BVerfGE 103, 225 - Pflegeversicherung II |
1. Es bestehen verfassungsrechtlich keine Bedenken, dass der Gesetzgeber die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung grundsätzlich an das Bestehen eines gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungsschutzes geknüpft hat. |
2. Es verstößt jedoch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass der Gesetzgeber gleichermaßen schutzbedürftige Personen ohne Krankenversicherungsschutz vom Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung ausgeschlossen hat, die als Volksversicherung angelegt ist. Diesen Personen ist zumindest ein Beitrittsrecht einzuräumen. |
Urteil |
des Ersten Senats vom 3. April 2001 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2000 |
- 1 BvR 81/98 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn S... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinrich W. Moritz und Koll., Konstantinstraße 4-10, 54290 Trier - 1. unmittelbar gegen a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. November 1997 - 12 RP 1/96 -, b) das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. August 1996 - L 5 P 1/96 -, c) das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 22. März 1996 - S 2 P 4/95 -, d) den Widerspruchsbescheid der AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz vom 23. Mai 1995, e) den Bescheid der AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz vom 23. November 1994, 2. mittelbar gegen Art. 1 § 1 Abs. 2, § 20 Abs. 1 bis 3, § 21, § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4, § 24 des Gesetzes zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S. 1014). |
Entscheidungsformel: |
1. Die Regelungen des Elften Buches Sozialgesetzbuch vom 26. Mai 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 1014, 1015) über den Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung sind mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als durch sie Personen generell vom Zugang ausgeschlossen sind, die bei In-Kraft-Treten des Elften Buches Sozialgesetzbuch keinen die Versicherungspflicht nach diesem Gesetz begründenden Tatbestand erfüllten. |
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2001 nach Maßgabe der Gründe eine verfassungsgemäße Regelung zu treffen. |
3. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. November 1997 - 12 RP 1/96 -, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. August 1996 - L 5 P 1/96 -, das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 22. März 1996 - S 2 P 4/95 - und die Bescheide der AOK - Die Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz vom 23. November 1994 und vom 23. Mai 1995 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Urteil des Bundessozialgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bundessozialgericht zurückverwiesen. |
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Personen, die bei In-Kraft-Treten des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) keinen die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung begründenden Tatbestand erfüllten, generell von dieser Versicherung ausgeschlossen werden durften.
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I. |
1. Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz - PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) die rechtliche Grundlage für eine Versicherung geschaffen, die rund 98% der Bevölkerung umfasst. Es ist dem Sozialgesetzbuch als Elftes Buch (SGB XI) angefügt worden (vgl. Art. 1 PflegeVG).
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a) Die nach dem SGB XI versicherten Personen sind entweder als Mitglieder oder Familienversicherte kraft Gesetzes in die als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts organisierten Pflegekassen einbezogen (soziale Pflegeversicherung) oder gesetzlich verpflichtet, als Versicherungsnehmer einen privaten Pflegeversicherungsvertrag für sich und ihre Angehörigen bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen abzuschließen (private Pflege-Pflichtversicherung). Beide Versicherungsformen stellen zusammen die gesetzliche Pflegeversicherung dar (vgl. näher Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3. April 2001 - 1 BvR 2014/95 -, Umdruck S. 2 ff.).
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b) Ein freiwilliger Beitritt zur Pflegeversicherung ist nicht vorgesehen. Eine freiwillige Versicherung gibt es nur in der sozialen Pflegeversicherung und dort nur als freiwillige Weiterversicherung nach § 26 SGB XI.
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aa) Die Weiterversicherung betrifft zum einen Personen, die wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland aus der Versicherungspflicht ausscheiden (§ 26 Abs. 2 SGB XI). Hierbei handelt es sich um eine beitragsermäßigte Versicherung zur Aufrechterhaltung der Anwartschaft für den Fall der Rückkehr in das Inland. Die Anwartschaftserhaltung dient dazu, nach der Rückkehr aus dem Ausland sofortigen Versicherungsschutz zu erhalten, ohne eine erneute Vorversicherungszeit (§ 33 SGB XI) zurücklegen zu müssen.
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bb) Daneben besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung, wenn die Pflichtmitgliedschaft oder die Familienversicherung in der sozialen Pflegeversicherung erlischt und auch keine Pflicht zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages nach § 23 SGB XI besteht (§ 26 Abs. 1 SGB XI). § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XI betrifft nur Personen, die zunächst über einen Krankenver sicherungsschutz verfügten oder einen der Tatbestände des § 21 SGB XI erfüllten, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt keinen Krankenversicherungsschutz mehr haben und auch nicht nach § 21 SGB XI versicherungspflichtig sind, aber gleichwohl den Pflegeversicherungsschutz aufrechterhalten wollen. ' 26 Abs. 1 Satz 2 SGB XI regelt die freiwillige Weiterversicherung von Personen, die nach § 25 SGB XI und nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe f und Abs. 3 Nr. 6 SGB XI familienversichert sind, wenn die Familienversicherung endet, ohne dass ein neuer Krankenversicherungsschutz begründet wird. |
c) Versicherungsfrei sind danach Personen, die über keinen Krankenversicherungsschutz verfügen und auch keinen Tatbestand der Versicherungspflicht nach §§ 21, 23 Abs. 3 und 4, § 24 SGB XI erfüllen. Weiter sind versicherungsfrei die privat Krankenversicherten, die Beamten und die beamtenähnlich versorgten Personen, die sich bereits bei In-Kraft-Treten des SGB XI auf nicht absehbare Dauer in stationärer Pflege befanden und bereits Pflegeleistungen aufgrund bestimmter Gesetze wie beispielsweise des Bundesversorgungsgesetzes erhalten, sofern sie auch keine Familienangehörigen haben, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI eine Familienversicherung bestünde (§ 23 Abs. 5 SGB XI).
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Eine der Versicherungsfreiheit nahezu gleiche Rechtslage stellt § 56 Abs. 4 SGB XI her. Nicht versicherungsfrei, aber auf Antrag beitrags- und leistungsfrei sind nach dieser Vorschrift diejenigen bei In-Kraft-Treten des Pflege-Versicherungsgesetzes bereits dauerhaft stationär pflegebedürftigen Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung, die wie die in § 23 Abs. 5 SGB XI genannten Personen über entsprechende Ansprüche nach den dort genannten Vorschriften verfügen und keine Familienangehörigen haben, für die eine Familienversicherung nach § 25 SGB XI besteht. Ähnliches gilt für § 34 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI.
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2. Die rund 2% der Bevölkerung, die weder in der sozialen noch in der privaten Pflegeversicherung versichert sind, teilen sich in zwei unterschiedlich große Gruppen auf.
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a) Eine Gruppe von rund 1,8% der Bevölkerung verfügt über keinen Krankenversicherungsschutz, ist jedoch bei einem Sozialleis tungsträger erfasst, der die Kosten im Falle einer Krankheit übernimmt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Sozialhilfeempfänger, die nach § 37 BSHG Anspruch auf Krankenhilfe haben. Zwar sieht Art. 28 des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz; im Folgenden: GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266) vor, dass Personen, die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz erhalten, in die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 SGB V in Zukunft einbezogen werden. Bislang fehlt jedoch das nach Art. 28 Abs. 2 GSG erforderliche Ausführungsgesetz. |
b) Nicht versicherungspflichtig sind ferner etwa 150.000 Personen (0,2% der Bevölkerung), die keinen Versicherungsschutz gegen das Risiko Krankheit vorweisen können und auch bei keinem der Sozialleistungsträger erfasst sind. Wenn dieser Personenkreis pflegebedürftig wird, muss er, soweit er finanziell leistungsfähig ist, grundsätzlich eigenes Einkommen und Vermögen einsetzen, bevor er Pflegeleistungen vom Sozialhilfeträger beanspruchen kann. Hilfe zur Pflege steht ihm zudem nur dann zu, wenn er nicht die erforderliche Hilfe von anderen, insbesondere von Angehörigen, erhält (§ 2 Abs. 1 BSHG). Das SGB XI sieht für diese rund 150.000 Personen keine Möglichkeit vor, freiwillig Mitglied einer Pflegekasse zu werden. Auch haben sie keinen Anspruch gegen private Krankenversicherungsunternehmen auf Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages.
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II. |
1. Der im Jahre 1920 geborene Beschwerdeführer ist aufgrund eines im Kindesalter erlittenen Unfalls geistig und körperlich behindert. Der nach dem Schwerbehindertengesetz festgestellte Grad der Behinderung beträgt 100. Bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres war er in der gesetzlichen Krankenversicherung als Familienangehöriger mitversichert. Seither ist er weder gesetzlich noch privat krankenversichert. Seinen Lebensunterhalt und die bei Krankheit anfallenden Kosten bestreitet er aus den Erträgen eines Mietshauses, das ihm von seinen Eltern hinterlassen wurde. Er ist nicht verheiratet. Für ihn ist ein Betreuer bestellt.
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Im November 1994 beantragte er, Mitglied der Pflegekasse bei der AOK zu werden. Dies wurde abgelehnt. Auch im Gerichtsverfahren blieb der Beschwerdeführer mit seinem Begehren erfolglos. Das Bundessozialgericht hat festgestellt, dass er nach keiner der Vorschriften des SGB XI und des Übergangsrechts des Pflege-Versicherungsgesetzes in die soziale Pflegeversicherung als Versicherter einbezogen ist. Dies sei verfassungsgemäß. |
a) Zwar rechne die Fürsorge für Hilfsbedürftige zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaates. Insbesondere gehöre dazu auch, eine angemessene Betreuung zu fördern. Der Gesetzgeber komme aber seiner Pflicht, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, bereits durch die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz nach. Aus dem Sozialstaatsprinzip ergebe sich kein Anspruch des Bürgers auf Zugang zu einer Versicherung gegen Lebensrisiken.
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b) Auch der allgemeine Gleichheitssatz sei nicht verletzt. Es sei wegen der Art der abgesicherten Risiken sachgerecht, dass der Gesetzgeber die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung an einen bestehenden Krankenversicherungs- und Krankenversorgungsschutz knüpfe. Die Risiken seien sowohl hinsichtlich des Zeitpunkts der zu erwartenden höchsten Belastung als auch des Umfangs der möglichen Kosten vergleichbar. Länger andauernde, schwere Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit träten regelmäßig erst im höheren Alter auf. Sowohl die für Krankheit als auch die für Pflege aufzuwendenden Kosten könnten ein Vermögen aufzehren, dessen Erträge üblicherweise für den Lebensunterhalt ausreichten. Allerdings sei das Versicherungsrisiko "Krankheit" eindeutig das wirtschaftlich bedeutsamere Risiko, was sich auch an der Höhe der Versicherungsbeiträge ablesen lasse. Sollten solche Personen zwangsweise in die Pflegeversicherung einbezogen werden, die nicht einmal für den Fall der Krankheit gesichert seien, könnte dem Gesetzgeber entgegengehalten werden, er ordne unter Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG eine Versicherung gegen das insgesamt geringere Risiko der Pflegebedürftigkeit an, obwohl er einen Bedarf an einer gesetzlichen Absicherung gegen das höhere Risiko der Krankheit nicht anerkannt habe.
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Gegen die Beschränkung der Versicherungspflicht im SGB XI spreche nicht, dass der Gesetzgeber diese zumindest in einem Fall auch auf eine Personengruppe erstreckt habe, die weder krankenversichert sei noch einen anderweitigen Anspruch auf Krankenversorgung habe. Soweit nach § 21 Nr. 2 SGB XI auch diejenigen in die Versicherungspflicht einbezogen seien, die eine Kriegsschadenrente nur als Entschädigungsrente erhielten und die als solche keinen Anspruch auf Krankenversorgung hätten, werde dies sachlich gerechtfertigt durch die Absicht, alle Bezieher einer besonderen staatlichen Unterstützung gleichzubehandeln. Im Übrigen handele es sich nur um einen sehr kleinen Personenkreis. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechts des Beschwerdeführers sei weiter nicht daraus herzuleiten, dass sich nach § 23 Abs. 3 SGB XI auch nicht krankenversicherte Beamte in der privaten Pflegeversicherung versichern könnten und müssten. Dabei könne offen bleiben, ob die Versicherungspflicht bei Beamten an die neben dem Beihilfeanspruch bestehende Krankenversicherung oder nur an den Beihilfeanspruch selbst anknüpfe. Auch im letzteren Fall liege keine sachwidrige Ungleichbehandlung vor, weil der Beamte aufgrund des Beihilfeanspruchs auch schon bisher Anspruch auf Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit gehabt habe. Auch die in Art. 28 Abs. 1 GSG vorgesehene Krankenversicherungspflicht für Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt sei hier schon deswegen unerheblich, weil sie noch nicht wirksam geworden sei; es fehle noch an dem nach Art. 28 Abs. 2 GSG erforderlichen Ausführungsgesetz. Aber selbst wenn der Gesetzgeber hilfebedürftige Personen bereits in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen hätte, ergäbe sich daraus nicht ohne weiteres, dass andere, nicht hilfebedürftige Personen ebenfalls in die Pflegeversicherung einzubeziehen seien. Wenn der Gesetzgeber eine Versicherungspflicht nicht für alle begründet habe, bei denen das Risiko der Pflegebedürftigkeit bereits eingetreten oder die Absicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen nicht mehr möglich ist, sei dies gerechtfertigt, weil dieser Personenkreis mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht festzustellen und deshalb die Versicherungspflicht nicht durchsetzbar gewesen sei. |
c) Der Gesetzgeber habe auch nicht von Verfassungs wegen ein freiwilliges Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung von Personen begründen müssen, die nicht krankenversichert sind. Denn er habe damit rechnen müssen, dass nur solche Personen ihren Beitritt erklärt hätten, bei denen entweder der Versicherungsfall bereits eingetreten oder absehbar gewesen wäre. Von den anderen Berechtigten wäre ein Beitritt nicht zu erwarten gewesen, weil sie sich bisher nicht einmal gegen das höhere Risiko der Krankheit versichert hätten. Damit hätte der Gesetzgeber durch ein allgemeines Beitrittsrecht die Versicherungspflichtigen, die nach anderen risikounabhängigen Merkmalen ausgewählt worden seien, allein mit den "Risikofällen" der bisher nicht versicherten Gruppe belastet. Dies habe er vermeiden dürfen. Im Übrigen hätte der Beschwerdeführer jedenfalls von Juli 1975 bis Juni 1976 trotz seines Alters von damals 55 Jahren der gesetzlichen Krankenversicherung beitreten können; er wäre dann ab 1995 in den Schutz der Pflegeversicherung gelangt. Der Beschwerdeführer müsse es sich zurechnen lassen, dass es sein damaliger Vormund unterlassen habe, den Beitritt zu erklären. |
2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG. Er werde gegenüber einem Beamten, der neben seinem Beihilfeanspruch keinen zusätzlichen Krankenversicherungsschutz habe, sachwidrig ungleich behandelt; dieser werde im Unterschied zu ihm in die Pflegeversicherung einbezogen. Aufgrund des Umstandes, dass die Pflegeversicherung als Volksversicherung ausgestaltet sei, müsse allen der Zugang zur Pflegeversicherung eröffnet werden. Durch nichts sei belegt, dass nur schlechte Risiken von einem Beitrittsrecht Gebrauch machen würden. Das Verhalten früherer Vormünder dürfe für ihn nicht nachteilig sein; immerhin sei es vom Amtsgericht nicht beanstandet worden. Auch werde die noch von seinen Eltern getroffene private Vorsorge diskreditiert. Hätten sie nicht vorgesorgt, würde er der Sozialhilfe zur Last fallen.
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III. |
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung, der Verband der privaten Kran kenversicherung und der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen. Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren deren Ausführungen sowie die des Beschwerdeführers. |
1. Das Bundesministerium hält die Regelungen über den Zugang zur Pflegeversicherung für verfassungsgemäß. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folge nicht die Pflicht des Gesetzgebers, ausnahmslos die gesamte Bevölkerung in die Pflegeversicherung einzubeziehen. Der Ausschluss eines kleinen Teils der Bevölkerung sei schon durch Gründe der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt. Bei dieser Gruppe, die meist nicht erwerbstätig sei und häufig über keine erfassbaren Einkünfte verfüge, wäre der Beitragseinzug nur mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand und erheblichen Kosten möglich gewesen, die letztlich aus den Beiträgen der Versicherten hätten aufgebracht werden müssen. Auch würden die wegen Fehlens eines Krankenversicherungsschutzes von der Pflegeversicherung ausgeschlossenen Personen gegenüber den anderen versicherungspflichtigen Gruppen nicht dadurch willkürlich ungleich behandelt, dass ihnen kein Beitrittsrecht eingeräumt worden sei.
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a) Ein Beitrittsrecht der bisher nicht krankenversicherten Personen, die auch keinen sonstigen besonderen Pflichtversicherungstatbestand nach dem SGB XI erfüllten, zur sozialen Pflegeversicherung oder zur privaten Pflege-Pflichtversicherung sei nicht angezeigt. Derartige Beitrittsrechte könnten Selektionsprozesse zu Lasten der Solidargemeinschaft der Versicherten bewirken. Nicht nur die soziale Pflegeversicherung, sondern auch die private Pflege- Pflichtversicherung sei in gewisser Weise eine Solidargemeinschaft. Anders als in der privaten Krankenversicherung zahle in der Pflege-Pflichtversicherung der Versicherte eine Prämie nicht nur in der Höhe, die ausreiche, um sein individuelles Pflegekostenrisiko sowie den vereinbarten Leistungsumfang des Versicherungsschutzes bis ins Alter hinein zu finanzieren. Die Prämien umfassten vielmehr in erheblichem Umfang auch Umlageelemente zur Finanzierung eines sozialverträglichen Versicherungsschutzes. Räumte man den nicht Krankenversicherten ein zeitlich nicht eingeschränktes Beitrittsrecht zur sozialen Pflegeversicherung oder zur privaten Pflege-Pflichtversicherung ein, so wäre es ihnen möglich, den Zeitpunkt abzuwarten, ab dem das Risiko der Pflege größer werde, um erst dann Beiträge zur Pflegeversicherung zu bezahlen. Dadurch würde die Solidargemeinschaft ausgenutzt. |
b) Auch die Gewährung eines einmaligen, befristeten Beitrittsrechts nach In-Kraft-Treten des SGB XI hätte zu einer einseitigen Risikoselektion zu Lasten der Solidargemeinschaft der Versicherten geführt. Nur diejenigen hätten davon Gebrauch gemacht, die sich als Ältere oder Vorerkrankte davon einen Vorteil versprochen hätten; andere Beitragszahler wären hingegen ferngeblieben. Im Übrigen sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass Personen, die es bislang nicht für notwendig gehalten hätten, sich gegen das Risiko der Krankheit abzusichern, auch nicht daran interessiert sein dürften, ein Beitrittsrecht zur Pflegeversicherung zu erhalten. Das Krankheitsrisiko müsse im Verhältnis zum Risiko der Pflegebedürftigkeit als das größere und aktuellere Risiko angesehen werden.
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2. Der Verband der Angestellten-Krankenkassen und der Arbeiter-Ersatzkassen-Verband schließen sich dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil des Bundessozialgerichts an.
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3. Nach Auffassung des Deutschen Juristinnenbundes lässt sich der Ausschluss von Personen aus der sozialen und der privaten Pflegeversicherung, die ohne Krankenversicherungsschutz seien, sachlich nicht rechtfertigen. Im SGB XI fehlten Regelungen, die auch nicht krankenversicherten Personen, etwa im Wege der freiwilligen Versicherung, den Zugang zur Pflegeversicherung ermöglichen würden. Im Falle der Sozialhilfebedürftigkeit müssten die Sozialhilfeträger verpflichtet werden, in jedem Fall die Beiträge zur Pflegeversicherung zu übernehmen.
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Wenn der Gesetzgeber, wie im Falle der Pflegeversicherung geschehen, einen völlig neuen Zweig der Sozialversicherung schaffe, der grundsätzlich alle Personengruppen im Geltungsbereich des Gesetzes durch eigene Versicherung oder Mitversicherung erfasse, müsse auch ein gleicher Zugang zu dem Sozialversicherungssystem gewährleistet sein. Es bestünden jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass nicht Krankenversicherte weniger stark vom Risiko der Pflegebedürftigkeit bedroht seien als Personen mit Krankenversicherungsschutz. Hinzu komme, dass gerade viele allein erziehende Frauen, die während der Erziehung von Kleinkindern sozialhilfebedürftig würden, weil sie nicht mehr oder nur in geringem Maß einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnten, ihren bisherigen Krankenversicherungsschutz verlören. Erlangten sie nach Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit wieder Krankenversicherungsschutz, müssten sie nach § 33 SGB XI fünf Jahre warten, bis sie (erneut) die geforderte Vorversicherungszeit erfüllten. In der Zwischenzeit bestehe kein Versicherungsschutz. |
B. |
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer ist in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Es ist zwar im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI für die Gruppe von Personen, zu der der Beschwerdeführer gehört, keine Versicherungspflicht begründet hat (I 3). Mit Art. 3 Abs. 1 GG ist es jedoch unvereinbar, dass er diesen Personen nicht auf andere Weise als durch Anordnung einer Versicherungspflicht den Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung eröffnet hat (I 4).
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I. |
1. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Es verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 100, 59 [90]; stRspr). Bei der Regelung von Massenerscheinungen kann dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität zwar eine besondere Bedeutung für die Rechtfertigung dort auftretender Ungleichbehandlung zukommen. Dies setzt aber voraus, dass bei einer Gleichbehandlung erhebliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten entstehen würden, die nicht durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen behoben werden könnten (vgl. BVerfGE 100, 195 [205]). Wird für den Bereich des Sozialrechts eine Personengruppe von einer anderen Gruppen gewährten rechtlichen Begünstigung ausgeschlossen, so hängt es wesentlich vom Gewicht der Folgen dieses Ausschlusses ab, welche Bedeutung dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität bei der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zukommt. |
Hier geht es um den Ausschluss von einer Pflichtversicherung, die ein existenzielles Risiko absichern soll. Auch soll diese Versicherung nach den Vorstellungen des Gesetzgebers grundsätzlich die gesamte Bevölkerung einbeziehen, weil Schutzbedarf bei allen besteht. Gründe der Verwaltungspraktikabilität können in einem solchen Fall die Vorenthaltung des Versicherungsschutzes nur tragen, wenn der Verwaltungsaufwand schlechthin in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum angestrebten Ziel der Erfassung der potenziell Versicherungspflichtigen steht.
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2. Die im SGB XI enthaltenen Regelungen über die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung und über den Anspruch auf Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages in einer privaten Pflegeversicherung benachteiligen die Gruppe, zu der der Beschwerdeführer gehört. Da die zu dieser Gruppe gehörenden Personen im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI weder krankenversichert waren noch einen Sondertatbestand des Gesetzes zur Begründung einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung erfüllten, sind sie im Unterschied zu allen anderen vom Zugang zu dieser ausgeschlossen. Zwar begründet die Stellung als Versicherter oder Versicherungsnehmer eine Beitrags- oder Prämienlast. Diese Belastung tritt jedoch gegenüber dem Vorteil zurück, der sich aus dem Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung und dem daraus erwachsenden Anspruch auf Leistungen jedenfalls bei älteren und insbesondere bei bereits pflegebedürftigen Personen ergibt. Diese haben auch keine realistische Möglichkeit mehr, der Benachteiligung durch den Ausschluss aus der gesetzlichen Pflegeversicherung mit Hilfe des Abschlusses eines privaten Krankenversicherungsvertrages und daran anknüpfend eines privaten Pflegeversicherungsvertrages auszuweichen.
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a) Verfassungsrechtlich bestehen keine Bedenken, dass der Gesetzgeber bei der Verwirklichung seines Zieles, grundsätzlich die gesamte Bevölkerung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit abzusichern und in diesem Sinne eine "Volksversicherung" zu schaffen, die Versicherungspflicht in der Pflegeversicherung an das Bestehen eines gesetzlichen oder privaten Krankenversicherungsschutzes geknüpft hat (vgl. näher Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3. April 2001 - 1 BvR 2014/95 -, Umdruck S. 10 ff.). Aus der Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum heutigen § 21 SGB XI (vgl. BTDrucks 12/5920, S. 28 f.) ergibt sich, dass der Gesetzgeber zwar in der Verfolgung seines Anliegens einer möglichst umfassenden Versicherung dem Prinzip der Einheit von Kranken- und Pflegeversicherung keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen hat, wenn dieses einer Ausdehnung des Versichertenkreises im Wege stand. Dabei wollte er aber den Grundsatz konsequent fortführen, eine Versicherungspflicht nur für diejenigen Personen zu begründen, deren Erfassung mit einem nach seiner Einschätzung vertretbaren Verwaltungsaufwand zuverlässig möglich war. Dies folgt aus der Begründung zum Gesetzentwurf (BTDrucks 12/5262, S. 102) und aus den Ausführungen im Bericht des Ausschusses (BTDrucks 12/5952, S. 37).
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b) Das Ziel einer möglichst praktikablen Umsetzung des Gesetzes, die aufwendige Feststellungsverfahren zur Ermittlung der Versicherungspflichtigen vermeidet, rechtfertigt es, dass der Gesetzgeber nicht die gesamte Wohnbevölkerung in Deutschland ausnahmslos gleichbehandelt und der Versicherungspflicht unterworfen hat. Zur Schließung der wegen der Anknüpfung an die "Krankenversicherung" noch verbleibenden Lücken war es dem Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz nicht verwehrt, eine darüber hinausgehende Versicherungspflicht nach solchen Kriterien zu bestimmen, die in ähnlich einfacher Weise wie das Merkmal eines vorhandenen Krankenversicherungsschutzes zu ermitteln sind. In allen Fallgruppen der Versicherungspflicht greift das Gesetz zur Meldung und Überwachung der Versicherungspflichtigen auf bereits vorhandene öffentliche und private Einrichtungen und Stellen zurück (§ 50 Abs. 1 und 2 und § 51 SGB XI). Diese waren aufgrund ihrer praktischen Erfahrung und den ihnen verfügbaren Informationen und Daten in der Lage, ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu gewährleisten, dass "ihre" Versicherungspflichtigen den jeweiligen Trägern der Pflegeversicherung beziehungsweise dem Bundesversicherungsamt bekannt gegeben wurden (vgl. § 50 Abs. 2 und § 51 Abs. 2 SGB XI), sofern sie nicht selbst - wie in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle - Träger der Pflegeversicherung waren. Darüber hinaus konnte aufgrund ihrer Daten überprüft werden, ob die bei privaten Versicherungsunternehmen gegen Krankheit Versicherten ihrer rechtlichen Verpflichtung zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung eines Pflegeversicherungsvertrages auch nachkamen (vgl. § 51 Abs. 1 und 3 SGB XI). Der Gesetzgeber war nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG gehalten, zur Verwirklichung einer lückenlosen Versicherungspflicht darüber hinaus alle bisher nicht als Leistungsempfänger durch Versicherungsträger oder Sozialbehörden erfassten Personen ermitteln zu lassen. Zu diesem Kreis der nicht erfaßten Personen gehört auch der Beschwerdeführer. Seine Nichteinbeziehung in die Versicherungspflicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. |
4. Art. 3 Abs. 1 GG ist aber dadurch verletzt, dass der Gesetzgeber Personen wie dem Beschwerdeführer nicht auf andere Weise als durch die Anordnung einer Versicherungspflicht Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung verschafft hat. Dies wäre etwa durch die Einräumung des Rechts möglich gewesen, innerhalb einer bestimmten Frist nach In-Kraft-Treten des SGB XI freiwillig der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflegeversicherung - dort durch Abschluss eines Versicherungsvertrages - beizutreten. Der Gesetzgeber durfte sich nicht auf die im SGB XI vorgesehenen Zugangstatbestände beschränken, da es jedenfalls diesen rechtlichen Weg für die Einbeziehung in die gesetzliche Pflegeversicherung gibt, der dem von ihm angestrebten Ziel einer Volksversicherung näher kommt, und da hinreichend gewichtige Gründe diesen Weg nicht verschließen.
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a) Der Gewährung eines Beitrittsrechts im Rahmen der übergangsrechtlichen Bestimmungen des SGB XI stünden verwaltungspraktische Schwierigkeiten nicht entgegen. Ein solches Recht zur Begründung einer freiwilligen Versicherung innerhalb der gesetzlichen Pflegeversicherung erfordert keine Ermittlungen über den betroffenen Personenkreis. Es ist Sache der Betroffenen, sich zu melden und entsprechende Anträge zu stellen. |
b) Andere Gründe von hinreichendem Gewicht, die der Gewährung eines Zugangs zur gesetzlichen Pflegeversicherung entgegengesetzt werden könnten, sind nicht ersichtlich.
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aa) Der Gesetzgeber kann sich zur Rechtfertigung seiner Regelung nicht darauf berufen, von dem Recht einer freiwilligen Versicherung hätten vornehmlich Personen Gebrauch gemacht, die schon pflegebedürftig gewesen seien oder bei denen die Gefahr bestanden habe, dass sie alsbald pflegebedürftig würden. Selbst wenn diese Erwartung zutreffend war - gesicherte Erfahrungen gibt es in diesem Zusammenhang nicht -, so stellt die Vermeidung einer "negativen Risikoselektion" keinen sachlichen Grund für die Benachteiligung der Gruppe dar, zu der der Beschwerdeführer gehört. Eine solche Entwicklung zu vermeiden, mag Regelungen in Fällen rechtfertigen, in denen eine dem solidarischen Ausgleich verpflichtete gesetzliche Pflichtversicherung nur einen Ausschnitt der Bevölkerung erfassen soll, weil nur dieser schutzbedürftig erscheint. Wird hier dem versicherungsfreien, nach Auffassung des Gesetzgebers mithin nicht schutzbedürftigen Teil der Bevölkerung die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung eröffnet, kann es zu einem unerwünschten Zugang im Versichertenbestand kommen, insbesondere wenn sich vor allem Personen mit "hohen" Risiken zu vergleichsweise günstigen Bedingungen versichern lassen. Im Falle der Pflegeversicherung war jedoch nach Auffassung des Gesetzgebers die gesamte Bevölkerung wegen des Pflegerisikos schutzbedürftig. So hat der Gesetzgeber gerade auch Personen mit hohem oder schon verwirklichtem Risiko der Pflegebedürftigkeit unter den sofortigen Versicherungsschutz gestellt. Die Vermeidung einer unerwünschten Risikoselektion ist daher keine Rechtfertigung für die Benachteiligung einzelner Gruppen.
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bb) Der Ausschluss vom Schutz in der gesetzlichen Pflegeversicherung lässt sich auch nicht damit begründen, der Personenkreis, um den es hier geht, sei nicht an der Absicherung des Pflegerisikos interessiert gewesen, weil er sich nicht gegen das gewichtigere Risiko "Krankheit" versichert habe. Für diese Einschätzung finden sich keine Belege. Sie ist bei einem so heterogenen Personenkreis wie der hier betroffenen Gruppe auch kaum belegbar, zumal die private Krankenversicherung Risikoselektion betreibt. Gleiches gilt für die Erwägung, der nicht krankenversicherte Personenkreis müsse von der gesetzlichen Pflegeversicherung ausgeschlossen bleiben, weil andernfalls die Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen im Rahmen der Krankenversicherung nicht abgesichert und damit der Grundsatz "Rehabilitation vor Pflege" (vgl. § 5 SGB XI) gefährdet wäre. Auch ist die Annahme nicht empirisch begründet, ein bestehender Krankenversicherungsschutz führe wegen der Möglichkeit der Gewährung von Rehabilitationsleistungen zu einer nachhaltigen Entlastung der Pflegeversicherungsträger. |
cc) Der Ausschluss des Beschwerdeführers kann auch nicht mit der Begründung vor Art. 3 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden, sein Begehren nach Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung sei nicht schutzwürdig, weil es ihm nur darum gehe, eigenes Einkommen und Vermögen bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit zu schonen. Diese Erwägung kann keinen Unterschied zu denjenigen Personen begründen, die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI krankenversichert waren und deshalb in der gesetzlichen Pflegeversicherung pflichtversichert wurden. Auch ihr Einkommen und Vermögen ist, soweit die gesetzlichen Leistungen reichen, im Versicherungsfall vor der Heranziehung zur Finanzierung des Pflegeaufwands geschützt.
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II. |
1. Dem Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, den Gleichheitsverstoß beim Zugang zur gesetzlichen Pflegeversicherung zu beseitigen. Daher sind die vom Beschwerdeführer angegriffenen Vorschriften nicht für nichtig zu erklären. Die Zugangsregelungen bleiben weiterhin anwendbar.
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2. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2001 durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass der Personenkreis, zu dem der Beschwerdeführer gehört, der gesetzlichen Pflegeversicherung mit Wirkung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI beitreten kann. Für die Ausübung des Beitrittsrechts kann er eine Frist bestimmen. Er kann den Beitritt davon abhängig machen, dass der Betroffene Beiträge oder Prämien entrichtet. Verfassungsrechtlich ist der Gesetzgeber nicht gehalten, für den Zeitraum vor der Bekanntgabe dieses Urteils die Zahlung von Beiträgen oder Prämien und die Gewährung von Leistungen vorzusehen. Sofern er die Leistungsgewährung an Vorversicherungszeiten knüpft, ist sicherzustellen, dass die Betroffenen nicht schlechtergestellt werden, als hätte der Gesetzgeber ihnen bereits mit dem In-Kraft-Treten des SGB XI ein Beitrittsrecht eingeräumt. |
3. Im vorliegenden Verfahren ist nur zu entscheiden, ob Personen generell von der gesetzlichen Pflegeversicherung ausgeschlossen werden durften, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des SGB XI keinen die Versicherungspflicht begründenden Tatbestand erfüllten. Der Gesetzgeber wird jedoch auf der Grundlage dieses Urteils zu prüfen haben, ob im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG ein Beitrittsrecht zur gesetzlichen Pflegeversicherung auch solchen Personen einzuräumen ist, die nach dem In-Kraft-Treten des SGB XI keinen den Zugang zur gesetzlichen
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Pflegeversicherung begründenden Tatbestand erfüllen und im Pflegefall keinen Anspruch auf Hilfe gegen einen Sozialleistungsträger haben.
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Papier, Jaeger, Haas, Hömig, Steiner, Hohmann-Dennhardt, Hoffmann-Riem (Der Richter Kühling ist aus dem Amt geschieden und daher gehindert zu unterschreiben. Papier) |