BVerfGE 161, 163 - Erziehungsaufwand |
Erziehungsaufwand im Beitragsrecht der Sozialversicherung |
1. Bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen erfordert Art. 3 Abs. 1 GG die Beachtung des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebots der Belastungsgleichheit, das sich auf alle staatlich geforderten Abgaben erstreckt. Wirken sich Beitragsregelungen innerhalb der Gruppe der Familien zu Lasten bestimmter Familienkonstellationen nachteilig aus, so muss der Staat den besonderen Schutz beachten, den er der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG schuldet. |
2. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich (Differenzierungsverbot) und wesentlich Ungleiches ungleich (Differenzierungsgebot) zu behandeln. |
a) Bei formal gleichbehandelnden Vorschriften ist der allgemeine Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Differenzierungsverbot einschlägig, wenn durch sie eine Belastungsungleichheit normativ veranlasst wird; demgegenüber ist Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Differenzierungsgebot in Ansatz zu bringen, wenn die Belastungsungleichheit auf tatsächlichen Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts beruht. |
b) Für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem sind im Ausgangspunkt die für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen geltenden Maßstäbe in Ansatz zu bringen. |
c) Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist darauf zu beziehen, ob gerade die nicht differenzierende Regelung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. |
d) Eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem ist dann nicht erforderlich, wenn der Gesetzgeber durch eine stärker zugunsten der hierdurch Benachteiligten differenzierende Regelung das angestrebte Regelungsziel ohne Belastung Dritter oder der Allgemeinheit gleich wirksam erreichen oder fördern kann. |
Im Sozialversicherungsrecht ist der Gesetzgeber aber nicht gehalten, eine eventuell gebotene Besserstellung einzelner Versicherter durch einen Steuerzuschuss zu finanzieren. Mildere Mittel sind nicht solche, die eine Kostenlast lediglich verschieben. |
e) Eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem ist nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die Bedeutung der mit der gleichen Behandlung verfolgten Ziele in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Ungleichheit des zu ordnenden Lebenssachverhalts und zum Ausmaß der sich hieraus bei gleicher Behandlung ergebenden Benachteiligung stehen. |
3. In der sozialen Pflegeversicherung führt die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung von Eltern zu einer verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. |
In der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung begründet die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Beitragspflichtigen ohne Kinder dagegen keine Benachteiligung der Eltern, weil durch die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten und die beitragsfreie Familienversicherung im Krankenversicherungsrecht ein hinreichender Nachteilsausgleich erfolgt. |
Beschluss |
des Ersten Senats vom 7. April 2022 |
– 1 BvL 3/18, 1 BvR 717 und 2257/16, 2824/17 – |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob die §§ 54, 55, 57, 131 bis 136 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) insofern mit der Verfassung, namentlich Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz, im Einklang stehen, als Eltern von mehreren Kindern in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden wie Versicherte mit nur einem Kind, – Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Freiburg – vom 23. Januar 2018 (S 6 KR 448/18) – 1 BvL 3/18–, sowie in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden I. der Frau (...), – Bevollmächtigte: (...) – 1. unmittelbar gegen a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 2015 – B 12 KR 13/13 R –, b) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. März 2013 – L 4 KR 4983/10 –, c) das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14. September 2010 – S 9 KR 888/10 –, d) den Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 28. November 2008 – ... –, e) den Widerspruchsbescheid der AOK Baden-Württemberg vom 12. März 2008 – ... –, f) den Bescheid der AOK Baden-Württemberg vom 26. Februar 2008 – ... –, 2. mittelbar gegen § 55 Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) – 1 BvR 717/16–,II. 1. der Frau (...), 2. des Herrn (...), – Bevollmächtigte: 1. (...), 2. (...) – 1. unmittelbar gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 20. Juli 2016 – B 12 KR 3/16 C –, b) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. September 2015 – B 12 KR 15/12 R –, c) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. April 2012 – L 11 KR 3416/10 –, d) das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11. Mai 2010 – S 14 KR 3338/07 –, e) die Widerspruchsbescheide der DAK Hamburg – Widerspruchsausschuss – vom 16. Mai 2007 – ... – und – ... –, f) den Bescheid der DAK Freiburg vom 20. Juli 2006 – ... –, 2. mittelbar gegen § 223 Absatz 2, § 226 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, § 241 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 157, § 161 Absatz 1, § 162 Nummer 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), § 55 Absatz 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) – 1 BvR 2257/16–,III. 1. der Frau (...), 2. des Herrn (...), – Bevollmächtigte: 1. (...), 2. (...) – 1. unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. Juli 2017 – B 12 KR 14/15 R –, 2. mittelbar gegen § 157, § 161 Absatz 1, § 162 Nummer 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) – 1 BvR 2824/17–. |
Entscheidungsformel: |
1. § 55 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 26. Mai 1994 (Bundesgesetzblatt I Seite 1014), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – Beitragssatzanpassung – vom 17. Dezember 2018 (Bundesgesetzblatt I Seite 2587), § 55 Absatz 3 Sätze 1 und 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 15. Dezember 2004 (Bundesgesetzblatt I Seite 3448), zuletzt geändert durch Artikel 2 Nummer 14 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz) vom 11. Juli 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 2754), und § 57 Absatz 1 Satz 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung vom 23. Dezember 2002 (Bundesgesetzblatt I Seite 4607), zuletzt geändert durch Artikel 2 Nummer 15 des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes, sind insoweit mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, als beitragspflichtige Eltern unabhängig von der Zahl der von ihnen betreuten und erzogenen Kinder mit gleichen Beiträgen belastet werden. |
2. Die vorgenannten Vorschriften können bis zu einer Neuregelung weiter angewendet werden. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31. Juli 2023 zu treffen. |
3. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 wird im Übrigen, die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17 wird vollständig zurückgewiesen. |
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin in dem Verfahren 1 BvR 717/16 ihre notwendigen Auslagen vollständig zu erstatten. In dem Verfahren 1 BvR 2257/16 hat die Bundesrepublik Deutschland der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer ein Drittel ihrer notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: |
A. |
Die Verfahren betreffen die Frage der Berücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung des Beitrags zur sozialen Pflegeversicherung, zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung.
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Das Vorlageverfahren 1 BvL 3/18 sowie die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 1 BvR 717/16 und 1 BvR 2257/16 haben zum Gegenstand, ob im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung, das – anders als das der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung – kinderbetreuende und -erziehende Versicherte (nachfolgend auch: Eltern einschließlich Stief- und Pflegeeltern; vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch [SGB I]) gegenüber Kinderlosen beitragsrechtlich privilegiert, eine Beitragsdifferenzierung in Abhängigkeit von der Kinderzahl geboten ist. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 betrifft daneben die weiteren Fragen, ob eine beitragsrechtliche Privilegierung der Eltern auch in der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung geboten ist; letztere Frage ist alleiniger Verfahrensgegenstand der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17.
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I. |
1. Die gesetzliche Krankenversicherung (a), die gesetzliche Rentenversicherung (b) und die soziale Pflegeversicherung (c) sind wie folgt gestaltet:
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aa) Die gesetzliche Krankenversicherung wurde durch das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (RGBl 1883 S. 73 ff.) zum 1. Dezember 1884 als erster Versicherungszweig der Sozialversicherung geschaffen und ist heute im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) geregelt. Nach § 1 Satz 1 SGB V hat die gesetzliche Krankenversicherung als Solidargemeinschaft die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern. Alle Versicherten haben grundsätzlich den gleichen Leistungsanspruch auf Krankenbehandlung (§ 27 SGB V). Bei Krankheit besteht zudem ein Anspruch auf Krankengeld (§§ 44 ff. SGB V) als Entgeltersatz im Falle krankheitsbedingten Lohnausfalls.
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bb) Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung kann kraft Pflichtversicherung (§ 5 SGB V) oder kraft freiwilliger Versicherung (§ 9 SGB V) erlangt werden. Versicherungspflichtig sind nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Arbeiter, Angestellte und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Versicherungspflichtig sind daneben insbesondere auch Rentner und bestimmte Rentenantragsteller in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 11, Abs. 2 SGB V). § 10 SGB V regelt die sogenannte Familienversicherung. Danach sind Ehegatten, Lebenspartner, Kinder von Mitgliedern sowie Kinder von familienversicherten Kindern in der gesetzlichen Krankenversicherung unter den in § 10 SGB V näher genannten positiven wie negativen Voraussetzungen beitragsfrei (§ 3 Satz 3 SGB V) mitversichert (dazu unten Rn. 14).
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Am 31. Dezember 2020 waren etwa 88% der Gesamtbevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Nach Einschätzung der Bundesregierung wird sich an dieser Versichertenquote bei unveränderter Rechtslage auch künftig nichts Wesentliches ändern. Rund 78% der Versicherten (etwa 69% der Gesamtbevölkerung) sind als Mitglieder aktive Beitragszahler in dem Sinne, dass von ihnen oder für sie Krankenversicherungsbeiträge entrichtet werden. Etwa 22% der Versicherten waren beitragsfrei versicherte Familienangehörige (vgl. Bundesministerium für Gesundheit, Soziale Pflegeversicherung – Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV] und der sozialen Pflegeversicherung [SPV] nach Altersgruppen und Geschlecht am 1.7.2020). |
cc) Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt seit dem 1. Januar 2009 über den Gesundheitsfonds (§ 271 SGB V) als Sondervermögen des Bundes, in den alle Beitragseinnahmen der Krankenkassen (§ 223 SGB V) sowie Bundeszuschüsse aus Steuermitteln (§§ 221 ff. SGB V) sowie weitere Einnahmen fließen.
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(1) Im Jahr 2020 lagen die Einnahmen des Gesundheitsfonds bei insgesamt rund 264,29 Mrd. Euro (2019: ca. 246,39 Mrd. Euro). Davon entfielen etwa 236,48 Mrd. Euro auf Einnahmen aus Beiträgen (2019: ca. 232,02 Mrd. Euro). Den Einnahmen standen Ausgaben von rund 267,85 Mrd. Euro (2019: ca. 245,84 Mrd. Euro) gegenüber (vgl. Bundesamt für Soziale Sicherung, Jährliche Rechnungsergebnisse des Gesundheitsfonds, 2016 bis 2020, S. 2 f.). Die Leistungsausgaben je Versichertenjahr betrugen nach den Angaben der Bundesregierung im Jahr 2018 für Versicherte im Alter von unter 20 Jahren 1.500,61 Euro, für Versicherte im Alter von 20 bis 64 Jahren 2.518,82 Euro und für 65-jährige oder ältere Versicherte 6.085,80 Euro.
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(2) Die Beiträge werden von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung erhoben (§ 223 Abs. 1 SGB V). Aufgrund des Solidarprinzips (§ 1 Satz 1 SGB V) richtet sich die Beitragsbemessung in der gesetzlichen Krankenversicherung – anders als in der privaten Krankenversicherung – nicht nach dem persönlichen Krankheitsrisiko, sondern nach einem auf die beitragspflichtigen Einnahmen bezogenen festen Beitragssatz (§ 223 Abs. 2 und 3, §§ 226 ff., 241 ff. SGB V). Seit dem 1. Januar 2015 beträgt der allgemeine Beitragssatz 14,6% (§ 241 SGB V). Die Beitragsbemessungsgrenze beläuft sich seit dem 1. Januar 2021 auf 4.837,50 Euro monatlich (§ 223 Abs. 3 in Verbindung mit § 6 Abs. 7 SGB V). |
Bei versicherungspflichtig Beschäftigten ist regelmäßig das Arbeitsentgelt Beitragsbemessungsgrundlage (§ 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V). Das sind alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IV]). Die Beiträge werden grundsätzlich nach dem Bruttoarbeitsentgelt bemessen (vgl. BSGE 64, 110 [111 f.]). Bei versicherungspflichtigen Rentnerinnen und Rentnern werden der Beitragsbemessung insbesondere der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie vergleichbarer Einnahmen (Versorgungsbezüge, § 229 SGB V) zugrunde gelegt (§ 237 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB V).
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Im häufigsten Fall der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung tragen Beschäftigte und ihre Arbeitgeber die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge jeweils zur Hälfte (§ 249 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Bei Versicherungspflichtigen, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, tragen die Rentenversicherungsträger die Hälfte der nach der Rente zu bemessenden Beiträge (§ 249a SGB V).
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dd) Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung finden sich verschiedene Maßnahmen des Familienlastenausgleichs und besondere Leistungsansprüche für Mütter, Väter und Kinder.
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Zentral ist hierbei die Familienversicherung nach § 10 SGB V. Sie ist heute eine eigene Versicherung der Familienangehörigen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Familienversicherung setzt unter anderem voraus, dass der Ehegatte, Lebenspartner oder das Kind kein Gesamteinkommen hat, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V; im Jahr 2022: 470 Euro; 1/7 von 3.290 Euro). Die Familienversicherung für Kinder besteht zunächst bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 10 Abs. 2 Nr. 1 SGB V).Wenn das Kind nicht erwerbstätig ist, läuft die Familienversicherung weiter bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres (§ 10 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Kinder mit Behinderungen können unter den gesetzlichen Voraussetzungen zeitlich unbefris tet familienversichert sein (§ 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V). Kinder sind nicht versichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist (§ 10 Abs. 3 SGB V). Die Ausgaben (Leistungsausgaben und Verwaltungskosten) der gesetzlichen Krankenversicherung für beitragsfrei mitversicherte Kinder beliefen sich im Jahr 2018 nach Schätzung der Bundesregierung auf 20,1 Mrd. Euro. |
Der Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes und auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung gemäß § 45 SGB V besteht, wenn Versicherte zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Für jedes Kind besteht in jedem Kalenderjahr ein Anspruch auf Krankengeld für zehn Arbeitstage (§ 45 Abs. 2 SGB V). Für jeweils einen Versicherten ist der Anspruch jedoch im Kalenderjahr auf insgesamt 25 Arbeitstage begrenzt. Bei alleinerziehenden Versicherten verdoppelt sich der Anspruch. Bei einem schwerwiegenden und unheilbaren Erkrankungszustand des Kindes besteht ein zeitlich unbegrenzter Anspruch auf Krankengeld (§ 45 Abs. 4 SGB V). Im Zuge der Covid-19-Pandemie ist der Krankengeldanspruch je Kind ausgeweitet worden; für das Jahr 2022 beträgt er längstens 30 und für Alleinerziehende längstens 60 Arbeitstage (§ 45 Abs. 2a Satz 1 SGB V).
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Eine weitere Maßnahme zur Förderung von Familien im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Anspruch auf Gewährung von Haushaltshilfe nach § 38 SGB V. Der Anspruch besteht, wenn Versicherten insbesondere wegen Krankenhausbehandlung die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist. Voraussetzung ist ferner, dass im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit eine im Haushalt lebende Person den Haushalt weiterführen kann. |
Auch bei den Regelungen zu Zuzahlungen für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 61, 62 SGB V) gibt es Entlastungen für Familien. Versicherte müssen zu einer Vielzahl von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlungen bis zur Belastungsgrenze (grundsätzlich 2% der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt) leisten. Die Entlastung für Familien besteht insoweit, als Zuzahlungen von Versicherten unter 18 Jahren mit Ausnahme der Fahrkostenzuzahlung (§ 60 SGB V) regelmäßig nicht zu leisten sind (vgl. etwa § 31 Abs. 3 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1, § 39 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Des Weiteren werden Kinder bei der Ermittlung der Belastungsgrenze für Zuzahlungen berücksichtigt.
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Weitere Maßnahmen zur Familienförderung beziehen sich auf Schwangerschaft und Elternschaft. Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bleibt die Mitgliedschaft Versicherter unter anderem erhalten, solange Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht oder diese Leistung in Anspruch genommen wird. Die Regelung gilt auch, wenn nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen wird. Nach § 192 Abs. 2 SGB V bleibt die Mitgliedschaft während der Schwangerschaft auch dann erhalten, wenn das Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst oder die Beschäftigte unter Wegfall des Arbeitsentgelts beurlaubt worden ist, sofern nicht eine Mitgliedschaft nach anderen Vorschriften besteht. Für die Zeit der nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V weiterbestehenden Mitgliedschaft existiert nach § 224 Abs. 1 Satz 1 SGB V Beitragsfreiheit hinsichtlich der genannten Entgeltersatzleistungen.
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Daneben stehen die Leistungen nach § 24c SGB V der gesetzlichen Krankenversicherung bei Schwangerschaft und Mutterschaft. Sie umfassen ärztliche Versorgung, Hilfe durch eine Hebamme, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, die Übernahme der Kosten der Entbindung, häusliche Pflege, Haushaltshilfe und Mutterschaftsgeld. Mutterschaftsgeld ist eine Entgeltersatzleistung für erwerbstätige Frauen während der Zeit der gesetzlichen Schutzfristen vor und nach der Entbindung. |
Nach § 24 SGB V haben Mütter und Väter Anspruch auf stationäre medizinische Leistungen in Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder vergleichbaren Einrichtungen, wenn ihre Gesundheit insbesondere wegen gesundheitlicher Belastungen gefährdet ist, die aus der Versorgung von Kindern resultieren. § 41 SGB V regelt einen entsprechenden Anspruch von Müttern und Vätern auf Rehabilitationsleistungen.
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Nach §§ 26 und 22 SGB V kommen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in den Genuss spezieller Früherkennungsuntersuchungen und Leistungen der zahnmedizinischen Individualprophylaxe. Hinzu kommen Leistungen, die von volljährigen Versicherten nur ausnahmsweise beansprucht werden können, namentlich kieferorthopädische Behandlungen (§ 28 Abs. 2 Satz 6, § 29 SGB V) sowie die Versorgung mit Sehhilfen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V).
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Schließlich werden nach § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V Zeiten der Kindererziehung im Umfang von drei Jahren pro Kind auf die Vorversicherungszeit für die beitragsgünstigere Krankenversicherung der Rentner angerechnet.
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b) Die gesetzliche Rentenversicherung ist in ihrer allgemeinen Anlage (aa), ihrer Versichertenstruktur (bb), ihrer Finanzierung (cc) sowie im Hinblick auf familienbezogene Leistungen und sonstige Vergünstigungen (dd) wie folgt verfasst:
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aa) Die gesetzliche Rentenversicherung wurde in Deutschland durch das Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1891 (RGBl 1889 S. 97) mit Wirkung vom 1. Januar 1891 eingeführt. Im Jahr 1957 wurde das bisherige Kapitaldeckungsverfahren in ein Umlageverfahren umgestaltet, die Rentenhöhe deutlich gesteigert und die dynamische Anpassung der Rentenhöhe an die Bruttolohnentwicklung eingeführt. Mit Wirkung zum 1. Januar 1992 wurden die rechtlichen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 – RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S. 2261, Be richtigung in BGBl I 1990 S. 1337) in das Sechste Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) überführt. |
Die gesetzliche Rentenversicherung leistet Renten insbesondere wegen Alters (§ 33 Abs. 1 und 2 SGB VI), wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 33 Abs. 1 und 3 SGB VI) und wegen Todes (§ 33 Abs. 1 und 4 SGB VI). Die Höhe einer Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen (§ 63 Abs. 1 SGB VI; im Einzelnen §§ 64 ff. SGB VI); diese werden in Entgeltpunkte umgerechnet (§ 63 Abs. 2 SGB VI). Für beitragsfreie Zeiten werden Entgeltpunkte angerechnet, deren Höhe von der Höhe der in der übrigen Zeit versicherten Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen abhängig ist (§ 63 Abs. 3 SGB VI). Daneben erbringt die gesetzliche Rentenversicherung an Versicherte verschiedene Leistungen zur Teilhabe (§ 9 SGB VI), aber auch an Kinder von Versicherten, Kinder von Beziehern einer Alters- oder Erwerbsminderungsrente sowie Kinder, die selbst eine Hinterbliebenenrente beziehen (Kinderrehabilitation, § 15a SGB VI).
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bb) Auch die gesetzliche Rentenversicherung ist für die meisten ihrer Mitglieder eine Pflichtversicherung. Versicherungspflichtig sind insbesondere gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) sowie bestimmte Selbstständige (§ 2 SGB VI). Als versicherungspflichtige Mitglieder sind in die gesetzliche Rentenversicherung insbesondere auch Personen in der Zeit einbezogen, für die ihnen Kindererziehungszeiten anzurechnen sind (§ 3 Satz 1 Nr. 1, § 56, § 249 Abs. 1 SGB VI; dazu unten Rn. 36). Einbezogen sind überdies nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen, wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflege-Pflichtversicherung hat (§ 3 Satz 1 Nr. 1a, Satz 2 und 3 SGB VI), zudem noch Empfänger von Einkommensersatzleistungen wie etwa Kranken- oder Arbeitslosengeld (§ 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI).
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Sowohl für die Zurücklegung von Wartezeiten als auch für die Höhe von Rentenansprüchen sind die sogenannten rentenrechtlichen Zeiten von Bedeutung. Dies sind Beitragszeiten, also Zeiten, für die Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge gezahlt wurden (§ 54 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 SGB VI), beitragsfreie Zeiten (§ 54 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI) sowie Berücksichtigungszeiten (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI). Beitragszeiten nach § 55 SGB VI sind das grundlegende versicherungsrechtliche Anspruchselement der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie sind konstitutiv für die Begründung eines – obligatorischen oder fakultativen -Versicherungsverhältnisses und nehmen Einfluss auf Leistungsansprüche dem Grunde und der Höhe nach. |
Beitragszeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI liegt ein versichertes Arbeitsentgelt oder -einkommen zugrunde. Ihre vom Gesetz hervorgehobene zentrale Bedeutung für die Höhe der Rentenansprüche (vgl. § 63 Abs. 1 SGB VI) entspricht dem versicherungsrechtlichen Äquivalenzprinzip. Daneben treten die sogenannten Anrechnungszeiten (§ 58 SGB VI), bei denen es sich entweder um beitragsfreie (§ 54 Abs. 4 SGB VI) oder beitragsgeminderte Zeiten (§ 54 Abs. 3 SGB VI) handelt, die aber als Element des sozialen Ausgleichs rentenrechtlich berücksichtigt werden sollen. Das sind beispielsweise Zeiten, in denen die versicherte Person wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft eine versicherte Tätigkeit nicht ausgeübt hat (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI).
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Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle Personen, die in ihrem Leben rentenrechtliche Zeiten zurückgelegt haben, sowie Personen, die aufgrund eines Versorgungsausgleichs Entgeltpunkte erhalten haben. Versicherungsstatistisch wird zwischen aktiv und passiv Versicherten unterschieden. Aktiv Versicherte sind alle nach Kenntnis der gesetzlichen Rentenversicherung lebenden gesetzlich Rentenversicherten, für die rentenrechtliche Zeiten – wie Pflichtbeitragszeiten, freiwillige Beitragszeiten, geringfügige Beschäftigungszeiten oder Anrechnungszeiten – im Versicherungskonto innerhalb des Berichtsjahres (bei Zeitraumbetrachtung) oder für den 31. Dezember des Berichtsjahres (bei Stichtagsbetrachtung) gespeichert sind. Die Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung, die im maßgeblichen Zeitraum oder zum maßgeblichen Zeitpunkt als nicht oder nicht durchweg aktiv versichert gelten, dies jedoch in einer früheren Zeit waren, werden passiv Versicherte genannt. |
Am 31. Dezember 2020 waren in der gesetzlichen Rentenversicherung rund 56,77 Mio. Menschen ohne Rentenbezug versichert (2019: ca. 56,73 Mio.). Davon waren etwa 39,04 Mio. aktiv Versicherte (2019: ca. 39,12 Mio.). 17,73 Mio. Menschen waren passiv versichert (2019: ca. 17,60 Mio.). Im Jahr 2020 zählten zu den aktiv Versicherten neben ca. 36,10 Mio. Beitragszahlern (2019: ca. 36,34 Mio.) weitere rund 2,94 Mio. Anrechnungszeitversicherte (2019: ca. 2,78 Mio.; dazu oben Rn. 28; zum Ganzen: Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Versicherte 2019/2020 [Band 220/223], jeweils S. 3).
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cc) Die gesetzliche Rentenversicherung finanziert sich durch Beiträge im Umlageverfahren und Zuschüsse beziehungsweise Ausgleichsmittel des Bundes (§ 153 SGB VI).
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(1) Im Jahr 2020 hatte die gesetzliche Rentenversicherung Gesamteinnahmen in Höhe von rund 334,41 Mrd. Euro (2019: ca. 326,68 Mrd. Euro). Die Beitragseinnahmen betrugen etwa 252,73 Mrd. Euro (2019: ca. 247,98 Mrd. Euro), also knapp 76% der Gesamteinnahmen. Im Jahr 2020 beliefen sich die Bundeszuschüsse auf rund 80,55 Mrd. Euro (2019: ca. 77,56 Mrd. Euro), also knapp 24% der Gesamteinnahmen. Hinzu kamen unter 1% sonstige Einnahmen, insbesondere Erstattungen. Dem standen rund 338,30 Mrd. Euro Ausgaben gegenüber (2019: ca. 324,82 Mrd. Euro). Davon entfielen 303,68 Mrd. Euro auf Rentenzahlungen (2019: ca. 291,36 Mrd. Euro; zum Ganzen: Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenversicherung in Zeitreihen [DRV-Schriften Band 22, Oktober 2021], S. 238 f.).
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(2) Die Beiträge werden nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) der Beitragsbemessungsgrundlage erhoben, die nur bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird (§ 157 SGB VI). Beitragsbemessungsgrundlage für Versicherungspflichtige sind die beitragspflichtigen Einnahmen (§ 161 Abs. 1 SGB VI), bei versicherungspflichtig Beschäftigten regelmäßig das Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV (§ 162 Nr. 1 SGB VI). Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen werden von der Bun desregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festgesetzt (§§ 160, 275b SGB VI). Seit 2018 beträgt der Beitragssatz in der allgemeinen Rentenversicherung 18,6%. Die Beitragsbemessungsgrenze (West) liegt im Jahr 2022 bei jährlich 84.600 Euro (2021: 85.200 Euro) und monatlich 7.050 Euro (2021: 7.100 Euro), die Beitragsbemessungsgrenze (Ost) bei jährlich 81.000 Euro und monatlich 6.750 Euro (2021: jährlich 80.400 Euro und monatlich 6.700 Euro). |
Versicherungspflichtig Beschäftigte tragen ihre Beiträge zur Hälfte selbst (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI; die andere Hälfte trägt der Arbeitgeber), während bestimmte selbstständig Tätige sowie die freiwillig Versicherten ihre Beiträge vollumfänglich selbst tragen (§ 169 Nr. 1, § 171 SGB VI). Teilweise sind die Versicherten von der Beitragstragung aber auch gänzlich freigestellt, so etwa sonstige Versicherte mit Kindererziehungszeiten, bei denen allein der Bund die Beiträge trägt (§ 170 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
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dd) Im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung finden sich zahlreiche familienbezogene Maßnahmen.
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Insbesondere findet die Kindererziehung über die Kindererziehungszeiten (§ 3 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit §§ 56, 249, 249a SGB VI) im Rahmen der Beitragszeiten Berücksichtigung. Durch das Rentenreformgesetz 1992 (dazu oben Rn. 24) wurde die Anrechnung von Kindererziehungszeiten zum 1. Januar 1992 von den ersten zwölf auf die ersten 36 Lebensmonate eines Kindes erweitert und betragsmäßig von 75% auf (nahezu) 100% des Durchschnittsverdienstes angehoben (§ 56 Abs. 1 Satz 1 und § 70 Abs. 2 SGB VI). Bei Kindererziehungszeiten handelt es sich um Beitragszeiten, wobei die Beiträge seit dem 1. Juni 1999 vollständig vom Bund getragen werden (§ 177 Abs. 1 SGB VI). Im Jahr 2020 belief sich dieser Betrag auf rund 16,21 Mrd. Euro, im Vorjahr auf etwa 15,39 Mrd. Euro (Statistik der Deutschen Rentenversicherung, Rentenversicherung in Zeitreihen [DRV-Schriften Band 22, Oktober 2021], S. 243; zur Wirkungsweise der Kindererziehungszeiten näher unten Rn. 337 ff.).
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§ 249 Abs. 1 SGB VI ergänzt § 56 SGB VI um eine Regelung über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder. Nach der bis zum 30. Juni 2014 geltenden Rechtslage konnte für vor dem 1. Januar 1992 geborene Kinder nur ein Jahr Kindererziehungszeit angerechnet werden. Mit Wirkung vom 1. Juli 2014 wurde der Umfang der Kindererziehungszeit bei Geburten vor 1992 auf zwei Jahre verdoppelt (sogenannte Mütterrente I). Mit Wirkung vom 1. Januar 2019 wurde die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder erneut um sechs Kalendermonate verlängert (sogenannte Mütterrente II). |
Zusätzlich zu Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten werden unabhängig vom Geburtsjahr des Kindes maximal zehn Jahre Kinderberücksichtigungszeit angerechnet (vgl. § 57 SGB VI). Kinderberücksichtigungszeiten wirken insoweit anspruchsbegründend, als sie bei der Wartezeit von 35 Jahren, die für die Rente für langjährig Versicherte und für schwerbehinderte Menschen maßgebend ist (vgl. § 50 Abs. 4 SGB VI), mitgezählt werden (§ 51 Abs. 3 SGB VI). Gleiches gilt für die Rentenberechnung bei geringem Arbeitsentgelt (§ 262 SGB VI). Sie haben anspruchserhaltende Wirkung, weil Zeiträume, in denen eine bestimmte Beitragsdichte an Pflichtbeiträgen gefordert wird, verlängert werden (vgl. § 43 Abs. 4 Nr. 2 sowie § 241 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB VI für die Rente wegen Erwerbsminderung und § 45 Abs. 4 SGB VI bei der Rente für Bergleute). Sie haben auch insoweit anspruchserhöhende Wirkung, als sie bei der Berechnung des Zuschlags für die Waisenrente berücksichtigt werden (§ 78 Abs. 1 Satz 3 SGB VI). Unmittelbar rentensteigernde Wirkung haben Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung seit dem 1. Januar 2002 unter den Voraussetzungen des § 70 Abs. 3a SGB VI (zur Wirkungsweise näher unten Rn. 343 ff.). Ferner schließen Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung bei der Rentenberechnung im Rahmen der sogenannten Gesamtleistungsbewertung Lücken im Versicherungsverlauf und wirken sich so indirekt auf die Rentenhöhe aus (§ 71 Abs. 3 SGB VI).
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Kinderberücksichtigungszeiten finden auch bei den Anspruchsvoraussetzungen für die durch das Gesetz zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Ren tenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz) vom 12. August 2020 (BGBl I S. 1879) mit Wirkung zum 1. Januar 2021 eingeführte Grundrente nach § 76g SGB VI Berücksichtigung. Danach wird die Rente um einen Zuschlag erhöht, wenn Versicherte mindestens 33 Jahre an sogenannten Grundrentenzeiten aufweisen (§ 76g Abs. 1 SGB VI). Grundrentenzeiten sind dabei auch solche Monate, die mit Kinderberücksichtigungszeiten belegt sind (§ 76g Abs. 2 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 SGB VI). |
Daneben finden sich Vorgaben zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten im Recht der Witwen- beziehungsweise Witwerrente. Witwen und Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben nach § 46 Abs. 1 SGB VI einen Anspruch auf eine so genannte kleine Witwen-/Witwerrente, wenn der verstorbene Ehegatte beziehungsweise Lebenspartner die allgemeine Wartezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt hat. Der Anspruch auf kleine Witwen-/Witwerrente ist grundsätzlich auf 24 Kalendermonate nach Ablauf des Sterbemonats des Versicherten begrenzt. Die kleine Witwen-/Witwerrente wird in Höhe von 25% einer Altersrente geleistet (§ 67 Nr. 5 SGB VI). Bei Vorliegen bestimmter weiterer Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf große Witwen-/Witwerrente (§ 46 Abs. 2 SGB VI), die 55% einer Altersrente ausmacht (§ 67 Nr. 6 SGB VI). Die Voraussetzungen für eine große Witwen-/Witwerrente liegen nach Vollendung des 47. Lebensjahrs vor, wenn der oder die Hinterbliebene ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten erzieht, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Die Bezugsdauer ist grundsätzlich unbegrenzt. Die große Witwen-/Witwerrente wegen Kindererziehung wird nach § 102 Abs. 3 SGB VI jedoch auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Dies wird in der Regel der Monat sein, in dem das Kind sein 18. Lebensjahr vollendet. Zum 1. Januar 2002 wurde die Rentenhöhe der großen Witwen-/Witwerrente von 60% einer Altersrente auf 55% reduziert. Zugleich wurde zur Kompensation eine Kinderkomponente eingeführt: Nach § 78a Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind die persönlichen Entgeltpunkte bei Witwen-/Witwerrenten um einen kinderzahlabhängigen Zuschlag zu erhöhen, der sich an der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres orientiert. |
Auch die Erziehungsrente (§§ 47, 243a SGB VI) ist eine Rente wegen Todes mit Unterhaltsersatzfunktion, der Anspruch ergibt sich jedoch aus eigener Versicherung. Anspruchsberechtigt sind Versicherte nach Erfüllung der allgemeinen Wartezeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem Tod ihres geschiedenen Ehegatten, wenn ihre Ehe nach dem 30. Juni 1977 geschieden worden ist, sie nicht wieder geheiratet haben und ein eigenes oder ein Kind des geschiedenen Ehegatten erziehen.
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c) Die soziale Pflegeversicherung ist in ihrer allgemeinen Anlage (aa), ihrer Versichertenstruktur (bb), ihrer Finanzierung (cc) sowie im Hinblick auf familienbezogene Leistungen und sonstige Vergünstigungen (dd) wie folgt verfasst:
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aa) Die soziale Pflegeversicherung wurde als jüngster Zweig der Sozialversicherung durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungsgesetz – PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S.1014) zum 1. Januar 1995 eingeführt. Sie dient der Absicherung des Risikos, pflegebedürftig zu werden, und ist im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) geregelt.
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Pflegebedürftig sind nach der Legaldefinition des § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB XI Personen, die auf Dauer gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Die Leistungen im Pflegefall sind einheitlich festgelegt (§§ 28 ff. SGB XI) und wurden gemäß dem "Grad der Pflegebedürftigkeit" gestaffelt(§ 15 Abs. 2 SGB XI).
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bb) Zum versicherten Personenkreis gehören alle, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen (§ 1 Abs. 2 Satz 2, § 23 SGB XI). Die weit überwiegende Zahl der Versicherten ist in der öffentlich-rechtlich verfassten sozialen Pflegeversicherung versichert. |
Am 31. Dezember 2020 waren etwa 88% der Gesamtbevölkerung in der sozialen Pflegeversicherung versichert (Bundesministerium für Gesundheit, Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung, Stand: 14. Juni 2021, S. 1), woran sich nach Einschätzung der Bundesregierung bei unveränderter Rechtslage auch künftig nichts Wesentliches ändern wird. Rund 78% der Versicherten (etwa 69% der Gesamtbevölkerung) sind als Mitglieder aktive Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in dem Sinne, dass von ihnen oder für sie Pflegeversicherungsbeiträge entrichtet werden (Bundesministerium für Gesundheit, Soziale Pflegeversicherung – Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV] und der sozialen Pflegeversicherung [SPV] nach Altersgruppen und Geschlecht am 1.7.2020).
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Im Jahr 2020 bezogen ca. 4,32 Mio. Pflegebedürftige Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Davon erhielten 3,48 Mio. ambulante und 0,84 Mio. stationäre Leistungen (Bundesministerium für Gesundheit, Zahlen und Fakten zur Pflegeversicherung, Stand: 14. Juni 2021, S. 1). Die Zahl der Leistungsbezieher in der sozialen Pflegeversicherung hat sich in der Vergangenheit beständig erhöht (1995: 1,061 Mio.; 2000: 1,822 Mio.; 2005: 1,951 Mio.; 2010: 2,288 Mio.; 2015: 2,665 Mio.; 2016: 2,749 Mio.; 2017: 3,301 Mio.; 2018: 3,685 Mio.; 2019: 4 Mio.; zum Ganzen: Bundesministerium für Gesundheit, Leistungsempfänger der sozialen Pflegeversicherung am Jahresende nach Altersgruppen 1995 bis 2020, S.1). Die starke Zunahme zum Jahr 2017 ist auch auf die Einführung des neuen, weiter gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriffs ab dem 1. Januar 2017 zurückzuführen (Siebter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, April 2021, S. 28).
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Daneben ergibt sich die beständige Erhöhung aus einer zunehmenden Zahl älterer Menschen (vgl. dazu: Statistisches Bundesamt [Destatis], Bevölkerung im Wandel, Annahmen und Ergebnisse der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, 2019, S. 22 ff.) in Verbindung mit dem Umstand, dass das Risiko, pflegebedürftig zu werden, in hohem Maße vom Lebensalter bestimmt wird. Bei Personen unter 60 Jahren beträgt das Risiko der Pflegebedürftigkeit 1%, im Alter zwischen 60 und 80 Jahren hingegen bereits – mit dem Alter ansteigend – 3% bis über 13%. Bei Personen über 80 Jahren beträgt das Risiko über 26%. Dabei steigt das Risiko innerhalb der Altersgruppe der über 80-jährigen Personen nochmals deutlich an, von 26% bei den 80- bis 85-Jährigen auf über 47% bei den über 85-Jährigen (Siebter Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Pflegeversicherung und den Stand der pflegerischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, April 2021, S. 16; geschlechtsbezogene Angaben gemittelt). |
cc) Die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung erfolgt im Wesentlichen durch Beiträge sowie sonstige Einnahmen (§ 54 Abs. 1 SGB XI; vgl. auch § 1 Abs. 6 Satz 1 SGB XI). In der sozialen Pflegeversicherung war bis zum Jahr 2020 kein Zuschuss aus Steuermitteln vorgesehen. Bedingt durch die Corona-Pandemie erfolgte erstmals 2020 ein Steuerzuschuss in Höhe von 1,8 Mrd. Euro (Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2020 [Zweites Nachtragshaushaltsgesetz] vom 14. Juli 2020 [BGBl I S. 1669]). Nach § 61a SGB XI in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) vom 11. Juli 2021 (BGBl I S. 2754) überweist der Bund ab dem Jahr 2022 zur pauschalen Beteiligung an den Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung jährlich 1 Mrd. Euro.
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(1) Im Jahr 2020 standen Gesamteinnahmen von rund 50,62 Mrd. Euro Ausgaben in Höhe von etwa 49,08 Mrd. Euro gegenüber, so dass sich ein Überschuss ergab. Ein solcher bestand auch im Jahr 2019 (Gesamteinnahmen in Höhe von ca. 47,24 Mrd. Euro gegenüber Ausgaben in Höhe von etwa 43,95 Mrd. Euro). Die Beitragseinnahmen betrugen ca. 47,89 Mrd. im Jahr 2020 und rund 46,53 Mrd. Euro im Jahr 2019. Die Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung stiegen im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr deutlich um rund 25,2% an, die Ausgaben erhöhten sich um etwa 6,5% (zum Ganzen: Bundesministerium der Gesundheit, Die Finanzentwicklung der sozialen Pflegeversicherung von 1995 bis 2020, S. 2). Für das Jahr 2021 ist mit einem Defizit in Höhe von ca. 1,35 Mrd. Euro zu rechnen, das durch die Rücklagen ausgeglichen werden kann (GKV-Spitzenverband, "Pflegeversicherung muss in ruhigeres Fahrwasser geführt werden", Statement vom 23. Februar 2022). |
(2) Die Beiträge werden von den Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung erhoben (§ 54 Abs. 2 SGB XI). Familienangehörige sind für die Dauer der Familienversicherung nach § 25 SGB XI beitragsfrei versichert (§ 56 Abs. 1 SGB XI). Die Beiträge werden wie in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nach dem versicherten Risiko, insbesondere nicht nach Gesundheitszustand, Alter und Geschlecht, sondern nach einem Vomhundertsatz (Beitragssatz) der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze erhoben (§ 54 Abs. 2 Satz 1, §§ 55, 57 SGB XI). Beitragsbemessungsgrundlage ist bei Beschäftigten – wie auch in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung – nach § 57 SGB XI in Verbindung mit § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V und § 14 SGB IV das Bruttoarbeitsentgelt.
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Der Beitragssatz in der zum 1. Januar 1995 eingeführten sozialen Pflegeversicherung betrug ursprünglich bundeseinheitlich 1% der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder. Später erhöhte er sich zunächst auf 1,7% ab 1. Juli 1996 und sodann weiter auf 1,95% ab 1. Juli 2008, 2,05% ab 1. Januar 2013, 2,35% ab 1. Januar 2015 und 2,55% ab 1. Januar 2017. Seit dem 1. Januar 2019 beträgt der Beitragssatz 3,05% (§ 55 Abs. 1 Satz 1 SGB XI).
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Für Versicherte, die das 23. Lebensjahr vollendet haben und nicht Eltern sind, erhöht sich der Beitragssatz um einen Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XI). Die Regelungen zum Beitragszuschlag für Kinderlose in § 55 Abs. 3 und 4 SGB XI sind in Reaktion auf das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (BVerfGE 103, 242) zum 1. Januar 2005 eingeführt (dazu unten Rn. 67 ff.) und danach mehrfach geändert worden. Bis einschließlich 31. Dezem ber 2021 betrug der Beitragszuschlag für Kinderlose unverändert 0,25 Beitragssatzpunkte. Durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (dazu oben Rn. 49) vom 11. Juli 2021 (BGBl I S. 2754) wurde der Beitragszuschlag mit Wirkung ab dem 1. Januar 2022 auf 0,35 Beitragssatzpunkte angehoben. |
Die maßgeblichen und in den hier zu entscheidenden Verfahren gegenständlichen Regelungen zum Beitragssatz und zum Beitragszuschlag für Kinderlose in § 55 SGB XI sowie zum Bruttoarbeitsentgelt als Beitragsbemessungsgrundlage (§ 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) lauten in den ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassungen:
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(1) Der Beitragssatz beträgt bundeseinheitlich 3,05 Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder; er wird durch Gesetz festgesetzt. ... (2) ... (3) Der Beitragssatz nach Absatz 1 Satz 1 und 2 erhöht sich für Mitglieder nach Ablauf des Monats, in dem sie das 23. Lebensjahr vollendet haben, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,35 Beitragssatzpunkten (Beitragszuschlag für Kinderlose). Satz 1 gilt nicht für Eltern im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 des Ersten Buches. Die Elterneigenschaft ist in geeigneter Form gegenüber der beitragsabführenden Stelle, von Selbstzahlern gegenüber der Pflegekasse, nachzuweisen, sofern diesen die Elterneigenschaft nicht bereits aus anderen Gründen bekannt ist. Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen gibt Empfehlungen darüber, welche Nachweise geeignet sind. Erfolgt die Vorlage des Nachweises innerhalb von drei Monaten nach der Geburt des Kindes, gilt der Nachweis mit Beginn des Monats der Geburt als erbracht, ansonsten wirkt der Nachweis ab Beginn des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Nachweis erbracht wird. Nachweise für vor dem 1. Januar 2005 geborene Kinder, die bis zum 30. Juni 2005 erbracht werden, wirken vom 1. Januar 2005 an. Satz 1 gilt nicht für Mitglieder, die vor dem 1. Januar 1940 geboren wurden, für Wehr- und Zivildienstleistende sowie für Bezieher von Arbeitslosengeld II. (3a), (4) und (5) ... |
Die nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI Pflichtversicherten, also die gegen Arbeitsentgelt beschäftigten Arbeiter, Angestellten und zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten (die jeweils auch in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig sind), sowie ihre Arbeitgeber tragen die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge grundsätzlich jeweils zur Hälfte (§ 58 Abs. 1 Satz 1 SGB XI; vgl. auch § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XI; zur sächsischen Sonderregelung BVerfGK 1, 198 [199 f.]). Den Beitragszuschlag für Kinderlose tragen die Beschäftigten jedoch stets allein (§ 58 Abs. 1 Satz 3 SGB XI).
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(3) Der mit Wirkung zum 1. Januar 2015 durch das Erste Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) vom 17. Dezember 2014 (BGBl I S. 2222) eingeführte "Vorsorgefonds der sozialen Pflegeversicherung" (Pflegevorsorgefonds) dient der langfristigen Stabilisierung der Beitragsentwicklung in der sozialen Pflegeversicherung (§ 131, § 132 Satz 1 SGB XI). Mit ihm sollen durch Bildung einer Demografie-Rücklage die Finanzierung der im Zeitverlauf steigenden Leistungsausgaben gerechter auf die Generationen verteilt und künftige Generationen von steigenden Pflegeversicherungsbeiträgen teilweise entlastet werden (vgl. BTDrucks 18/1798, S. 2, 16 f., 18). Hierzu werden von 2015 bis 2033 Mittel angespart und sodann in den folgenden Jah ren ab 2035 allmählich der sozialen Pflegeversicherung zur Deckung von Leistungsmehrausgaben, die nicht auf Leistungsverbesserungen beruhen, wieder zugeführt (§ 135 Abs. 2, § 136 SGB XI). Ein individualisiertes Deckungskapital wird nicht gebildet. |
Der Ansparzeitraum wurde mit Rücksicht darauf gewählt, dass die Geburtsjahrgänge 1959 bis 1967 deutlich stärker besetzt seien als die davor und danach liegenden Jahrgänge und dass im Jahr 2034 der erste der geburtenstarken Jahrgänge das 75. Lebensjahr erreiche, nach dem die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit deutlich ansteige. Etwa 20 Jahre später sei ein größerer Teil dieses Personenkreises bereits verstorben, und die erheblich schwächer besetzten Jahrgänge nach 1967 rückten in das Pflegealter vor (vgl. BTDrucks 18/1798, S. 42). Gleichzeitig mit der Einführung des Pflegevorsorgefonds wurde der Beitragssatz zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte von 2,05% auf 2,35% erhöht. Dies wurde damit begründet, dass die Erhöhung insbesondere zur Finanzierung von Leistungsverbesserungen, zur Dynamisierung der Leistungen sowie zum Aufbau des Pflegevorsorgefonds erforderlich sei. Von der Erhöhung des Beitragssatzes soll dem Pflegevorsorgefonds jährlich insgesamt ein Betrag zugeführt werden, der 0,1 Beitragssatzpunkten entspricht (vgl. BTDrucks 18/1798, S. 39). Die Mittel werden monatlich zu Lasten des Ausgleichsfonds (§§ 65 ff. SGB XI) an den Pflegevorsorgefonds überwiesen. Im Jahr 2020 wurden dem Pflegevorsorgefonds ca. 1,53 Mrd. Euro (2019: etwa 1,48 Mrd. Euro) zugeführt (Bundesministerium der Gesundheit, Finanzentwicklung der sozialen Pflegeversicherung von 1995 bis 2020, S. 2).
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dd) Maßnahmen des Familienlastenausgleichs in der sozialen Pflegeversicherung sind die beitragsfreie Familienversicherung (§ 25 SGB XI) und der Beitragszuschlag für Kinderlose (§ 55 Abs. 3 SGB XI; dazu oben Rn. 53).
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Die sachlichen Voraussetzungen für die Einbeziehung in die Familienversicherung entsprechen im Wesentlichen denen der gesetzlichen Krankenversicherung (dazu oben Rn. 14). Die Leistungen, die die soziale Pflegeversicherung für die mitversicherten Kinder erbringt, haben nach Auskunft der Bundesregierung einen Wert von knapp 2 Mrd. Euro jährlich. Der bis zum 31. Dezember 2021 mit 0,25 Beitragssatzpunkten bemessene Beitragszuschlag für Kinderlose führte zuletzt zu jährlichen Mehreinnahmen der sozialen Pflegeversicherung in Höhe von rund 1 Mrd. Euro. Hiervon ausgehend sind angesichts der Erhöhung des Beitragszuschlags auf 0,35 Beitragssatzpunkte zum 1. Januar 2022 jährliche Mehreinnahmen von etwa 1,4 Mrd. Euro zu erwarten. |
Darüber hinaus gewährt die soziale Pflegeversicherung zahlreiche Leistungen, die von ihrer Ausgestaltung her primär auf die Versorgung durch pflegende Angehörige ausgerichtet sind. Dies hat den Hintergrund, dass die Pflegeversicherung mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen soll, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können (§ 3 Satz 1 SGB XI). Diese Leistungen kommen insbesondere Kindern und Schwiegerkindern zugute, die mit 39% die größte Gruppe unter den Pflegepersonen ausmachen, gefolgt von pflegenden Partnerinnen und Partnern mit 34%.
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Nach § 41 SGB XI haben Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- und Nachtpflege, wenn häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung der Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist. Das Ausgabenvolumen lag im Jahr 2019 bei knapp 1 Mrd. Euro.
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Anspruch auf Verhinderungspflege gemäß § 39 SGB XI besteht, wenn die Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Die Verhinderungspflege kann zur Entlastung der Pflegeperson(en) stunden-, tage- oder wochenweise genutzt werden. Das Ausgabenvolumen lag im Jahr 2019 bei rund 1,5 Mrd. Euro.
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Anspruch auf Kurzzeitpflege gemäß § 42 SGB XI besteht, wenn die häusliche Pflege zeitweise nicht, noch nicht oder nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden kann und teilstationäre Hilfe nicht ausreicht. Dies gilt für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung der Pflegebedürftigen oder in sonstigen Krisensituationen. Das Ausgabenvolumen lag im Jahr 2019 bei rund 0,7 Mrd. Euro. |
Pflegebedürftige in häuslicher Pflege haben gemäß § 45b SGB XI Anspruch auf einen Entlastungsbetrag von bis zu 125 Euro monatlich. Dieser ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger und vergleichbarer Nahestehender in ihrer Eigenschaft als Pflegende sowie zur Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit der Pflegebedürftigen bei der Gestaltung ihres Alltags. Das Ausgabenvolumen lag im Jahr 2019 bei rund 1,9 Mrd. Euro.
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Pflegende Angehörige, die nach § 3 des Pflegezeitgesetzes von der Arbeitsleistung vollständig freigestellt wurden oder deren Beschäftigung durch Reduzierung der Arbeitszeit zu einer geringfügigen Beschäftigung wird, erhalten auf Antrag Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung (§ 44a Abs. 1 SGB XI). Im Falle kurzzeitiger Arbeitsverhinderung nach § 2 des Pflegezeitgesetzes kann ein pflegender Angehöriger Anspruch auf einen Ausgleich für entgangenes Arbeitsentgelt (Pflegeunterstützungsgeld) für bis zu insgesamt zehn Arbeitstage haben (§ 44a Abs. 3 SGB XI).
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Zur Verbesserung der sozialen Sicherung pflegender Angehöriger werden für ehrenamtliche Pflegepersonen unter den in § 44 Abs. 1 SGB XI genannten Voraussetzungen Beiträge zur Rentenversicherung von der Pflegeversicherung gezahlt. Die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung für Leistungen zur Alterssicherung pflegender Angehöriger betrugen im Jahr 2019 rund 2,4 Mrd. Euro. Ferner besteht für Pflegepersonen unter den in § 26 Abs. 2b Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) genannten Voraussetzungen eine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung.
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2. Der Beitragszuschlag für Kinderlose in der sozialen Pflegeversicherung geht zurück auf das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 (BVerfGE 103, 242 ff. – Pflegeversicherungsurteil). Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass es mit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbeitrag einen "generativen Beitrag" zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung verfüge der Gesetzgeber über einen großen Spielraum. Bei der Bemessung der dem Gesetzgeber für eine verfassungskonforme Neuregelung gesetzten Frist bis zum 31. Dezember 2004 berücksichtigte das Bundesverfassungsgericht, "dass die Bedeutung des vorliegenden Urteils auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen sein wird" (BVerfGE 103, 242 [270]). |
3. Der Gesetzgeber reagierte auf den ihm mit dem Pflegeversicherungsurteil erteilten Auftrag für die Ausgestaltung der sozialen Pflegeversicherung und zur Prüfung der Bedeutung des Urteils für andere Zweige der Sozialversicherung wie folgt:
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a) Zur Umsetzung des Pflegeversicherungsurteils wurde durch das Kinder-Berücksichtigungsgesetz der Beitragszuschlag für Kinderlose gemäß § 55 Abs. 3 SGB XI mit Wirkung zum 1. Januar 2005 eingeführt (dazu oben Rn. 53 f.). Im Gesetzgebungsverfahren zum Kinder-Berücksichtigungsgesetz war kontrovers erörtert worden, ob eine Beitragsdifferenzierung auch nach der Anzahl der Kinder verfassungsrechtlich geboten sei (vgl. BTDrucks 15/3837, S. 7 f.; Wortprotokoll der 72. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung, Protokoll-Nr. 15/72, S. 8, 10 ff.). Der Bundesrat rief unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen der Sachverständigen den Vermittlungsausschuss an (vgl. BTDrucks 15/4176). Das Vermittlungsverfahren wurde ohne Einigungsvorschlag abgeschlossen (vgl. BRDrucks 942/04). Der vom Bundesrat gegen das Gesetz erhobene Einspruch (vgl. BRPlenarprot 806, S. 578 D) wurde vom Deutschen Bundestag zurückgewiesen (vgl. BTPlenarprot 15/143, S. 13334 D, 13349).
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b) In Umsetzung des mit dem Pflegeversicherungsurteil erteilten Auftrags, dessen Bedeutung auch für andere Zweige der Sozialversicherung zu prüfen, verfasste die Bundesregierung einen Bericht, den sie dem Bundestag zuleitete (Bericht der Bundes regierung zur Bedeutung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sozialen Pflegeversicherung vom 3. April 2001 [1 BvR 1629/94] für andere Zweige der Sozialversicherung vom 4. November 2004, BTDrucks 15/4375).Diesem Bericht der Bundesregierung entsprechend wurde weder im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung noch in dem der gesetzlichen Krankenversicherung eine Beitragsermäßigung wegen Kindererziehung eingeführt. |
4. Seit dem Ergehen des Pflegeversicherungsurteils baute der Gesetzgeber außerhalb der Sozialversicherungssysteme bereits bestehende familienfördernde Maßnahmen aus und schuf neue (dazu a). Insgesamt ergibt sich ein erhebliches Entlastungsvolumen (dazu b).
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a) aa) Eltern erfahren über das Kindergeld mit der Einkommensteuer eine Steuerentlastung (§ 31 Satz 3 Einkommensteuergesetz [EStG]; subsidiär gilt das Bundeskindergeldgesetz, vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 BKGG). Daneben kommen jedem Elternteil für jedes zu berücksichtigende Kind nach § 32 Abs. 6 EStG grundsätzlich ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) und ein Freibetrag für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung zu. Ergibt sich, dass die Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG höher ist als das Kindergeld, werden diese Freibeträge vom zu versteuernden Einkommen abgezogen (§ 2 Abs. 5 Satz 1 EStG); andernfalls bleibt es beim Kindergeld. Der Anspruch auf den Kinderfreibetrag entsteht im Geburtsmonat des Kindes und hat so lange Bestand, wie auch der Kindergeldanspruch besteht. Grundsätzlich erfolgt die Berücksichtigung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs (§ 32 Abs. 3 EStG). Bei volljährigen Kindern müssen für den Kindergeldbezug weitere Voraussetzungen erfüllt werden, so dass sich die Bezugsdauer des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahr verlängern kann (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG). Ist ein Kind behindert und außerstande, sich selbst zu unterhalten, besteht der Anspruch auch über das 25. Lebensjahr hinaus (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG).
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Die Höhe des Kindergeldes beläuft sich im Jahr 2022 auf 219 Euro für das erste und zweite Kind, auf 225 Euro für das dritte Kind und auf 250 Euro ab dem vierten Kind (§ 66 EStG beziehungsweise § 6 BKGG). Für jedes bei einem Steuerpflichtigen zu berücksichtigende Kind werden im Jahr 2022 ein Kinderfreibetrag von 2.730 Euro sowie ein Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf von 1.464 Euro abgezogen (§ 32 Abs. 6 Satz 1 EStG). Dieser Gesamtfreibetrag von 4.194 Euro wird bei zusammen veranlagten Eltern, wenn das Kind zu beiden in einem Kindschaftsverhältnis steht, zusammengeführt (8.388 Euro). Damit wurde das Kindergeld seit dem Jahr 2000 (138 Euro für das erste und zweite Kind, 153 Euro für das dritte Kind, 179 Euro ab dem vierten Kind) um 58,7% (bezogen auf das erste Kind) erhöht. Beim Gesamtfreibetrag ist seit dem Jahr 2000 (damals 5.080 Euro für Kinder unter 16 Jahren) ein Anstieg um 65,1% zu verzeichnen. |
bb) Das Elterngeld wurde durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5. Dezember 2006 (BGBl I S. 2748) zum 1. Januar 2007 eingeführt und löste das Bundeserziehungsgeld ab. Anders als das frühere Erziehungsgeld wird das Elterngeld danach berechnet, welches Erwerbseinkommen zuvor erzielt wurde, es hat zumindest auch eine Lohnersatzfunktion.
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Das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) gewährt Eltern, die nach der Geburt eines Kindes ganz oder teilweise auf Erwerbstätigkeit verzichten, für zwölf Monate (beziehungsweise bei Inanspruchnahme durch beide Elternteile für 14 Monate – "Partnermonate", § 4 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BEEG) einen Anspruch auf Ersatz von (mindestens) 67% des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes erzielten monatlichen durchschnittlichen Nettoerwerbseinkommens (nach Abzug von Steuern, Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung und einem Zwölftel des steuerlichen Arbeitnehmerpauschbetrags) bis zu einem Höchstbetrag von 1.800 Euro (§ 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG); das Mindestelterngeld beträgt einkommensunabhängig 300 Euro monatlich (§ 2 Abs. 4 BEEG). Für Berechtigte mit einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen von weniger als 1.000 Euro vor der Geburt des Kindes wird das Elterngeld auf bis zu 100% des Einkommens aufgestockt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BEEG).
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Das BEEG wurde zum 1. Januar 2015 durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BGBl I 2014 S. 2325) geändert. Jeder Elternteil kann seitdem statt eines Elterngeldmonats (Basiselterngeld im Sinne von § 4a Abs. 1 BEEG) zwei Elterngeld Plus-Monate in Anspruch nehmen (§ 4 Abs. 3 Satz 3, § 4a Abs. 2 BEEG). Elterngeld Plus kann damit durch Halbierung des Auszahlungsbetrags doppelt so lange wie das Basiselterngeld, also längstens bis zu 28 Monate, beansprucht werden. Jeder Elternteil hat Anspruch auf bis zu vier zusätzliche Elterngeld Plus-Monate, wenn die Eltern sich gemeinsam um das Kind kümmern und beide zwischen 24 und 32 Wochenstunden erwerbstätig sind (§ 4b Abs. 1 BEEG). |
cc) Der Kinderzuschlag nach § 6a BKGG wurde durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) zum 1. Januar 2005 eingeführt. Es handelt sich dabei um eine gezielte Förderung gering verdienender Familien mit Kindern. Der Kinderzuschlag betrug bei seiner Einführung pro Monat und Kind maximal 140 Euro und wurde mit Wirkung ab dem 1. Juli 2016 auf 160 Euro, ab dem 1. Januar 2017 auf 170 Euro, ab dem 1. Juli 2019 auf 185 Euro und ab dem 1. Januar 2021 auf maximal 205 Euro erhöht. Ab dem 1. Januar 2022 beträgt er maximal 209 Euro je Monat und Kind.
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dd) Der bereits durch das Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz [UVG]) vom 23. Juli 1979 (BGBl I S. 1184) zum 1. Januar 1980 eingeführte Unterhaltsvorschuss kann seit dem 1. Juli 2017 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bezogen werden (§ 1 Abs. 1a Satz 1 UVG), zugleich ist die frühere Höchstbezugsdauer von 72 Monaten ersatzlos entfallen. Mit der Zahlung der Unterhaltsvorschussleistung an Berechtigte findet gemäß § 7 Abs. 1 UVG ein gesetzlicher Übergang des Anspruchs auf Kindesunterhalt gegenüber dem anderen Elternteil auf das Land statt. Zur Berechnung der Höhe der Leistung verweist § 2 Abs. 1 UVG auf den Mindestunterhalt nach § 1612a Abs. 1 Satz 3 BGB. Seit dem 1. Januar 2022 beträgt der monatliche Mindestunterhalt in der ersten Altersstufe (von 0 bis 5 Jahren) 396 Euro, in der zweiten Altersstufe (von 6 bis 11 Jahren) 455 Euro und in der dritten Altersstufe (von 12 bis 17 Jahren) 533 Euro. Ein Kindergeldanspruch führt zu einer entsprechenden Minderung des Zahlbetrags (§ 2 Abs. 2 UVG). |
ee) Nach dem durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (KiföG) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2403) geschaffenen § 24 Abs. 2 Satz 1 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) hat jedes Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Dieser Anspruch ergänzt den bereits zuvor bestehenden aus § 24 Abs. 3 SGB VIII, nach dem ein Kind ab Vollendung des dritten Lebensjahres bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung hat. Ziel der Ausweitung war neben der Förderung der Kinder auch die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben (vgl. BTDrucks 16/9299, S. 1).
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b) Nach Angaben des Bundesministeriums der Finanzen (Bundesministerium der Finanzen, Datensammlung zur Steuerpolitik 2020/2021, S. 54 ff.) wurde 2021 für ca. 17,649 Mio. Kinder Kindergeld bezahlt. Der Familienleistungsausgleich lag bei insgesamt rund 49,24 Mrd. Euro. Davon entfielen 46,66 Mrd. Euro auf das Kindergeld und 2,58 Mrd. Euro auf die Zusatzentlastung durch den Kinderfreibetrag. Es ergaben sich eine Freistellung des Existenzminimums in Höhe von 27,095 Mrd. Euro und ein Förderanteil von 22,145 Mrd. Euro. Die finanziellen Auswirkungen familienpolitischer Maßnahmen im Bereich der Steuerentlastungen und Ausgaben insgesamt wurden für das Jahr 2021 auf 84,102 Mrd. Euro beziffert (53,140 Mrd. Euro Steuerentlastungen; 30,962 Mrd. Euro Ausgaben). Dabei sind im Bereich der Steuern neben Kindergeld und Kinderfreibeträgen der steuerliche Absetzbetrag für Kinderbetreuungskosten (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG) mit 860 Mio. Euro, der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) mit 975 Mio. Euro, der Unterhaltsfreibetrag (§ 33a Abs. 1 EStG) mit 865 Mio. Euro, der Pflegepauschbetrag (§ 33b EStG) mit 80 Mio. Euro, die Steuerermäßigung bei haushaltsnahen Beschäftigungsverhältnissen und Dienstleistungen (§ 35a Abs. 2 EStG) mit 590 Mio. Euro (ohne geringfügige Beschäftigung und Handwerkerleistungen) und das Realsplitting (Sonderausgabenabzug der Unterhaltsleistung für nachehelichen Unterhalt und Trennungsunterhalt) mit 310 Mio. Euro berücksichtigt. Bei den sonstigen Ausgaben war der größte Posten die Beitragszahlung des Bundes für Kindererziehungszeiten (knapp 16,919 Mrd. Euro; dazu oben Rn. 36), gefolgt von den Ausgaben nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (7,343 Mrd. Euro), nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (3,220 Mrd. Euro), nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (2,187 Mrd. Euro), nach dem Bundeskindergeldgesetz (1,19 Mrd. Euro), für die Stiftung "Mutter und Kind" (96 Mio. Euro) und den Ausgaben für Mutterschaftsgeld (4 Mio. Euro). |
II. |
1. Das Verfahren 1 BvL 3/18 betrifft das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum ab einschließlich dem 1. Januar 2015.
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a) Die Klägerin und der Kläger des Ausgangsverfahrens sind Eltern von vier in den Jahren 2007, 2009, 2011 und 2013 geborenen Kindern. Sie gehen jeweils einer abhängigen Beschäftigung nach und sind in der gesetzlichen Krankenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert. Sie sind Mitglieder der im Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse sowie der dort beigeladenen Pflegekasse.
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Im April 2015 stellten die Klägerin und der Kläger bei der Beklagten den Antrag, die von ihnen durch Barunterhalt und Betreuung ihrer Kinder erbrachte Erziehungsleistung bei der Beitragserhebung zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie zur sozialen Pflegeversicherung gemäß der Anzahl der Kinder beitragsäquivalent zu berücksichtigen. Im Anschluss teilten sie der Beklagten mit, sie beanspruchten eine Berücksichtigung ab dem 1. Januar 2015 sowie rückwirkend für vier Jahre.
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Mit Bescheiden vom 29. Juni 2015 lehnte die Beklagte eine Ab senkung der in dem Bescheid bezifferten Arbeitnehmeranteile an den Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungsbeiträgen wegen der Erziehung von Kindern unter Hinweis auf entgegenstehende gesetzliche Vorgaben ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren wies das Sozialgericht die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Verfassungswidrigkeit des Beitragsrechts und mindestens die Berücksichtigung eines § 32 Abs. 6 EStG entsprechenden Freibetrags bei der Ermittlung der jeweiligen Beitragsbemessungsgrundlage geltend gemacht wurde, ab, soweit sie die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung betraf. Zuvor hatte es das Verfahren betreffend die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung abgetrennt. Insoweit begehrten die Klägerin und der Kläger zuletzt, die angegriffenen Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Beiträge ab 1. Januar 2015, betreffend die Klägerin des Ausgangsverfahrens bis zum 31. August 2016, unter Berücksichtigung des in § 32 Abs. 6 EStG genannten Betrags festzusetzen. |
b) Mit Beschluss vom 23. Januar 2018 hat das Sozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die §§ 54, 55, 57, 131 bis 136 SGB XI insofern mit der Verfassung, namentlich Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG, im Einklang stehen, als Eltern von mehreren Kindern in gleicher Weise zu Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung herangezogen werden wie Versicherte mit nur einem Kind.
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aa) Für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es auf die Verfassungsmäßigkeit der Beitragsregelungen des SGB XI an. Die Klägerin und der Kläger verlangten in der Sache eine Reduzierung ihrer Beiträge unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder, also einen größeren Teil ihres Einkommens als bisher beitragsfrei zu belassen. Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage sei nicht bereits deshalb begründet, weil die angefochtenen Bescheide gegen einfaches Recht verstießen. Die Beklagte habe die Pflegeversicherungsbeiträge in Anwendung der §§ 55, 57 SGB XI zutreffend festgesetzt. Die beantragte Reduzierung der beitragspflichtigen Einkommen um Kinderfreibeträge sei im Sozialversicherungsrecht nicht vorgesehen. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass mit Rücksicht auf den großen gesetzgeberischen Spielraum bei der Gestaltung sozialer Sicherungssysteme der in konkreter Höhe geltend gemachte Anspruch von vornherein aus Verfassungsrecht nicht ableitbar sei. Die Klägerin und der Kläger sähen sich nicht in der Lage, ihren durch Kindererziehung geleisteten Beitrag zu beziffern, so dass sie auf die steuerrechtlichen Freibeträge zurückgriffen. Ihr Antrag zur Sache sei so auszulegen, dass jedenfalls als Minus auch andere Ausgestaltungen der Beitragsreduzierung wie etwa ein geringerer Beitragssatz umfasst seien. |
bb) Die im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Beitragsregelungen seien, jedenfalls im Hinblick auf die ab dem 1. Januar 2015 geltende Rechtslage, verfassungswidrig.
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(1) Bisher habe das Gericht angenommen, der Gesetzgeber sei im Rahmen des Spielraums, der ihm bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Beitragsrechts zukomme, in der Weise zur Pauschalierung befugt, dass er von einer – durch den nicht zu zahlenden Beitragszuschlag von 0,25 Beitragssatzpunkten relativ entlasteten – Zwei-Kind-Familie als Standard ausgehe und eine Abweichung von einem Kind "nach oben oder unten" als unerheblich ansehe. Die Grenzen zulässiger Typisierung seien vor dem Hintergrund von Art. 6 Abs. 1 GG jedoch überschritten, wenn sich – wie hier – die Beitragsvorschriften im Ergebnis in besonderer Weise zu Lasten kinderreicher Familien mit mehr als drei Kindern auswirkten. Im Jahr 2011 hätten in 1,8% der Familienhaushalte vier Kinder gelebt. Der Anteil kinderreicher Familien an der Gesamtzahl der Familien sei danach nicht so gering, dass der Gesetzgeber sie habe vollständig unberücksichtigt lassen dürfen, denn ihr Anteil an den zukünftigen Beitragszahlern und somit ihr generativer Beitrag zur Funktionsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung sei überdurchschnittlich hoch. Darüber hinaus verdoppele sich ihr monetärer Beitrag, wenn – wie hier – die Mütter auch kleiner Kinder zuneh mend wieder einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgingen und deshalb ihrerseits nicht mehr den Vorteil beitragsfreier Mitversicherung genössen. Schließlich bestünden Zweifel, ob der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe des Beitragszuschlags seinen Gestaltungsspielraum eingehalten, insbesondere eine nachvollziehbare Typisierung vorgenommen habe. Typisierung setze eine gesetzgeberische Abwägung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen voraus. Trotz fehlender Quantifizierbarkeit des generativen Beitrags vermisse es eine Begründung für die Höhe des Beitragszuschlags. |
(2) Jedenfalls mit Einführung des Pflegevorsorgefonds und der unterschiedslosen Beitragssatzsteigerung um 0,3 Beitragssatzpunkte zum 1. Januar 2015 und weiteren 0,2 Beitragssatzpunkten zum 1. Januar 2016 (richtig: 2017) seien die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG in Fällen wie dem vorliegenden überschritten.
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(a) Der Gesetzgeber sei seinem verfassungsrechtlichen Auftrag nicht gerecht geworden, bei der zum Aufbau dieses Fonds erforderlichen zusätzlichen Beitragserhebung die Belange von Eltern mit mehreren Kindern und deren generativen Beitrag zumindest mit in die Überlegungen einzubeziehen und entsprechend zu gewichten. Die Finanzierung des Pflegevorsorgefonds erfolge durch Überweisungen aus dem Ausgleichsfonds (vgl. § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) und damit mittelbar durch die auch kinderreiche Versicherte wie die Kläger treffende Beitragserhöhung. Denn der Ausgleichsfonds speise sich unter anderem aus den von den Pflegekassen überwiesenen Überschüssen (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI), die ihrerseits auf Beiträgen der Versicherten beruhten. Umgekehrt würden die dem Ausgleichsfonds nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB XI unmittelbar zugeführten Mittel aus von Sozialversicherungsträgern zu tragenden oder einzubehaltenden Beiträgen den Betriebsmitteln der Pflegekasse entzogen, so dass Leistungen dann vermehrt aus Beiträgen der versicherungspflichtigen Beschäftigten finanziert werden müssten. Der Ausgleichsfonds und ihm folgend der Pflegevorsorgefonds würden damit im wirtschaft lichen Ergebnis rechtlich relevant zumindest auch aus Beiträgen versicherungspflichtiger Beschäftigter gebildet. Jedenfalls seien Bezugspunkt für die Höhe der dem Vorsorgefonds zuzuführenden Mittel gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB XI die beitragspflichtigen Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung, womit die beitragspflichtigen Einnahmen ihrer Mitglieder gemeint seien. Für die Berechnung des Abführungsbetrags werde gemäß § 135 Abs. 1 Satz 2 SGB XI der Beitragssatz nach § 55 Abs. 1 SGB XI, also derjenige ohne den Beitragszuschlag nach § 55 Abs. 3 SGB XI, zugrunde gelegt. Das bedeute, dass Bezugspunkt für die Mittel des Fonds ein Beitragssatz sei, der für kinderlose, ein Kind und mehrere Kinder erziehende Beitragszahler gleich sei. |
An der Maßgeblichkeit der Kindererziehung für die Funktionsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung habe sich durch die Errichtung des Pflegevorsorgefonds nichts Wesentliches geändert. Der Pflegevorsorgefonds belaste spezifisch die derzeit unterhaltsverpflichtete Elterngeneration. Sie leiste (zumindest mittelbar) Beiträge zu dem Fonds, obwohl sie durch finanzielle Beiträge und Kindererziehung bereits doppelt ihren Teil zur Funktionsfähigkeit der sozialen Pflegeversicherung erbringe, ohne dass sie während der Laufzeit des Fonds voraussichtlich Bedarf an Leistungen der Pflegeversicherung habe, weil sie währenddessen nicht das Alter erreiche, in dem Pflegebedürftigkeit in gesteigertem Maße zu erwarten sei. Kinderreiche Eltern wie die Klägerin und der Kläger trügen bereits durch Erziehung und Betreuung einer überdurchschnittlich hohen Anzahl an Kindern zu der mit der Errichtung des Pflegevorsorgefonds bezweckten Beitragsstabilität bei. Diesen Beitrag habe der Gesetzgeber zumindest gewichten müssen.
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(b) Auch im Übrigen habe der Gesetzgeber die Vorgaben von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG bei der unterschiedslosen Erhöhung der Beiträge um 0,5 Beitragssatzpunkte nicht hinreichend beachtet. Die Erhöhung beruhe zumindest teilweise auch auf der demografischen Entwicklung. Sie führe zu einem erkennbaren Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtbeitrag, den kinderreiche Versicherte in die Versicherung einbrächten, und dem Geldbetrag von Kinderlosen oder Eltern mit einem Kind. Der Gesetzgeber hätte auch insoweit die Belange kinderreicher Familien in seine Überlegungen einbeziehen und gegebenenfalls die Höhe des Beitragszuschlags für Kinderlose oder die Beitragserhöhung um 0,5 Beitragssatzpunkte bei Familien mit vielen unterhaltsberechtigten Kindern überprüfen müssen. |
Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber in anderen Bereichen einen Familienlastenausgleich geschaffen habe, namentlich durch Anhebung des Kindergeldes, des steuerfreien Grundfreibetrags und der Betreuungsfreibeträge sowie durch Einführung eines höheren und vereinfachten Erziehungsgeldes beziehungsweise nunmehr Elterngeldes. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei ein systeminterner Nachteilsausgleich geboten.
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Die zusätzlichen Möglichkeiten der Freistellung von der Arbeit während einer Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz und dem Familienpflegezeitgesetz und die damit verbundenen Leistungen nach § 44a SGB XI kämen zwar im intergenerationellen Ergebnis Pflegebedürftigen mit Kindern zugute. Sie vermieden jedoch vor allem weitere Nachteile bei einer Dreifachbelastung durch Kindererziehung, Pflege der Eltern und Berufstätigkeit, glichen aber den Nachteil der Doppelbelastung durch Kindererziehung und monetäre Beiträge nicht aus.
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(c) Der Gesetzgeber habe darüber hinaus seinen verfassungsrechtlichen Auftrag aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG insofern nicht erfüllt, als er bei der Änderung der Beitragssätze zum 1. Januar 2015 nicht überprüft habe, ob die lebenslange Befreiung vom Beitragszuschlag für Eltern nach Beendigung der Unterhaltspflicht oder zumindest nach der Erwerbsphase weiterhin gerechtfertigt sei.
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2. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/16 betrifft das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 9. Januar 2008 bis zum 15. April 2008.
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a) Die Beschwerdeführerin ist verheiratet und Mutter von vier in den Jahren 2001, 2002, 2004 und 2009 geborenen Kindern. Sie war bis zum 15. April 2008 versicherungspflichtig beschäftigt und danach arbeitslos beziehungsweise wegen der Geburt ihres vierten Kindes nicht mehr erwerbstätig. Im März 2017 hat sie erneut eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen. Sie ist Mitglied der im Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse sowie der dort beigeladenen Pflegekasse. Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge wurden in dem im Ausgangsverfahren streitigen Zeitraum in gesetzlicher Höhe entrichtet. Ihren im Januar 2008 gestellten Antrag, ihr in der sozialen Pflegeversicherung anstelle eines pauschalen Beitragsnachlasses gegenüber kinderlosen Versicherten "denselben Beitragsnachlass je Kind [...] für den Zeitraum, in dem für mich Anspruch auf Kindergeld für das entsprechende Kind besteht", zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Februar 2008 unter Hinweis auf entgegenstehende gesetzliche Vorgaben ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Beschwerdeführerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2008 unter Hinweis auf die Gesetzeslage zurück. Mit Bescheid vom 28. November 2008 "konkretisierte" die Beklagte die vorangegangenen Bescheide dahingehend, dass der Pflegeversicherungsbeitrag für den Beitragszeitraum vom 9. Januar 2008 bis zum 15. April 2008 95,04 Euro betrage und jeweils zur Hälfte von der Beschwerdeführerin und ihrem Arbeitgeber zu tragen sei. Das Sozialgericht wies die dagegen erhobene Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 14. September 2010 ab, die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit dem angegriffenen Urteil vom 22. März 2013 zurückgewiesen. |
b) Die Revision wies das Bundessozialgericht mit angegriffenem Urteil vom 30. September 2015 zurück. Die Bemessung der Pflegeversicherungsbeiträge der Beschwerdeführerin stehe im Einklang mit den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, mit denen der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt habe. Eine Differenzierung nach der Kinderzahl habe das Bundesverfassungsgericht nicht verlangt, sondern lediglich eine relative Beitragsentlastung von Versicherten mit Kindern gegenüber Kinderlosen, wie sie der vom Gesetz geber eingeführte Beitragszuschlag für Kinderlose bewirke. Die von der Beschwerdeführerin geforderte zusätzliche Beitragsentlastung von Eltern mit mehreren Kindern würde zu Beitragsausfällen führen, die mit Beitragssatzerhöhungen für andere Versicherte kompensiert werden müssten, was bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens (noch) höhere Beiträge für Kinderlose zur Folge hätte. |
Der Gesetzgeber habe mit seiner Entscheidung, die gebotene relative Beitragsentlastung von Versicherten mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Versicherten durch einen Beitragszuschlag für Kinderlose zu bewerkstelligen, die ihm bei der Ausgestaltung des Sozialrechts von Verfassungs wegen gezogenen Grenzen für generalisierende beziehungsweise typisierende Regelungen eingehalten. Das Bundessozialgericht habe bereits früher entschieden, dass der Gesetzgeber vom Regelfall ausgegangen sei und so die geforderte relative Entlastung gegenüber Kinderlosen an das (bloße) Vorhandensein bereits eines Kindes habe knüpfen und ab dessen Geburt eine dauerhafte Beitragsentlastung habe vorsehen dürfen (Bezugnahme auf BSGE 100, 77 [81 Rn. 17]). So hätten im Jahr 2008 in 15,6% aller Privathaushalte ein Kind, in 11% zwei Kinder, in 2,8% drei Kinder, in 0,6% vier Kinder und in 0,2% fünf und mehr Kinder gelebt. Vor diesem Hintergrund reiche die geforderte Berücksichtigung des "generativen Beitrags" aus, um typisierend an die Elterneigenschaft anzuknüpfen, ohne dass etwa nach tatsächlichem Umfang oder tatsächlicher Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung differenziert werden müsse. Nichts Anderes könne für einen tatsächlich erhöhten Umfang beziehungsweise eine tatsächlich längere Dauer der Kinderbetreuung und -erziehung infolge einer größeren Kinderzahl gelten.
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c) Mit ihrer Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die sozialgerichtlichen Urteile sowie die ihnen vorausgegangenen Bescheide richtet, macht die Beschwerdeführerin geltend, die gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung in § 55 SGB XI, auf denen die angefochtenen Entscheidungen beruhten, verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit sie keine Staffelung des Beitragssatzes nach der Kinderzahl vorsähen. |
Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Pflegeversicherungsurteil eine relative Beitragsentlastung "bereits ab dem ersten Kind" gefordert und damit betont, dass jedes Kind zähle. Eine Beitragsdifferenzierung nach der Kinderzahl sei danach geboten, weil – was das Bundessozialgericht verkannt habe – das Bundesverfassungsgericht den auszugleichenden Nachteil kindererziehender Versicherter explizit konkretisiert habe. Dieser bestehe in dem erziehungsbedingten Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung, der aber, so die Beschwerdeführerin, mit zunehmender Kinderzahl entsprechend höher ausfalle. Es sei sogar davon auszugehen, dass der Verzicht im Wesentlichen proportional zur Kinderzahl sei. Es wäre sonst nicht erklärlich, weshalb im Steuerrecht Kinderfreibeträge in gleicher Höhe gemäß der Anzahl der Kinder gewährt würden. Es fehle an einem einleuchtenden Grund dafür, dass der tatsächliche Unterschied in der Erziehungsleistung beispielsweise im Verhältnis von Versicherten mit einem Kind und Versicherten mit zwei Kindern unberücksichtigt bleibe, obwohl er – im Hinblick auf die Nützlichkeit der aufgezogenen Kinder als potentielle Beitragszahler in der sozialen Pflegeversicherung – nach Art und Ausmaß genauso groß sei wie der Unterschied zwischen Versicherten mit einem Kind und Kinderlosen. Dabei handele es sich nicht um eine zulässige gesetzgeberische Typisierung. Die gegenteilige Auffassung des Bundessozialgerichts sei nicht nachvollziehbar, weil nach den von ihm selbst angeführten statistischen Zahlen die Gruppe der Privathaushalte mit nur einem Kind und die Gruppe der Privathaushalte mit zwei und mehr Kindern in etwa gleich groß seien. Der Grundrechtsverstoß sei auch intensiv. Denn der relative Unterschied zwischen Versicherten mit einem Kind und Versicherten mit zwei oder mehr Kindern sei – gemessen an dem kindererziehungsbedingten Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung – genauso groß wie oder größer als derjenige zwischen kinderlosen Versicherten und Versicherten mit einem Kind, den das Bundesverfassungsgericht als so intensiv angesehen habe, dass es eine Beitragsentlastung bereits ab dem ersten Kind gefordert habe. Dementsprechend hätten auch im Gesetzgebungsverfahren zum Kinder-Berücksichtigungsgesetz zahlreiche Experten sowie der Bundesrat eine Beitragsstaffelung nach der Kinderzahl für erforderlich gehalten. Besondere Schwierigkeiten seien damit nicht verbunden. So könne der Beitragssatz etwa an der Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder festgemacht werden, womit zugleich der Forderung des Pflegeversicherungsurteils nach einer Entlastung der Elterngeneration während der Zeit der Betreuung und Erziehung Rechnung getragen würde. |
Mit ergänzendem Vorbringen wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Annahme der Bundesregierung, dass die seit dem Ergehen des Pflegeversicherungsurteils erfolgte Ausweitung der Leistungen der Pflegeversicherung insbesondere Familien mit Kindern zugutekomme. Die Pflegeversicherung bewirke in erster Linie eine Umverteilung von jüngeren zu älteren Versicherten, weil Kinder seltener auf Leistungen der Pflegeversicherung angewiesen oder in kostenintensiven Heimen untergebracht seien. Außerdem werde der Anteil der Leistungen an Kinder bezogen auf die Gesamtausgaben der Pflegeversicherung in den nächsten Jahren sinken.
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Die Notwendigkeit, die Kindererziehung auf der Beitragsseite zu berücksichtigen, entfalle nicht aufgrund der Einführung eines kapitalgedeckten Pflegevorsorgefonds. Hierfür sei die demografische Entwicklung maßgeblich gewesen, also der Geburtenrückgang sowie die ungünstige Entwicklung des Verhältnisses von Beitragszahlern und Leistungsempfängern in dem Zeitraum, in dem die geburtenstarken Jahrgänge ins pflegebedürftige Alter kämen. Auf die Beschwerdeführerin, die gemeinsam mit ihrem Mann vier Kinder erziehe, treffe dies nicht zu. Unerheblich sei auch der Anstieg der Leistungen der allgemeinen Familienförderung seit 2001, weil es sich nicht um den vom Bundesverfassungsgericht geforderten systeminternen Ausgleich handele. Soweit der Gesetzgeber auf die demografischen Veränderungen reagiert habe, sei der Erfolg dieser Maßnahmen, etwa die Förderung gezielter Zuwanderung, ungewiss oder diese belasteten, wie der Pflegevorsorgefonds, Eltern wie Kinderlose gleichermaßen. Schließlich sei das Beitragsrecht der Sozialversicherung eine wesentliche Ursache für Kinderarmut. |
3. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 betrifft das Beitragsrecht in der sozialen Pflegeversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung in den im Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 24. April 2012 geltenden Fassungen; für den Beschwerdeführer ist hinsichtlich der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nur der Zeitraum bis zum 31. Dezember 2010 in Streit, weil er nur bis zu diesem Zeitpunkt Mitglied der beklagten beziehungsweise beigeladenen Kranken- und Pflegekasse war.
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a) Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer sind Eltern dreier in den Jahren 1990, 1992 und 1995 geborener Kinder. Sie gehen jeweils einer abhängigen Beschäftigung nach und sind in der gesetzlichen Krankenversicherung, der gesetzlichen Rentenversicherung und der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert. Sie sind (oder waren) Mitglieder der im Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse sowie der im Ausgangsverfahren jeweils beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund und einer Pflegekasse.
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Im Juli 2006 beantragten die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aufgrund der Betreuungs- und Erziehungsleistung für ihre Kinder die beitragsmindernde Berücksichtigung ihres Unterhalts in der gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung. Mit Bescheid vom 20. Juli 2006 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis auf entgegenstehende gesetzliche Vorgaben ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 16. Mai 2007 unter Hinweis auf die Gesetzeslage zurück. Die hiergegen erhobene Klage wurde vom Sozialgericht abgewiesen. Die Berufung blieb ohne Erfolg.
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b) Auf die Revision der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers hob das Bundessozialgericht durch Urteil vom 30. September 2015 unter Abänderung der Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts den Ausgangsbescheid und die Wi derspruchsbescheide auf, weil es an einer Festsetzung der konkreten Beitragshöhe fehle. Im Übrigen wies das Bundessozialgericht die Revision zurück, weil die im streitigen Zeitraum einschlägigen Beitragsregelungen die begehrte Beitragsreduzierung nicht vorsähen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. |
aa) Das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung sei von der Bindungswirkung des Pflegeversicherungsurteils nach § 31 BVerfGG nicht erfasst. Auch entspreche die gesetzliche Rentenversicherung in ihren wesentlichen Strukturmerkmalen nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht im Pflegeversicherungsurteil für ein verfassungsrechtliches Gebot der beitragsrechtlichen Differenzierung zwischen Versicherten mit Kindern und Versicherten ohne Kinder aufgestellt habe. Ihr fehle es an der notwendigen Mindestgeschlossenheit, weil nicht angenommen werden könne, dass ein wesentlicher Anteil aller Kinder der heutigen Beitragszahler in Zukunft nicht nur Mitglieder, sondern auch selbst Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung sein werde. Ein "generativer Beitrag" durch Kindererziehung und -betreuung und ein daraus folgender Vorteil kinderloser Versicherter bestehe deshalb jedenfalls im hier streitigen Zeitraum nicht, in dem etwa die Hälfte der potentiellen Beitragszahlerinnen und Beitragszahler – obwohl statistisch als "Versicherte" geführt – tatsächlich keine oder allenfalls in einem geringfügigen Umfang Beiträge gezahlt hätten.
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Unabhängig hiervon sei die beitragsrechtliche Gleichbehandlung beziehungsweise Benachteiligung der von der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer repräsentierten Personengruppe auch "in einem weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext" sachlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des ihm insoweit zustehenden Gestaltungsspielraums einen Ausgleich der durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile zulässigerweise bereits im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung bewirkt. Dass auf einen Ausgleich des Aufwands für die Betreuung und Erziehung von Kindern im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung als systemgerecht abgestellt wer den dürfe, habe das Bundesverfassungsgericht für den Bereich der landwirtschaftlichen Alterssicherung als verfassungsgemäß bestätigt; ein Ausgleich sei demnach nicht nur im Beitragsrecht möglich (Bezugnahme auf BVerfGE 109, 96 [127]). Insoweit komme es – entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers – nicht auf den Ausgleich eines "positiven externen Effektes" eines Kindes auf die gesetzliche Rentenversicherung an, sondern darauf, inwieweit die mit der Erziehungs- und Betreuungsleistung der Eltern verbundene Belastung während der Erwerbsphase ausgeglichen werde, was auch durch familienfördernde Elemente außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung geschehen könne, die in vielfältiger Form existierten. |
Die beitragsrechtliche (Un-)Gleichbehandlung sei auch deshalb gerechtfertigt, weil ein in der Betreuung und Erziehung von Kindern liegender "Beitrag" einerseits und der Finanzbeitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits weder gleichartig noch gleichwertig seien. Denn mit "generativen Beiträgen" durch Kindererziehung könnten aktuelle Renten nicht bezahlt werden.
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Ein sachlicher Grund für die Nichtberücksichtigung der Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung der Rentenversicherungsbeiträge liege auch darin, dass der Ausgleich des Betreuungs- und Erziehungsaufwands keine "systemspezifische" Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung sei, sondern sich als Teil ihrer allgemeinen Rahmenbedingungen darstelle, weil sie in ihrem Fortbestand auf nachwachsende Beitragszahlerinnen und -zahler ebenso angewiesen sei wie das Staatswesen in seinem Fortbestand auf ein nachwachsendes Staatsvolk. Der Ausgleich könne deshalb auch durch steuerrechtliche Maßnahmen bewerkstelligt werden und müsse nicht in einem bestimmten sozialen Leistungssystem erfolgen.
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Eine Berücksichtigung der Kinderbetreuung und -erziehung im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung könne zudem zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle in Gestalt neuer Ungleichbehandlungen führen. Ein beitragsrechtlicher Binnenausgleich könne Eltern benachteiligen, die nicht Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung seien und deshalb selbst (privat) für ihre Altersvorsorge sorgen müssten, obwohl sie einen gleich hohen Betreuungs- und Erziehungsaufwand hätten wie gesetzlich rentenversicherte Eltern. Umgekehrt könnten Kinderlose, die nicht Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung seien, an diesem Ausgleich nicht teilnehmen. Selbst bei einer Betrachtung nur innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung könne es zu einer schwer zu rechtfertigenden Umverteilung zu Lasten der Bezieherinnen und Bezieher niedriger Einkommen kommen, weil besserverdienende Kindererziehende von einer Beitragsentlastung in stärkerem Maße begünstigt würden. Bei Kinderlosen könnten gut verdienende Versicherte gegenüber weniger gut verdienenden Versicherten privilegiert werden. Dies alles folge daraus, dass das beitragspflichtige Einkommen durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sei. Allgemein sei in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass jedwede Änderung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung als einem auf lange Sicht angelegten System der sozialen Alterssicherung vielfältige verfassungsrechtliche Risiken und Folgewirkungen enthalte. Den Sozialgesetzgeber treffe insoweit auch eine gewisse Schutzverpflichtung zugunsten des selbstgesetzten Systems. Zuletzt sei der Verzicht auf eine beitragsrechtliche Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwands von Eltern auch wegen des grundsätzlichen strukturellen Unterschieds, der im Hinblick auf die Leistungsbemessung zwischen bedarfsbezogener sozialer Pflegeversicherung und beitragsbezogener gesetzlicher Rentenversicherung bestehe, gerechtfertigt. |
bb) Hinsichtlich des Beitragsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung sei bereits das Vorliegen der im Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Voraussetzungen für einen Gleichheitsverstoß zweifelhaft. Es sei fraglich, ob die gesetzliche Krankenversicherung ein versichertes Risiko abdecke, das "überproportional" im Alter auftrete und durch Beiträge nachwachsender Generationen finanziert werde. Denn der überwiegende Teil der Gesamtkosten (Krankheitskosten) sei in den statistisch erfassten Jahren in der Generation der Erwerbstätigen entstanden. Überdies werde ein nicht unerheblicher Anteil der Krankheitskosten von der nicht mehr erwerbstätigen Generation selbst getragen, weil auch Rentner Krankversicherungsbeiträge entrichteten. |
Ungeachtet dessen sei die beitragsrechtliche Gleichbehandlung beziehungsweise Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers in der gesetzlichen Krankenversicherung auch in einem "weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext" sachlich gerechtfertigt. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung gebe es in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente, mit denen der Gesetzgeber die durch Kinderbetreuung und -erziehung entstehenden Nachteile bereits im Beitrags- und Leistungsrecht ausgeglichen habe. Insoweit komme es nach dem Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts auf den Ausgleich der mit der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Eltern während ihrer Erwerbsphase verbundenen Belastung an, nicht hingegen auf einen Ausgleich des Vorteils der Kinderlosen im Versicherungsfall, also des Transfers, den die heutigen Kinder als zukünftige Beitragszahler zugunsten der kinderlosen Versicherten im Rentenalter würden erbringen müssen. Beitragsrecht und Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung seien bereits spezifisch familien- und kinderorientiert, die Solidarkomponente zugunsten von Versicherten mit Kindern und Familien demzufolge erheblich stärker ausgeprägt als in der sozialen Pflegeversicherung. Rechtfertigend wirke vor allem die beitragsfreie Familienversicherung, die in der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich weiter reiche als in der sozialen Pflegeversicherung, weil Leistungen im Krankheitsfall von Kindern und beitragsfrei mitversicherten Ehegatten häufiger in Anspruch genommen würden. Dieser Einschätzung stehe das Ergebnis des von den Beschwerdeführern vorgelegten Gutachtens(Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, 2013)nicht entgegen, wonach Familien im Durchschnitt mehr an Beiträgen einzahlten als sie an Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nähmen. Selbst wenn dieser Befund sachlich zutreffen sollte, bliebe dabei doch zu Unrecht unberücksichtigt, dass die gesetzliche Krankenversicherung eine Risikoabsicherung biete, in der allein schon ein wirtschaftlicher Wert liege. |
Nicht anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung seien auch in der Krankenversicherung der "generative Beitrag" und der Finanzbeitrag weder gleichartig noch gleichwertig, sei der Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder Teil der allgemeinen Rahmenbedingungen und sein Ausgleich deshalb keine spezifische Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung und könne eine beitragsrechtliche Berücksichtigung der Kinderbetreuung und -erziehung zu verfassungsrechtlich kaum hinnehmbaren Verwerfungen an anderer Stelle in Gestalt neuer Ungleichbehandlungen führen.
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cc) Schließlich hielt das Bundessozialgericht wie im Verfahren 1 BvR 717/16 auch das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung für verfassungsgemäß.
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c) Zwei gegen das Urteil erhobene Anhörungsrügen hat das Bundessozialgericht verworfen. Die erste – bereits vor Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe erhobene – Anhörungsrüge sei unstatthaft, die zweite mangels Darlegung einer Gehörsverletzung unzulässig.
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d) Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Bundessozialgerichts sowie mittelbar gegen das Beitragsrecht der drei Sozialversicherungszweige. Zudem greifen sie die erst- und zweitinstanzliche gerichtliche Entscheidung sowie die ihnen zugrunde liegenden Bescheide der Kasse an.
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aa) Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge nicht (gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung) oder nur unzureichend (soziale Pflegeversicherung) berücksichtigten.
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(1) Nach Maßgabe von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG sei eine beitragsrechtliche Differenzierung zwischen Versicherten mit Kindern und solchen ohne Kinder auch in der gesetzlichen Rentenversicherung verfassungsrechtlich geboten. Wie die soziale Pflegeversicherung decke die gesetzliche Rentenversicherung in erster Linie die Risiken des Alters ab und werde als Umlagesystem wesentlich durch die Beiträge der jeweils erwerbstätigen Generation finanziert, so dass sie von einem stabilen Gleichgewicht zwischen Beitragszahlern und Rentenbeziehern und damit insbesondere auch von "generativen Beiträgen" durch Betreuung und Erziehung der nachwachsenden Generation abhänge. |
Die gesetzliche Rentenversicherung weise auch auf Grundlage einer auf den Längsschnitt des Versichertenlebens bezogenen Betrachtung die notwendige Mindestgeschlossenheit im Sinne der rechtlich fundierten Wahrscheinlichkeit auf, dass die Kinder gegenwärtiger Beitragszahler künftig selbst Beiträge leisteten und dadurch zum Fortbestand des Systems beitrügen. Aufgrund gegebenenfalls auch mehrfacher Wechsel im Erwerbsstatus und in der beruflichen Stellung im Lebenszyklus trage effektiv ein weit höherer Anteil der Erwerbs- und letztlich der Gesamtbevölkerung – mindestens phasenweise – zur Finanzierung des Systems bei, als sich nach Maßgabe der vom Bundessozialgericht eingenommenen Querschnittsperspektive, das heißt anhand der Daten einzelner Jahre, ablesen lasse. Bei den sogenannten passiv Versicherten, auf die das Bundessozialgericht für die fehlende Mindestgeschlossenheit abhebe, handele es sich ganz überwiegend um frühere oder zukünftige Beitragszahler, die nur gerade in dem bei einer Querschnittsbetrachtung in den Blick genommenen Jahr keine Beiträge geleistet hätten. Es sei deshalb zur Bestimmung der Mindestgeschlossenheit auf die Versicherten und nicht lediglich auf die aktiven Beitragszahler abzustellen.
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Da auch seit langem absehbar sei, dass ein relevanter Teil der Versicherten den zur Erhaltung der umlagefinanzierten Rentenversicherung notwendigen generativen Beitrag der Pflege und Erziehung nachwachsender Beitragszahler nicht erbringe, sei eine beitragsrechtliche Differenzierung zwischen Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, und kinderlosen Versicherten verfassungsrechtlich geboten. Mit dem vom Bundessozialgericht herangezogenen "weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext" wende es sich in der Sache gegen das Pflegeversicherungsurteil, das es ganz offensichtlich ablehne. |
Die Annahme, der Gesetzgeber habe durch die Kindererziehung entstehende Nachteile systemgerecht bereits im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen, stehe im Widerspruch zu der Prämisse des Bundesverfassungsgerichts, dass der gebotene Ausgleich während der Erziehungsphase zu erfolgen habe. Kindererziehungszeiten seien zudem aufgrund ihrer Finanzierung durch die Gesamtheit der Steuerzahler kein echter Vorteilsausgleich zwischen Versicherten mit Kindern und Kinderlosen. Anders als in der Pflegeversicherung wirke sich die Erziehung von Kindern in der Rentenversicherung negativ auf den Leistungsumfang aus, der maßgeblich von einer durchgängigen Erwerbsbiografie abhängig sei. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Ansprüche auf Witwenrente kompensierten den – regelmäßig Frauen treffenden – Verlust an persönlichen Entgeltpunkten infolge kindererziehungsbedingter Unterbrechungen und Einschränkungen der Erwerbsbiografien nicht.
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Ohnehin treffe die Annahme des Bundessozialgerichts nicht zu, der Gesetzgeber habe seit Ergehen des "Trümmerfrauen-Urteils" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 87, 1) in erheblichem Umfang familienfördernde Elemente in das Leistungsspektrum der gesetzlichen Rentenversicherung eingefügt. Tatsächlich seien Leistungserweiterungen vielfach mit mindestens ebenso tiefen Einschnitten zu Lasten von Müttern bei zuvor bestehenden Fördermaßnahmen oder Ausgleichsmechanismen einhergegangen. Beispielhaft lasse sich der Fall einer Mutter bilden, deren Rentenanspruch auf der Grundlage des Rechtszustands von 2001 im Vergleich zum Rechtszustand von 1996 aufgrund zwischenzeitlicher Verschlechterungen bei der rentenrechtlichen Bewertung der ersten Berufsjahre sowie von Zeiten der Arbeitslosigkeit um gut 46% geringer ausfalle.
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Soweit das Bundessozialgericht für den Fall eines beitragsrechtlichen Nachteilsausgleichs "verfassungsrechtlich kaum hinnehmbare Verwerfungen an anderer Stelle" erwarte, bleibe unklar, welche Verwerfungen dies sein und wo genau die verfassungsrechtlichen Probleme liegen sollten. Letztlich betreffe das Argument die Frage der Umsetzung, die indes nicht Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahrens sei. Im Übrigen gebe es seit langem Vorschläge, wie eine Beitragsdifferenzierung versicherungsmathematisch so ausgestaltet werden könne, dass sie keine zusätzlichen Umverteilungseffekte auslöse – etwa durch Kinderfreibeträge. |
(2) Die Erwägungen im Pflegeversicherungsurteil seien auch übertragbar auf die gesetzliche Krankenversicherung, deren Organisations- und Finanzierungsstrukturen denjenigen der Pflegeversicherung weitgehend entsprächen. Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung trete der durch den Eintritt des Versicherungsfalls verursachte finanzielle Bedarf überproportional häufig in der Großelterngeneration auf, wie – vom Bundessozialgericht selbst zitierte – statistische Zahlen zu dem mit zunehmendem Lebensalter einhergehenden Anstieg der Leistungsausgaben pro Kopf belegten.
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Die gesetzliche Krankenversicherung werde trotz der Beitragspflicht der Rentnerinnen und Rentner durch die Erwerbstätigengeneration finanziert. Im Übrigen könne aus der gebotenen realökonomischen Perspektive von einem "Eigenfinanzierungsanteil" der Rentner ohnehin keine Rede sein, weil deren Beiträge auf ihrerseits im Umlageverfahren finanzierten Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beruhten. Aufgrund einer weitgehend identischen Versichertenstruktur weise die gesetzliche Krankenversicherung eine mit der sozialen Pflegeversicherung vergleichbare Mindestgeschlossenheit auf.
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Ein Ausgleich der durch die Kindererziehung entstehenden Nachteile sei im Beitrags- oder Leistungsrecht trotz der beitragsfreien Familienversicherung nach § 10 SGB V nicht erfolgt. Entscheidend sei allein, dass das Krankheitsrisiko überproportional im Alter auftrete. Auch deckten die meisten Familien in der Phase, in der die Kinder noch im elterlichen Haushalt lebten, ihre Krankheitskosten durch die eigenen Krankenversicherungsbeiträge im Durchschnitt selbst. Zudem werde mit dem Bruttoein kommen der Eltern zugleich der vom Unterhaltsrecht den Kindern und nicht erwerbstätigen Ehegatten zugewiesene Einkommensanteil verbeitragt, so dass bei vollständiger Betrachtung von Beitragsfreiheit keine Rede sein könne. Im Übrigen finde schon deshalb kein Vorteilsausgleich durch Kinderlose statt, weil diese in aller Regel während ihrer Kindheit selbst in den Genuss der Mitversicherung gekommen seien. Dies gelte auch für die übrigen vom Bundessozialgericht aufgeführten Leistungen. |
(3) Hinsichtlich einer kinderzahlabhängigen Beitragsdifferenzierung in der sozialen Pflegeversicherung sei es dem Bundesverfassungsgericht im Pflegeversicherungsurteil auf die Zahl der Kinder gerade angekommen. Es liege auf der Hand, dass der laut Bundesverfassungsgericht auszugleichende Nachteil des kindererziehungsbedingten Verzichts auf Konsum und Vermögensbildung in Abhängigkeit von der Kinderzahl größer oder kleiner ausfalle. Um eine unzulässige gesetzliche Typisierung handele es sich schließlich auch insoweit, als Eltern unabhängig davon, ob sie noch Unterhalts-, Betreuungs- und Erziehungsleistungen erbrächten, in der Pflegeversicherung lebenslang beitragsrechtlich privilegiert würden.
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bb) Im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen das "Grundrecht auf intragenerationelle Gleichbehandlung" (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG) sei es für ein aussagekräftiges Bild der Belastung von Familienhaushalten im Vergleich zu anderen Haushalten unzureichend, lediglich bestimmte Leistungspositionen in den Blick zu nehmen. Geboten sei eine system- und generationenübergreifende Betrachtung der komplexen Transferzusammenhänge unter Berücksichtigung insbesondere der Entwicklung von Einkommen- und Verbrauchsteuern sowie der Sozialversicherungsbeiträge. Während der Familienanteil an der Bevölkerung seit Jahrzehnten rückläufig sei, hätten sich durch Reformen bei der Einkommensteuer Einkommensunterschiede unter dem Strich zulasten der Familienhaushalte vergrößert und seien vertikale Effekte der Einkommensteuer deutlich abgemildert worden, was ebenso eine höhere relative Belastung von Familien zur Folge habe wie gestiegene Verbrauchsteuern und Sozi alversicherungsbeiträge. Die Überlasten von Familien in der Sozialversicherung zeigten sich augenfällig darin, dass selbst Durchschnittsfamilien mit zwei Kindern und durchschnittlichem Einkommen allein durch die Arbeitnehmeranteile an den Sozialversicherungsbeiträgen unter das steuerrechtliche Existenzminimum gedrückt würden. Ein solches Ergebnis sei verfassungswidrig. |
Darüber hinaus sehen die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer "ihre allgemeine Handlungsfreiheit, das Rechtsstaatsprinzip (Transparenz-, Saldierungs- und Wahrheitsgebot sowie Systemgerechtigkeit) und das Sozialstaatsprinzip" verletzt.
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4. Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17 betrifft das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 27. Januar 2012.
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a) Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer sind Eltern dreier in den Jahren 1990, 1993 und 1996 geborener Kinder. Sie gehen jeweils einer abhängigen Beschäftigung nach. Die Beschwerdeführerin ist in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert und Mitglied der im Ausgangsverfahren beklagten Krankenkasse. Der Beschwerdeführer war bis 2010 dort versicherungspflichtiges Mitglied; seit 2011 ist er dort als versicherungsfreier Arbeitnehmer freiwillig krankenversichert. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer sind bei der im Ausgangsverfahren beigeladenen Pflegekasse pflegeversichert und bei der im Ausgangsverfahren gleichfalls beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Bund rentenversichert. Ihren im Januar 2004 gestellten Antrag, auf die Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu verzichten, hilfsweise einen Beitragsnachlass zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 3. Februar 2004 unter Hinweis auf entgegenstehende gesetzliche Vorgaben ab. Die hiergegen gerichteten Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 unter Hinweis auf die Gesetzeslage zurück, bezugnehmend auch auf ein Schreiben der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers vom 17. Dezember 2005, in dem diese eine verfassungskonforme Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträ ge, darüber hinaus aber auch der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung verlangt hatten. Das Sozialgericht wies die dagegen erhobene Klage mit Urteil vom 17. Juni 2010 ab, die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers wurde mit Urteil vom 27. Januar 2012 zurückgewiesen. |
b) Auf ihre Revision hob das Bundessozialgericht durch das angegriffene Urteil vom 20. Juli 2017 unter Abänderung der Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts die Ausgangsbescheide und den Widerspruchsbescheid der Beklagten auf, weil es an einer Festsetzung der konkreten Beitragshöhe fehle. Die darüber hinausgehende Revision zu dem Antrag festzustellen, dass die monatlichen Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Renten- und sozialen Pflegeversicherung nicht über eine Höhe von 50 vom Hundert der gegenwärtigen Bemessung hinaus zu erheben seien, hilfsweise festzustellen, dass bei der Beitragsbemessung ein Betrag von 833 Euro je Kind und Monat beziehungsweise (weiter) hilfsweise ein Betrag in Höhe des steuerlichen Existenzminimums gemäß § 32 Abs. 6 EStG von der Beitragsbemessungsgrundlage abzuziehen sei, wies es zurück.
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Hinsichtlich des auf die gesetzliche Krankenversicherung und die soziale Pflegeversicherung bezogenen Begehrens sei die Klage mangels Feststellungsinteresses unzulässig, weil es an einer Verwaltungsentscheidung der zuständigen Behörde über einen entsprechenden Feststellungsantrag fehle. Im Übrigen, also in Bezug auf die Beitragserhebung in der gesetzlichen Rentenversicherung, sei die Feststellungsklage unbegründet, weil die einschlägigen beitragsrechtlichen Vorschriften die von der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer begehrte Beitragsreduzierung nicht vorsähen, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.
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Zwar trügen – was das Bundessozialgericht anders als im Verfahren 1 BvR 2257/16 ausdrücklich anerkennt – Versicherte mit Kindern im Vergleich zu Versicherten ohne Kinder im Allgemeinen in ganz besonderem Maße zur Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Umlagesystems der gesetzlichen Rentenversicherung bei, indem sie dafür sorgten, dass es auch in der Zukunft Beitragszahlerinnen und Beitragszahler zur Finanzierung künftiger Renten gebe. Damit leisteten sie zusätzlich zu ihren monetären Beiträgen einen generativen Beitrag und unterlägen wegen des damit verbundenen Betreuungs- und Erziehungsaufwands typischerweise Einschränkungen persönlicher und finanzieller Art, von denen kinderlose Versicherte nicht betroffen seien. |
Gleichwohl aber verletze das geltende Beitragsrecht den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht. Für die beitragsrechtliche Gleichbehandlung von Versicherten mit Kindern und kinderlosen Versicherten gebe es auch unter Zugrundelegung eines strengen, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Prüfungsmaßstabs hinreichende sachliche Gründe. Der Gesetzgeber habe insoweit die äußersten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit gewahrt. Der generative Beitrag finde Berücksichtigung in Form verschiedener familienfördernder Elemente zugunsten Versicherter mit Kindern, und zwar in erster Linie im Leistungsrecht, darüber hinaus aber auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, in weiteren Bereichen des Sozialrechts und in sonstigen Rechtsgebieten wie etwa dem Steuerrecht oder in Form kostenloser Schul-, Fachschul- und Hochschulausbildung.
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Die Verfassung gebiete nicht, dass Versicherte mit Kindern durch den Gesetzgeber "auf Euro und Cent" so gestellt werden müssten, als hätten sie keine Kinder. Die Bundesregierung habe den sich aus dem Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Prüfauftrag für andere Zweige der Sozialversicherung angenommen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass der vom Gesetzgeber beschrittene Weg, im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung die Kindererziehung auf der Leistungsseite zu honorieren, sachgerecht sei. Damit werde ein Eingriff in das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung und die sie prinzipiell prägende Beziehung von erbrachter Beitragsleistung und späterer Rentenleistung (vgl. § 63 SGB VI) verhindert. Zugleich unterscheide sich das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung hierdurch strukturell wesentlich von dem nicht arbeitsentgelt- oder beitragsbezogenen Leistungsrecht der sozialen Pflegeversicherung, wo der Erziehungs- und Betreu ungsaufwand für Kinder von vornherein nur auf der Beitragsseite berücksichtigt werden könne. |
Die einschlägigen beitragsrechtlichen Bestimmungen stünden nicht im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber sei danach nicht gehalten, jede zusätzliche finanzielle Belastung von Familien zu vermeiden. Aus der in Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip wurzelnden allgemeinen Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich ließen sich keine konkreten Folgerungen für einzelne Rechtsgebiete und Teilsysteme ableiten. Insoweit bestehe vielmehr Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Im Übrigen existierten zahlreiche einschlägige Leistungen, unter anderem familienfördernde und familienentlastende Leistungen in anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, des Sozialrechts und in anderen Rechtsbereichen.
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c) Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts und mittelbar gegen das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung, namentlich die § 157, § 161 Abs. 1, § 162 Nr. 1 SGB VI in den im streitigen Zeitraum geltenden Fassungen und rügen eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Hierfür nehmen sie zunächst Bezug auf die Beschwerdeschrift im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2257/16, namentlich betreffend die dortigen Ausführungen zum Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts und zur Übertragbarkeit der maßgeblichen Prämissen dieses Urteils auf die gesetzliche Rentenversicherung.
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In der hier angegriffenen Entscheidung habe das Bundessozialgericht die Reichweite seiner Bindung gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an das Pflegeversicherungsurteil verkannt, die sich auch auf die tragenden Entscheidungsgründe zu den Funktionsbedingungen eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems erstrecke, das der Absicherung eines maßgeblich vom Älterwerden der Versicherten bestimmten Risikos diene und von nachwachsenden Beitragszahlerinnen und -zahlern abhängig sei. Daraus habe das Bundesverfassungsgericht gefolgert, dass Versicherte mit Kindern nicht nur einen monetären, sondern auch einen generativen Beitrag zur Stabilisierung des Systems leisteten. Dies beanspruche Geltung auch und erst recht für die Rentenversicherung, desgleichen seine Annahme, dass ein Belastungsausgleich zwischen Eltern und Kinderlosen während der Zeit der kindererziehungsbedingten Belastung der Elterngeneration und mithin in ihrer Erwerbsphase zu erfolgen habe, was nur auf Beitragsseite möglich sei. |
Der vom Bundessozialgericht angenommene Ausgleich auf der Leistungsseite werde ausnahmslos von der nächsten Generation erbracht, also gerade nicht von den Versicherten ohne Kinder. Es handele sich damit nur um innerfamiliäre "In-sich-Transfers".
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Darüber hinaus weisen die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Honorierung der Kindererziehung über Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung je nach den Verhältnissen des Einzelfalles höchst unterschiedlich erfolge und ihr deswegen "die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn" geschrieben stehe. Auch bestehe eine erhebliche Differenz zwischen Altersrenten von Männern und Frauen. Mit einer in Bezug genommenen Verfassungsbeschwerde anderer Beschwerdeführer machen sie weiterhin eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Wirkdimension als Freiheitsgarantie gegen staatliche Eingriffe, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer "Verbeitragung des Familienexistenzminiminus" (dazu oben Rn. 130 f.), geltend.
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Die lohnbezogenen und nicht nach Familiengröße und Unterhaltsbelastungen differenzierenden Sozialversicherungsbeiträge seien eine wesentliche Ursache einer heutigen "doppelten Kinderarmut", die darin liege, dass sich die Zahl der Geburten seit 1964 halbiert habe, während im gleichen Zeitraum der Anteil der Kinder im Sozialhilfebezug oder im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) auf das 16-fache gestiegen sei. Eine steuerliche Kompensation elterlicher Nachteile sei wegen der überproportionalen Beteiligung von Familien am Aufkommen von Umsatz- und Verbrauchsteuern nach geltendem Recht unmöglich und in Anbetracht des Volumens der Einnahmen aus Sozialversicherungsbeiträgen, welches das Einkommensteueraufkommen bei weitem übersteige, überdies völlig illusorisch. Bei der gebotenen saldierenden Betrachtung über mehrere Rechtsbereiche – Unterhaltsrecht, Sozialversicherungsrecht sowie direkte und indirekte Steuern – hinweg ergebe sich der Befund einer "Transferausbeutung" von Familien. Allen scheinbar begünstigenden Regelungen zum Trotz bewege sich die Benachteiligung von Eltern in einer Größenordnung von ungefähr dem Sechsfachen des um "In-sich-Transfers" bereinigten Familienlasten- und -leistungsausgleichs im engeren Sinne. |
III. |
Zu dem Vorlagebeschluss und den Verfassungsbeschwerdeverfahren haben die Bundesregierung, das Bundessozialgericht, der Bevollmächtigte der Bundesregierung für Pflege, die Deutsche Rentenversicherung Bund, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband), der Sozialbeirat, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Deutsche Juristinnenbund e.V., der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Bundesverband e.V., der Deutsche Caritasverband e.V., der Familienbund der Katholiken (Bundesverband) e.V. und der Deutsche Familienverband e.V., der Deutsche Sozialgerichtstag e.V., der Verband kinderreicher Familien Deutschland e.V., die Erzdiözese Freiburg, das Institut der deutschen Wirtschaft sowie die Kläger des Ausgangsverfahrens im Vorlageverfahren 1 BvL 3/18 Stellung genommen.
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1. a) Die Bundesregierung hebt übergreifend hervor, dass über die systeminterne Berücksichtigung der Betreuungs- und Erziehungsleistung von Eltern in den hier in Rede stehenden Sozialversicherungszweigen hinaus insbesondere mit den Regelungen zum Mutterschutz, den sogenannten Frühen Hilfen nach der Geburt, dem Elterngeld, dem Ausbau der Kindertagesbetreuung, den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, unter anderem Hilfen zur Erziehung, der Kinderzulage nach § 85 EStG ("Riester-Förderung"), dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, der staatlichen Finanzierung eines Großteils der Kindertagesbetreuung und der sozialen Gestaltung der Elternbeiträge, der Unentgeltlichkeit staatlicher Schulen, der Ausbildungsförderung nach dem Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung, den Zuschüssen an Studierende, den Betreuungskostenzuschüssen und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, dem erhöhten Arbeitslosengeld I und Kurzarbeitergeld für Arbeitnehmer mit Kindern, den auf Familien und Alleinerziehende bezogenen Regelungen für die Gewährung von Wohngeld und Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, dem Kinderzuschlag oder dem Unterhaltsvorschuss ein umfangreiches System vielfältiger staatlicher Familienleistungen existiere. Hinzu kämen die zahlreichen familien- und kinderbezogenen steuerlichen Vorteile. |
b) Das Bundessozialgericht hat zur Frage einer (stärkeren) Berücksichtigung des Aufwands für die Betreuung und Erziehung von Kindern in der deutschen Sozialversicherung wiederholt Entscheidungen getroffen.
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So habe der 13. Senat entschieden, eine weitergehende Berücksichtigung des Betreuungs- und Erziehungsaufwands von Eltern im Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung sei auch von Verfassungs wegen nicht geboten. Ebenso habe der 12. Senat darauf erkannt, dass Versicherte auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten keinen Anspruch darauf hätten, wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwands für Kinder geringere Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, zur gesetzlichen Krankenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung zu leisten. Es sei Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Entwicklungen zu beobachten und daraus Rückschlüsse für die Ausgestaltung des Sozialversicherungssystems zu ziehen. Versicherte mit Kindern stellten – aus ihrer subjektiven Sicht verständlich – weitergehende rechts- und familienpolitische Forderungen, deren Erfüllung indes verfassungsrechtlich nicht geboten sei.
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c) Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter dringt auf die Berücksichtigung der Erziehungsleistungen aller Familienformen im Leistungsrecht der sozialen Sicherungssysteme. Dies gelte insbesondere für alleinerziehende Eltern ("Einelternfamilien"), bei denen es sich zu 88% um Frauen handele und die überdurchschnittlich stark von Armut bedroht seien. Für Alleinerziehende seien leistungsrechtliche Vergünstigungen im Zusammenhang mit der Kindererziehung derzeit unverzichtbar für den Zugang zum Gesundheitssystem und die Existenzsicherung im Alter. Sozialversicherungsrechtliche Beitragsermäßigungen je nach Kinderzahl seien dagegen kein geeignetes Mittel, um das Gleichbehandlungsgebot zu wahren und den Schutzauftrag zugunsten der Familien sowie das Sozialstaatsprinzip zu verwirklichen. Denn es bestehe die Gefahr, dass dann Leistungen stagnieren oder sogar reduziert würden, wovon überproportional Alleinerziehende und ihre Kinder betroffen wären. |
d) Nach Auffassung des Familienbundes der Katholiken und des Deutschen Familienverbandes wird die besondere Belastung der Familien durch Sozialversicherungsbeiträge nicht durch den Familienlastenausgleich kompensiert. Dies sei nicht systemimmanent, und Steuerzahlungen würden ganz überwiegend von den Familien selbst geleistet. Ein aussagekräftiges Bild der finanziellen Situation von Familien ergebe sich bei einem horizontalen Vergleich des verfügbaren Nettoeinkommens von Erwerbstätigenhaushalten in Abhängigkeit von der Kinderzahl nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben sowie unter Berücksichtigung des Kindergeldes. Hier zeige sich, dass das Kinderexistenzminimum durch Sozialversicherungsbeiträge "verbeitragt" werde und sich mit jedem weiteren Kind die Armutsgefährdung der Familie verschärfe. Eine Beitragsentlastung durch Kinderfreibeträge für jedes Kind, unabhängig von der Höhe des Einkommens der Eltern, wirke am stärksten, wo die größten Einkommensrisiken bestünden, also bei Familien mit geringen Einkommen, Mehrkindfamilien und Alleinerziehenden. Dies sei sozial gerecht und familienformneutral. Freibeträge könnten auch ohne wesentlichen Aufwand berücksichtigt werden.
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e) Der Verband kinderreicher Familien Deutschland hebt hervor, dass die aus der Bevölkerungsalterung für die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme resultierenden Probleme nur mit einer Erhöhung der Geburtenrate zu lösen seien. Im Übrigen benötige man "systeminterne" Reformen, die der doppelten Belastung insbesondere kinderreicher Familien durch finanzielle und "generative" Sozialbeiträge Rechnung trügen. Eine steuerfinanzierte "systemexterne" Lösung würde die verfassungsferne Situation zusätzlich verschärfen, weil Familien den größten Anteil an der Bevölkerung und an den Steuerzahlern hätten. Eine Freibetragslösung zur kinderzahlbezogenen Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge sei daher ein sinnvoller Ansatz. |
f) Der GKV-Spitzenverband sieht eine systeminterne Berücksichtigung des Kindererziehungsaufwands in den einzelnen Sozialversicherungszweigen kritisch. Zielgenauer wirke eine Entlastung über das Kindergeld. Dafür sprächen auch die fehlende Geschlossenheit der sozialen Sicherungssysteme und die Entlastung der Familie in gleicher Weise bei jedem Kind unabhängig von dem Versicherungsstatus der Eltern.
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g) Nach Auffassung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände eigne sich die Sozialversicherung nicht für die familienpolitische Umverteilung, weil nicht alle Bürgerinnen und Bürger darin einbezogen seien. Auch heute trügen sie dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Familie sowohl auf der Finanzierungs- als auch auf der Leistungsseite in vielfältiger Weise Rechnung. Darüber hinaus erhielten Familien in vielen weiteren Lebensbereichen Unterstützung.
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h) Nach Auffassung des Instituts der deutschen Wirtschaft sei ein Familienleistungsausgleich wegen des gesamtgesellschaftlichen Nutzens von Kindern aus ökonomischer Sicht begründet, aber eine konkrete Bezifferung der Höhe dieses sozialen Nutzens und eine Saldierung kinderbedingter Be- und Entlastungen von Familien schwierig. Die Abgrenzung der mit der Kindererziehung einhergehenden Kosten sei ebenso umstritten wie die Inanspruchnahme gesellschaftlich bereitgestellter Leistungen (zum Beispiel Bildung). Zudem sei die Bemessung positiver Nutzeneffekte, die der Gesellschaft aus der privaten Entscheidung zugunsten einer Familiengründung erwüchsen, praktisch nicht möglich. Mit Blick auf kinderbezogene Differenzierungen in den umlagefinanzierten Sozialversicherungssystemen gelte es zu beachten, dass darin jeweils nur ein Teil der Bevölkerung einbezogen sei und sich damit die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Bezug auf außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherungen abgesicherte Personen stelle. Daraus lasse sich die ökonomisch begründete Schlussfolgerung ableiten, dass Fragen nach der Bedeutung von Familien grundsätzlich an den bevölkerungsumfassenden, steuerfinanzierten Familienleistungsausgleich zu adressieren seien. |
2. Mehrere Stellungnahmen äußern sich zur sozialen Pflegeversicherung.
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a) Nach Auffassung der Bundesregierung ist sowohl die Richtervorlage als auch die ebenfalls die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung betreffende Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/16 unzulässig, zumindest aber unbegründet.
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aa) Das Sozialgericht habe die Entscheidungserheblichkeit der zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellten Normen nicht in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 2 BVerfGG entsprechenden Weise dargelegt. Es fehle an einer nachvollziehbaren Darlegung, wie die Entscheidung des Sozialgerichts im Fall der Verfassungswidrigkeit des § 55 SGB XI ausfiele. Soweit das Sozialgericht das Fehlen einer Beitragsminderung für Eltern von vier und mehr Kindern für verfassungswidrig halte, fehle es bereits an einer Begründung für die dem zugrundeliegende Einschätzung, der festgestellte Anteil kinderreicher Familien an der Gesamtzahl der Familien weise eine typisierungsschädliche Größe auf. Auch sei die als maßgeblich angesehene Gruppe der Eltern mit vier und mehr Kindern nicht identisch mit der Gruppe der Haushalte mit dieser Kinderzahl, zu der allein das Vorlagegericht statistische Daten ermittelt habe. Insgesamt setze sich die Vorlage nicht angemessen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander.
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bb) Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/16 genüge nicht den Begründungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Die Beschwerdeführerin setze sich nicht mit den vom Bundessozialgericht in der angegriffenen Entscheidung in Bezug genommenen Ausführungen des Bundesverfassungsge richts zum großen Spielraum auseinander, über den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung verfüge. |
cc) In der Sache hält die Bundesregierung die Beitragsregelungen für verfassungsgemäß. Eine weitere Differenzierung der Pflegeversicherungsbeiträge nach der Kinderzahl sei von Verfassungs wegen nicht geboten. Eine Pflicht zur Berücksichtigung des generativen Beitrags setze voraus, dass Eltern einen wesentlich größeren "Gesamtbeitrag" zur Finanzierung und Stabilisierung der Sozialversicherungssysteme erbrächten als Kinderlose. Der Gesamtbeitrag der Eltern setze sich aus generativem und monetärem Beitrag zusammen, während er bei Kinderlosen ausschließlich aus deren monetärem Beitrag bestehe. Dabei komme dem generativen Beitrag der Eltern eine geringere Bedeutung für die Finanzierung der Sozialversicherungssysteme zu, weil sich dieser erst Jahrzehnte später realisieren ließe und nicht feststehe, ob und zu welchem Anteil Kinder tatsächlich spätere Beitragszahler würden. Zudem sei das Gewicht des monetären Beitrags in der sozialen Pflegeversicherung angesichts der signifikanten Erhöhung des Beitragssatzes deutlich gestiegen. Der Gesetzgeber dürfe zudem berücksichtigen, dass der durchschnittliche monetäre Beitrag von Eltern hinter dem von Kinderlosen zurückbleibe. Da insbesondere die Erwerbstätigkeitsquote von Müttern und – damit zusammenhängend – auch deren Lebenserwerbseinkommen deutlich geringer als bei kinderlosen Frauen seien, entrichteten Mütter entsprechend weniger Sozialbeiträge. Da eine hohe Kinderzahl mit Einkommensverlusten korreliere, nehme der monetäre Beitrag bei Familien mit mehreren Kindern zudem deutlich ab.
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Sehr kinderreiche Familien (vier Kinder oder mehr), bei welchen der generative Beitrag den vermutlich geringeren monetären mehr als aufwiegen würde, könne der Gesetzgeber im Rahmen seiner Generalisierungs- und Typisierungsbefugnis aufgrund ihrer Seltenheit unberücksichtigt lassen. Auch durfte er den Erfassungsmehraufwand als so hoch einschätzen, dass er von einer weiteren, verhältnismäßig geringen Begünstigung eines kleinen Versichertenkreises – vermutlich weniger als 1,8% – absehen könne. |
Eine weitergehende Differenzierung sei nicht aufgrund einer mit zunehmender Kinderzahl sinkenden Belastbarkeit der Versicherungspflichtigen geboten. Die Sachlogik des Beitragsrechts sei – anders als das Einkommensteuerrecht mit seinen Freibeträgen – nicht an der individuellen Leistungsfähigkeit der Versicherten und damit der Herstellung von Belastungsgleichheit orientiert.
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Mit der Figur des "generativen Beitrags" habe das Bundesverfassungsgericht das ökonomische Konzept der Internalisierung negativer externer Effekte (hier in Form der für die noch nicht erwerbsfähige Generation aufgewandten Kosten) fruchtbar gemacht. Aus ökonomischer Sicht sei der Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung korrekt kalkuliert, wenn er alle Herstellungskosten umfasse. Übertragen auf die generationenübergreifend umlagefinanzierte Sozialversicherung sei es danach für eine korrekte Kalkulation der Kosten der Absicherung des versicherten Lebensrisikos sinnvoll, die Sozialversicherung mit Nachhaltigkeitskosten, hier also den Kosten der Kindererziehung, zu belasten. Kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung im erwerbsfähigen Alter sei aus der damals fehlenden Internalisierung von Kindererziehungskosten gleichheitswidrig ein systemspezifischer Vorteil erwachsen, weil sie – anders als Versicherte mit Kindern – diese Kosten nicht zu tragen hätten. Da nur zwischen kinderlosen Personen und Eltern der Unterschied in der "nachhaltigkeitskostenfreien" Beitragsbemessung bestehe, sei auch nur der Unterschied zwischen diesen Personen ausgleichspflichtig.
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Seit dem Pflegeversicherungsurteil im Jahr 2001 seien Leistungen des Familienlastenausgleichs vor allem in Bezug auf Einbußen bei Konsum und Vermögensbildung deutlich erweitert worden. Auch die soziale Pflegeversicherung gewähre Kinder erziehenden auf der Leistungsseite weitergehende Vorteile. Über die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2001 angesprochene beitragsfreie Familienversicherung (§ 25 SGB XI) hinaus seien insbesondere die Leistungen an Pflegeper sonen und an pflegebedürftige Versicherte in häuslicher Versorgung zu nennen. |
Schließlich sei das Fehlen einer Beitragsdifferenzierung nach der Kinderzahl nicht deshalb verfassungswidrig, weil bei der Einführung des Pflegevorsorgefonds der generative Beitrag von Eltern unberücksichtigt geblieben sei. Von der finanziellen Entlastung durch den Pflegevorsorgefonds in der Auszahlungsphase profitierten Versicherte mit mehreren Kindern ebenso wie alle anderen Beitragszahler. Mit der Annahme, dass Eltern und Kinderlose gleichermaßen zur Finanzierung des Fonds herangezogen würden, habe das Vorlagegericht die Finanzierungsgrundlagen und -mechanismen des Fonds missverstanden.
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Aus der gegenwärtigen Beitragsdifferenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen ergebe sich unabhängig davon, ob sie heute noch verfassungsrechtlich zwingend sei, keine Verpflichtung, die Geburt jedes weiteren Kindes ebenfalls beitragsmindernd zu berücksichtigen. Der Zuschlag ziele darauf, bei Kinderlosen das Verhältnis zwischen künftigen Leistungsansprüchen und gezahlten Beiträgen – die "Rendite" – weniger günstig zu gestalten, um so einen spezifischen Vorteil gegenüber Eltern, die zusätzlich mit dem "generativen Beitrag" der Kindererziehung belastet seien, auszugleichen. Dieser Sachlogik der Vorteilsabschöpfung bei Kinderlosen entspreche es nicht, dass Eltern mit weniger Kindern in der sozialen Pflegeversicherung eine geringere "Rendite" haben sollten als Eltern mit mehr Kindern.
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Zwar spreche der Schutzauftrag aus Art. 6 Abs. 1 GG für eine Berücksichtigung jedes Kindes. Die beitragsrechtliche Ungleichbehandlung der ersten Geburt und aller weiteren Geburten sei aber gerechtfertigt. So habe eine Beitragssatzerhöhung, derer es zur Gegenfinanzierung der Einnahmeausfälle durch eine zusätzliche Entlastung von Eltern mit mehreren Kindern bedürfe, negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt oder die Beitragsparität. Mit Rücksicht hierauf dürfe der Gesetzgeber von einer weiteren Beitragsdifferenzierung absehen, ebenso mit Blick auf den damit verbundenen beträchtlichen Verwaltungsmehraufwand für Pflegekassen und Arbeitgeber, der außer Verhältnis zu dem erzielba ren Entlastungseffekt stehe. Bei Beibehaltung der Beitragsparität würden verschiedene Arbeitgeber je nach der Kinderzahl ihrer Mitarbeiter unterschiedlich be- oder entlastet. |
b) Nach Auffassung des Bevollmächtigten der Bundesregierung für Pflege habe sich der Gesetzgeber mit der Einführung eines Beitragszuschlags für Kinderlose innerhalb des ihm bei der Herstellung des verfassungsrechtlich gebotenen Beitragsabstands zwischen kindererziehenden und kinderlosen Versicherten zukommenden Gestaltungsspielraums bewegt. Das von ihm gewählte Zuschlagssystem sei nicht zuletzt aus Gründen der Kalkulationssicherheit hinsichtlich der zukünftigen voraussichtlichen Einnahmen der sozialen Pflegeversicherung unabdingbar. Eine nach der Kinderzahl gestaffelte Beitragsermäßigung wäre demgegenüber in der Kalkulation komplexer und zudem im Vollzug insbesondere durch Pflegekassen, Arbeitgeber und Versicherte deutlich aufwändiger. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Typisierung sei daher sachgerecht und unter Berücksichtigung auch der beitragsfreien Mitversicherung von Kindern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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c) Nach Auffassung des Deutschen Gewerkschaftsbundes stehe das auch die soziale Pflegeversicherung beherrschende Solidarprinzip selektiven Ausnahmen zugunsten einzelner Interessen- und Personengruppen diametral entgegen. Schon jetzt berücksichtige der Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums und unter Beachtung der Möglichkeiten des Sozialversicherungssystems den generativen Beitrag kindererziehender Versicherter auf Beitrags- und Leistungsseite hinlänglich durch beachtliche Entlastungseffekte.
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d) Der Deutsche Juristinnenbund hält eine nach der Kinderzahl differenzierte Beitragsbemessung nicht für verfassungsrechtlich geboten. Der Familienlastenausgleich habe sich seit 2001 deutlich verbessert. Eine Berücksichtigung der spezifisch von Eltern erbrachten Betreuungs- und Erziehungsleistung nach der Anzahl der Kinder sei zudem als Typisierung sachlich nicht begründbar, wenn sie ohne Rücksicht auf eine tatsächlich geleistete Betreuung und Erziehung allein an die Kinderzahl anknüpfe.
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Eine zusätzliche Beitragsentlastung in Abhängigkeit von der Kinderzahl verstärkte zudem unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG eine Benachteiligung von Müttern gegenüber Vätern, wie sie bereits nach geltendem Recht bestehe. Schon jetzt würden Mütter im Vergleich zu Vätern bedingt durch geschlechtsbezogene Einkommensdifferenzen und die Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit regelmäßig in geringerem Umfang entlastet. Eine Beitragsermäßigung nach der Anzahl der Kinder ließe die reale Beitragsentlastung von Frauen mit Kindern demzufolge noch geringer ausfallen und verstärkte die ungleiche Entlastung von Frauen im Vergleich zu Männern. |
e) Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hält das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung für verfassungskonform. Mit dem Beitragszuschlag für Kinderlose würdige der Gesetzgeber auch die Erziehungsleistung Alleinerziehender. Von einer Beitragsdifferenzierung nach der Kinderzahl habe er typisierend aufgrund des geringen Anteils der Familien mit drei und mehr Kindern absehen dürfen. Zudem würde eine Höherbelastung nicht kinderreicher Familien dazu führen, dass auch Geringverdiener und Alleinerziehende mit weniger Kindern entgegen dem Sozialstaatsprinzip stärker belastet würden. Kinderfreibeträge bei der Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen kämen in erster Linie gut verdienenden Paarfamilien zugute, während Einelternfamilien mit mehreren Kindern und geringem Einkommen von einer Freibetragsregelung kaum oder jedenfalls weniger profitierten. Damit würde die steuerrechtliche Benachteiligung Alleinerziehender und Unverheirateter im Sozialversicherungsrecht fortgeschrieben.
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Im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation von Familien und die finanziellen Nachteile, die Eltern wegen der Pflege und Erziehung ihrer Kinder gegenüber Kinderlosen entstünden, gelte es zu berücksichtigen, dass die dadurch im Einzelfall entstehende Belastung nicht allein von der Kinderzahl abhänge, sondern ebenso von der Familienform und der Höhe des Familieneinkommens. Besserverdiener könnten zusätzliche Ausgaben durch ein (weiteres) Kind leichter kompensieren als geringverdienende Eltern oder die – ganz überwiegend weiblichen – Alleinerziehenden, was sich auch in einem erhöhten Armutsrisiko widerspiegele. |
f) Nach Einschätzung des Deutschen Caritasverbandes ist die gegenwärtige, nur zwischen kinderlosen Versicherten und Versicherten mit Kindern unterscheidende beitragsrechtliche Typisierung unzureichend. Der Gesetzgeber habe zu berücksichtigen, dass sich der in der Kinderbetreuung und -erziehung liegende generative Beitrag zum Erhalt der Funktionsfähigkeit des umlagefinanzierten Pflegeversicherungssystems mit der Zahl der Kinder erhöhe. Versicherten ohne Kinder erwachse hieraus dementsprechend ein mehrfacher Vorteil. Der Gesetzgeber könne sich dafür entscheiden, jedes einzelne Kind zu berücksichtigen, dürfe aber auch typisierend zum Beispiel zwischen Familien mit ein und zwei Kindern und kinderreichen Familien (ab drei oder vier Kindern) unterscheiden.
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g) Der Familienbund der Katholiken und der Deutsche Familienverband vertreten in ihren gemeinsamen Stellungnahmen die Auffassung, der Beitragszuschlag für Kinderlose beseitige den vom Bundesverfassungsgericht im Pflegeversicherungsurteil festgestellten Verfassungsverstoß nicht, sondern führe im Gegenteil zu weiteren Verfassungsverstößen. Die Gleichbehandlung aller Familien unabhängig von der Kinderzahl und dem konkret erbrachten generativen Beitrag behandele erneut wesentlich Ungleiches willkürlich gleich und verstoße damit gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Dass Eltern vom Beitragszuschlag für Kinderlose auch dann noch befreit seien, wenn sie ihren Kindern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, stelle eine verfassungswidrige willkürliche Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem dar, weil Eltern ohne Unterhaltspflicht im ökonomischen Sinne kinderlos und daher anderen Kinderlosen gleichzustellen seien. Schließlich sei die Höhe des Beitragszuschlags von 0,25 Beitragssatzpunkten willkürlich und offensichtlich zu niedrig. Verfassungswidrig sei, dass der generative Beitrag von Eltern bei den Beitragssatzerhöhungen in den letzten Jahren unberücksichtigt geblieben sei. Insbesondere verstoße die Finanzierung des aufgrund des demografischen Wandels eingerichteten Pflegevor sorgefonds gegen die Verfassung. Denn Eltern würden dazu in gleicher Weise wie alle anderen herangezogen, obwohl sie bereits durch Pflege und Erziehung ihrer Kinder einen essentiellen Beitrag zur Abfederung des demografischen Wandels leisteten. Seit dem Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts hätten sich familienbezogene Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nicht so grundlegend verbessert, dass sie die Nachteile der Erziehenden aufwögen. |
h) Nach Auffassung des Deutschen Sozialgerichtstags bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der entsprechend der Kinderzahl größere generative Beitrag von Mehrkindfamilien im geltenden Beitragsrecht keine Berücksichtigung finde. Der Anteil dieser Familien an den zukünftigen Beitragszahlern sei überdurchschnittlich groß, so dass nicht allein die bloße zahlenmäßige Verteilung von Mehrkindfamilien Gradmesser für eine gesetzgeberische Typisierung sein könne. Geboten sei eine relative Beitragsentlastung der Familien entsprechend der Kinderzahl, die auch (noch) höhere Beiträge für Kinderlose zur Folge haben könnte. Zugleich wäre im Interesse einer Stabilisierung der Beitragssätze die lebenslange Beitragsprivilegierung von Eltern, die nicht zu rechtfertigen sei, auf die Phase der Kindererziehung, das heißt auf die Lebensphase zu begrenzen, in der der generative Beitrag erbracht werde. Hierdurch würden auch etwaige Beitragsausfälle minimiert.
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i) Der Verband kinderreicher Familien Deutschland hält eine nach der Kinderzahl differenzierende Beitragsentlastung von Eltern für verfassungsrechtlich geboten. Wer mehr Kinder habe, leiste einen entsprechend höheren generativen Beitrag zum Fortbestand der sozialen Pflegeversicherung und damit auch zur Absicherung von Versicherten mit weniger Kindern. Die geltende Regelung sei auch keine zulässige gesetzgeberische Typisierung, weil sie nicht an den vermeintlich abgebildeten Sachverhalten orientiert sei, sondern das je unterschiedliche Maß generativer Beiträge von Eltern bewusst übergehe und damit den gebotenen Wirklichkeitsbezug vermissen lasse. Überdies fehle es an einem rechtfertigenden Grund für eine derart starke Vereinfachung. Die Kinderzahl der Versicherten ließe sich regelungs- wie verwaltungstechnisch ausgesprochen leicht berücksichtigen, schon weil sie bereits für Zwecke der Kindergeldberechnung ermittelt worden sei. Der Beitragszuschlag für Kinderlose stelle keine Umsetzung des Pflegeversicherungsurteils dar, weil er zu gering und außerdem ungerecht sei, weil Kinderlose ihn im Falle späterer Elternschaft nicht erstattet bekämen. |
j) Die Erzdiözese Freiburg als im Ausgangsverfahren des Vorlageverfahrens 1 BvL 3/18 beigeladene Arbeitgeberin der Kläger des Ausgangsverfahrens hält die geltende Ausgestaltung der Pflegeversicherungsbeiträge für verfassungswidrig. Der pauschale Beitragszuschlag für Kinderlose verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG, weil die jeweilige Kinderzahl unberücksichtigt bleibe und damit unabhängig vom jeweils geleisteten generativen Beitrag wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt werde. Die Begründung entspricht im Wesentlichen derjenigen des Sozialgerichts im Vorlagebeschluss.
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k) Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hält die Entscheidung des Gesetzgebers, das Pflegeversicherungsurteil durch einen Beitragszuschlag für Kinderlose umzusetzen, für verfassungsrechtlich bedenklich. Die relative Entlastung Kindererziehender sei unabhängig von der Kinderzahl, abhängig vom Einkommen der Versicherten und ihrem Alter bei der Geburt des Kindes und – entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – nicht auf die Zeit der Erziehung und Betreuung begrenzt.
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l) Nach Auffassung der Kläger des Ausgangsverfahrens im Vorlageverfahren 1 BvL 3/18 verstoßen die angegriffenen Beitragsregelungen gegen das – von ihnen so genannte – Recht von Eltern auf intragenerationelle Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Entgegen der in dem Vorlagebeschluss des Sozialgerichts vertretenen Auffassung gelte dies freilich nicht nur für kinderreiche Eltern, sondern bereits ab dem ersten Kind. Darüber hinaus verletze die Finanzierung des Pflegevorsorgefonds aus Beitragsmitteln Versicherte im Allgemeinen und Eltern im Besonderen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, was durch das Bundesverfassungsgericht entsprechend festzustellen sei. |
3. Die Stellungnahmen befassen sich auch mit dem Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung.
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a) Nach Auffassung der Bundesregierung besteht keine Notwendigkeit, die in der sozialen Pflegeversicherung erforderliche beitragsrechtliche Differenzierung zwischen kindererziehenden und kinderlosen Pflichtbeitragszahlern auf die gesetzliche Rentenversicherung zu übertragen. Das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts entfalte insoweit keine Bindungswirkung für den Gesetzgeber.
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aa) Angesichts der anteiligen Finanzierung aus Steuermitteln – der Bundeszuschuss (vgl. § 213 SGB VI) liege seit etwa dem Jahr 2000 bei rund 30% der Gesamteinnahmen – bestünden Zweifel daran, ob es sich bei der Rentenversicherung um ein auf einem Umlageverfahren beruhendes, beitragsfinanziertes Sozialversicherungssystem handele. Angesichts des hohen Steuerfinanzierungsgrades komme dem generativen Beitrag ein geringeres Gewicht zu. In dem Maße, in dem die Sozialversicherungssysteme steuerfinanziert würden, seien die Systeme nicht auf das Nachwachsen von Beitrags-, sondern von Steuerzahlern und damit eine Stabilisierung von außerhalb des Systems angewiesen. Daher könne auch die Erziehungsleistung der Eltern für ihre Kinder als künftige Steuerzahler nicht nur innerhalb der Sozialversicherungssysteme, sondern auch außerhalb, insbesondere im Steuerrecht durch Familienlasten- und -leistungsausgleich – zugleich in Erfüllung des Fördergebots des Art. 6 Abs. 1 GG – ausgeglichen werden. Jedenfalls liege dies im weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
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bb) Zudem weise die Rentenversicherung nicht die notwendige Mindestgeschlossenheit auf. Dabei sei maßgeblich, ob die Kinder der heutigen Beitragszahler die Beitragszahler von morgen (und nicht: lediglich Versicherte von morgen) sein würden, weil nur im Falle späterer Beitragsleistung ein Vorteil Kinderloser in Betracht zu ziehen sei. Verfassungsgerichtlich ungeklärt seien der für eine Mindestgeschlossenheit notwendige Anteil der Kinder, die in Zu kunft Beitragszahlerinnen und -zahler sein müssten. In der gesetzlichen Rentenversicherung betrage der Anteil der Beitragszahlerinnen und -zahler an der Gesamtbevölkerung lediglich ca. 43,2% (gegenüber 87% in der sozialen Pflegeversicherung). Wie sich der Beitragszahlerbestand in Zukunft entwickele, sei nicht zu prognostizieren. |
cc) Eine Vergleichsbetrachtung von Rentenversicherten mit Kindern und Kinderlosen ausschließlich anhand der jeweiligen Beitragsbelastung greife zu kurz. Die Umlagefinanzierung unterscheide sich gesamtwirtschaftlich kaum von anderen, insbesondere kapitalgedeckten Alterssicherungssystemen, die ebenfalls auf nachwachsende Generationen angewiesen seien. Letztlich könne aller Sozialaufwand nur aus dem laufenden Bruttosozialprodukt erwirtschaftet werden. Die Notwendigkeit eines Kinderlastenausgleichs sei deshalb ein gesamtgesellschaftliches Problem, das einer übergreifenden Betrachtung über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus bedürfe. Die Frage, ob der generative Beitrag zum Bestand der Rentenversicherung ausreichend berücksichtigt werde, sei daher nur unter Einbeziehung sämtlicher familien- und kinderbezogener staatlicher Leistungen, etwa in der schulischen und beruflichen Bildung, zu beantworten.
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dd) Aber auch bereits bei systemimmanenter Betrachtung sei das Absehen des Gesetzgebers von einer kinderbedingten Beitragsdifferenzierung sachlich gerechtfertigt. Denn aufgrund der Sicherungsziele und der besonderen Struktur der gesetzlichen Rentenversicherung könne die Kindererziehung bestmöglich auf der Leistungsseite berücksichtigt werden, auf der sie auch tatsächlich Berücksichtigung finde. Die Bemessung der Rentenversicherungsleistungen knüpfe vielfach an Umstände an, die auf Kindererziehende ausgerichtet seien. Eltern seien ausreichend bereits durch beitragsfreie Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten entlastet. Der Wert der kinderbezogenen Vorteile von Eltern in der gesetzlichen Rentenversicherung mache mindestens 17 Mrd. Euro aus. Mit diesen Leistungen sei dem Gebot der Vorteilsgerechtigkeit jedenfalls genügt. Dies gelte auch in Ansehung der teilweisen Finanzierung aus Steuermitteln.
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ee) Die Zuerkennung kindererziehungsbedingter Leistungsansprüche gehe mit einer entsprechenden Beitragsentlastung der Erziehenden bereits während ihrer Erwerbsphase einher. Rentenrechtliche Kindererziehungszeiten stellten eine "Art beitragsfreie Elternmitversicherung" dar, weil Eltern durch die Kindererziehung Rentenansprüche erwürben, ohne monetäre Beiträge zu leisten. Der Gesetzgeber stelle so den generativen Beitrag der Versicherten mit Kindern wertmäßig dem monetären Beitrag kinderloser Durchschnittsverdiener gleich. Schon die bestehenden Regelungen zu den Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten führten zu einer nach der Kinderzahl gestaffelten beitragsmäßigen Entlastung der Erziehungspersonen in der Erwerbsphase. Die Beschränkung der beitragsfreien Kindererziehungszeiten auf drei Jahre halte sich im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums. |
ff) Eine darüber hinausgehende Beitragssatzsenkung für Kindererziehende sei bedenklich, weil hiervon trotz gleicher Wertigkeit der Kindererziehung einkommensstarke Personen stärker profitierten als Personen mit geringem Einkommen. Außerdem käme eine Beitragssatzermäßigung aufgrund des geringeren Lebenserwerbseinkommens von Frauen vorwiegend Männern zugute. Dies führe zu einem Konflikt mit Art. 3 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG und widerspreche der Lebenswirklichkeit, in der der generative Beitrag von Müttern tatsächlich höher sei. Eltern, die Lohnersatzleistungen erhielten und deshalb keine eigenen Beiträge entrichteten, würden von einer Beitragssatzsenkung gar nicht profitieren. Auch Kinderfreibeträge führten zu keiner gerechten Lösung, weil Erziehungspersonen ohne Einkommen oder mit einem Einkommen unterhalb der Freibeträge nicht oder nur unterdurchschnittlich entlastet würden, obwohl gerade sie eine zusätzliche finanzielle Unterstützung am stärksten benötigten. Zudem würden nicht sozialversicherungspflichtige Eltern nicht erfasst, obwohl auch ihre Kinder potentielle Beitragszahler seien. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung einer Beitragsentlastung müsste zum Ausgleich entstehender Einnahmenausfälle der Beitragssatz angehoben werden, wovon Erziehende ebenfalls betrof fen wären, was wiederum den angestrebten Entlastungs- effekt dämpfen würde. Eine Beitragsentlastung habe darüber hinaus zahlreiche weitere problematische Effekte. |
b) Nach Auffassung der Deutschen Rentenversicherung Bund begegnet die beitragsrechtliche Gleichbehandlung der Rentenversicherten mit und ohne Kinder keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die einheitliche Beitragserhebung ohne Rücksicht auf einen etwaigen Betreuungs- und Erziehungsaufwand für Kinder sei auch, was im Einzelnen ausgeführt wird, durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt und entspreche den strukturellen Besonderheiten und gewachsenen Prinzipien der gesetzlichen Rentenversicherung.
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Der gesetzlichen Rentenversicherung fehle es an der Mindestgeschlossenheit, insbesondere unter Außerachtlassung der "passiv Versicherten" und unter Berücksichtigung des Umstands, dass zu den "aktiv Versicherten" zahlreiche Personen gehörten, die keine oder nur ganz geringfügig Beiträge zahlten. Diese Querschnittsbetrachtung sei einer Längsschnittbetrachtung, also unter Einschluss der "passiv Versicherten", vorzuziehen und entspreche dem Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts im Pflegeversicherungsurteil. Auch das vom Bundesverfassungsgericht für die soziale Pflegeversicherung hervorgehobene Merkmal der Absicherung eines Altersrisikos treffe nur eingeschränkt auf die gesetzliche Rentenversicherung zu. Denn neben der Einkommenssicherung im Alter umfasse ihr Spektrum noch andere Leistungen, die nicht auf das Alter nach Abschluss des Erwerbslebens bezogen seien und vielfach Angehörigen der aktuell erwerbstätigen Generation zugutekämen. Dies betreffe etwa Leistungen – Renten oder Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe – bei verminderter Erwerbsfähigkeit sowie zur Hinterbliebenenversorgung. Zudem sei in der gesetzlichen Rentenversicherung – im Gegensatz zur sozialen Pflegeversicherung – ein Ausgleich kindererziehungsbedingter Nachteile auf der Leistungsseite möglich und finde auch tatsächlich in hinreichendem Maße statt, insbesondere durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten.
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c) Der Sozialbeirat hält eine Beitragsdifferenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen in der gesetzlichen Rentenversicherung weder für geboten noch für sinnvoll. Die indirekte Beitragsentlastung von Eltern durch erziehungsspezifische Leistungen erfolge zu einem großen Teil aus Steuermitteln. Die beitragsmindernde Berücksichtigung der Kindererziehung hätte den Nachteil geringerer Rentenanwartschaften zur Folge. Einnahmeausfälle müssten durch kinderlose Beitragszahler kompensiert werden, obwohl es sich beim Familienlastenausgleich grundsätzlich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele. |
d) Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Die Erwägungen decken sich im Wesentlichen mit jenen der Bundesregierung und des Sozialbeirats.
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e) Der Deutsche Juristinnenbund hält eine Differenzierung der Rentenversicherungsbeiträge danach, ob Kinder erzogen werden, im Anschluss an die Erwägungen des Bundessozialgerichts nicht für verfassungsrechtlich geboten. Eine Beitragsentlastung für Eltern unabhängig davon, wer die Kinder tatsächlich betreue, würde überdies Mütter, die erwerbsbedingt keine oder nur geringere Beiträge zahlten, gegenüber Vätern benachteiligen. Dem kindererziehungsbedingten Aufwand könne gleichstellungsgerecht nur durch Entlastungen beziehungsweise Leistungen Rechnung getragen werden, die den Personen zugutekämen, die die Erziehungsleistung erbrächten. Die Kindererziehungszeiten auf der Leistungsseite entsprächen diesen Anforderungen.
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f) Auch nach Einschätzung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist die im geltenden Recht vorgesehene Anerkennung rentenanwartschaftsbegründender Kindererziehungszeiten einer Differenzierung der Beitragshöhe vorzuziehen.
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g) Der Familienbund der Katholiken und der Deutsche Familienverband halten in ihren gemeinsamen Stellungnahmen die Verfassungsbeschwerden für begründet. Die Grundsätze des Pflegeversicherungsurteils seien auf die gesetzliche Rentenversicherung übertragbar, die in der insoweit maßgeblichen, lebensphasenübergreifenden Längsschnittperspektive – also unter Einschluss der "passiv Versicherten" – die nötige Mindestgeschlossenheit aufweise. Der Verfassungsverstoß werde insbesondere nicht durch die rentenerhöhenden Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten beseitigt, weil sie Eltern nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, während der Zeit der Betreuung und Erziehung entlasteten. Auch die verschiedentlich vorgenommene Hochrechnung künftiger Rentenleistungen in Beitragsentlastungen helfe den überlasteten Familien nicht in der aktiven Familienphase, obwohl sie gerade in dieser Phase wegen der Erziehung der Kinder auf Konsum und Vermögensbildung verzichteten. Nehme man den generativen Beitrag als Beitrag ernst, sei es zwingend, dass er sich sowohl auf die Beitrags- als auch auf die Rentenhöhe auswirke. Hierdurch würde die Benachteiligung Kindererziehender in jeweils unterschiedlichen Lebensphasen kompensiert. Die derzeitigen Instrumente reichten bei weitem nicht aus, die Nachteile von Eltern auszugleichen. |
h) Der Verband kinderreicher Familien Deutschland hält die Verfassungsbeschwerden für begründet. Die Familien- und Erziehungsarbeit kinderreicher Eltern werde zu wenig berücksichtigt. Obwohl sie durch die Beitragszahlungen der von ihnen erzogenen Kinder besonders viel zur Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung beitrügen, erwürben sie infolge ihrer meist eingeschränkten Erwerbstätigkeit geringere Rentenansprüche als kinderlose Versicherte.
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i) Dieser Auffassung ist auch die Erzdiözese Freiburg als im Ausgangsverfahren des Verfahrens 1 BvR 2824/17 beigeladene Arbeitgeberin des Beschwerdeführers. Im Unterschied zu Versicherten mit Kindern erfüllten Kinderlose in dem auf einem "Dreigenerationenvertrag" beruhenden System der gesetzlichen Rentenversicherung durch ihre Beitragszahlungen nur die eine Hälfte des Generationenvertrages, während sie die andere Hälfte – die mit Einschränkungen bei Konsum und Vermögensbildung verbundene Kindererziehung – nicht erfüllten.
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j) Der Deutsche Caritasverband hält die Anerkennung von Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten dem Grunde nach für einen geeigneten Ausgleich, der derzeit allerdings noch unzu reichend sei. Die Altersrenten von Frauen seien noch immer nur etwa halb so hoch wie die von Männern. |
k) Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter hält eine Beitragsermäßigung für Eltern in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht für verfassungsrechtlich geboten. Die gesetzliche Rentenversicherung mindere auch Risiken von Erwerbsminderung und Tod, was im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung über Waisen- und Witwenrenten insbesondere Familien mit Kindern bereits vor dem Renteneintritt zugutekomme. Ferner minderten Vergünstigungen auf der Leistungsseite, namentlich Kindererziehungs- und -berücksichtigungszeiten, familienbezogene Nachteile. Soweit aber die Beschwerdeführer diesen Ausgleich als unzureichend ansähen, bestehe in der Tat Reformbedarf.
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4. Die Stellungnahmen führen auch zu den Beitragsregelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung aus.
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a) Nach Ansicht der Bundesregierung verstoßen diese nicht gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG. Es sei – nicht anders als bei der gesetzlichen Rentenversicherung – bereits im Ansatz zweifelhaft, ob in der gesetzlichen Krankenversicherung angesichts deren umfänglicher Steuerfinanzierung die im Pflegeversicherungsurteil entwickelten Voraussetzungen für die Berücksichtigung des generativen Beitrags vorlägen. Die gesetzliche Krankenversicherung decke zudem nicht – wie im Pflegeversicherungsurteil gefordert – ein regelmäßig erst in der Älterengeneration auftretendes Lebensrisiko ab. Das Krankheitsrisiko, das die Krankenversicherung lebenslang in Form einer "Schadensversicherung" abdecke, könne in jedem Alter auftreten. Es seien nicht die Pro-Kopf-Ausgaben für die Versicherten, sondern die auf die einzelnen Generationen entfallenden Anteile an den Leistungsausgaben in den Blick zu nehmen. Danach entstünden die Leistungsausgaben nicht überproportional in der Generation der Älteren.
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Im Beitragssystem der Krankenversicherung seien die generativen und monetären Beiträge von Eltern und Kinderlosen zudem insgesamt ausgewogen. Es müssten drei Phasen unterschieden werden: Aufgrund der beitragsfreien Familienversicherung trü gen Kinderlose während der Erziehungsphase der Versicherten mit Kindern erheblich stärker zur Finanzierung bei. In der zweiten Phase, in der die inzwischen erwachsenen Kinder selbst Beitragszahler seien, entrichteten Kinderlose weiterhin den vollen Beitrag. Vorteile für Kinderlose könnten sich erst in der dritten Phase ergeben, in welcher Kinderlose im Rentenalter seien und die Kinder der Elterngeneration auch für deren Versicherungsfälle aufkämen. Diese Vorteile seien jedoch gering, weil auch die Älterengeneration weiterhin Beiträge entrichte, mit welchen sie die durch ihre Generation verursachten Leistungsausgaben zu etwa 46% abdecke. Auch gleiche die stärkere Heranziehung der Kinderlosen in der ersten Phase zur Finanzierung der Familienversicherung deren leichte Vorteile in der dritten Phase aus. Der verbleibende Teil sei zum Teil steuerfinanziert. |
Im Falle der Berücksichtigungsbedürftigkeit des generativen Beitrags habe der Gesetzgeber jedenfalls seinen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum dahingehend ausgeübt, den Unterhalts- und Betreuungsaufwand von Eltern nicht über einen nach der Kinderzahl gestaffelten Beitrag, sondern insbesondere im Rahmen der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder (§ 10 SGB V) zu berücksichtigen. Daneben träten weitere beitragsseitige familien- beziehungsweise kinderbedingte Vorteile oder Entlastungen. Durch die beitragsfreie Mitversicherung würden Eltern schon in der Erwerbsphase in erheblichem Umfang von Unterhaltsaufwand entlastet. Die beitragsfreie Familienmitversicherung habe in der Krankenversicherung einen vielfach höheren Wert als in der Pflegeversicherung. Die Entlastung erstrecke sich hierbei über den gesamten Zeitraum der Erziehung und Pflege sowie zum Teil darüber hinaus. Da die Beitragsbefreiung für jedes Kind gelte, werde auch – hier nicht verfahrensgegenständlich – nach der Anzahl der Kinder differenziert.
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b) Der Deutsche Gewerkschaftsbund hält mit Blick auf die beitragsfreie Familienversicherung, die Versicherte mit Kindern mit Rücksicht auf ihren generativen Beitrag entlaste, einen Verfassungsverstoß durch die für alle Versicherten einheitlichen Krankenversicherungsbeiträge nicht für gegeben.
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c) Der Deutsche Juristinnenbund hält eine kinderzahlabhängige Differenzierung der Krankenversicherungsbeiträge nicht für verfassungsrechtlich geboten. Der Aufwand für die Betreuung und die Erziehung von Kindern werde in der Erwerbsphase durch familienfördernde Elemente in der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen. Nicht anders als in der sozialen Pflegeversicherung lasse sich eine Beitragsentlastung allein nach der Anzahl der Kinder ohne einen Bezug zur tatsächlichen Betreuungs- und Erziehungsleistung sachlich nicht begründen. |
d) Nach Einschätzung des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter diene die gesetzliche Krankenversicherung der Absicherung eines unabhängig vom Lebensalter bereits im Zeitpunkt der Beitragszahlung bestehenden Risikos. Die besonderen Belastungen, die sich für Eltern aufgrund der Erziehung ihrer Kinder ergäben, fänden durch die beitragsfreie Mitversicherung sowie Zuzahlungsbefreiungen für Kinder ausreichende Berücksichtigung.
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e) Der Familienbund der Katholiken und der Deutsche Familienverband vertreten in ihrer gemeinsamen Stellungnahme die Auffassung, in der gesetzlichen Krankenversicherung sei eine Beitragsentlastung Erziehender während der aktiven Familienphase gemäß der Kinderzahl verfassungsrechtlich geboten. Die Argumentation entspricht im Wesentlichen derjenigen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers im Verfahren 1 BvR 2257/16.
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f) Der Verband kinderreicher Familien Deutschland meint, durch die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern erwachse Familien gegenüber kinderlosen Versicherten kein Vorteil, weil die beitragsfreie Familienversicherung allen Kindern und mithin auch jenen zugutekomme, die später kinderlos blieben. Der vom Bundessozialgericht angestellte Vergleich der Ausgabenvolumina zugunsten der unter 65-jährigen Versicherten einerseits und der ab 65-jährigen Versicherten andererseits sei wegen der unterschiedlichen Gruppengrößen nicht aussagekräftig. Entscheidend seien die Pro-Kopf-Ausgaben. Die altersbedingt höheren Leis tungsausgaben seien durch die Beitragszahlungen der Älteren bei weitem nicht gedeckt. |
g) Die Erzdiözese Freiburg, die im Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 beigeladene Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers, meint, der auch in der gesetzlichen Krankenversicherung erforderliche systemimmanente Ausgleich könne nur auf der Beitragsseite erfolgen. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung würden bedarfsorientiert nach Maßgabe des Wirtschaftlichkeitsgebotes erbracht. Zusätzliche oder höhere Leistungen für kindererziehende Versicherte wären damit nicht vereinbar. Außerdem würden Kindererziehende solche höheren Leistungen über ihre Beiträge oder als Steuerzahler bei einem höheren Bundeszuschuss mitfinanzieren. Ein Ausgleich auf Leistungsseite bedeute schließlich auch keinen Transfer gerade von kinderlosen zu kindererziehenden Versicherten.
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B. |
Die Normenkontrollvorlage des Sozialgerichts ist zulässig (I). Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/17 ist insgesamt (II), die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 1 BvR 2257/16 (III) und 1 BvR 2824/17 (IV) sind teilweise zulässig.
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I. |
Die der Präzisierung, Begrenzung und zeitlichen Erstreckung bedürftige (1) Vorlage des Sozialgerichts ist zulässig (2).
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1. Um der Befriedungsfunktion der Normenkontrolle gerecht zu werden, kann das Bundesverfassungsgericht die Vorlagefrage präzisieren sowie diese begrenzen (vgl. BVerfGE 121, 241 [253]; 145, 106 [140 f. Rn. 95]). Darüber hinaus ist es befugt, die verfassungsgerichtliche Überprüfung zeitlich nach hinten auf die frühere Rechtslage oder nach vorne auf die bis zum Ergehen der Entscheidung über den Vorlagebeschluss geltende zu erstrecken, sofern ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Klärung auch der Verfassungsgemäßheit der zeitlich vor oder nach der im Aus gangsverfahren maßgeblichen Rechtslage besteht (vgl. BVerfGE 139, 285 [298 f. Rn. 41]). |
Gemessen hieran bedarf die Vorlage der Präzisierung, Begrenzung und zeitlichen Erstreckung. Ausweislich des Tenors des Vorlagebeschlusses hat das Sozialgericht die §§ 54, 55, 57, 131 bis 136 SGB XI zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt, soweit danach "Eltern von mehreren Kindern" in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden wie "Versicherte mit nur einem Kind". Dies ist im Lichte der Vorlagebegründung zunächst präzisierend dahingehend auszulegen, dass auf beitragspflichtige Versicherte mit einer unterschiedlichen Anzahl von Kindern abzustellen ist.
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Gegenstand der Vorlage sind § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, nicht hingegen die vom Sozialgericht vorgelegten Bestimmungen in ihrer Gesamtheit oder die den Pflegevorsorgefonds betreffenden Regelungen (§§ 131 bis 136 SGB XI). Letztere hat das Vorlagegericht lediglich argumentativ zur Begründung der angenommenen Verfassungswidrigkeit des allein vorgelegten Beitragsrechts herangezogen. Auch eine Verfassungswidrigkeit der vom Tenor des Vorlagebeschlusses nominell erfassten Regelungen in § 55 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 3 bis 7, Abs. 3a, Abs. 4 und Abs. 5 SGB XI hat das Vorlagegericht als solche nicht geltend gemacht. Insoweit bedarf es auch keiner Erweiterung des Vorlagebeschlusses, weil die auf den Beitragszuschlag für Kinderlose bezogenen verfahrensrechtlichen Bestimmungen im Falle ihrer Verfassungswidrigkeit ohne Weiteres gegenstandslos würden (vgl. BVerfGE 108, 1 [33 f.]). Insoweit ist der Tenor des Vorlagebeschlusses auf die nach Maßgabe der Vorlagebegründung vom Sozialgericht tatsächlich als entscheidungserheblich erachteten Normen zu begrenzen.
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In zeitlicher Hinsicht stellt sich die Vorlagefrage erst für den im Ausgangsverfahren streitigen Zeitraum ab dem 1. Januar 2015, weil das Sozialgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit ab der zu diesem Zeitpunkt wirkenden, die Einrichtung des Pflegevorsorgefonds begleitenden Beitragssatzerhöhung hat gewinnen können. Die Erhöhung des allgemeinen Beitragssat zes ab dem 1. Januar 2019 von 2,55% auf 3,05% sowie die Erhöhung des Beitragszuschlags für Kinderlose zum 1. Januar 2022 auf 0,35% sind erst nach Ergehen des Vorlagebeschlusses in Kraft getreten. Der Senat macht aber insoweit von seiner Befugnis Gebrauch, die verfassungsgerichtliche Überprüfung zeitlich nach vorne bis zum Ergehen dieser Entscheidung über den Vorlagebeschluss zu erstrecken, um dem gewichtigen öffentlichen Interesse an der Klärung der Verfassungsgemäßheit auch des geltenden Beitragsrechts zu entsprechen. |
2. Die Vorlage des Sozialgerichts ist zulässig.
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a) Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Variante 2 GG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Die Begründung muss daher mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 153, 310 [333 Rn. 55] m.w.N.; 153, 358 [375 f. Rn. 37]; stRspr). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen, sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 136, 127 [142 Rn. 45; 145 ff. Rn. 53 ff.]; 138, 1 [13 f. Rn. 37]). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 138, 1 [15 Rn. 41] m.w.N.).
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Steht in Rede, dass die zur Prüfung gestellte Norm das in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte Grundrecht oder einen speziellen Gleich heitssatz verletzt, reicht es für die Feststellung der Entscheidungserheblichkeit aus, dass die Verfassungswidrigerklärung der Norm dem Kläger des Ausgangsverfahrens die Chance offen hält, eine für ihn günstige Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 121, 108 [115]; 121, 241 [252]; 130, 131 [140]). Die Entscheidungserheblichkeit ist damit in der Regel schon dann zu bejahen, wenn der Gesetzgeber den Gleichheitsverstoß auf verschiedenen Wegen heilen kann und eine der dem Gesetzgeber möglichen Entscheidungsvarianten den – bis dahin weiter ausgesetzten – Prozess in Richtung einer für den betroffenen Grundrechtsträger günstigen Entscheidung beeinflusst (vgl. BVerfGE 121, 108 [115 f.]; 121, 241 [252]). Dass lediglich eine Feststellung der Unvereinbarkeit der Normen mit dem Grundgesetz und für einen gewissen Zeitraum womöglich auch die Anordnung ihrer Fortgeltung durch das Bundesverfassungsgericht nach § 35 BVerfGG zu erwarten sind, steht der Entscheidungserheblichkeit nicht entgegen (vgl. BVerfGE 148, 147 [178 Rn. 79] m.w.N.). |
Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 138, 1 [13 f. Rn. 37] m.w.N.). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage auseinandersetzen, insbesondere auch mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 138, 1 [15 f. Rn. 42] m.w.N.).
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b) Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss.
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aa) Das vorlegende Sozialgericht legt die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage hinreichend dar.
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Es hat den Darlegungsanforderungen schon dadurch genügt, dass es vertretbar dem auf die Beitragsneufestsetzung gerade unter Berücksichtigung einkommensteuerrechtlicher Freibeträge gerichteten Anliegen der Klägerin und des Klägers als Minus auch das Begehren nach einer Beitragsreduzierung anderer Ausgestaltung – etwa einer Reduzierung des Beitragssatzes – entnommen hat. Da der Gesetzgeber im Falle einer Unvereinbarkeitserklärung im Regelfall verpflichtet ist, eine der Verfassung entspre chende Rechtslage rückwirkend zumindest für alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf der für verfassungswidrig erklärten Regelung beruhen, herzustellen (vgl. BVerfGE 133, 377 [423 Rn. 108] m.w.N.; siehe aber noch unten Rn. 372), ihm eine solche rückwirkende Neuregelung zumindest aber frei steht (vgl. BVerfGE 87, 153 [180]), eröffnet sich für die Klägerin und den Kläger des Ausgangsverfahrens im Falle der Verfassungswidrigerklärung jedenfalls die Chance auf eine ihnen günstigere Neuregelung. |
bb) Das Vorlagegericht hat auch seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des geltenden Beitragsrechts hinreichend dargelegt. Es hat ausreichend begründet, dass und weshalb die für alle beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern einheitliche, nicht nach der Kinderzahl differenzierende Beitragserhebung jedenfalls seit der die Errichtung des Pflegevorsorgefonds begleitenden und dieser nachfolgenden Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes zumindest in Bezug auf Versicherte mit vier oder mehr Kindern in Fortschreibung des Pflegeversicherungsurteils und unter Anwendung der verfassungsgerichtlichen Maßstäbe zur Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil mit ansteigender Kinderzahl sowohl der Aufwand für die Eltern als auch der Nutzen für die soziale Pflegeversicherung ansteigt. Auch ohne nähere Darlegungen durfte das Vorlagegericht dabei vom prozentualen Anteil kinderreicher Haushalte auf einen typisierungsschädlichen Anteil kinderreicher Familien schließen.
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Unschädlich ist, dass das Vorlagegericht – der im Ausgangsverfahren vorgefundenen Familienkonstellation entsprechend, aber hinter der weiter gefassten Vorlagefrage zurückbleibend – seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit nur in Bezug auf Familien mit vier oder mehr Kindern formuliert hat. Folge des von der Kinderzahl unabhängigen gesetzgeberischen Typisierungskonzepts ist es, dass die Frage nach einem verfassungsgerichtlichen Gebot kinderzahlbezogener Beitragsdifferenzierung für Zwei-, Drei- und sonstige Mehrkindfamilien mit der Vorlagefrage untrennbar verknüpft und deswegen auch ohne nähere Darlegungen in die verfassungsgerichtliche Prüfung miteinzubeziehen ist. |
II. |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/16 ist zulässig. Mit ihrer das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung betreffenden Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die sozialgerichtlichen Urteile sowie die ihnen zugrundeliegenden Bescheide. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die gesetzlichen Regelungen zur Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstießen. Gegenständlich sind die Normen in den vom 9. Januar 2008 bis zum 15. April 2008 geltenden Fassungen. Die Beschwerdeführerin ist beschwerdebefugt (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Sie zeigt ausreichend auf, durch die angefochtenen Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen und die ihnen zugrundeliegenden beitragsrechtlichen Vorschriften möglicherweise in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verletzt zu sein (§ 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BVerfGG).
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III. |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 ist nur teilweise zulässig.
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1. Mit ihrer das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung betreffenden Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer unmittelbar gegen die Entscheidungen des Sozialgerichts, des Landessozialgerichts und des Bundessozialgerichts einschließlich des die (zweite) Anhörungsrüge zurückweisenden Beschlusses (vgl. hierzu BVerfGE 119, 292 [295] m.w.N.) sowie die im fachgerichtlichen Verfahren angegriffenen Bescheide. Einschränkend ist die Verfassungsbeschwerde entsprechend dem erkennbaren Rechtsschutzziel dahin auszulegen, dass die fachgerichtlichen Urteile insoweit nicht angegriffen sind, wie das Bundessozialgericht auf die Revi sion die Entscheidungen von Sozialgericht und Landessozialgericht unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide abgeändert hat. Die aufgehobenen Bescheide sind allerdings angesichts der insoweit keiner Auslegung zugänglichen Verfassungsbeschwerde mit angegriffen. Mittelbar wenden sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer gegen die den angegriffenen Urteilen zugrundeliegenden Bestimmungen des Beitragsrechts, namentlich § 223 Abs. 2, § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 241 SGB V, § 157, § 161 Abs. 1, § 162 Nr. 1 SGB VI, § 55 Abs. 3 SGB XI in ihren im streitigen Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 24. April 2012 (beziehungsweise für den Beschwerdeführer hinsichtlich der sozialen Pflege- und gesetzlichen Krankenversicherung bis zum 31. Dezember 2010) geltenden Fassungen. |
2. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
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a) Soweit sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer gegen die durch das Bundessozialgericht aufgehobenen Bescheide wenden, fehlt es an einer Beschwer.
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b) Die Rüge einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG genügt den Darlegungsanforderungen nur teilweise.
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aa) Für eine zulässige Rüge der Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG muss plausibel dargelegt werden, wer in Bezug auf wen in welcher Weise benachteiligt wird. Die Verfassungsbeschwerde muss erkennen lassen, worin konkret ein individueller Nachteil liegt. Richtet sich der Angriff gegen eine Regelung, muss vorgetragen werden, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine auch individuell nachteilig wirkende Gleich- oder Ungleichbehandlung bestehen soll. Dabei ist auch auf naheliegende Gründe für und gegen die angegriffene Differenzierung beziehungsweise deren Fehlen einzugehen (vgl. BVerfGE 131, 66 [82 f.] m.w.N.).
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bb) Diesen Anforderungen haben die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer genügt, soweit sie die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Kinderlosen in der gesetzlichen Rentenversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung sowie ferner rügen, dass in der sozialen Pflegeversicherung die Beiträge unab hängig von der Kinderzahl bemessen werden. Die Verfassungsbeschwerde genügt den Begründungsanforderungen hingegen nicht, soweit sich die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer auch dadurch in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG verletzt sehen, dass nach der dem angefochtenen Urteil des Bundessozialgerichts zugrundeliegenden Vorschrift des § 55 Abs. 3 Satz 2 SGB XI Eltern lebenslang und somit auch dann (noch) beitragsrechtlich privilegiert werden, wenn sie – anders als die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer in dem im Ausgangsverfahren streitigen Zeitraum – tatsächlich keine Betreuungs- und Erziehungsleistung für Kinder (mehr) erbringen. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer insoweit keinen konkreten individuellen Nachteil aufzeigen, setzen sie sich auch nicht mit solchen Aspekten auseinander, die diese zeitliche Entgrenzung der Befreiung vom Beitragszuschlag naheliegend rechtfertigen könnten, namentlich damit, dass die Opportunitätskosten der Kindererziehung typischerweise über die Zeit der aktiven Elternphase hinaus belastende Wirkung entfalten. |
c) Soweit die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer in vielfältiger Weise einen Verstoß des Bundessozialgerichts gegen ihr Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG rügen, genügen ihre Ausführungen ebenfalls nicht den nach § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BVerfGG zu stellenden Anforderungen. Insbesondere setzen sie sich im Hinblick auf die Ausführungen zur gesetzlichen Rentenversicherung und gesetzlichen Krankenversicherung nicht – wie es unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungserheblichkeit der gerügten Gehörsverstöße erforderlich wäre – mit den nach der Begründungsstruktur des angefochtenen Urteils naheliegenden Fragen auseinander. Dazu gehört, ob es sich bei den dem "weiteren gleichheitsrechtlichen Kontext" zugeordneten Erwägungen um selbstständig tragende handelt und jede einzelne von ihnen auf einer gehörswidrigen – und nicht lediglich auf einer nach Auffassung der Beschwerdeführerin und des Beschwerdeführers sachlich unzutreffenden – Rechtsanwendung beruht (vgl. dazu BVerfGE 64, 1 [12]). Insbesondere hat das Bundessozialgericht entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht das Bestehen "positiver externer Effekte" der Kindererziehung für die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Krankenversicherung, sondern die rechtliche Notwendigkeit deren beitragsrechtlichen Ausgleichs in Abrede gestellt. Der gegen die Beachtlichkeit des in den schriftlichen Urteilsgründen entfalteten "weiteren gleichheitsrechtlichen Kontextes" gerichtete Einwand, maßgeblich seien allein die mündlichen Urteilsgründe, zeigt nicht auf, dass die dem entgegenstehende fachgerichtliche Auffassung (vgl. auch BSG, Beschluss vom 10. April 1961 – 10 RV 715/58 –, NJW 1961, S. 1183; BGHSt 15, 263 [264]; BFH, Beschluss vom 13. Dezember 1996 – III B 56/95 –, juris, Rn. 9) verfassungswidrig sein könnte. |
d) Die Rüge einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erhoben wurde. Die entsprechende Rüge ist erst mit Schriftsatz vom 30. April 2019 ausgebracht worden. Die Zustellung des Beschlusses über die Anhörungsrüge erfolgte bereits am 5. September 2016. Gleiches gilt – ungeachtet der insoweit bestehenden Substantiierungsmängel – hinsichtlich der mit ergänzendem Schriftsatz vom 3. Mai 2021 ausgebrachten Rüge einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Gehalten des Rechtsstaats- und des Sozialstaatsprinzips.
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IV. |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17 ist nur teilweise zulässig.
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1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Bundessozialgerichts und mittelbar gegen das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung, namentlich gegen § 157, § 161 Abs. 1, § 162 Nr. 1 SGB VI in den vom 1. Januar 2004 bis zum 27. Januar 2012 geltenden Fassungen. Dem erkennbaren Rechtsschutzziel entsprechend ist die Verfassungsbeschwerde einschränkend dahin auszulegen, dass nur das Urteil des Bundessozialgerichts und dieses nur in dem Umfang angegrif fen ist, wie mit ihm die Revision zurückgewiesen wurde (dazu oben Rn. 134). |
2. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer legen eine mögliche Verletzung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG hinreichend dar. Soweit sie mit weiterem Schriftsatz durch pauschale Bezugnahme auf die Verfassungsbeschwerdeschrift in einem anderen Verfahren auch eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Eingriffsabwehrrecht wegen einer angenommenen Verletzung des (Familien-)Existenzminimums rügen, genügt ihr Vortrag demgegenüber nicht den nach § 92, § 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BVerfGG zu stellenden Anforderungen.
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C. |
§ 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI sind mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit nicht vereinbar, als beitragspflichtige Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen, unabhängig von der Zahl ihrer Kinder in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden.
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Die vorgelegten Vorschriften sind an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen (I). Die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung von Eltern führt zu einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (II), die verfassungsrechtlich im Bereich des Freiheitsrechts des Art. 6 Abs. 1 GG nicht gerechtfertigt ist (III).
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I. |
Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für Belastungen und Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung (vgl. BVerfGE 138, 136 [180 Rn. 121]; 139, 285 [309 Rn. 70] m.w.N.). Ebenso wenig ist er gehalten, Ungleiches unter allen Umständen ungleich zu behandeln. Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 138, 136 [180 Rn. 121]; 139, 285 [309 Rn. 70] m.w.N.). |
Die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen erfordert vor diesem Hintergrund die Beachtung des aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebots der Belastungsgleichheit, das sich auf alle staatlich geforderten Abgaben erstreckt (BVerfGE 149, 50 [76 Rn. 75]).
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Eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG kann sich auch aus den praktischen Auswirkungen einer formalen Gleichbehandlung ergeben; entscheidend sind der sachliche Gehalt der Vorschrift und die auf die rechtliche Gestaltung der Norm zurückgehenden Wirkungen (vgl. BVerfGE 24, 300 [358]; 49, 148 [165]; 149, 50 [78 f. Rn. 80]). Bei formal gleichbehandelnden Vorschriften ist der allgemeine Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Differenzierungsverbot einschlägig, wenn durch sie eine Belastungsungleichheit normativ veranlasst wird (vgl. BVerfGE 149, 50 [78 f. Rn. 80]). Demgegenüber ist Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Differenzierungsgebot in Ansatz zu bringen, wenn die Belastungsungleichheit auf tatsächlichen Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 149, 50 [79 Rn. 80]). Als Differenzierungsgebot ist der allgemeine Gleichheitssatz nicht schon dann verletzt, wenn der Gesetzgeber Differenzierungen, die er vornehmen darf, nicht vornimmt (vgl. BVerfGE 90, 226 [239]; 110, 141 [167]). Er verletzt aber das Gleichheitsgrundrecht, wenn er es versäumt, tatsächliche Ungleichheiten des zu ordnenden Lebenssachverhalts zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie beachtet werden müssen (vgl. BVerfGE 110, 141 [167]).
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II. |
Hieran gemessen bewirkt im gegenwärtigen, weitgehend umlagefinanzierten System der sozialen Pflegeversicherung die unabhängig von der Kinderzahl erfolgende gleiche Beitragsbelastung beitragspflichtiger Eltern innerhalb dieser Gruppe eine Gleichbehandlung (1) von wesentlich Ungleichem (2) zum Nachteil der Eltern mit mehr Kindern (3). |
1. Nach geltendem Beitragsrecht werden Eltern unabhängig von der Kinderzahl in gleicher Weise mit Beiträgen belastet. Bezugspunkt der gleichheitsrechtlichen Prüfung ist damit eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem innerhalb der Gruppe beitragspflichtiger Eltern. Aus dem Umstand, dass sich die gleiche Beitragsbelastung in Abhängigkeit von der Kinderzahl in unterschiedlicher Weise auf beitragspflichtige Eltern auswirkt (dazu unten Rn. 248 ff.), lässt sich hingegen keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem ableiten. Die in Rede stehenden ungleichen Auswirkungen gleicher Beitragsbelastung stellen sich im hier betroffenen Sachbereich des Beitragsrechts der sozialen Pflegeversicherung ihrem sachlichen Gehalt nach nicht als durch das Beitragsrecht normativ veranlasste Belastungsungleichheit dar, sondern beruhen auf tatsächlich vorgefundenen Ungleichheiten des zu ordnenden Sachverhalts, namentlich der Anzahl der Kinder, die beitragspflichtig Versicherte in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht zu betreuen und zu versorgen haben.
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2. Nach Maßgabe der die Ausgestaltung des gegenwärtigen Beitragsrechts tragenden Erwägungen (a) bestehen zwischen beitragspflichtigen Eltern mit unterschiedlich vielen Kindern gleichheitsrechtlich relevante Unterschiede (b).
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a) Mit dem Pflegeversicherungsurteil war dem Gesetzgeber aufgegeben worden, beitragspflichtige Versicherte mit einem oder mehreren Kindern gegenüber kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung bei der Bemessung der Beiträge relativ zu entlasten (vgl. BVerfGE 103, 242 [270]). Dies beruhte auf der Erwägung, dass beitragspflichtige Eltern durch ihre Erziehungsleistung in dem als Umlageverfahren organisierten und der Absicherung eines Altersrisikos dienenden System der sozialen Pflegeversicherung neben ihrem die gegenwärtige Funktionsfähigkeit des Umlageverfahrens sichernden monetären Beitrag – anders als Kinderlose – auch einen "generativen Beitrag" (vgl. BVerfGE 103, 242 [266]) zur Sicherung des Vorhandenseins künftiger Beitragszahler und damit des künftigen Bestands des Umlageverfahrens leisteten, von dem Kinderlose im Falle späterer Pflegebedürftigkeit in gleichem Maße wie Eltern profitierten. Die von den Eltern in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht aufzuwendende "Kostenlast der Kindererziehung" (vgl. BVerfGE 103, 242 [269]) bringe im Verhältnis von Eltern zu Kinderlosen einen ausgleichsbedürftigen Nachteil hervor. |
Da die mit der Erziehungsleistung verbundene "Kostenlast der Kindererziehung" beziehungsweise der mit der Kindererziehung einhergehende "Verzicht auf Konsum und Vermögensbildung" (vgl. BVerfGE 103, 242 [264]) während der Erwerbsphase beitragspflichtiger Eltern auftrete, war dem Gesetzgeber aufgetragen, die Betreuungs- und Erziehungsleistung beitragspflichtiger Eltern im Beitragsrecht auszugleichen. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht den großen Gestaltungsspielraum, über den der Gesetzgeber bei der gleichheitsgerechten Ausgestaltung des Beitragsrechts verfügt, betont (vgl. BVerfGE 103, 242 [270 f.]).
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In Umsetzung des Pflegeversicherungsurteils hat der Gesetzgeber den Beitragszuschlag für Kinderlose geschaffen und damit das Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (nur) im Verhältnis von beitragspflichtigen Eltern zu Kinderlosen neu geordnet. Die Rechtfertigung des durch den Beitragszuschlag erzeugten Beitragsabstands zwischen Eltern und Kinderlosen leitet die Begründung des Gesetzentwurfs – den Begründungsweg des Pflegeversicherungsurteils ausdrücklich aufgreifend – aus der "kinderbedingten besonderen finanziellen und sonstigen Belastung" (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 4) sowie daraus ab, dass Kindererziehende "mit der Kindererziehung neben ihrem monetären Beitrag einen entscheidenden zusätzlichen Beitrag zum Erhalt des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten" (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 5). Dem soll die Mehrbelastung Kinderloser Rechnung tragen.
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Der wesentliche Unterschied liegt zwar nicht in einem unterschiedlichen Armutsrisiko begründet (aa). Allerdings wächst mit steigender Kinderzahl der wirtschaftliche Aufwand der Eltern (bb).
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aa) Ein für die Beitragsbemessung gleichheitsrechtlich relevanter Unterschied liegt nicht in einem unterschiedlichen Armutsrisiko von Familien mit mehr gegenüber solchen mit weniger Kindern begründet, weil es in Abhängigkeit von der Kinderzahl zu einer weitergehenden "Verbeitragung" des familiären Existenzminimums käme.
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Zutreffend ist allerdings, dass in Paarfamilien mit drei und mehr Kindern ein überdurchschnittliches Armutsrisiko gegenüber Paarfamilien mit weniger Kindern besteht. Hierfür ist neben der Familiengröße – weil mehr Personen mit dem Einkommen auskommen müssen – insbesondere bedeutsam, dass die Erwerbsquote von Müttern mit drei und mehr Kindern trotz der in den letzten Jahren erreichten Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit nach wie vor unter derjenigen von Müttern mit einem oder zwei Kindern liegt und solchen Familien deshalb nur ein geringeres Familieneinkommen zur Verfügung steht. In Alleinerziehendenhaushalten liegt das Armutsrisiko bereits für Einzelkinder signifikant höher als im Durchschnitt aller unter 18-Jährigen, steigt aber bei zwei oder mehr Kindern weiter an (zum Ganzen: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Familienreport 2020, S. 103 ff.; 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2021, S. 489 ff.; Bertelsmann Stiftung, Factsheet Kinderarmut in Deutschland, 2020, S. 4 f.; dies. [Hrsg.], Garbuszus/Ott/Pehle/Werding, Wie hat sich die Einkommenssituation von Familien entwickelt? Ein neues Messkonzept, 2018, S. 11 ff.).
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Ein unterschiedliches Armutsrisiko von Eltern mit mehr oder mit weniger Kindern begründet im Sachbereich des Beitragsrechts der sozialen Pflegeversicherung jedoch keinen gleichheitsrechtlich relevanten Nachteil.
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Die im Einkommensteuerrecht zu beachtenden Grundsätze über die Steuerfreiheit des Existenzminimums für sämtliche Familienmitglieder (vgl. BVerfGE 82, 60 [85 f., 94]; 152, 274 [315 Rn. 105]) sind auf die Erhebung des zweckgebundenen und gegenleistungsbezogenen Beitragsaufkommens in der sozialen Pflegeversicherung nicht übertragbar (vgl. für die gesetzliche Krankenversicherung bereits BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. April 1986 – 1 BvR 1304/85 –, SozR 2200 § 385 RVO Nr. 15). Die Steuer ist dadurch gekennzeichnet, dass sie ohne individuelle Gegenleistung und unabhängig von einem bestimmten Zweck zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs eines öffentlichen Gemeinwesens erhoben wird (vgl. BVerfGE 149, 222 [249 Rn. 53] m.w.N.). Weder der Zweck der Besteuerung, den staatlichen Haushalt mit Finanzmitteln auszustatten, noch die Verwendung des Steueraufkommens geben der Steuerbelastung Anknüpfungspunkte oder ziehen ihr Grenzen. Mangels konkreter Zweckbindung und individueller Gegenleistung gewinnt der in der Steuer liegende Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre des Steuerpflichtigen seine Rechtfertigung auch und gerade aus der Gleichheit der Lastenzuteilung (vgl. BVerfGE 84, 239 [268 f.]). Demgegenüber erfolgt die Beitragserhebung in der sozialen Pflegeversicherung zweckgebunden; zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staats und seiner sonstigen Glieder steht das Beitragsaufkommen nicht zur Verfügung (vgl. BVerfGE 75, 108 [148]; 113, 167 [203]; 149, 50 [77 f. Rn. 78]; stRspr). Dies hat nicht nur Bedeutung für die Beitragserhebung dem Grunde nach, sondern begrenzt gleichzeitig ihre Bemessung (vgl. BVerfGE 149, 50 [77 f. Rn. 78]). Zudem steht den Sozialversicherungsbeiträgen als Gegenleistung der individuelle Versicherungsschutz gegenüber (vgl. BVerfGE 79, 223 [236]; 113, 167 [221]). Der Gegenleistungsbezug schützt die Einzelnen in einem auf Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht beruhenden Versicherungssystem, bei dem die Einzelnen typischerweise keinen unmittelbaren Einfluss auf die Höhe ihres Beitrags und auf Art und Ausmaß der aus ihrem Versicherungsverhältnis geschuldeten Leistung haben, davor, dass Beitrag und Leistung außer Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 140, 229 [237 Rn. 20]). Angesichts der Zweckbindung und des Gegenleistungsbezugs der Sozialversicherungsbeiträge darf der Gesetzgeber zur Beitragsbemessung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auf das Bruttoeinkommen und die hierin verkörperte (typisierte) wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (vgl. dazu BVerfGE 103, 172 [185]; 115, 25 [43]) abstellen und bei Geringverdienern die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums den grundsicherungsrechtlichen Leistungssystemen mit seinen Aufstockungsregelungen zuweisen. |
Das unterschiedliche Armutsrisiko von Eltern in Abhängigkeit von der Kinderzahl betrifft deshalb nicht in spezifischer Weise die soziale Pflegeversicherung oder einen anderen Zweig der Sozialversicherung, sondern den Familienlastenausgleich im Allgemeinen. Konkrete Folgerungen für die soziale Pflegeversicherung und deren Beitragsrecht, wie sie Gegenstand des Vorlageverfahrens und der Verfassungsbeschwerdeverfahren sind, lassen sich daraus nicht ableiten. Der Gesetzgeber ist vielmehr in seiner Entscheidung, auf welche Weise er Benachteiligungen von Familien beseitigen und diese fördern will, grundsätzlich frei (vgl. bereits zur gesetzlichen Rentenversicherung BVerfGE 87, 1 [39]; sowie allgemein BVerfGE 82, 60 [81]; 103, 242 [259 f.]; 107, 205 [213]; 110, 412 [436, 445]; 112, 50 [65 f.]; 112, 164 [175]; 127, 263 [277 f.]).
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bb) Eltern, die in der sozialen Pflegeversicherung beitragspflichtig sind, tragen neben der Beitragslast auch den wirtschaftlichen Aufwand der Kindererziehung. Dieser besteht einerseits aus den tatsächlich aufgewendeten Kindererziehungskosten, insbesondere den erziehungsbedingten Konsumausgaben (nachfolgend auch: Realaufwand), und andererseits aus Opportunitätskosten, also den erziehungsbedingt entgangenen Erwerbs- und Versorgungschancen (vgl. BVerfGE 103, 242 [264, 269]: "Kostenlast der Kindererziehung" beziehungsweise erziehungsbedingter Verzicht "auf Konsum und Vermögensbildung").
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Im Rahmen einer gesetzgeberischen Entscheidung, die Kindererziehungsleistung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung zu berücksichtigen, sind beide Elemente Ausgangspunkt der gleichheitsrechtlichen Nachteilsbetrachtung. Der Umfang des Re alaufwands (1) wie derjenige der Opportunitätskosten (2) steigt in Abhängigkeit von der Kinderzahl substantiell an, auch wenn durch die zwischenzeitliche Stärkung des allgemeinen Familienlastenausgleichs eine weitergehende Kompensation des Kindererziehungsaufwands stattfindet als noch nach der zum Zeitpunkt des Pflegeversicherungsurteils geltenden Rechtslage (3) und sich der danach verbleibende Aufwand nicht proportional zur Anzahl der Kinder verhält (4). |
(1) Im Hinblick auf den Realaufwand liegen die monatlichen kinderbezogenen Konsumausgaben im Durchschnitt bei Paaren mit zwei Kindern um den Faktor 1,7 und bei Paaren mit drei Kindern um den Faktor 2,3 höher als bei Paaren mit einem Kind. Alleinerziehende mit zwei Kindern wenden im Durchschnitt um den Faktor 1,6 höhere Konsumausgaben als solche mit einem Kind auf. Die kinderbezogenen Konsumausgaben machen im Durchschnitt bei Paaren mit einem Kind 21,2%, bei Paaren mit zwei Kindern 32,6% und bei Paaren mit drei Kindern 41,4% der gesamten Konsumausgaben aus. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind liegen die kinderbezogenen Konsumausgaben bei 35%, bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern gar bei 45,9% der gesamten Konsumausgaben (zum Ganzen: Statistisches Bundesamt [Destatis], Konsumausgaben von Familien für Kinder – Berechnungen auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018, 2021, S. 31 ff.).
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(2) Das Ausmaß erziehungsbedingter Opportunitätskosten wird durch die – ihrerseits kinderzahlabhängige – Erwerbstätigen- und Teilzeitquote der Eltern geprägt. Die aus erziehungsbedingter Erwerbslosigkeit oder Minderung des Erwerbsumfangs resultierende Einbuße an Erwerbseinkommen wird in der Lebenswirklichkeit typischerweise von Frauen getragen, zieht aber regelmäßig zugleich familieninterne Lastenverschiebungen nach sich. Nach Feststellungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, auf die sich auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme bezieht, konnten die Erwerbstätigenquote und der Erwerbsumfang von Müttern seit 2007 zwar stetig gesteigert werden. Allerdings wirken neben der Ausbildung der Mütter nach wie vor Alter und Anzahl der Kinder auf die Teilnahme am Erwerbsleben ein. Mit der Geburt von Kindern geben viele Frauen ihre Erwerbstätigkeit zumindest vorübergehend auf. Der Wiedereinstieg in das Berufsleben erfolgt mehrheitlich in Teilzeit. Je jünger das jüngste Kind im Haushalt ist und je mehr (junge) Kinder im Haushalt leben, desto geringer ist die Beteiligung von Müttern am Erwerbsleben und desto länger dauert die Phase verringerter Beteiligung am Erwerbsleben an (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Familienreport 2020, S. 109 ff.). Ausweislich einer weiteren von der Bundesregierung in Bezug genommenen Studie (Bertelsmann Stiftung [Hrsg.], Bariöiæ/Consiglio, Beschäftigung im Wandel 06.2020, Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt – Was es sie kostet, Mutter zu sein, S. 1, 7 f. und 10 mit Abbildung 6, bezogen auf Mütter des Jahrgangs 1982) ergibt sich, ausgehend von kinderlosen Frauen als Bezugspunkt, eine Einbuße an Lebenserwerbseinkommen bei Müttern mit einem Kind von rund 40%, bei Müttern mit zwei Kindern von ca. 50% und bei Müttern mit drei und mehr Kindern von fast 70%. |
Den Opportunitätskosten der Kindererziehung kommt – anders als dem erziehungsbedingten Realaufwand – deswegen besonderes Gewicht zu, weil sie sich über die gesamte Erwerbsphase und darüber hinaus auswirken. Entgangene Karrierechancen und Einkommenseinbußen lassen sich im Verlauf der Erwerbsbiografie kaum mehr kompensieren und führen regelhaft zu einer geringeren Altersversorgung.
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(3) Dabei ist nicht zu verkennen, dass seit dem Ergehen des Pflegeversicherungsurteils zahlreiche Maßnahmen des allgemeinen Familienleistungsausgleichs zur (anteiligen) Kompensation des Kindererziehungsaufwands, auch in Abhängigkeit von der Kinderzahl, ergriffen und bestehende erweitert wurden.
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Ein anteiliger Ausgleich für die Realkosten der Kindererziehung findet insbesondere durch die Gewährung von Kindergeld beziehungsweise den einkommensteuerrechtlichen Kinderfreibetrag statt. Die entsprechenden Leistungen wurden seit dem Jahr 2001 deutlich erhöht (dazu oben Rn. 73).
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Die Opportunitätskosten der Kindererziehung werden in gewissem Umfang durch das zum 1. Januar 2007 eingeführte und seitdem ausgebaute Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz gesenkt, dem die Wirkung eines Lohnersatzanspruchs zukommt (dazu oben Rn. 74 ff.). Zudem haben seit dem 1. August 2013 alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in einer Kindertagespflege (§ 24 SGB VIII). Durch beide Instrumente wird Eltern die Möglichkeit eröffnet, eine Erwerbstätigkeit frühzeitig wieder oder erstmals aufzunehmen und so die kindererziehungsbedingten Opportunitätskosten zu mindern. |
Allerdings bleiben trotz der unternommenen gesetzgeberischen Anstrengungen die Erwerbstätigenquote und das Erwerbsvolumen von Müttern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern nach wie vor substantiell zurück.
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(4) Der wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand verhält sich jedoch nicht proportional zur Kinderzahl. So tragen etwa beitragspflichtige Eltern, die vier Kinder erziehen, gegenüber Einkindeltern keine vierfache Kostenlast.
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Dies gilt zunächst für den Realaufwand. In Mehrpersonenhaushalten können vorhandene Ressourcen zu einem gewissen Grad für die Bedürfnisbefriedigung aller Haushaltsmitglieder eingesetzt oder gemeinsam genutzt werden. Solche Größenvorteile und Verbundeffekte führen zu einem effizienteren Einsatz vorhandener Ressourcen ("Haushaltsersparnisse"; vgl. Bertelsmann Stiftung [Hrsg.], Garbuszus/Ott/Pehle/Werding, Wie hat sich die Einkommenssituation von Familien entwickelt? Ein neues Messkonzept, 2018, S. 11). So können beispielsweise für das erste Kind erworbene Konsumgüter teilweise auch von den weiteren Kindern genutzt werden, so dass insoweit Neuanschaffungen verzichtbar werden.
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Neben diese "faktische Degression" tritt die normative, wenn etwa Beitragsregelungen für die Kindertagespflege oder sonstige außerschulische Betreuungs-, Bildungs- und Freizeitangebote Beitragsfreiheit oder Beitragssenkungen für Geschwisterkinder vorsehen (siehe die Länderübersicht betreffend die Beiträge für die Kindertagespflege: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gute-Kita-Bericht 2020, S. 17 ff.). |
Im Hinblick auf die Opportunitätskosten verhält sich der für die Kinderbetreuung und Kindererziehung aufzuwendende – und damit nicht für Erwerbstätigkeit verfügbare – Zeitaufwand schon deswegen nicht proportional zur Kinderzahl, weil mehrere Kinder jüngeren Alters typischerweise zeitgleich betreut werden oder bei größerem Geburtenabstand mitunter die älteren Kinder in die Betreuung ihrer jüngeren Geschwister eingebunden werden. Insofern kommt es zu einer effektiveren Nutzung der zeitlichen Ressourcen und Synergieeffekten. Die mangelnde Proportionalität zwischen der Kinderzahl und dem wirtschaftlichen Gesamtaufwand der Kindererziehung ändert allerdings nichts daran, dass der Gesamtaufwand mit der Kinderzahl substantiell ansteigt.
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3. Durch die gleiche Beitragsbelastung innerhalb der Gruppe der Eltern mit unterschiedlich vielen Kindern werden Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern in spezifischer Weise benachteiligt (a). Diese Benachteiligung wird durch Ausgleichsmechanismen innerhalb des Systems der sozialen Pflegeversicherung nicht hinreichend kompensiert (b).
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a) Die kinderzahlunabhängige Beitragsbelastung der Eltern benachteiligt innerhalb des vom Gesetzgeber gewählten Systems der sozialen Pflegeversicherung Eltern mit mehr gegenüber solchen mit weniger Kindern (aa) bereits ab einschließlich dem zweiten Kind (bb).
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aa) Der gleichheitsrechtlich relevante Nachteil liegt darin, dass Eltern mit mehr Kindern beitragsrechtlich lediglich in dem gleichen Maße besser gestellt werden wie Eltern mit weniger Kindern, obwohl der wirtschaftliche Erziehungsmehraufwand mit wachsender Kinderzahl steigt.
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bb) Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein. Denn der Gesetzgeber hat entgegen der Annahme des Vorlagegerichts (dazu oben Rn. 88) nicht einen "Regelfall" der Zwei-Kind-Familie vor Augen gehabt und sich von diesem Leitbild ausgehend in pauschalierender Abweichung "nach unten" dafür entschieden, bereits Versicherte mit einem Kind re lativ zu entlasten und demgemäß in pauschalierender Abweichung "nach oben" erst Versicherten mit drei und mehr Kindern eine weitergehende Entlastung zu versagen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar ein vertretbares fachgerichtliches Verständnis von einer gesetzlichen Typisierung seiner verfassungsrechtlichen Prüfung grundsätzlich zugrunde zu legen (vgl. BVerfGE 127, 224 [246 f.]). Jedoch findet die Annahme, der gesetzlichen Regelung liege der Regelfall der Zwei-Kind-Familie zugrunde, weder im Gesetz selbst noch in der Begründung des Gesetzentwurfs oder sonst in der Entstehungsgeschichte eine Stütze. |
Anknüpfungspunkt der gesetzgeberischen Typisierung ist allein die Kinderlosigkeit beziehungsweise (Nicht-)Elterneigenschaft des Mitglieds. Dem liegt nach der Begründung des Gesetzentwurfs die Erwägung zugrunde, das Bundesverfassungsgericht habe aus der kinderbedingten besonderen finanziellen und sonstigen Belastung ein "Abstandsgebot" im Verhältnis der Mitglieder mit Kindern und der Mitglieder ohne Kinder abgeleitet. Diese Gesetzgebungstechnik führt zu einer pauschalen relativen Begünstigung aller Eltern unabhängig von der Kinderzahl bereits ab dem ersten Kind. Dies entspricht der Verpflichtung aus dem Pflegeversicherungsurteil, eine Entlastung (bereits) "ab dem ersten Kind" zu schaffen (vgl. BVerfGE 103, 242 [271]). Dem Gesetzgeber hätte es aufgrund dessen schon gar nicht freigestanden, im Wege zulässiger – dann aber eben auch nicht zwingender – Pauschalierung einer erst ab dem zweiten Kind eingreifenden relativen Beitragsentlastung Versicherte mit nur einem Kind in die Regelung einzubeziehen. Auch deswegen lässt sich ein auf einen Regelfall der Zwei-Kind-Familie gerichteter gesetzgeberischer Wille nicht annehmen.
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Hiervon ausgehend entfaltet die relative Besserstellung von Versicherten mit Kindern gegenüber kinderlosen Versicherten innerhalb der Gruppe der Erstgenannten ihre benachteiligende Wirkung bereits ab einschließlich dem zweiten Kind, weil der substantiell ansteigenden Kostenlast der Kindererziehung nicht mit einer (relativen) Beitragsentlastung im Verhältnis zu Versicherten mit weniger Kindern Rechnung getragen wird.
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b) Diese Benachteiligung beitragspflichtiger Eltern mit mehr Kindern gegenüber solchen mit weniger Kindern wird innerhalb des Systems der sozialen Pflegeversicherung nicht hinreichend kompensiert (vgl. zur Kompensation BVerfGE 158, 282 [326 Rn. 106]). |
aa) Ein gewisser Ausgleich besteht allerdings darin, dass die beitragspflichtigen Versicherten mit mehr Kindern bei gleichen Beiträgen, wie sie beitragspflichtige Versicherte mit weniger Kindern leisten, Versicherungsschutz auch für die anderen Familienangehörigen erhalten (vgl. BVerfGE 103, 242 [269]), so dass beitragspflichtigen Eltern kinderzahlabhängige Vorteile eingeräumt sind, die sich als faktische Beitragsersparnis auch gegenwärtig vorteilhaft auswirken. Angesichts des geringen Risikos der Pflegebedürftigkeit von Kindern, dem eine verhältnismäßig geringe Belastung der Sozialversicherungsträger durch die beitragsfreie Mitversicherung entspricht (vgl. zur privaten Pflegeversicherung Baier, in: Krauskopf, SGB XI, § 110 Rn. 26 [Januar 2020]), ist dieser Vorteil aber nicht geeignet, den mit der Mehrbelastung einhergehenden Nachteil hinreichend aufzuwiegen.
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bb) Auch die Absicherung pflegender Angehöriger in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung nach § 44 SGB XI und § 26 Abs. 2b SGB III oder die Gewährung von Rechten und Leistungen bei Inanspruchnahme von Pflegezeit einschließlich des Pflegeunterstützungsgeldes gemäß § 44a Abs. 3 SGB XI gleichen den Nachteil nicht aus. Diese Instrumente knüpfen nicht an die Frage an, ob überhaupt und wenn ja für wie viele Kinder bei der Pflegeperson neben dem Pflegeaufwand auch wirtschaftlicher Erziehungsaufwand anfällt. Diese Leistungen sind deshalb nicht auf den Ausgleich eines kinderzahlabhängigen Erziehungsaufwands, sondern auf den Ausgleich des Pflegeaufwands und die Stärkung der Pflegebereitschaft ausgelegt. Soweit die Pflegebedürftigen von der durch ihre Kinder erbrachten Pflegeleistung oder der Ausweitung des Leistungsangebots – etwa im Hinblick auf flexibilisierte Leistungen bei Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI), Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI) und den Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI) – profitieren, fallen diese Vorteile typischerweise nicht in der Erwerbsphase und nur im Falle von Pflegebedürftigkeit an. |
III. |
Die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung der Eltern, die im Bereich des Freiheitsrechts aus Art. 6 Abs. 1 GG nach strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen zu überprüfen ist (1), erweist sich als verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt (2).
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1. Für die Rechtfertigung der kinderzahlunabhängig gleichen Beitragsbelastung beitragspflichtiger Eltern sind strengere Verhältnismäßigkeitsanforderungen in Ansatz zu bringen.
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a) Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den eine Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfGE 138, 136 [180 f. Rn. 122]; 148, 147 [183 f. Rn. 94 f.]; 148, 217 [242 f. Rn. 103 f.] jeweils m.w.N.; stRspr).
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Geht es, wie vorliegend, nicht um eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, sind im Ausgangspunkt dieselben Kriterien in Ansatz zu bringen. Namentlich kommt es wesentlich darauf an, inwieweit sich die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem im Sachbereich grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirkt und der Einzelne über die nachteilsbegründenden Merkmale verfügen und so eine für sich günstigere Sach- und Rechtslage willentlich herbeiführen kann. Auch ist zu berücksichtigen, inwieweit dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Aus gangslage und der möglichen Auswirkungen der von ihm getroffenen Regelung eine Einschätzungsprärogative zukommt (vgl. BVerfGE 110, 141 [167 f.]). Wie bei der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem kann die Anwendung dieser Kriterien zu dem Ergebnis führen, dass strengere Verhältnismäßigkeitsanforderungen in Ansatz zu bringen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juli 2019 – 1 BvL 1/18 u.a. –, Rn. 100 f.). |
b) Nach diesen Grundsätzen ist für die Rechtfertigung der benachteiligenden Gleichbehandlung eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.
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aa) Die gleiche Beitragslast wirkt sich bei beitragspflichtigen Eltern in Abhängigkeit von der Kinderzahl in unterschiedlicher Weise auf grundrechtlich geschützte Freiheiten aus.
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(1) Ein verschärfter gleichheitsrechtlicher Prüfungsmaßstab ergibt sich allerdings nicht aus der Betroffenheit der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG. Sozialversicherungsrechtliche Regelungen, die eine Zwangsmitgliedschaft nebst Beitragspflicht anordnen, greifen zwar darin ein (vgl. BVerfGE 115, 25 [42] m.w.N.). Der Umstand allein, dass Art. 2 Abs. 1 GG auch davor schützt, durch die Staatsgewalt mit einem finanziellen Nachteil in Form einer Geldleistungspflicht belastet zu werden, die nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist, führt als solcher aber nicht zu einem verschärften gleichheitsrechtlichen Prüfungsmaßstab (vgl. BVerfGE 158, 282 [329 f. Rn. 117]).
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(2) Jedoch ist durch die gleiche Beitragsbelastung beitragspflichtiger Eltern der Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG berührt. Wirkt sich eine gesetzliche Regelung zum Nachteil der Familie aus, so ist der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 Abs. 1 GG der Familie schuldet (vgl. BVerfGE 87, 1 [37]; 103, 242 [258]; 111, 176 [184]; 130, 240 [254 f.]; 133, 59 [87 Rn. 73]; 151, 101 [128 Rn. 67]). Gleiches gilt, wenn sich eine gesetzliche Regelung innerhalb der Gruppe der Familien zu Lasten bestimmter Familienkonstellationen nachteilig auswirkt (vgl. BVerfGE 106, 166 [176]; 127, 263 [278]).
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Hier benachteiligt die gleiche Beitragslast beitragspflichtige Eltern im System der sozialen Pflegeversicherung in umso stärkerem Maße, je mehr Kinder betreut und erzogen werden. Bestimmte Familienkonstellationen, nämlich Versicherte mit mehr Kindern, sind deshalb im System der sozialen Pflegeversicherung einer stärkeren Belastung als andere Familienkonstellationen, nämlich solche mit weniger Kindern, ausgesetzt (dazu oben Rn. 248 ff.). Dies bedingt eine gegenüber der bloßen Willkürprüfung strengere Prüfung (vgl. BVerfGE 130, 240 [254 f.]; 133, 59 [87 Rn. 73]). |
bb) Auch ist der mit der Kinderzahl anwachsende wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung, aus dem sich die Benachteiligung ableitet, der Verfügbarkeit der Eltern trotz des Ausbaus etwa der Kinderbetreuung entzogen, weil er in Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht anfällt. Der Umstand, dass die vorgelagerte Entscheidung für mehr oder weniger Kinder zumeist frei getroffen wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch ist der Staat aus Art. 6 Abs. 1 GG gehalten, die Entscheidung der Eltern zugunsten von Kindern zu achten und darf den Eltern nicht etwa die "Vermeidbarkeit" von Kindern in gleicher Weise entgegenhalten wie die Verfügbarkeit anderer Umstände (vgl. für das Steuerrecht: BVerfGE 82, 60 [87]; 89, 346 [352 f.]; 107, 27 [49]).
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c) Allerdings kommt dem Gesetzgeber hinsichtlich der Frage, wie ein den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügendes Beitragsrecht gleichheitsgerecht auszugestalten ist, ein großer Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 103, 242 [270 f.]). Dieser betrifft nicht nur die Frage, in welchem Umfang im gewählten System der sozialen Pflegeversicherung der wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand im Beitragsrecht zu berücksichtigen ist, sondern auch, auf welche Weise und auf wessen Kosten dies erfolgt.
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Insbesondere muss eine Entlastung nicht im Wege einer "Vorteilsabschöpfung" auf Kosten der Vergleichsgruppe realisiert werden. Der Gesetzgeber schuldet nur ein gleichheitsgerechtes Ergebnis. Wie er dieses erzielt, liegt in seinem grundsätzlichen Gestaltungsermessen. Dass die relative Entlastung der benachtei ligten Gruppe gerade so auszugestalten ist, dass sie der bevorteilten Gruppe nicht nur vorenthalten bleibt, sondern darüber hinaus gerade auch auf deren Kosten zu gewähren ist, dass also kompensatorischer Vor- und Nachteil einander spiegelbildlich entsprechen müssen, lässt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht ableiten. |
Der Gesetzgeber kann sich auch zu einer Steuerfinanzierung entschließen. Die Verfassung enthält keine Bestimmung, wonach es geboten oder verboten wäre, die gesetzliche Sozialversicherung teilweise aus Steuermitteln zu finanzieren (vgl. BVerfGE 113, 167 [219]). Das in diesem Zusammenhang angeführte Argument, steuerfinanzierte Begünstigungen würden durch die Familien selbst mitfinanziert und seien deshalb für einen Ausgleich ungeeignet (vgl. Kingreen, in: Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes 57 [2008], S. 71 [90]; Lenze, NZS 2007, S. 407 [409]; dies., SGb 2017, S. 130 [133]), greift nicht durch. Das Steueraufkommen fließt in den allgemeinen Haushalt und ist grundsätzlich nicht zweckgebunden. Eine Zuordnung einzelner haushaltsrechtlicher Verwendungsentscheidungen zur Steuererhebung bei bestimmten Steuerzahlerinnen und -zahlern ist ausgeschlossen (vgl. BVerfGK 14, 287 [294]; 18, 477 [478]).
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2. Die von der Kinderzahl unabhängige gleiche Beitragsbelastung beitragspflichtiger Eltern genügt diesen strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht. Steht, wie hier, eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem in Rede, so ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung darauf zu beziehen, ob gerade die nicht differenzierende Regelung legitimen Zwecken dient und zu deren Erreichung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Die Ausgestaltung des geltenden Beitragsrechts dient zwar einem Bündel legitimer Zwecke (a) und ist zu deren Erreichung auch geeignet (b) und erforderlich (c). Allerdings erweist sich das geltende Beitragsrecht als nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, weil der Gesetzgeber die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten hat (d).
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a) Mit der Gleichbehandlung aller Eltern ohne Differenzierung nach der Kinderzahl hat der Gesetzgeber ein Bündel unterschiedlicher Zwecke verfolgt, die sowohl für sich betrachtet als auch in der Gesamtschau legitim sind. Dabei ist das Bundesverfassungsgericht nicht auf die Prüfung solcher Zwecke beschränkt, die der Gesetzgeber selbst ausdrücklich benannt hat (vgl. BVerfGE 151, 101 [136 Rn. 89]; 159, 223 [298 Rn. 169]). |
Im Einzelnen wollte der Gesetzgeber des Kinder-Berücksichtigungsgesetzes in Umsetzung des Pflegeversicherungsurteils durch die beitragsrechtliche Gleichbehandlung aller Eltern hinreichend den wirtschaftlichen Erziehungsaufwand sowohl von Einkind- als auch von Mehrkindeltern ausgleichen (aa), dabei die finanzielle Stabilität der sozialen Pflegeversicherung gewährleisten (bb) und gleichzeitig den Interessen von Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung Rechnung tragen (cc).
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aa) Der Gesetzgeber hat mit dem Beitragszuschlag für Kinderlose die relative Beitragsentlastung beitragspflichtiger Eltern wegen deren erziehungsbedingter Mehrbelastung (vgl. BVerfGE 103, 242 [263 ff., 265 f., 270]; vgl. BTDrucks 15/3671, S. 4) ohne Rücksicht auf die Anzahl ihrer Kinder erwirken wollen. Diese Zwecksetzung ist legitim. Da im Gesetzgebungsverfahren die Notwendigkeit einer kinderzahlabhängigen Entlastung mehrfach thematisiert, aber nicht aufgegriffen wurde (dazu oben Rn. 69 f.), beruht das gesetzgeberische Konzept erkennbar auf der Annahme, auch für Eltern mit mehreren Kindern einen noch hinreichenden Ausgleich geschaffen zu haben.
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bb) Durch die von der Kinderzahl unabhängige Beitragsbelastung aller Eltern hat der Gesetzgeber die Stabilität und Finanzierbarkeit der sozialen Pflegeversicherung sicherstellen wollen (vgl. § 21 SGB IV sowie BTDrucks 15/3671, S. 4). Dies entspricht auch dem an den Gesetzgeber gerichteten Auftrag des Pflegeversicherungsurteils (vgl. BVerfGE 103, 242 [270]). In Verfolgung dieses Ziels hat sich der Gesetzgeber verschiedene flankierende Zwecke gesetzt.
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(1) Da der Gesetzgeber die relative Entlastung beitragspflichtiger Eltern allein durch eine Beitragsmehrbelastung Kinderloser herbeiführen wollte, wären diese im rein umlagefinanzierten System bei einer noch weitergehenden Entlastung der Eltern mit mehreren Kindern eventuell stärker als geschehen belastet wor den. Für den Gesetzgeber spielte aber die Zumutbarkeit der Mehrbelastung von Kinderlosen eine zentrale Rolle (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 4 f., 6). Dies ist, auch jenseits der verfassungsrechtlich auch im Beitragsrecht der Sozialversicherungen zu berücksichtigenden äußersten Belastungsgrenze einer "erdrosselnden Wirkung" (vgl. BVerfGK 13, 372 [380]), ein legitimer gesetzgeberischer Belang. Denn der Gesetzgeber darf, um eine möglichst breite Finanzierung der Pflegeversicherung sicherzustellen, entscheiden, in welchem Maße ein "noch höheres Maß an Solidarität mit den Kindererziehenden" (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 5) von kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung eingefordert werden kann, ohne die Stabilität des Systems zu gefährden und gerade für gut verdienende Mitglieder den Anreiz entstehen zu lassen, sich statt in der sozialen in der privaten Pflegeversicherung abzusichern. |
(2) Vor dem Hintergrund der Begrenzung der Mehrbelastung Kinderloser hat es der Gesetzgeber als zumutbar angesehen, abweichend von der grundsätzlich paritätischen Beitragstragung (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) den Beitragszuschlag für Kinderlose nicht hälftig den Arbeitgebern, sondern allein den kinderlosen Beschäftigten aufzuerlegen (§ 58 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Hierdurch wollte der Gesetzgeber unterschiedlich hohe Lohnnebenkosten bei Kinderlosen und Kindererziehenden vermeiden (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 4, 6 f.). Zugleich hat er als weiteren Sachgrund angeführt, dass auch der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung von den Eltern alleine erbracht werde (vgl. BTDrucks 15/3671, a.a.O.).
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In diesem gesetzgeberischen Gesamtkonzept sind die von der Kinderzahl unabhängige Entlastung der Eltern, die hierdurch begrenzte, noch als zumutbar angesehene Mehrbelastung Kinderloser durch den Beitragszuschlag und die gesetzgeberische Entscheidung, diesen den Kinderlosen nicht-paritätisch allein aufzuerlegen, untrennbar miteinander verknüpft. Wären Kinderlose zur Finanzierung einer weitergehenden Entlastung von Eltern in Abhängigkeit von der Kinderzahl herangezogen worden, hätte dies unter den vom Gesetzgeber in den Vordergrund ge rückten Zumutbarkeitsgesichtspunkten naheliegend Anlass für eine anteilige Lastenverteilung zwischen Arbeitgebern und kinderlosen Arbeitnehmern gegeben, die zu unterschiedlich hohen Lohnnebenkosten bei kinderlosen und kindererziehenden Beschäftigten geführt hätte. Hiervon durfte der Gesetzgeber legitimerweise absehen. |
cc) Zuletzt durfte der Gesetzgeber gerade auch im Hinblick darauf, dass es sich beim sozialversicherungsrechtlichen Beitragseinzug um ein Massenverfahren handelt, Praktikabilitätserwägungen und Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung berücksichtigen. Dies betrifft nicht nur die Sozialversicherungsträger, sondern auch und gerade die Arbeitgeber, die nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV zahlungspflichtige Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrages bei abhängig Beschäftigten sind. Im Rahmen dieser Indienstnahme der Arbeitgeber für die Beitragsabführung besteht ein legitimes Interesse an einer möglichst weitgehenden Vereinheitlichung von Bemessungsgrundlagen und Beitragssätzen sowie einem möglichst geringen Erfassungs- und Pflegeaufwand hinsichtlich der erhobenen Daten.
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b) Die von der Kinderzahl unabhängige Gleichbehandlung aller Eltern ist im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet.
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Das verfassungsrechtliche Geeignetheitsgebot verlangt keine vollständige Zielerreichung, sondern lediglich eine Eignung zur Förderung des Ziels (vgl. BVerfGE 138, 136 [189 Rn. 139]; 151, 101 [140 Rn. 100]; stRspr). Der Gesetzgeber verfügt in der Beurteilung der Eignung einer Regelung über eine Einschätzungsprärogative. Verfassungsrechtlich genügt es grundsätzlich, wenn die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht. Der Spielraum des Gesetzgebers bezieht sich insofern auf die Einschätzung und Bewertung der Verhältnisse, der etwa erforderlichen Prognose und der Wahl der Mittel, um seine Ziele zu erreichen (vgl. BVerfGE 152, 68 [130 f. Rn. 166]). Eine Regelung ist erst dann nicht mehr geeignet, wenn sie die Erreichung des Gesetzeszwecks in keiner Weise fördern kann oder sich sogar gegenläufig auswirkt (vgl. BVerfGE 158, 282 [336 Rn. 131]).
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Hieran gemessen ist die beitragsrechtliche Gleichbehandlung der Eltern unabhängig von der Kinderzahl geeignet, die gesetzgeberisch verfolgten Zwecke des Ausgleichs des wirtschaftlichen Kindererziehungsaufwands auch für Eltern mit mehreren Kindern (aa), der Gewährleistung von Finanzierbarkeit und Stabilität der sozialen Pflegeversicherung (bb) sowie der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung (cc) zu erreichen. |
aa) Der Gesetzgeber wollte den wirtschaftlichen Erziehungsaufwand in Umsetzung des Pflegeversicherungsurteils durch Schaffung einer relativen Beitragsentlastung zwischen Eltern und Kinderlosen ausgleichen und damit einen Ausgleich des wirtschaftlichen Erziehungsaufwands auch zugunsten von Eltern mit mehreren Kindern erzielen. Dieses Ziel hat der Gesetzgeber trotz vorgenommener Typisierungen (1) zumindest in gewissem Umfang erreicht (2).
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(1) Der Gesetzgeber hat mit den vorgelegten Regelungen in mehrfacher Weise Typisierungen vorgenommen. Da die durch den Beitragszuschlag hervorgebrachte Mehrbelastung Kinderloser notwendig nicht an die bei den Eltern bestehenden Verhältnisse anknüpft, behandelt das Beitragsrecht Eltern nicht nur unabhängig von der Kinderzahl gleich, sondern verarbeitet auch nicht – weil die Kinderlosigkeit allein als Abwesenheit von Elternschaft definiert wird –, ob überhaupt und wenn ja in welchem Zeitraum wirtschaftlicher Aufwand der Kindererziehung tatsächlich getragen wird. Vielmehr schließt bereits das erste lebendgeborene Kind für beitragspflichtige Eltern den Beitragszuschlag mit lebenslanger Wirkung aus. Erst recht nicht erfasst wird, wie hoch der tatsächliche wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand für beitragspflichtige Eltern jeweils ist.
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(2) Gleichwohl ist hierdurch eine gewisse Entlastung auch von Eltern mit mehreren Kindern erzielt worden.
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Mit § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI hat der Gesetzgeber einen Beitragsabstand zwischen Eltern und Kinderlosen im Wege einer Beitragserhöhung für Kinderlose geschaffen. Aufgrund der durch den Beitragszuschlag für Kinderlose generierten Beitragsmehreinnahmen musste der allgemeine Beitragssatz in der Folge zur Deckung der Leistungsausgaben nicht stärker als geschehen ange hoben werden. Hierdurch sind alle beitragspflichtigen Eltern, und damit auch solche mit mehreren Kindern, wirtschaftlich entlastet worden. Ob das Ausmaß an Entlastung quantitativ ausreicht, ist für die Frage der Eignung nicht von Belang. Entscheidend ist, dass durch den Beitragszuschlag für Kinderlose immerhin ein gewisser Ausgleich des wirtschaftlichen Erziehungsaufwands erfolgt. |
Entgegen der vom Vorlagegericht vertretenen Auffassung hat die mit der Errichtung des Pflegevorsorgefonds einhergegangene Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes (von 2,05% auf 2,35%) zum 1. Januar 2015 diesen Vorteil auch für Mehrkindeltern nicht aufgezehrt. Zwar sind die in den mittelbar aus Beitragsmitteln besparten Pflegevorsorgefonds fließenden Mittel – deren Höhe die durch den Beitragszuschlag erwirtschafteten Mehreinnahmen übersteigt – dem Umlageverfahren bis zum Jahr 2035 entzogen und stehen bis dahin zur beitragsseitigen Entlastung der Eltern nicht zur Verfügung. Dies lässt die durch den Beitragszuschlag bewirkte relative Entlastung jedoch nicht entfallen. Diese hängt nicht davon ab, für welche Aufgabe ein den Mehreinnahmen entsprechender Teil des Beitragsaufkommens verwendet wird, solange es sich nur um eine Aufgabe handelt, die dem Aufgabenkreis der sozialen Pflegeversicherung zugerechnet werden kann. Dies ist im Hinblick auf die Finanzierung des Pflegevorsorgefonds, mit dem die zukünftige Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung in Ansehung einer zu erwartenden Belastungsspitze gesichert werden soll, der Fall.
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bb) Die mit dem Beitragszuschlag für Kinderlose einhergehende pauschale, kinderzahlunabhängige Entlastung der Eltern trägt ferner den Finanzierungserwägungen Rechnung. Hierdurch wurde die Mehrbelastung Kinderloser begrenzt und so der Zweck gefördert, für gutverdienende kinderlose Mitglieder keinen Anreiz zum Wechsel in die private Pflegeversicherung zu setzen. Da der Beitragszuschlag allein von den Versicherten getragen wird, hat der Gesetzeber auch sein Ziel erreicht, unterschiedliche Lohnnebenkosten für Eltern und Kinderlose zu verhindern.
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cc) Zuletzt fördert die Ausgestaltung des Beitragszuschlags für Kinderlose auch die Zwecke der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität. Zwar entsteht bereits nach geltendem Recht nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand, weil der Versicherte nach § 55 Abs. 3 Satz 3 SGB XI die Elterneigenschaft in geeigneter Form nachzuweisen hat, sofern diese nicht bereits aus anderen Gründen bekannt ist. Als Nachweis können alle Urkunden berücksichtigt werden, die geeignet sind, die Elterneigenschaft des Mitglieds zuverlässig zu belegen, zum Beispiel Geburtsurkunde, Abstammungsurkunde, beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenbuch des Standesamtes, Auszug aus dem Familienbuch, steuerliche Lebensbescheinigung des Einwohnermeldeamtes (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 6). Ein alternatives, an die Kinderzahl anknüpfendes Privilegierungsmodell hätte aber weitergehenden Aufwand sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Einzugsstellen und Pflegekassen nach sich gezogen, weil gegenüber der jetzigen Rechtslage das Hinzutreten weiterer Kinder nachzupflegen wäre. Das gewählte Privilegierungsmodell löst zumindest solchen weitergehenden Verwaltungsaufwand nicht aus, so dass ihm auch insoweit die Eignung nicht abzusprechen ist. |
c) Die gleiche Beitragsbelastung der Eltern unabhängig von der Kinderzahl ist auch für die Erreichung der verfolgten Ziele im verfassungsrechtlichen Sinn erforderlich.
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aa) Eine Ungleichbehandlung ist nur dann erforderlich, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht, mit dem der Gesetzgeber unter Bewirkung geringerer Ungleichheiten das angestrebte Regelungsziel gleich wirksam erreichen oder fördern kann (vgl. BVerfGE 138, 136 [190 Rn. 142]; 151, 101 [141 Rn. 103]), ohne dabei Dritte oder die Allgemeinheit stärker zu belasten (vgl. BVerfGE 148, 40 [57 Rn. 47] m.w.N.; 151, 101 [141 Rn. 103]). Auch bei der Einschätzung der Erforderlichkeit verfügt der Gesetzgeber über einen Beurteilungs- und Prognosespielraum (vgl. BVerfGE 155, 238 [280 Rn. 105] m.w.N.; stRspr). Das Bundesverfassungsgericht prüft nicht, ob der Gesetzgeber die beste Lösung für die hinter einem Gesetz stehenden Probleme gefunden hat (vgl. BVerfGE 149, 86 [120 Rn. 94]). Maßnahmen, die der Gesetzgeber zur Erreichung des Gesetzeszwecks für erforderlich hält, können daher verfassungsrechtlich nur beanstandet werden, wenn nach den dem Gesetzgeber bekannten Tatsachen und im Hinblick auf die bisher gemachten Erfahrungen feststellbar ist, dass die in Betracht kommenden alternativen Mittel zwar die gleiche Wirksamkeit versprechen, aber zu geringerer Ungleichheit führen (vgl. zu Eingriffskonstellationen BVerfGE 126, 112 [145]). Die sachliche Gleichwertigkeit der alternativen Maßnahme zur Zweckerreichung muss dabei in jeder Hinsicht eindeutig feststehen (vgl. dazu BVerfGE 81, 70 [91] m.w.N.; zum Ganzen: BVerfGE 158, 282 [340 f. Rn. 142]). |
Spiegelbildlich ist die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem dann nicht erforderlich, wenn der Gesetzgeber durch eine stärker zugunsten der hierdurch Benachteiligten differenzierende Regelung das angestrebte Regelungsziel ohne Belastung Dritter oder der Allgemeinheit gleich wirksam erreichen oder fördern kann. Bei mehrpoligen Interessenlagen darf die Erforderlichkeit nicht nur im Hinblick auf eines der widerstreitenden Interessen beurteilt werden, sondern muss die Prüfung für jedes der kollidierenden Interessen zu einem positiven Ergebnis kommen (vgl. BVerfGE 115, 205 [233 f.]). Insbesondere ist der Gesetzgeber im Sozialversicherungsrecht unter dem Gesichtspunkt des Erforderlichkeitsgrundsatzes nicht gehalten, die Besserstellung einzelner Versicherter durch einen Steuerzuschuss zu finanzieren und gegebenenfalls zu diesem Zweck Steuern einzuführen oder zu erhöhen (vgl. BVerfGE 117, 272 [298 f.]). Mildere Mittel sind nicht solche, die eine Kostenlast lediglich verschieben (vgl. BVerfGE 103, 172 [183 f.]; 109, 64 [86]).
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bb) Hieran gemessen kann dem geltenden – nicht in Abhängigkeit von der Kinderzahl differenzierenden – Beitragsrecht die Erforderlichkeit nicht abgesprochen werden. Zwar würde eine stärker zugunsten von Eltern mit mehr Kindern differenzierende Regelung zu einem weitergehenden Ausgleich des wirtschaftlichen Erziehungsaufwands führen. Bei der vorliegenden mehrpoligen Interessenlage ließe sich eine stärkere Begünstigung beitragspflichtiger Eltern mit mehr Kindern aber nur um den Preis einer höheren Belastung Kinderloser oder beitragspflichtiger Eltern mit weniger Kindern, einer stärkeren Belastung der Allge meinheit durch Erhöhung des Steuerfinanzierungsanteils oder auch Leistungskürzungen zu Lasten der heute Pflegebedürftigen erkaufen. Ob solche mit einer stärker differenzierenden – und damit aus der Perspektive von beitragspflichtigen Eltern mit mehr Kindern milderen – Regelung einhergehenden Belastungen hinzunehmen wären, ist indes keine Frage der Erforderlichkeit, sondern eine solche der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (vgl. BVerfGE 109, 64 [86]). Zugleich würde eine gegenüber der geltenden Rechtslage stärker differenzierende Regelung ein Mehr an Informationen über die Kinderzahl beitragspflichtiger Eltern und damit einen erhöhten Verwaltungsaufwand erfordern. |
d) Die gleiche Beitragsbelastung beitragspflichtiger Eltern unabhängig von der Kinderzahl ist jedoch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.
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aa) Eine Ungleichbehandlung ist nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn das Maß der Ungleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des mit der Differenzierung verfolgten Ziels und zum Ausmaß und Grad der durch die Ungleichbehandlung bewirkten Zielerreichung steht (vgl. BVerfGE 138, 136 [197 Rn. 156]). Handelt es sich – wie vorliegend – nicht um eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, sondern eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem, gilt Entsprechendes mit der Maßgabe, dass die Bedeutung der mit der gleichen Behandlung verfolgten Ziele in einem angemessenen Verhältnis zur tatsächlichen Ungleichheit des zu ordnenden Lebenssachverhalts und dem Ausmaß der sich hieraus bei gleicher Behandlung ergebenden Benachteiligung stehen muss.
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Geht es – wie gleichfalls vorliegend – um die Prüfung einer typisierenden Regelung, ist insbesondere der mit der Typisierung verfolgte Zweck der Verwaltungsvereinfachung als ein Sachgrund für die Gleichbehandlung heranzuziehen. Er vermag die Gleichbehandlung von Ungleichem zu rechtfertigen, wenn die aus der Typisierung erwachsenden Vorteile im rechten Verhältnis zu der damit notwendig verbundenen Gleichbehandlung stehen (vgl. BVerfGE 151, 101 [146 Rn. 118] m.w.N.; stRspr).
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Eine zulässige Typisierung setzt voraus, dass der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählt, sondern realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legt (vgl. BVerfGE 145, 106 [146 Rn. 107]; 148, 147 [202 Rn. 136]; stRspr). Die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten dürfen also nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen (vgl. BVerfGE 84, 348 [360]; 145, 106 [146 f. Rn. 108]; 151, 101 [146 Rn. 116]; stRspr). Darüber hinaus darf das Ausmaß der Ungleichbehandlung nicht sehr intensiv sein (vgl. BVerfGE 84, 348 [360]; 145, 106 [146 f. Rn. 108]; 151, 101 [146 Rn. 117]; stRspr). Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht (vgl. BVerfGE 84, 348 [359 f.]; 145, 106 [146 f. Rn. 107 f.]; 148, 147 [202 Rn. 136]; 151, 101 [146 Rn. 118]; stRspr). Geht es – wie hier – um die Bewältigung einer mehrpoligen Interessenlage, sind die für die typisierende Regelung sprechenden Gesichtspunkte zugleich zu den Nachteilen und Belastungen ins Verhältnis zu setzen, die durch eine stärker differenzierende Regelung für Dritte oder die Allgemeinheit entstünden (dazu oben Rn. 311 f.). |
bb) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt die vorgelegte Regelung nicht, so dass sie sich als unverhältnismäßig im engeren Sinne erweist. Indem der Gesetzgeber alle beitragspflichtigen Versicherten mit Kindern unterschiedslos dem gleichen Beitragssatz unterwirft, hat er die Grenzen seiner Typisierungsbefugnis überschritten.
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(1) Der Gesetzgeber konnte hier nicht deswegen einen besonders weitgehenden Typisierungsspielraum für sich in Anspruch nehmen, weil die pauschale "Befreiung" der Eltern vom Beitragszuschlag für Kinderlose begünstigende Wirkung entfaltete und die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei bevorzugender weiter als bei benachteiligender Typisierung gespannt ist (vgl. BVerfGE 17, 1 [24]; 103, 310 [319]). Vorschriften über die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen und deren Bemessung wirken als solche belastend, nicht begünstigend (vgl. BVerfGE 75, 108 [154 f.]; 78, 232 [244 f.]). Die Regelungen über den Beitragszuschlag als solche lassen sich nicht sinnvoll als begünstigende Befreiungsvorschriften qualifizieren, obwohl die über ihn generierten Mehreinnahmen gleichsam "reflexartig" dazu beitragen, dass eine (weitergehende) Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes unterbleiben kann (dazu oben Rn. 304 f.). |
Indem der Gesetzgeber Versicherte mit Kindern vom Beitragszuschlag des § 55 Abs. 3 Satz 1 SGB XI "verschont" hat, hat er diesen nicht im Wege des allgemeinen Familienlastenausgleichs unter Inanspruchnahme der insoweit eröffneten weiten Gestaltungsspielräume (vgl. BVerfGE 110, 412 [436]; 112, 164 [175]) eine Sozialleistung zur Förderung der Familie gewährt, sondern in Umsetzung des mit dem Pflegeversicherungsurteil erteilten Regelungsauftrags eine verfassungswidrige Benachteiligung im Verhältnis zu Kinderlosen beseitigen wollen. Hierzu war er durch das Pflegeversicherungsurteil verpflichtet. In Umsetzung dieser Verpflichtung unterlag der Gesetzgeber keinen geringeren gleichheitsrechtlichen Bindungen als bei Schaffung des ursprünglichen Beitragsrechts, dessen Gleichheitswidrigkeit es gerade zu beseitigen galt. Aus diesen Gründen stand dem Gesetzgeber kein besonders weit gesteckter Typisierungsspielraum zur Verfügung.
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(2) Die von der Typisierung nachteilig betroffenen beitragspflichtigen Versicherten mit zwei und mehr Kindern machen keine nur verhältnismäßig kleine Zahl von Personen aus. Zwar liegen, da die Kinderzahl für die Beitragsbemessung nach geltendem Recht nicht relevant ist, keine exakten Daten zu den Anteilen der Versicherten in der sozialen Pflegeversicherung mit mehreren (unterhaltsberechtigten) Kindern vor. Hinreichend valide Daten lassen sich aber aus den Ergebnissen des Mikrozensus 2019 ableiten. Bezogen auf Familien mit minderjährigen Kindern betrug danach der Anteil von Familien mit einem Kind 50,7%, von Familien mit zwei Kindern 37,4%, von Familien mit drei Kindern 9,2%, von Familien mit vier Kindern 2,1% und von Familien mit fünf und mehr Kindern 0,6% (Statistisches Bundesamt [Destatis], Fachserie 1, Reihe 3, 2019, Tabellen 1.1, S. 35 f. und Tabelle 5.2, S. 125 ff.). Es ist anzunehmen, dass sich diese Verteilung unter den Versicherten der sozialen Pflegeversicherung, die im Jahr 2019 fast 87% der Gesamtbevölkerung ausmachten, nicht grund legend anders darstellt. Hiervon ausgehend ist der Anteil der Familien mit einem Kind ungefähr gleich groß wie der Anteil der Familien mit zwei oder mehr Kindern. Der Anteil derjenigen, die aufgrund ihrer Kinderzahl einen höheren wirtschaftlichen Erziehungsaufwand haben, ist deswegen nicht verhältnismäßig geringfügig, sondern signifikant. |
(3) Die unterschiedslose Beitragsbelastung der Versicherten mit Kindern führt zu einer Benachteiligung der Versicherten mit mehr gegenüber solchen mit weniger Kindern von einigem Gewicht. Je mehr Kinder beitragspflichtige Eltern aufziehen, desto höher ist der wirtschaftliche Erziehungsaufwand und desto mehr übersteigt dieser gegenüber Eltern mit weniger Kindern das – gleiche – Ausmaß an beitragsrechtlicher Besserstellung gegenüber den Kinderlosen, ohne dass dieser Mehraufwand durch den Zuwachs an Versicherungsschutz durch die beitragsfreie Familienversicherung vollständig ausgeglichen würde. Der genaue Umfang dieses sich in Abhängigkeit von der Kinderzahl ergebenden Nachteils lässt sich zwar angesichts der problematischen Quantifizierbarkeit des wirtschaftlichen Erziehungsaufwands nicht absolut bestimmen. Allerdings sind – für die gleichheitsrechtliche Betrachtung ausreichend – relative Aussagen möglich. Da sich der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung nicht proportional zur Anzahl der Kinder verhält (dazu oben Rn. 264 ff.), steigt der ausgleichsbedürftige Anteil des Mehraufwands in Abhängigkeit von der Kinderzahl zwar nicht proportional, aber durchaus substantiell an.
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Die Benachteiligung von Eltern mit mehr gegenüber solchen mit weniger Kindern wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass die derzeit vorgesehene Typisierung unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen einer rechtlichen Unterhaltsverpflichtung allein an die Elterneigenschaft anknüpft und damit zeitlich unbeschränkt eine relative Besserstellung von Eltern gegenüber Kinderlosen gewährleistet. Diese vom tatsächlichen Betreuungsbedarf abgekoppelte Entlastung ist bereits strukturell nicht geeignet, auch einen Ausgleich für die nach geltendem Recht bislang unterbliebene Differenzierung in Abhängigkeit von der Kinderzahl zu schaffen. Denn die so geschaffene Entlastungswirkung "über die Zeit" verliert mit steigender Kinderzahl an Wirkung: Die zeitliche Entgrenzung der Befreiung vom Beitragszuschlag kann sich von vornherein nur in solchen Zeiten begünstigend auswirken, in denen tatsächlich kein wirtschaftlicher Kindererziehungsaufwand (mehr) getragen wird. Diese Zeiträume verkürzen sich aber mit steigender Kinderzahl. Schon deswegen kommt eine Kompensation durch die zeitliche Entgrenzung der beitragsrechtlichen Besserstellung nicht in Betracht. |
(4) Auch die vergleichsweise geringe absolute Belastungswirkung der Pflegeversicherungsbeiträge rechtfertigt keine weitergehende Typisierung. Das Bundesverfassungsgericht hat die Frage, inwieweit Geringfügigkeitsargumente überhaupt verfassungsrechtlich tragfähig sind, bislang offengelassen (vgl. BVerfGE 148, 147 [204 Rn. 141]). Sie bedarf auch hier keiner Beantwortung. Jedenfalls vermögen Geringfügigkeitserwägungen substantielle und weit greifende Benachteiligungen im Kernbereich einer Regelung – wie sie hier aufgrund der Breitenwirkung und des Ausmaßes der durch die undifferenzierte Beitragserhebung entstehenden Benachteiligung festzustellen sind – nicht zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 148, 147 [204 Rn. 141]). Im Übrigen ist auch nicht anzunehmen, dass eine beitragswirksame Differenzierung je nach Anzahl der Kinder für die Versicherten notwendig nur vernachlässigbare Kleinstbeträge hervorbrächte (vgl. aber Peters, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 55 SGB XI Rn. 16 [März 2019]).
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So hat die Bundesregierung mit ihrer Stellungnahme ein an den Beitragszuschlag für Kinderlose anknüpfendes Alternativmodell skizziert, nach dem – ausgehend von einem (erhöhten) Beitragszuschlag für Kinderlose von 0,3 Prozentpunkten – für Eltern mit nur einem Kind ein Beitragszuschlag von 0,15 Prozentpunkten, für Eltern mit zwei Kindern kein Beitragszuschlag und für jedes weitere Kind ein Beitragsabschlag von jeweils 0,15 Prozentpunkten vorzunehmen wäre. Nach Berechnungen der Bundesregierung schlüge sich dieses Modell bei Durchschnittsverdienern in einer Beitragsdifferenz von "weniger als 5 Euro monatlich" je Kind nieder. Auf Grundlage einer alternativen Freibetragslösung unter beispielhafter Zugrundelegung eines Freibetrags von 250 Euro gelangt die Bundesregierung – gerechnet auf das Teilzeiteinkommen der Klägerin des Ausgangsverfahrens – zu einer Entlastung von 7,62 Euro monatlich je weiterem Kind. Hierbei handelt es sich im hiesigen Kontext keinesfalls um vernachlässigbare Kleinstbeträge. |
(5) Die vorgenommene Typisierung lässt sich auch nicht unter Gesichtspunkten der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen. Zwar durfte der Gesetzgeber gerade auch im Hinblick darauf, dass es sich beim sozialversicherungsrechtlichen Beitragseinzug um ein Massenverfahren handelt, für das zudem die Arbeitgeber in Dienst genommen sind, Praktikabilitätserwägungen und Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung berücksichtigen. Erweist sich aber eine gesetzliche Regelung als in substantiellem Umfang grundsätzlich gleichheitswidrig, könnte dies weder durch ein Höchstmaß an Verwaltungsvereinfachung noch durch eine weitaus bessere Kosten-/Nutzenrelation zwischen Erhebungsaufwand und Beitragsaufkommen auf Dauer gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 148, 147 [201 f. Rn. 133] für die Steuererhebung). Vorliegend ist jedoch schon nicht erkennbar, dass die Berücksichtigung der Kinderzahl unverhältnismäßige Verwaltungsaufwände verursachte.
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Auch nach geltendem Recht entsteht Verwaltungsaufwand, weil Versicherte nach § 55 Abs. 3 Satz 3 SGB XI die Elterneigenschaft in geeigneter Form nachzuweisen haben, sofern die Elterneigenschaft nicht bereits aus anderen Gründen bekannt ist (dazu oben Rn. 308). Bekannt sein kann die Elterneigenschaft beispielsweise, weil sich diese aus den Lohnsteuerdaten des Arbeitnehmers ergibt, weil bei der Pflegekasse eine Familienversicherung für ein Kind des Mitglieds besteht oder weil in den Versicherungskonten der Rentenversicherungsträger Angaben zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten oder zum Bezug von Leistungen für Kindererziehung an Mütter enthalten sind (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 5 f.).
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Damit sind auch bereits auf dem Boden des geltenden Rechts die Strukturen für eine Erfassung nicht nur der Elterneigenschaft, sondern auch der Kinderzahl angelegt. Was die den Großteil der beitragspflichtigen Versicherten ausmachende Gruppe der abhängig Beschäftigten anbelangt, enthalten die dem Arbeitgeber zugänglichen Lohnsteuerabzugsmerkmale bereits die Information über die Anzahl der Kinderfreibeträge. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind die mitversicherten Kinder nach § 10 Abs. 6 SGB V durch das Mitglied zu melden. Auf diese Daten darf auch die Pflegekasse nach § 96 SGB XI zugreifen. |
(6) Es ist auch nicht zu erkennen, dass eine in Abhängigkeit von der Kinderzahl erfolgende relative Entlastung notwendig die verfassungsrechtliche Belastungsgrenze kinderloser Versicherter oder solcher mit weniger Kindern überschritte.
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Dass eine "Umverteilung" von Beitragslasten notwendig mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung der Vermögensverhältnisse Kinderloser sowie der Eltern mit weniger Kindern im Sinne einer erdrosselnden Wirkung verbunden wäre (vgl. zu diesem Maßstab für Krankenversicherungsbeiträge BVerfGK 13, 372 [380] unter Hinweis auf BVerfGE 82, 159 [190]), ist schon angesichts der Einkommensabhängigkeit des Pflegeversicherungsbeitrags und des allgemeinen Niveaus des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung nicht zu besorgen.
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Entsprechend konnte die Entwurfsbegründung des Kinderberücksichtigungs-Gesetzes davon ausgehen, dass eine – ohnehin ausschließlich im Hinblick auf kinderlose Mitglieder mit geringem Einkommen thematisierte – Überschreitung der Belastungsgrenze durch die prozentuale Bemessung des Beitragszuschlags vermieden wird (vgl. BTDrucks 15/3671, S. 4 und S. 5). Bei den nach Einführung des Beitragszuschlags für Kinderlose erfolgten, diesen der Höhe nach deutlich übersteigenden Anhebungen des allgemeinen Beitragssatzes hat sich der Gesetzgeber zu Zumutbarkeitserwägungen schon gar nicht veranlasst gesehen und war hierzu auch von Verfassungs wegen nicht gehalten.
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Der Gesetzgeber kann im Rahmen seines grundsätzlichen Gestaltungsspielraums berücksichtigen, in welchem Maße ein "noch höheres Maß an Solidarität mit den Kindererziehenden" (vgl. BT Drucks 15/3671, S. 5) von kinderlosen Mitgliedern der sozialen Pflegeversicherung und solchen mit weniger Kindern eingefordert werden kann. Ihm steht es auch frei, sich den für eine Beitragsgestaltung in Abhängigkeit von der Kinderzahl erforderlichen weitergehenden Differenzierungsspielraum nicht oder nicht vollständig durch die vorbeschriebene "Umverteilung der Beitragslast" von Eltern mit mehr Kindern auf Eltern mit weniger Kindern und Kinderlose, sondern (anteilig) auf andere Weise, nämlich durch steuerfinanzierte Bundeszuschüsse (Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG) oder auch sonstige beitrags- und leistungsseitige Instrumente zu verschaffen. Damit bestehen Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen auch im Falle einer kinderzahlbezogenen Differenzierung die finanzielle Stabilität des Systems gewährleistet bleiben kann. |
D. – I. |
Die mit der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 717/16 angegriffenen, die soziale Pflegeversicherung betreffenden Beitragsbescheide beruhen aus denselben Gründen wie im Verfahren 1 BvL 3/18 auf einem Beitragsrecht, das in dem streitigen Zeitraum vom 9. Januar 2008 bis zum 15. April 2008 mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar war, als beitragspflichtige Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die mehr Kinder betreuen und erziehen, gegenüber beitragspflichtigen Mitgliedern, die weniger Kinder betreuen und erziehen, in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden. Die Bescheide und die sie bestätigenden Gerichtsentscheidungen verletzen deshalb die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
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II. |
1. Die mit der Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2257/16 mittelbar angegriffenen Bestimmungen des Beitragsrechts der sozialen Pflegeversicherung in ihren im streitigen Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 24. April 2012 (hinsichtlich der Beschwerdeführerin) beziehungsweise bis zum 31. Dezember 2010 (hinsichtlich des Beschwerdeführers) geltenden Fassungen verletzen aus den genannten Gründen Art. 3 Abs. 1 GG insoweit, als beitragspflichtige Eltern in der sozialen Pflegeversicherung unabhängig von der Kinderzahl in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden. |
2. Im Hinblick auf das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Art. 3 Abs. 1 GG (zum Maßstab oben Rn. 239 ff.) ist nicht dadurch verletzt, dass Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung mit Kindern mit einem gleich hohen Rentenversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Zwar begründet die gleiche Beitragsbelastung auch in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der gesetzgeberischen Konzeption eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (a). Es fehlt allerdings an einer Benachteiligung der Eltern, weil innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung bereits ein hinreichender Nachteilsausgleich erfolgt (b).
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a) In der gesetzlichen Rentenversicherung bedeutet auf der Grundlage der gesetzgeberischen Konzeption die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Kinderlosen eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Diese gesetzgeberische Konzeption ist darauf gerichtet, den wirtschaftlichen Aufwand der Kindererziehung im System der gesetzlichen Rentenversicherung faktisch beitragswirksam anzuerkennen.
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aa) Im umlagefinanzierten System der Rentenversicherung dient die Anerkennung von Kindererziehungszeiten – neben dem Schutz vor erziehungsbedingten Versorgungsnachteilen im Alter – auch der Honorierung des Wertes der Kindererziehung (1), wohingegen die Höherbewertung durch die Kinderberücksichtigungszeiten maßgeblich auf die Schließung kindererziehungsbedingter Lücken in der Versichertenbiografie zielt (2).
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(1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Nach Erfüllung der allgemeinen Wartezeit begründet die Kindererziehungszeit eine eigenständige Rentenanwartschaft, deren Wert sich nach § 70 Abs. 2 SGB VI bemisst. Danach werden für Kindererziehungszeiten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte angerechnet, also für ein Jahr 0,9996 Entgeltpunkte, was nahezu dem Durchschnittsentgelt der Rentenversicherten für das jeweilige Kalenderjahr entspricht. Die Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten werden zu den Entgeltpunkten für andere Beitragszeiten addiert, allerdings maximal bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI – nachfolgend auch: "[begrenzt] additive Wirkung"). |
(aa) Die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten zielte nach ihrem überkommenen Zweck allein auf die Kompensation erziehungsbedingter Nachteile beim Aufbau von Rentenanwartschaften (vgl. Steiner, NZS 2004, S. 505 [507]). Dies war bei Einführung dieses Instruments in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S. 1450) auch die erklärte Intention des Gesetzgebers (vgl. die Entwurfsbegründung BTDrucks 10/2677, S. 28).
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Mit dem sogenannten "Trümmerfrauen-Urteil" vom 7. Juli 1992 hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, die kindererziehungsbedingten Nachteile in weiterem Umfang als bisher auszugleichen (vgl. BVerfGE 87, 1 [39] sowie den 2. Leitsatz der Entscheidung). Die seinerzeit vorgesehene Ausgestaltung der Rentenversicherung führe im Ergebnis zu einer Benachteiligung der Familie, namentlich der Familie mit mehreren Kindern. Trotz der bestandssichernden Bedeutung der Kindererziehung für das als Generationenvertrag ausgestaltete System der Altersversorgung müssten Eltern bei einem erziehungsbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Vergleich zu Kinderlosen Einkommenseinbußen hinnehmen und hätten deswegen künftig geringere Renten zu erwarten (vgl. BVerfGE 87, 1 [37 f.]). Die Benachteiligung von Familien, in denen ein Elternteil sich der Erziehung widme, werde weder durch staatliche Leistungen noch auf andere Weise ausgeglichen. Die festgestellten Nachteile hätten ihre Wurzel nicht allein im Rentenrecht und bräuchten folglich auch nicht nur dort ausgeglichen zu werden (vgl. BVerfGE 87, 1 [39]). Soweit sich aber die Benachteiligung gerade in der Alterssicherung der kindererziehenden Familienmitglieder niederschlage, sei sie vornehmlich durch rentenrechtliche Regelungen auszugleichen. Auch dabei bestehe ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der insbesondere nicht verpflichtet sei, Kindererziehung und Beitragszahlung hinsichtlich der Begründung von Rentenanwartschaften gleichzustellen. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten als rentenbegründender und rentensteigernder Tatbestand sei ein grundsätzlich geeignetes und systemgerechtes Instrument zur Verbesserung der Alterssicherung kindererziehender Versicherter (vgl. BVerfGE 87, 1 [40]). |
Von diesen späteren kindererziehungsbedingten Anwartschaftsnachteilen, deren Auswirkungen erst im Alter spürbar werden, ist der sich bereits in der Erziehungsphase auswirkende wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand zu unterscheiden (vgl. auch BVerfGE 82, 60 [80 f.]), auch wenn erziehungsbedingte Anwartschaftsnachteile, wie sie insbesondere Frauen erleiden, typischerweise auf den Opportunitätskosten der Kindererziehung beruhen. Dass es sich bei den Anwartschaftsnachteilen um einen "Folgeschaden" handelt, hindert jedoch nicht, auch den primären Nachteil als gesondert ausgleichsfähig und gegebenenfalls -bedürftig anzuerkennen. Dies gilt auch deshalb, weil der wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand nicht nur die die späteren Anwartschaftsnachteile begründenden Opportunitätskosten, sondern auch den Realaufwand (insbesondere erziehungsbedingte Konsumausgaben) umfasst.
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(bb) Folge dieser überkommenen Ausrichtung der Kindererziehungszeiten auf den Ausgleich erziehungsbedingter Anwartschaftsnachteile war es, dass Kindererziehungszeiten, die mit beitragsbelegten Zeiten zusammentrafen, nicht oder nur eingeschränkt berücksichtigt wurden. Das Bundesverfassungsgericht sah hierin eine mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbare Benachteiligung jener Versicherten, die auch während der ersten Lebensphase ihres Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen (vgl. BVerfGE 94, 241 [260 ff.]). Der Gesetzgeber habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Wert der Kindererziehung für die Rentenversicherung – im Sinne einer Sicherung des Rentensystems und einer Garantiefunktion der Kindererzie hung für das vom Generationenvertrag getragene Umlageverfahren – nicht dadurch geschmälert oder gar aufgehoben wird, dass die Erziehungsperson während der Zeit der ersten Lebensphase des Kindes einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist oder nachgeht oder freiwillig Beiträge zeitnah oder nachträglich entrichtet werden und deswegen ein Sicherungsdefizit nicht besteht (vgl. BVerfGE 94, 241 [263 f.]). |
In Umsetzung dieser Entscheidung (vgl. BTDrucks 13/8011, S. 81) durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 [RRG 1999]) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998) sieht das Gesetz nunmehr eine additive Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten neben sonstigen Beitragszeiten bis zur Beitragsbemessungsgrenze vor (vgl. § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Werden Kindererziehungszeiten demnach grundsätzlich – vorbehaltlich der Beschränkung durch die Beitragsbemessungsgrenze – unabhängig davon als Beitragszeiten angerechnet, ob und in welchem Umfang der Versicherte im jeweiligen Zeitraum bereits anderweitig, insbesondere aufgrund einer Erwerbstätigkeit, Beitragszeiten zurückgelegt hat, reicht ihr Zweck über die Kompensation erziehungsbedingter Nachteile beim Erwerb von Rentenanwartschaften hinaus und öffnen sie sich im Sinne eines "Überhangs" für den Ausgleich weitergehender Nachteile wie den des wirtschaftlichen Kindererziehungsaufwands.
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(2) Die daneben tretenden Kinderberücksichtigungszeiten dienen demgegenüber in ihrer Höherbewertungsfunktion maßgeblich dem Ausgleich erziehungsbedingter Versorgungsnachteile, nicht aber dem des gegenwärtigen wirtschaftlichen Aufwands der Kindererziehung.
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Nach § 70 Abs. 3a SGB VI wird für Kalendermonate mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (dazu oben Rn. 38) und Pflichtbeitragszeiten, also dem Bestehen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, ein Zuschlag gewährt, wenn mindestens 25 Jahre mit rentenrechtlichen Zeiten vorhanden sind. Der Zuschlag beträgt 50% der für die Pflichtbeitragszeit ermittelten Entgeltpunkte, höchstens aber ein Drittel Entgeltpunkt pro Jahr (§ 70 Abs. 3a Satz 2 Buchstabe a SGB VI). Der Zuschlag an Entgeltpunkten darf zusammen mit den für Beitragszeiten und Kindererziehungszeiten ermittelten Entgeltpunkten den Wert von (annähernd) einem Entgeltpunkt nicht überschreiten (§ 70 Abs. 3a Satz 3 SGB VI). Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung werden mithin durch Kindererziehungszeiten faktisch verdrängt, denn durch die Kindererziehungszeiten wird in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes bereits (annähernd) ein Entgeltpunkt pro Jahr gutgeschrieben. Die Höherbewertungsfunktion der Kinderberücksichtigungszeiten kommt deshalb nur in der Zeit vom dritten bis zum zehnten Lebensjahr eines Kindes zum Tragen. Wer zeitgleich Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für zwei Kinder vorweisen kann, erhält den Zuschlag auch bei nicht beitragsbelegten Zeiten, also auch ohne versicherungspflichtige Beschäftigung (§ 70 Abs. 3a Satz 2 Buchstabe b SGB VI). Die Maximalförderung kann danach in Anspruch nehmen, wer in dieser Zeit über Entgeltpunkte aus Pflichtbeitragszeiten entsprechend zwei Drittel des Durchschnittsentgelts verfügt. Bleiben Versicherte darunter, fällt der 50%-Zuschlag entsprechend geringer aus, bleiben sie darüber, wird ein Teil des Zuschlags gekappt, wenn die Summe die Grenze der Durchschnittsentgeltpunkte (auf ein Jahr bezogen einen Entgeltpunkt) erreicht (vgl. zum Ganzen Roller, NZS 2001, S. 408). |
Kinderberücksichtigungszeiten sind demnach maßgeblich darauf gerichtet, kindererziehungsbedingte Anwartschaftsnachteile auszugleichen, weil entweder – bei während der Kindererziehungsphase ausgeübter Erwerbstätigkeit – ein geringeres beitragspflichtiges Einkommen erzielt wird (insbesondere aufgrund von Teilzeittätigkeit) oder aber – im Falle der gleichzeitigen Erziehung mehrerer Kinder – keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (vgl. BTDrucks 14/4595, S. 48). Aufgrund der Kappung der Höherbewertung nach § 70 Abs. 3a Satz 3 SGB VI steht ein "Überhang" – anders als bei den Kindererziehungszeiten – grundsätzlich nicht zur Verfügung.
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bb) Die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten auf der Leistungsseite stellt sich zugleich als faktische Ent lastung auf der Beitragsseite dar. Ohne die leistungsrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten müsste der kindererziehende Versicherte den entsprechenden Anwartschaftsteil durch höhere Beiträge erwerben. |
Einfach-rechtlich spiegelt sich die faktische Beitragswirksamkeit der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten auch darin wider, dass die anwartschaftsbegründende und anwartschaftssteigernde Wirkung in Entgeltpunkten ausgedrückt und hierfür ein Betrag alljährlich vom Bund als "Beitrag" gezahlt wird (vgl. § 177 SGB VI). Die Beitragsfreiheit der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten kann deswegen – nicht anders als die Beitragsfreiheit des Versicherungsschutzes für Familienmitglieder in der sozialen Pflege- und gesetzlichen Krankenversicherung – als grundsätzlich in der Erziehungsphase wirksamer Vorteil qualifiziert werden. Der Umstand, dass der vom Bund nach § 177, § 178 Abs. 3 SGB VI zu tragende Abgeltungsbetrag für Kindererziehungszeiten aus Steuermitteln aufgebracht und so auch von beitragspflichtigen Eltern finanziert wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung (dazu oben Rn. 289).
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b) In dieser gesetzgeberischen Ausgestaltung liegt aber keine Benachteiligung der Eltern. Es ist nicht erkennbar, dass der wirtschaftliche Kindererziehungsaufwand durch die begrenzt-additive Anrechnung der Kindererziehungszeiten nicht schon im System der Rentenversicherung selbst hinreichend berücksichtigt wird.
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aa) Durch die rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehungszeiten hat der Gesetzgeber für solche beitragspflichtige Versicherte, die ihre Erwerbstätigkeit erziehungsbedingt reduzieren, einen durchaus spürbaren Ausgleich für daraus resultierende Anwartschaftsnachteile geschaffen. Reduziert der ein rentenrechtliches Durchschnittseinkommen beziehende Elternteil seinen Erwerbsumfang und erbringt er aus diesem Grund nur entsprechend verringerte Beiträge, führen die Kindererziehungszeiten für die Dauer von drei Jahren im Umfang der Reduzierung zum vollständigen Ausgleich des erziehungsbedingten Anwartschaftsnachteils. Insoweit bringt die rentenrechtliche Anerkennung der Kin dererziehungszeiten auch bereits in der Erwerbsphase einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil hervor, weil Versicherte ohne Kindererziehungszeiten aufgrund des mit der Reduzierung des Erwerbsumfangs einhergehenden Sicherungsdefizits eigene Beiträge für entsprechende Anwartschaften aufzuwenden hätten. |
Die Bundesregierung hat die in der Anrechnung der Kindererziehungszeit liegende faktische Beitragsersparnis quantifiziert und diese in Form einer (fiktiven) "rechnerischen Beitragssatzabsenkung" (richtigerweise: Ausbleiben einer fiktiven Beitragssatzanhebung) ausgedrückt, die sie auf die Kindererziehungsphase, alternativ auf die gesamte Erwerbsbiografie, umgelegt hat. Ausgehend von einer durch die Kindererziehungszeiten insgesamt bewirkten faktischen Beitragsentlastung von 22.618 Euro errechnet die Bundesregierung für einen Durchschnittsverdiener eine "rechnerische Beitragssatzabsenkung" von drei Prozentpunkten für gut 18 Jahre für ein Kind; für zwei Kinder errechnet die Bundesregierung eine solche von 2,5 Prozentpunkten für die gesamte Dauer der Erwerbsbiografie (Stand: 2020). Der durch die rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehungszeiten bewirkte Ausgleich wirkt zudem auch in Abhängigkeit von der Kinderzahl, weil die drei Jahre Kindererziehungszeit für jedes einzelne Kind gewährt und bei sich überlappenden Zeiten – also einem Geburtenabstand unter drei Jahren – jeweils "angehängt" werden.
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Wie sich daneben die zusätzliche Einbeziehung der Kinderberücksichtigungszeiten auswirkt, lässt sich nicht allgemeingültig beantworten, weil deren Wirkung in hohem Maße von der individuellen Erwerbsbiografie abhängig ist. Die von der Bundesregierung angeführte höchstmögliche Höherbewertung (Beitragsersparnis von 17.582 Euro bis zum 10. Lebensjahr) ist aufgrund der Wirkungsweise von Kinderberücksichtigungszeiten (dazu oben Rn. 343 ff.) jedenfalls nur bei einer ununterbrochenen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zum 10. Lebensjahr des Kindes, durch die über alle Jahre ein Einkommen in Höhe von exakt zwei Dritteln des rentenrechtlichen Durchschnittsentgelts (vgl. § 70 Abs. 3a Satz 2 Buchstabe a SGB VI) bezogen wird, erreichbar. Anders als die Kindererziehungszeiten wirken Kinder berücksichtigungszeiten nicht streng in Abhängigkeit von der Kinderzahl, weil sie stets mit Ablauf des Zehnjahreszeitraums für das zuletzt geborene Kind enden. Im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung nimmt der maximal mögliche Gesamteffekt mit zunehmender Kinderzahl sogar ab (vgl. Schmähl/Rothgang/Viebrok, Forschungsnetzwerk Alterssicherung [FNA] des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger [Hrsg.], Berücksichtigung von Familienleistungen in der Alterssicherung, S. 71). |
bb) Eine über die Kompensation von Anwartschaftsnachteilen hinausgehende Ausgleichswirkung des gegenwärtigen wirtschaftlichen Kindererziehungsaufwands durch die additive Wirkung der Kindererziehungszeiten ergibt sich allerdings (nur) insoweit, wie die rentenrechtliche Anerkennung nicht bereits zum Ausgleich eines Sicherungsdefizits "verbraucht" wird. Damit fällt der "Überhang" umso geringer aus, je höher die Opportunitätskosten der Kindererziehung sind, und umso höher aus, je geringer sie sind. Dies wirkt sich gerade für erwerbstätige Mütter mit mehreren Kindern nachteilig aus, die typischerweise für eine längere Zeit höhere Opportunitätskosten tragen als Versicherte mit einem Kind (dazu oben Rn. 258).
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Die beschriebene Ausgleichswirkung mindert sich zudem bereits ab einem das rentenrechtliche Durchschnittseinkommen (2022 vorläufig: 3.241,75 Euro brutto monatlich) moderat übersteigenden Verdienst und bleibt – erreicht oder überschreitet das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze – schließlich vollständig aus. Denn die auf Höchstwerte entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze beschränkte Bewertung von Kindererziehungszeiten, die mit sonstigen beitragsbelegten Zeiten (insbesondere wegen Erwerbsarbeit) zusammentreffen (vgl. § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI), hat zur Folge, dass die Kindererziehungsleistung geringer bewertet wird, sobald die Summe aus Entgeltpunkten für Kindererziehung und aus sonstigen Beitragszeiten den vorgesehenen Höchstwert an Entgeltpunkten entsprechend der Beitragsbemessungsgrenze (2022: 7.050 Euro monatlich in den alten und 6.750 Euro in den neuen Bundesländern) überschreitet. Je mehr Beiträge für den Zeitraum der Kindererziehung geleistet werden, umso höher fällt die Kürzung der Entgeltpunkte für die Kindererziehungszeiten aus. Wird ein die Beitragsbemessungsgrenze erreichendes oder übersteigendes Arbeitseinkommen bezogen und damit bereits der Höchstbetrag an Pflichtbeiträgen gezahlt, bleibt die Kindererziehungsleistung vollständig unberücksichtigt. |
Auch wirken die Kindererziehungszeiten personell begrenzt, weil sie – wenn das Kind von mehreren gesetzlich rentenversicherten Elternteilen erzogen wird – nur einem Elternteil zugeordnet werden (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Der nicht durch die Zuordnung begünstigte, aber gleichfalls Kosten der Kindererziehung tragende Elternteil erfährt keinen Ausgleich seines wirtschaftlichen Erziehungsaufwands. Gleiches gilt für die Kinderberücksichtigungszeiten; auch diese sind einem Elternteil exklusiv zuzuordnen (§ 57 Satz 1 SGB VI in Verbindung mit § 56 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Hinzu kommt, dass die anwartschaftsbegründende und anwartschaftssteigernde Wirkung der Kindererziehungszeiten auf drei Jahre beschränkt ist und damit die Kindererziehungsphase zeitlich in erheblichem Umfang unterdeckt.
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cc) Gleichwohl hat der Gesetzgeber mit der begrenzt-additiven Wirkung der Kindererziehungszeiten einen hinreichenden Ausgleich für den wirtschaftlichen Kindererziehungsaufwand geschaffen.
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Mit der Kappung des Umfangs der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten durch die Beitragsbemessungsgrenze hat der Gesetzgeber der im Beitragsrecht allgemein geltenden "Leistungsbemessungsgrenze" Rechnung getragen, die den Renten einerseits ihre existenzsichernde Funktion erhält, dabei aber andererseits die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung für die Allgemeinheit sicherstellt (vgl. BVerfGK 12, 81 [84 f.]).
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Hinsichtlich der personellen Begrenzung der rentenrechtlichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten ist zu berücksichtigen, dass die hierin liegende Beitragsersparnis typischerweise dem Familieneinkommen zugutekommt und im Fall einer Scheidung auch die auf Kindererziehungszeiten beruhenden Anwartschaften dem Versorgungsausgleich unterliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – XII ZB 262/04 –, Rn. 13), so dass eine gewisse Ausgleichswirkung auch dem nicht durch die Zuordnung begünstigten Elternteil zuteil wird. |
Die zeitliche Begrenzung der Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten trägt dem Umstand Rechnung, dass die Opportunitätskosten in den ersten Lebensjahren des Kindes besonders intensiv ausfallen. Zudem durfte der Gesetzgeber annehmen, dass die abseits des Rentenrechts in Verfolgung seines Gleichstellungsauftrags aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG ergriffenen Instrumente zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu einer steten Steigerung der Erwerbsquote und des Erwerbsumfangs insbesondere bei Müttern führen.
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Angesichts all dessen lässt sich nicht feststellen, dass die insbesondere durch die rentenrechtliche Anerkennung von Kindererziehungszeiten bewirkte faktische Beitragsentlastung offensichtlich ungenügend ist, den entstehenden Nachteil auszugleichen.
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3. Auch im Hinblick auf das Beitragsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Art. 3 Abs. 1 GG (zum Maßstab oben Rn. 239 ff.) ist nicht dadurch verletzt, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung mit Kindern mit einem gleich hohen Krankenversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Zwar begründet die gleiche Beitragsbelastung auch in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem (a). Es fehlt allerdings an einer Benachteiligung der Eltern, weil innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ein hinreichender Ausgleich erfolgt (b).
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a) Nicht anders als im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung führt die gleiche Beitragsbelastung von Eltern und Kinderlosen zu einer Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. In Ansehung der die Ausgestaltung der gesetzlichen Krankenversicherung tragenden Strukturprinzipien bestehen zwischen beitragspflichtigen Eltern und Kinderlosen gleichheitsrechtlich relevante Unterschiede. Der Gesetzgeber hat insbesondere durch die Schaffung der beitragsfreien Familienversicherung und der diese flankierenden kinder- und familienbezogenen Leis tungen zum Ausdruck gebracht, dass er den wirtschaftlichen Aufwand der Kindererziehung innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung anerkennen will. |
Die beitragsfreie Versicherung von Kindern des Mitglieds einer gesetzlichen Krankenkasse nach § 10 Abs. 1, 2 und 4 SGB V ist eine Maßnahme des sozialen Ausgleichs zur Entlastung der Familie (BVerfGE 107, 205 [213]). Die Unterhaltspflicht der Eltern gemäß §§ 1601 ff. BGB (vgl. dazu BVerfGE 108, 52 [72]; 113, 88 [109 f.]) umfasst die Kosten eines angemessenen Krankenversicherungsschutzes der Kinder (vgl. BVerfGE 107, 205 [217]). Diese einfachrechtlichen Unterhaltspflichten konkretisieren die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Eltern zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder gemäß Art. 6 Abs. 2 GG, die sie auch zur Unterhaltsgewährung verpflichtet (vgl. BVerfGE 108, 52 [72]; 113, 88 [109 f.]). Der in Familien mit Kindern bestehende mehrfache Bedarf an Krankenversicherungsschutz zieht mithin erhöhten Unterhaltsaufwand nach sich, den Eltern in Ermangelung einer beitragsfreien Familienversicherung durch eigene Beiträge abdecken müssten. Diesem krankenversicherungsschutzbezogenen Unterhaltsmehraufwand hat der Gesetzgeber nicht im Wege des allgemeinen Familienlastenausgleichs Rechnung getragen, sondern ihn durch Schaffung der beitragsfreien Familienversicherung im System der gesetzlichen Krankenversicherung selbst, also "systemintern", im Wege faktischer Beitragsentlastung anerkannt.
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b) Es fehlt allerdings an einer Benachteiligung, weil der wirtschaftliche Erziehungsaufwand durch die beitragsfreie Familienversicherung und die sie flankierenden kinderbezogenen Leistungen nicht nur anerkannt, sondern schon im System hinreichend kompensiert wird.
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aa) Leistungen zur Behandlung von Krankheiten und zur gesundheitlichen Vorsorge werden – anders als pflegebezogene Leistungen – in erheblichem Umfang auch schon in Kindheit und Jugend in Anspruch genommen. Nach den von der Bundesregierung mitgeteilten Angaben belaufen sich die Ausgaben (Leistungsausgaben und Verwaltungskosten) der gesetzlichen Krankenversicherung auf über 20 Mrd. Euro; die Leistungsausgaben je Versi chertenjahr lagen für Versicherte im Alter von unter 20 Jahren bei durchschnittlich etwa 1.500 Euro. Im Vergleich zur beitragsfreien Familienversicherung in der sozialen Pflegeversicherung, die bereits einen gewissen Nachteilsausgleich darstellt (dazu oben Rn. 275), betragen die Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung damit ungefähr das Zehnfache, ohne dass in der gesetzlichen Krankenversicherung zehnfach höhere Beiträge verlangt würden. Hierbei und auch bei dem diesen Leistungen zugrundeliegenden Versicherungsschutz handelt es sich um einen in der Phase der Kindererziehung und -betreuung wirtschaftlich spürbaren Vorteil, zumal beitragspflichtige Eltern durch die beitragsfreie Familienversicherung von einer gegenüber ihren Kindern bestehenden Unterhaltsverbindlichkeit befreit werden (dazu oben Rn. 362). |
bb) Soweit die Beschwerdeführerin und der Beschwerdeführer das Ausmaß des Vorteils mit dem Argument in Zweifel ziehen, dass Familien im Durchschnitt mehr an Beiträgen einzahlten, als sie an Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nähmen, und erst ab vier oder mehr Kindern eine Familie in der aktiven Familienphase mit durchschnittlichem Einkommen und durchschnittlichen in Anspruch genommenen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Gesundheitskosten verursache, die höher als die von ihr eingezahlten Beiträge seien (unter Bezugnahme auf Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, 2013), zeigen sie hierdurch zum einen keinen spezifischen Nachteil beitragspflichtiger Eltern auf und stellen zum anderen eine dem System der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich fremde "renditebezogene" Betrachtung an.
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Die gesetzliche Krankenversicherung dient der Absicherung der als sozial schutzbedürftig angesehenen Versicherten vor den finanziellen Risiken einer Erkrankung. Dabei findet ein umfassender sozialer Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie auch zwischen Kinderlosen und beitragspflichtigen Eltern statt (vgl. BVerfGE 113, 167 [220]). Selbst wenn die von Versicherten mit unterhaltspflichtigen Kindern geleisteten Beitragszahlungen den Wert der von ihnen und ihren familienversicherten Angehörigen während der aktiven Familienphase in Anspruch genommenen Versicherungsleistungen im Durchschnitt überstiegen, stellt dies den Vorteil, der ihnen durch den beitragsfreien Erwerb des Rechts auf Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen durch Familienangehörige erwächst, nicht in Frage. Die Beitragszahlung zielt nicht auf die Versicherungsleistung im Krankheitsfall, sondern den Versicherungsschutz, der im Falle der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bloß ein typisches Altersrisiko, sondern ein alle Altersgruppen treffendes Lebensrisiko abdeckt. Soweit beitragspflichtige Eltern als "Nettozahler" mehr in das Umlagesystem der gesetzlichen Krankenversicherung einzahlen, als sie und ihre mitversicherten Angehörigen an Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen, befinden sie sich in keiner anderen Lage als kinderlose erwerbstätige Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, bei denen die Differenz zwischen eigenen Beitragszahlungen und in Anspruch genommenen Leistungen vielfach noch größer ausfällt (vgl. Niehaus, Familienlastenausgleich in der Gesetzlichen Krankenversicherung? Die "beitragsfreie Mitversicherung" auf dem Prüfstand, 2013, S. 12) und die mit ihren Beiträgen solidarisch die beitragsfreie Mitversicherung dadurch mitfinanzieren, dass – würden Kinderlose von einem entsprechenden Beitragsanteil freigestellt – beitragspflichtige Eltern höhere Beiträge zu entrichten hätten. |
III. |
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die sich mittelbar gegen das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung richtende Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17 – soweit zulässig – unbegründet ist.
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E. |
Die von der Vorlage des Sozialgerichts umfassten Normen der § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB XI sowie § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI verstoßen in ihren ab dem 1. Juli 2006 geltenden Fassungen insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als beitragspflichtige Mitglieder, die Kinder betreuen und erziehen, unabhängig von der Zahl der Kinder in gleicher Weise zu Beiträgen herangezogen werden. Aufgrund dessen haben auch die Verfassungsbeschwerden in den Verfahren 1 BvR 717/16 und 1 BvR 2257/16, soweit zulässig, (teilweise) Erfolg, wobei die letztgenannte Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung und die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 1 BvR 2824/17 im Umfang ihrer Zulässigkeit insgesamt unbegründet sind. |
I. |
1. Auf die Vorlage ist die Verfassungswidrigkeit der vorgelegten gesetzlichen Vorschriften auszusprechen (§ 81 BVerfGG), was jedoch nicht notwendig zu deren Nichtigkeit (§ 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG) führt. Insbesondere wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen, kommt auch eine bloße Unvereinbarkeitserklärung in Betracht. Das ist grundsätzlich bei Verletzungen des Gleichheitssatzes anzunehmen (vgl. BVerfGE 99, 280 [298]; 105, 73 [133]; 117, 1 [69]; 122, 210 [245]; 126, 400 [431]; 148, 147 [211 Rn. 165]; stRspr).
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Danach ist vorliegend lediglich die Unvereinbarkeit der zur Prüfung vorgelegten Normen mit Art. 3 Abs. 1 GG insoweit auszusprechen, als beitragspflichtige Mitglieder, die Kinder betreuen und erziehen, unabhängig von der Zahl der Kinder in gleicher Weise zu Beiträgen in der sozialen Pflegeversicherung herangezogen werden. Es bestehen vielfältige Möglichkeiten, wie der Gesetzgeber die gebotene kinderzahlbezogene Differenzierung von Eltern im Beitragsrecht vornehmen und gegenfinanzieren könnte, ohne dass er verfassungsrechtlich auf eine dieser Möglichkeiten festgelegt wäre.
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Der Gesetzgeber ist nicht nur darin frei, auf welche Weise er die kinderzahlabhängige Beitragsdifferenzierung schafft, son dern genießt auch einen weiten Wertungs- und Gestaltungsspielraum hinsichtlich des Ausmaßes der Entlastung. Es steht dem Gesetzgeber darüber hinaus frei, wie er die kinderzahlabhängige Entlastung beitragspflichtiger Eltern gegenfinanziert. Im Zuge der erforderlichen Neuregelung wird sich der Gesetzgeber ferner mit der Frage zu befassen haben, ob er die beitragsrechtliche Privilegierung der Eltern wie bislang lebenslang ausgestalten will oder auf den Zeitraum, in dem Erziehungsaufwand (typischerweise) tatsächlich anfällt, beschränkt. |
2. Grundsätzlich erstreckt sich die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine der Verfassung entsprechende Rechtslage herzustellen, rückwirkend auf den gesamten von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Zeitraum und erfasst so zumindest alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen, die auf der für verfassungswidrig erklärten Regelung beruhen (vgl. BVerfGE 133, 377 [423 Rn. 108] m.w.N.). Aus besonderem Grund, namentlich im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung, kann allerdings die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen gerechtfertigt sein (vgl. BVerfGE 138, 136 [250 Rn. 287]; 139, 285 [319 Rn. 89]; 158, 282 [383 f. Rn. 250]).
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Hieran gemessen ist die Fortgeltung der vorgelegten Normen auszusprechen und der Gesetzgeber unter Fristsetzung zur Schaffung eines verfassungsgemäßen Zustands (nur) mit Wirkung für die Zukunft zu verpflichten. Eine rückwirkende Umgestaltung des Beitragsrechts würde in erheblicher Weise das Allgemeininteresse an einer verlässlichen Finanzplanung in der sozialen Pflegeversicherung berühren und gegebenenfalls zu erheblichen Rückabwicklungsaufwänden unter Einbeziehung verschiedener Stellen führen.
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3. Mit der Fortgeltungsanordnung ist dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung zu setzen. Aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Gestaltungsmöglichkeiten für eine in Abhängigkeit von der Kinderzahl differenzierende Entlastung und deren Gegenfinanzierung ist dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung bis zum 31. Juli 2023 einzuräumen. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung gilt das bisherige Recht.
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II. |
Die Unvereinbarkeit des Beitragsrechts der sozialen Pflegeversicherung mit Art. 3 Abs. 1 GG führt in den Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 717/16 und 1 BvR 2257/16 zu der Feststellung, dass die Beschwerdeführerinnen und der Beschwerdeführer in diesem Grundrecht verletzt sind, soweit sie unabhängig von der Zahl ihrer Kinder in gleicher Weise wie beitragspflichtige Versicherte mit weniger Kindern zu Beiträgen in der sozialen Pflegeversicherung herangezogen wurden. Demgegenüber haben die angegriffenen Urteile und Bescheide, soweit zulässig angegriffen, aufgrund der befristeten Fortgeltungsanordnung Bestand, so dass den Verfassungsbeschwerden insoweit der Erfolg versagt bleiben muss (vgl. BVerfGE 103, 1 [20]; 109, 64 [96]; 111, 289 [306 f.]; 115, 276 [319]).
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III. |
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung in den Verfassungsbeschwerdeverfahren 1 BvR 717/16 und 1 BvR 2257/16 beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Der Umstand, dass die angegriffenen Entscheidungen angesichts der auszusprechenden Fortgeltungsanordnung Bestand haben, gereicht den Beschwerdeführerinnen und dem Beschwerdeführer im Rahmen der Auslagenerstattung nicht zum Nachteil (vgl. BVerfGE 109, 64 [96]).
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