Anwendung des anwaltlichen Berufsrechts auf den Einzelfall ist in erster Linie Sache der Fachgerichte, denen auch unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde der Vorrang vor einer verfassungsgerichtlichen Nachprüfung gebührt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist bereits deshalb begründet, weil der Ehrengerichtshof die vom Beschwerdeführer erstrebte Überprüfung des beanstandeten Schreibens abgelehnt hat. Dadurch wird der Beschwerdeführer in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegen Beeinträchtigungen seines Grundrechts der Berufsfreiheit verletzt.
Die beanstandete Maßnahme wirft -- wie bereits ausgeführt -- eine Reihe auch verfassungsrechtlich klärungsbedürftiger Fragen auf und ist geeignet, den Beschwerdeführer in seiner freien Berufsausübung einzuschränken. Ob eine solche Einschränkung statthaft ist, unterliegt von Verfassungs wegen der gerichtlichen Kontrolle. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfaßt bereits die Grundrechtsgarantie die Pflicht, einen angemessenen Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfGE 44, 105 [120]; 46, 325 [334] m. w. Nachw.). Darüber hinaus eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG ausdrücklich gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Rechtsweg, dessen Beschreiten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werden darf (BVerfGE 40, 272 [274 f.]). Die damit gewährleistete Pflicht, bei Eingriffen im Grundrechtsbereich effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ist gerade auch bei der Auslegung und Anwendung generalklauselartiger Zuständigkeitsregelungen zu beachten. Dies hat der Ehrengerichtshof nicht hinreichend berücksichtigt.
Der Ehrengerichtshof hat sowohl den Antrag auf Aufhebung des beanstandeten Schreibens als auch den Hilfsantrag, dessen Rechtswidrigkeit festzustellen, als unzulässig behandelt. Die Anrufung des Ehrengerichtshofs sei nur im Rahmen des § 223 BRAO zulässig, wonach "Verwaltungsakte" die nach der Bun

BVerfGE 50, 16 (31):

desrechtsanwaltsordnung ergehen, durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor dem Ehrengerichtshof auch dann angefochten werden können, wenn dies nicht ausdrücklich bestimmt ist. Nach Meinung des Ehrengerichtshofs stellt das beanstandete Schreiben keinen Verwaltungsakt im Sinne dieser Vorschrift dar. Ein solcher liege nur vor, wenn ein Hoheitsträger auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles eine hoheitliche Maßnahme mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen treffe. In dem beanstandeten Schreiben äußere der Kammervorstand lediglich eine Rechtsmeinung zum Standesrecht ohne den erklärten Willen, im Sinne dieser Meinung unmittelbar eine Rechtswirkung zu erzeugen.
Die derart begründete Ablehnung einer Überprüfung des strittigen Belehrungsschreibens entspricht nicht der gebotenen verfassungskonformen Auslegung und Anwendung des § 223 BRAO. Ob das Schreiben nicht die Merkmale eines Verwaltungsaktes im Sinne des Verwaltungsrechts erfüllt und ob deshalb eine unmittelbare Anwendung des § 223 BRAO ausscheidet, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist die Vorschrift des § 223 BRAO als Generalklausel in die Bundesrechtsanwaltsordnung eingefügt worden mit dem Ziel, etwaige Lücken zu schließen, die neben den einzelnen Anfechtungsregelungen verbleiben könnten (vgl. BTDrucks. III/120, S. 123, zu § 237 = § 223 des Gesetzes). Wenn aber die Generalklausel einen lückenlosen Rechtsschutz gegenüber allen Verwaltungsakten sicherstellen soll, dann muß der damit geschaffene Rechtsweg erst recht gegenüber solchen hoheitlichen Maßnahmen offenstehen, die geeignet sind, Grundrechte des Betroffenen einzuschränken und die -- wie dargelegt -- die Voraussetzungen für die Einlegung von Verfassungsbeschwerden erfüllen. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht in seinem Verweisungsbeschluß unter Hinweis auf entsprechende Erwägungen des Bundesgerichtshofs (BGHZ 34, 244 [249 f.]) zutreffend dargelegt. Diese Auslegung des § 223 BRAO führt allerdings dazu, daß Mißbilligungen unterhalb der Schwelle der Rüge beim

BVerfGE 50, 16 (32):

Ehrengerichtshof anfechtbar sind, während die strengere Maßnahme der Rüge einer Überprüfung durch die erstinstanzlichen Ehrengerichte unterliegt. Dieser Umstand beruht aber auf der Natur des § 223 BRAO als generalklauselartigem Auffangtatbestand und schließt dessen Anwendung nicht aus.
3. Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Ehrengerichtshofs wird der Beschluß des Bundesgerichtshofs, der keine selbständige grundrechtsrelevante Beschwer enthält, gegenstandslos. Die Entscheidung über die Erstattungspflicht der notwendigen Auslagen beruht auf § 34 Abs. 4 BVerfGG.
(gez.) Dr. Benda Dr. Simon Dr. Faller Der Richter Dr. Hesse ist an der Unterschrift verhindert. Dr. Benda Dr. Katzenstein Dr. Niemeyer