BVerfG 2 BvE 4/20, 5/20 - Wahl Kemmerich |
Wahl Kemmerich |
1. Für den Bundeskanzler gelten die Maßgaben zur Abgrenzung des Handelns in amtlicher Funktion von der nicht amtsbezogenen Teilnahme am politischen Wettbewerb grundsätzlich in gleicher Weise wie für die sonstigen Mitglieder der Bundesregierung. |
2. Aus der Kompetenzordnung innerhalb der Bundesregierung folgt zwar -- verglichen mit den übrigen Kabinettsmitgliedern -- ein gegenständlich weiteres Äußerungsrecht des Bundeskanzlers, nicht jedoch ergeben sich daraus andere Anforderungen mit Blick auf die Beachtung des Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebots. |
3. Gründe, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen und der Bundesregierung eine Befugnis zum Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien verleihen, müssen durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sein, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann. |
4. Als der Chancengleichheit der Parteien gleichwertige Verfassungsgüter kommen der Schutz der Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sowie das Ansehen und das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft in Betracht. |
5. Der Bundeskanzler verfügt bei der Frage, welcher Maßnahmen es zur Erhaltung der Stabilität und Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bedarf, ebenso wie im Bereich der auswärtigen Politik über einen weiten Einschätzungsspielraum. Bei Eingriffen in den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien muss plausibel dargelegt werden können oder in sonstiger Weise ersichtlich sein, dass die einen solchen Eingriff rechtfertigenden Verfassungsgüter tatsächlich betroffen sind und einen Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG erforderlich gemacht haben. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 15. Juni 2022 |
- 2 BvE 4/20 - und - 2 BvE 5/20 - |
in den Verfahren über die Anträge festzustellen, I. 1. dass die Antragsgegnerin durch die im Rahmen ihrer Rede am 6. Februar 2020 in Pretoria/Afrika getätigte Aussage "Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat, für die CDU und auch für mich, nämlich, äh, dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und, äh, deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass die CDU sich nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie." Die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat,2. dass die Antragsgegnerin durch die Veröffentlichung des nachfolgend abgebildeten Textes (Auszug aus der Mitschrift der Pressekonferenz vom 6. Februar 2020 mit dem Titel "Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa") "Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie." Auf der Website unter der URL https://www.bundeskanzlerin.de/bkinde/aktuelles/presskonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-und-dem-praesidenten-der-republik-suedafrika-cyril-ramaphosa-1719738 die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat,3. dass die Bundesrepublik Deutschland der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten hat. Antragstellerin: Alternative für Deutschland (AfD), Bundesverband, diese vertreten durch den Bundesvorstand, dieser vertreten durch den Bundessprecher Herrn Tino Chrupalla, (...), - Bevollmächtigte: (...) - Antragsgegnerin: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, (...), - Bevollmächtigter: (...) - - 2 BvE 4/20 -, II. 1. dass die Antragsgegnerin durch die Veröffentlichung des nachfolgend abgebildeten Textes (Auszug aus dem Mitschnitt der Pressekonferenz vom 6. Februar 2020 mit dem Titel "Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa")"Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie." auf der Website unter der URL https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/presskonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-und-dem-praesidenten-der-republik-suedafrika-cyril-ramaphosa-1719738 die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat, 2. dass die Bundesrepublik Deutschland der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zu erstatten hat Antragstellerin: Alternative für Deutschland (AfD) Bundesverband, diese vertreten durch den Bundesvorstand, dieser vertreten durch den Bundessprecher, Herrn Tino Chrupalla, (...), - Bevollmächtigte: (...) - Antragsgegnerin: Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler Olaf Scholz, (...), - Bevollmächtigter: (...) - - 2 BvE 5/20 - |
Entscheidungsformel: |
1. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. |
2. Die Antragsgegnerin zu I. hat durch die im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika am 6. Februar 2020 in Pretoria getätigte Äußerung "Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat, für die CDU und auch für mich, nämlich, dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass die CDU sich nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie." die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. |
3. Die Antragsgegnerinnen zu I. und II. haben durch die Veröffentlichung der unter 2. wiedergegebenen Äußerung unter der Überschrift "Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa" auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung am 6. Februar 2020 die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt. |
4 Die Anträge der Antragstellerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen werden, auch soweit sie die für erledigt erklärten Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen, abgelehnt. |
Gründe: |
Die -- zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen -- Organstreitverfahren betreffen eine am 6. Februar 2020 getätigte Äußerung der Antragsgegnerin zu I. und ihre anschließende Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung. Die Antragstellerin sieht sich sowohl durch die Äußerung als auch durch deren Veröffentlichung in ihrem Recht auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.
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A. -- I. |
1. Am 5. Februar 2020 fand im Thüringer Landtag die Wahl zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen statt. In den ersten beiden Wahlgängen traten Bodo Ramelow als gemeinsamer Kandidat der Fraktionen von SPD, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (vgl. LTDrucks 7/204) sowie Christoph Kindervater als Kandidat der Fraktion der Antragstellerin (vgl. LTDrucks 7/240) an. Keiner der Wahlvorschläge erhielt die gemäß Art. 70 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen (Verf TH) notwendige absolute Stimmenmehrheit. Daraufhin nominierte die Fraktion der FDP Thomas Kemmerich als weiteren Kandidaten für den dritten Wahlgang (vgl. LTDrucks 7/242), in dem gemäß Art. 70 Abs. 3 Satz 3 Verf TH gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält (vgl. hierzu Dressel/Gogolin, LKV 2015, S. 433 [434 ff.]). Dieser wurde mit 45 von 90 Stimmen bei einer Enthaltung, 44 Stimmen für den Kandidaten Ramelow und keiner Stimme für den Kandidaten Kindervater gewählt (vgl. insgesamt LT-Plenarprotokoll 7/7, S. 441 f., 444 ff.).
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An der Wahl des Ministerpräsidenten wurde wegen der angenommenen Mitwirkung von Abgeordneten der Antragstellerin heftige öffentliche Kritik geübt (vgl. nur FAZ.net vom 5. Februar 2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fdp-fraktionschef-kemmerich-neuer-ministerpraesident-in-thueringen-16618322.html). Zu den Kritikern gehörte auch die damalige CDU-Bundesvorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, die noch am selben Tag äußerte, dass eine Unterstützung des Kandidaten Kemmerich auch durch Abgeordnete der CDU-Fraktion gegen die Beschlusslage der CDU Deutschlands verstoße, die eine Zusammenarbeit mit der Antragstellerin ausschließe; es sei geboten, dass der Ministerpräsident zurücktrete (vgl. nur ZEIT ONLINE vom 6. Februar 2020, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-02/thueringen-annegret-kramp-karrenbauer-afd-fdp-christian-lindner-warnung).
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2. Die Antragsgegnerin zu I., die zu diesem Zeitpunkt kraft Amtes Mitglied des Präsidiums der CDU Deutschlands war (§ 29 Abs. 2 Satz 6, § 33 Abs. 1 Nr. 2 des Statuts der CDU Deutschlands), befand sich auf einer Dienstreise nach Südafrika und Angola. Am 6. Februar 2020 gab sie gemeinsam mit dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa, in Pretoria eine Pressekonferenz, bei der sie vor den Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika an einem mit dem offiziellen staatlichen Wappen der Republik Südafrika versehenen Pult stand. Nachdem der Präsident Angela Merkel in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin begrüßt, die strategische Partnerschaft Deutschlands und Südafrikas betont sowie einige Themen der im Rahmen des Besuchs geführten Gespräche skizziert hatte, äußerte sich die Antragsgegnerin zu I. wie folgt:
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"Meine Damen und Herren, ich hatte dem Präsidenten schon gesagt, dass ich aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung machen möchte, und zwar bezogen auf den gestrigen Tag, an dem ein Ministerpräsident in Thüringen gewählt wurde. Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie. Es war ein Tag, der mit den Werten und Überzeugungen der CDU gebrochen hat. Jetzt muss alles getan werden, damit deutlich wird, dass dies in keiner Weise mit dem, was die CDU denkt und tut, in Übereinstimmung gebracht werden kann. Daran wird in den nächsten Tagen zu arbeiten sein. Jetzt komme ich zu dem Land Südafrika, das ich mit Freude und zum dritten Mal als Bundeskanzlerin besuche. Ich war 2007 und 2010 hier. Es hat jetzt zehn Jahre gedauert bis ich wiedergekommen bin. Vor fast genau 30 Jahren wurde Nelson Mandela freigelassen, am 11. Februar 1990. Diese Zeit hat für Südafrika einen großen Wandel mit sich gebracht. [...]". |
Bei der sich anschließenden Befragung durch die anwesenden Journalisten wurde die Antragsgegnerin zu I. auch zur Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen befragt. Auf die Frage, ob der Vorfall dazu führen könne, dass die Große Koalition in Berlin scheitere, und ob sie in dieser Sache bereits mit dem Vizekanzler oder dem SPD-Vorsitzenden telefoniert habe, äußerte die Antragsgegnerin zu I., dass sie mit beiden Kontakt gehabt habe und sie sich darauf geeinigt hätten, den Koalitionsausschuss einzuberufen. Auf eine weitere Frage nach möglichen Folgen antwortete sie, dass Neuwahlen in Thüringen eine Option seien. Das Erste sei aus ihrer Sicht, dass die CDU sich nicht an einer Regierung unter dem Ministerpräsidenten Kemmerich beteilige. Mit Blick auf die Koalition in Berlin glaube sie, dass unter anderem die Äußerungen der CDU-Vorsitzenden und des CSU-Vorsitzenden den Vorgang eingeordnet hätten, was für die Koalition sehr wichtig gewesen sei.
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3. Eine Mitschrift der Pressekonferenz einschließlich der streitgegenständlichen Äußerung wurde unter der Überschrift "Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa" sowie mit den Hinweisen "Mitschrift Pressekonferenz" und "Im Wortlaut" auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin sowie der Bundesregierung veröffentlicht. Sie war dort abrufbar, bis die Veröffentlichung unter Verweis auf das vorliegende Verfahren entfernt wurde. Auf den Internetseiten findet sich jeweils das offizielle Dienstwappen der Bundeskanzlerin beziehungsweise der Bundesregierung, welches neben dem Bundesadler den Schriftzug "Die Bundeskanzlerin" beziehungsweise "Die Bundesregierung" trägt. Im Impressum der Internetseiten wird jeweils das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung als Anbieter ausgewiesen.
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II. |
Mit Schreiben an die Antragsgegnerin zu I. vom 18. Februar 2020 machte die Antragstellerin geltend, dass die Äußerung, wonach niemals Mehrheiten mit der Antragstellerin gewonnen werden dürften, dies unverzeihlich sei und die Ministerpräsidentenwahl rückgängig gemacht werden müsse, ihre Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletze. Gleiches rügte sie am selben Tag gegenüber der Antragsgegnerin zu II. mit Blick auf die Veröffentlichung der Äußerung auf deren Internetseite.
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III. |
Die Anträge der Antragstellerin, die Antragsgegnerinnen im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG bis zu einer Entscheidung über die Organklage in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, zu verpflichten, die streitgegenständliche Äußerung auf der Internetseite der Bundeskanzlerin beziehungsweise der Bundesregierung zu löschen, haben die Beteiligten übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Antragsgegnerinnen die Mitschrift der Pressekonferenz von ihrer jeweiligen Internetseite entfernt hatten. Die Antragstellerin hat daraufhin beantragt, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, ihr die notwendigen Auslagen der Eilverfahren zu erstatten.
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IV. |
1. Mit ihren Anträgen zur Hauptsache begehrt die Antragstellerin festzustellen, dass die in den Anträgen wiedergegebene Äußerung der Antragsgegnerin zu I. sowie deren Veröffentlichung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat.
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a) Die Anträge seien zulässig, insbesondere liege das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Ihrer Konfrontationsobliegenheit sei sie mit dem Schreiben vom 18. Februar 2020 nachgekommen. Hinsichtlich der mündlichen Äußerung fehle das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht deshalb, weil die Pressekonferenz bereits stattgefunden habe und die beanstandete Rechtsverletzung insoweit abgeschlossen sei. Jedenfalls liege ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Form einer Wiederholungsgefahr und eines objektiven Klarstellungsbedürfnisses vor.
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b) Die Anträge seien auch begründet. Mit der Äußerung (aa) beziehungsweise ihrer Veröffentlichung (bb) hätten die Antragsgegnerinnen die Pflichten zur neutralen und sachlichen Wahrung ihres Amtes verletzt.
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aa) (1) Die Äußerung sei durch die Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion getätigt worden. Sie habe sich an Ort und Stelle nur deshalb wie geschehen äußern können, weil sie sich auf einer Dienstreise als Bundeskanzlerin befunden habe. Der Präsident der Republik Südafrika habe sie in amtlicher Funktion angesprochen. Von dieser habe sie sich nicht ausdrücklich distanziert. Die Bezeichnung als Vorbemerkung aus innenpolitischen Gründen ändere daran nichts. Es sei der Bundeskanzlerin schon generell nicht möglich, auf einer Dienstreise im Rahmen einer Pressekonferenz mit einem Staatsoberhaupt private Erklärungen abzugeben. Jedenfalls lasse die gewählte Formulierung nicht erkennen, in welcher sonstigen Position sie sich habe äußern wollen, zumal sie nicht mehr Bundesvorsitzende der CDU gewesen sei. Die Formulierung "aus innenpolitischen Gründen" spreche für eine Äußerung in amtlicher Position. Gleiches gelte für die Forderung, das Ergebnis der Wahl rückgängig zu machen, da eine entsprechende Wirkmacht nur der Bundeskanzlerin zustehe. Für den amtlichen Charakter der Äußerung spreche schließlich, dass sie auf der Internetseite der Bundesregierung veröffentlicht worden sei.
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(2) Die Antragsgegnerin zu I. sei zu der streitgegenständlichen Äußerung nicht berechtigt gewesen. Insbesondere sei die Äußerung nicht durch die Befugnis der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit gedeckt, da sie keinen Bezug zur Regierungstätigkeit erkennen lasse. Die Bundeskanzlerin habe sich nicht zu demokratischen Entscheidungen auf Landesebene zu äußern.
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(3) Es liege ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht vor, die auch für die Antragsgegnerin zu I. als Regierungsoberhaupt gelte. Die Äußerung, dass keine Mehrheiten mithilfe der Antragstellerin gewonnen werden sollten, entfalte eine abschreckende Wirkung. Sie enthalte zumindest mittelbar die Aufforderung, die Antragstellerin nicht zu wählen und auszuschließen, dass mit ihrer Hilfe Mehrheiten gewonnen würden. Es sei der Antragsgegnerin zu I. versagt, in ungeheuerlicher Diktion vernichtende Werturteile über die Antragstellerin abzugeben und die politische Willensbildung durch die negative Qualifizierung deren Handelns zu beeinflussen.
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(4) Die Äußerung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot. Es zähle nicht zu den Aufgaben der Antragsgegnerin zu I., sich unter Ausnutzung staatlicher Mittel abträglich zu einer Partei zu äußern und dadurch in den demokratischen Willensbildungsprozess einzugreifen. Die Antragsgegnerin zu I. habe die Ebene des sachlichen Diskurses verlassen. Sie habe zwar auf die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen Bezug genommen, aber nicht erläutert, warum mithilfe der Antragstellerin keine Mehrheiten gewonnen werden dürften. Es stehe ihr nicht zu, dazu aufzufordern, das Ergebnis demokratischer Wahlen, zumal auf Ebene eines Landes, wegen einer Beteiligung der Antragstellerin rückgängig zu machen.
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bb) Bei den Veröffentlichungen der Antragsgegnerinnen handele es sich um amtliche Verlautbarungen. Diese seien auf der jeweiligen amtlichen Internetseite unter Nutzung staatlicher Ressourcen und Verwendung des jeweiligen Dienstwappens veröffentlicht worden. Die Publikationen nähmen ausdrücklich auf das Staatsamt Bezug.
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Die amtliche Veröffentlichung einer Erklärung, wonach keine Mehrheiten mit Hilfe der Antragstellerin gewonnen werden sollten, entfalte eine enorm abschreckende Wirkung und beeinflusse das Verhalten potenzieller Wähler und gewählter Abgeordneter. Dies beeinträchtige die Antragstellerin in ihrer gleichberechtigten Mitwirkung an der politischen Willensbildung.
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cc) Der Antragstellerin seien ihre notwendigen Auslagen unter Billigkeitsgesichtspunkten zu erstatten (§ 34a Abs. 3 BVerfGG). Dies folge daraus, dass die Antragsgegnerinnen ihr rechtswidriges Verhalten gegenüber der Antragstellerin trotz außergerichtlicher Korrespondenz und entgegenstehender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wiederholt und beibehalten hätten.
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2. Die Antragsgegnerinnen beantragen, die Anträge zurückzuweisen. Sie seien unzulässig (a) und unbegründet (b).
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a) Es fehle bereits an der Antragsbefugnis. Die Äußerung -- und in der Folge ihre Veröffentlichung -- sei ungeeignet, in Rechte der Antragstellerin einzugreifen. Es liege keine Äußerung mit Amtsautorität vor (aa), verfassungsrechtliche Rechte der Antragstellerin seien nicht berührt (bb).
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aa) Die Äußerung sei nicht in amtlicher Funktion erfolgt. Sie sei von der gemeinsamen Presseerklärung mit dem Präsidenten der Republik Südafrika bewusst und deutlich abgesetzt worden.
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Es habe sich um eine innenpolitische Stellungnahme gehandelt. Angela Merkel habe als CDU-Politikerin auf die Grundüberzeugung ihrer Partei verwiesen, dass keine Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollten. Damit habe sie eine politisch-moralische Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht, die durch Parteitagsbeschlüsse der CDU gestützt werde. Sie habe den Thüringer Landesverband der CDU adressiert und kritisiert. Dies sei eine parteipolitische Frage, bezüglich derer die Bundeskanzlerin über keine spezifische Amtsautorität verfüge.
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Exponierte Funktionsträger einer Partei könnten sich auch jenseits des Vorsitzes parteipolitisch äußern. Angela Merkel sei Mitglied des CDU-Präsidiums und des CDU-Bundesvorstands gewesen. Soweit sich die damalige CDU-Vorsitzende bereits öffentlich geäußert habe, ändere dies nichts, da politische Erklärungen keinem Gebot der Erforderlichkeit folgten.
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Durch die Äußerung seien keine amtlichen Ressourcen für private Zwecke eingesetzt worden. Wegen der engen Taktung der Auslandsreise habe keine Möglichkeit bestanden, in ein vom offiziellen Anlass auch räumlich distanziertes Umfeld auszuweichen. Der Verzicht auf eine Stellungnahme sei angesichts der Dynamik der Entwicklungen und der erheblichen Zeit bis zur Rückkehr der Antragsgegnerin zu I. nach Deutschland nicht vermittelbar gewesen. Die unmissverständliche Verlagerung der Erklärung in eine Vorbemerkung sei die einzige Möglichkeit gewesen, um die Distanz zum offiziellen Auftritt in der Hoheitsfunktion sichtbar zu machen.
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bb) Die Äußerung sei inhaltlich ungeeignet, Rechte der Antragstellerin zu berühren.
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Angela Merkel habe sich nicht zur (abgeschlossenen) Landtagswahl in Thüringen oder zur Wählbarkeit der Antragstellerin geäußert. Die Wahl eines Ministerpräsidenten sei demgegenüber nicht Teil des politischen Wettbewerbs.
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Sie habe sich auch nicht gegen die Antragstellerin gewandt, sondern ihre eigene Partei kritisiert. Die CDU habe eine Kooperation mit der Antragstellerin kategorisch ausgeschlossen. Dies habe sie in Erinnerung gerufen. Die Antragstellerin sei nur mittelbar erwähnt worden. Die Wertung, dass sie keine geeignete Koalitionspartnerin für die CDU sei, sei keine Verunglimpfung oder Ausgrenzung aus dem politischen Wettbewerb, sondern dessen legitime Konsequenz. Die Verfassung vermittele der Antragstellerin keinen Anspruch, als mögliche Koalitionspartnerin akzeptiert zu werden.
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b) Der Antrag sei jedenfalls unbegründet. Dies folge unabhängig davon, dass keine amtliche Äußerung vorliege und Rechte der Antragstellerin nicht beeinträchtigt seien, daraus, dass die Äußerung das Neutralitätsgebot wahre (aa) und zur Bewältigung einer Sondersituation erforderlich gewesen sei (bb). Die bundesstaatliche Kompetenzordnung stehe dem nicht entgegen (cc). Die Veröffentlichung sei zu Dokumentationszwecken gerechtfertigt gewesen (dd).
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aa) Angela Merkel habe sich allein mit dem Verhalten ihrer eigenen Partei auseinandergesetzt. Soweit sie sich kritisch zur Ministerpräsidentenwahl geäußert habe, greife ihre Aussage nicht zum Nachteil der Antragstellerin in den politischen Wettbewerb ein.
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Die streitgegenständliche Äußerung sei weder unsachlich noch polemisch. Angela Merkel habe lediglich die geltende Beschlusslage der CDU Deutschlands wiedergegeben, die zugleich unverzichtbare Basis der Regierungskoalition gewesen sei. Ein zielgerichteter Eingriff in den politischen Wettbewerb liege nicht vor. Die Antragstellerin habe in der Pressekonferenz nur Erwähnung gefunden, weil die Vorbemerkung andernfalls nicht verständlich gewesen wäre.
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bb) Die Äußerung sei zudem zur Bewältigung einer Sondersituation unvermeidbar gewesen.
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Es habe im Vorfeld der Pressekonferenz Voranfragen der Medien zur Situation in Thüringen gegeben. Angesichts der gravierenden innen- und außenpolitischen Auswirkungen der Ereignisse sei die generelle Verweigerung einer Antwort nicht möglich gewesen. Wegen des immensen Zeitdrucks habe der Situation nicht anderweitig begegnet werden können. Aus protokollarischer Rücksichtnahme sei es erforderlich gewesen, die Äußerung als abgesetzte Vorbemerkung ohne unmittelbar anschließende Fragen zu tätigen, um thematische Durchbrechungen der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika zu vermeiden.
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(1) Eine umgehende Einlassung sei zwingend geboten gewesen, um die Stabilität der Bundesregierung sicherzustellen. Infolge der faktischen Kooperation der CDU mit der AfD-Fraktion bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen habe sich die Regierungskoalition im Bund in einer schwierigen Situation befunden. Der Vorgang sei von der SPD als Bruch mit den Grundwerten der Regierungskoalition angesehen worden. Die Dramatik der Lage habe sich darin gezeigt, dass der SPD-Vorsitzende von einem "unverzeihlichen Dammbruch" gesprochen und der Vizekanzler geäußert habe, "sehr ernste Fragen" an die CDU-Spitze zu haben. Auch der CSU-Vorsitzende habe einen "nicht akzeptablen Dammbruch" konstatiert. In der Presse sei daraufhin die Frage nach dem Ende der Koalition gestellt worden. Ohne klarstellende Worte der Antragsgegnerin zu I. als führender CDU-Politikerin wäre die Koalition auf Bundesebene bedroht gewesen.
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(2) Es sei zudem um einen sensiblen Umgang mit einem innenpolitischen Vorgang gegangen, der in der internationalen Presseöffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und Skepsis verfolgt worden, mithin mittelbar außenpolitisch relevant gewesen sei. Unter Berücksichtigung ihrer außenpolitischen Einschätzungsprärogative sei eine Stellungnahme der Bundeskanzlerin unumgänglich gewesen. Gerade die Positionierung der CDU als stärkster Regierungspartei auf Bundesebene sei von entscheidender Bedeutung gewesen, um die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und das fortbestehende Vertrauen der ausländischen Partner der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen. Dieses Vertrauen hätte gelitten, wenn die CDU als eine Partei erschienen wäre, die entgegen ihren Grundwerten und den im In- und Ausland vertretenen Überzeugungen mit der Antragstellerin kooperiere. Um die internationale Sensibilität und Breitenwirkung zu verdeutlichen, sei darauf zu verweisen, dass die Presse unter anderem getitelt habe "Merkel's party just broke the ultimate taboo in German politics" (China Daily, Hong Kong Edition, 6. Februar 2020) und "Germany's anti-far right taboo is under pressure" (Financial Times, 7. Februar 2020). Mit Blick auf die streitgegenständliche Äußerung der Antragsgegnerin zu I. sei geschrieben worden: "The longstanding German taboo against co-operation that would allow the far-right into power is still alive" (Financial Times, 7. Februar 2020).
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cc) Die bundesstaatliche Kompetenzordnung stehe der Befassung eines Mitglieds der Bundesregierung mit einer Sachfrage nicht entgegen, sofern die Frage von bundespolitischer Bedeutung sei. Die Bundeskanzlerin habe eine besondere Integrationsfunktion. Ihr obliege es, die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sicherzustellen, wobei ihr bei der Wahl der Maßnahmen eine weite Einschätzungsprärogative zukomme. Sie dürfe sich zu Fragen der grundsätzlichen politischen Positionierung der Bundesregierung äußern, wobei Regierungspolitik immer auch parteipolitisch geprägt sei.
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dd) Mit Blick auf die Veröffentlichung der Äußerung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung sei es nicht vertretbar, einzelne Teile aus der Mitschrift der Pressekonferenz zu entfernen oder zu schwärzen. Pressebegegnungen im In- und Ausland würden vollumfänglich stenografiert und auf den jeweiligen Seiten der Antragsgegnerinnen zu Dokumentationszwecken archiviert. Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung komme insoweit seiner Chronistenfunktion nach.
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Die Mitschrift der Pressekonferenz sei bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens insgesamt von den Internetseiten der Antragsgegnerinnen entfernt worden. Diese behielten sich aber vor, sie im Falle eines Obsiegens erneut einzustellen.
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Mit der Dokumentation mache sich die Bundesregierung nicht alle gefallenen Äußerungen als amtlich zu eigen. Sie müsse aber nach dem allgemeinen Informationsfreiheits- und Presserecht die Mitschrift der Pressekonferenz auf Antrag zur Verfügung stellen. Die Dokumentation auf der Internetseite nehme diese Informationspflicht nur in allgemeiner Weise vorweg.
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3. a) In ihrer Replik trägt die Antragstellerin vor, dass die Ankündigung einer Vorbemerkung am amtlichen Charakter der Äußerung nichts ändern könne. Andernfalls bestünde eine erhebliche Missbrauchsgefahr. Es sei der Bundeskanzlerin zudem untersagt, unter Nutzung amtlicher Mittel öffentlich die Programmatik einer Partei in Erinnerung zu rufen. Ebenso wenig sei es ihre Aufgabe, demokratische Entscheidungen auf Länderebene mittels Schmähung von Parteien zu kommentieren, zumal es keine Angriffe der Antragstellerin auf die Bundesregierung gegeben habe. Soweit das Vertrauen der Koalitionspartner erschüttert gewesen sei, erwachse daraus kein Recht, die Antragstellerin öffentlichkeitswirksam zu diskreditieren. Dass die Äußerung aus außenpolitischen Gründen erforderlich gewesen sei, sei spekulativ.
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Sowohl die Äußerung als auch deren Veröffentlichung nähmen unmittelbar Bezug auf die Antragstellerin. Der Aufforderung, keine Mehrheit mit dieser zu bilden, entnehme der Durchschnittsrezipient einen deutlich negativen Aspekt, was durch die Bezeichnung des Vorgangs als "unverzeihlich" verstärkt werde. Ein derartiger Boykottaufruf stelle einen zielgerichteten Eingriff in die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG dar. Der politische Wettbewerb um Wählerstimmen sei mit der Landtagswahl in Thüringen nicht abgeschlossen. Die streitgegenständliche Aussage sei vielmehr darauf gerichtet gewesen, die Wahl rückgängig zu machen und so den Wettbewerb erneut zu starten.
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Die Antragsgegnerin zu I. habe die Grenzen ihres Äußerungsrechts bewusst überschritten. Es habe ihr freigestanden, ihre Meinung außerhalb des amtlichen Rahmens mitzuteilen und auf spätere Gespräche nach der Pressekonferenz zu verweisen.
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Soweit die Antragsgegnerinnen meinten, die Äußerung sei zum Schutz der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung erforderlich gewesen, sei dies durch nichts belegt. Dass der Bruch der Koalition gedroht habe, sei eine bloße Behauptung. Jedenfalls könne eine Destabilisierung der Koalition die streitgegenständliche Äußerung in ihrer konkreten Form nicht rechtfertigen. Die außenpolitische Einschätzungsprärogative der Bundesregierung greife schon deshalb nicht, weil die Antragsgegnerin zu I. sich zu innenpolitischen Themen geäußert habe. Zudem seien die zitierten Artikel aus der internationalen Presse sämtlich nach der Äußerung erschienen.
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b) Jedenfalls die Veröffentlichung der Erklärung auf den amtlichen Internetseiten sei rechtswidrig. Es gebe weder ein öffentliches Interesse an noch eine Rechtspflicht zur Veröffentlichung rechtsverletzender Äußerungen. Im Informationsfreiheits- und Presserecht griffen normierte Ausnahmetatbestände.
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4. Der Senat hat den in § 65 Abs. 2 BVerfGG genannten Verfassungsorganen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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5. In der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2021 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt.
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Die Antragsgegnerinnen haben auf die "prekäre Doppelrolle" der Antragsgegnerin zu I. als Bundeskanzlerin einer von mehreren Parteien getragenen Bundesregierung einerseits und als exponierte Parteipolitikerin andererseits verwiesen. Die zeitlichen und protokollarischen Zwänge vor Ort hätten eine andere Form der Kommunikation nicht möglich gemacht. Jedenfalls sei die Äußerung gerechtfertigt. Die Bundesregierung sei unter anderem in Art. 67, 68 GG mit einem starken Stabilisierungsauftrag ausgestattet. Die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. habe dazu gedient, diesen zu erfüllen.
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Für das Vorliegen einer Krisenlage sei die Wahrnehmung der Öffentlichkeit entscheidend. Diese habe ebenso wie der Koalitionspartner SPD die Ministerpräsidentenwahl als Bruch mit dem politischen Konsens der Bundesregierung wahrgenommen, wonach eine Kooperation mit der Antragstellerin nicht stattfinde. Dieser Konsens habe zur Geschäftsgrundlage der Regierungskoalition im Bund gehört. Die Antragsgegnerin zu I. habe den Fortbestand dieses Konsenses kommunizieren dürfen, um gegenüber der Öffentlichkeit und der die Regierung tragenden Parteien Verlässlichkeit herzustellen. Es habe auch einer öffentlichen Positionierung bedurft, da die Kritik an den Vorgängen in Thüringen öffentlich stattgefunden habe.
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Als Beleg für die außenpolitische Bedeutung des Vorgangs haben die Antragsgegnerinnen darauf verwiesen, dass es bereits vor der streitgegenständlichen Äußerung der Antragsgegnerin zu I. internationale Presseberichterstattung gegeben habe. Die außenpolitische Wahrnehmung habe sich auf die Frage konzentriert, ob die CDU als größte Regierungspartei mit der fundamentalen Position, wonach eine Kooperation mit der Antragstellerin nicht stattfinde, gebrochen habe. Es sei um die außenpolitische Verlässlichkeit der Bundesregierung gegangen, die mit Blick auf das Gastland Südafrika von besonderer Bedeutung gewesen sei. Die Bundesregierung habe eine breite Einschätzungsprärogative, was aus außenpolitischer Perspektive erforderlich sei, um möglichen Verwerfungen vorzubeugen.
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Die Antragstellerin hat ausgeführt, dass es Situationen geben möge, in denen die Bundesregierung stabilisiert werden müsse. Eine solche Krise habe hier aber nicht vorgelegen. Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen sei von den ausländischen Partnern als singuläres Ereignis erkannt worden. Die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. sei jedenfalls in ihrer konkreten Form nicht erforderlich gewesen.
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6. Die Antragsgegnerinnen haben nach der mündlichen Verhandlung einen internationalen Pressespiegel für den 5. und 6. Februar 2020 übermittelt. Dieser enthält unter anderem Artikel aus der Washington Post ("Black day: German politics shaken as far right becomes regional kingmaker"), dem Guardian ("Outrage as German centre-right votes with AfD to oust Thuringia premier: Leftwing leader Bodo Ramelow voted out as CDU and FDP politicians break taboo") und Le Monde ("L'accord entre la droite et l'extrême droite en Thuringe pourrait affaiblir la grande coalition de Merkel: Plusieurs élus sociaux-démocrates se sont déclarés choqués de voir la CDU, leur alliée au niveau fédéral, s'aligner sur l'AfD pour faire élire un membre du Parti libéral-démocrate [FDP] à la tête du Land allemand").
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B. |
Die Anträge sind zulässig.
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I. |
1. Die Antragstellerin ist eine politische Partei, die regelmäßig an Bundestags- und Landtagswahlen teilnimmt. Als solche ist sie im Organstreit parteifähig, soweit sie eine Verletzung ihres Rechts auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb geltend macht und sich damit auf ihren besonderen, in Art. 21 GG umschriebenen verfassungsrechtlichen Status beruft (vgl. BVerfGE 4, 27 [30 f.]; 148, 11 [19 Rn. 27]; 154, 320 [330 f. Rn. 36]; stRspr).
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2. a) Die Antragsgegnerin zu I. ist im Organstreitverfahren parteifähig.
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aa) Dabei kann die konkrete Herleitung der Parteifähigkeit des Bundeskanzlers aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 63 BVerfGG dahinstehen, da sie -- wie auch diejenige von Bundesministern (vgl. BVerfGE 90, 286 [338]; 138, 102 [107 Rn. 22]; 148, 11 [19 Rn. 28]; 154, 320 [331 Rn. 36]) -- im Ergebnis zweifelsfrei gegeben ist (vgl. für eine Einordnung als "oberstes Bundesorgan" Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ders., BVerfGG, § 63 Rn. 40 [Juli 2021]; Lenz/Hansel, BVerfGG, 3. Aufl. 2020, § 63 Rn. 10; jeweils m.w.N.; für eine Einordnung als "Organteil" Barczak, in: ders., BVerfGG, 2018, § 63 Rn. 46; Schorkopf, in: Burkiczak/Dollinger/ders., BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 63 Rn. 44; für eine Einordnung als "anderer Beteiligter" Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 464).
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bb) Die Antragsgegnerin zu I. hat die Parteifähigkeit im Organstreitverfahren nicht dadurch verloren, dass ihr Amt gemäß Art. 69 Abs. 2 GG mit dem Zusammentritt des 20. Deutschen Bundestages am 26. Oktober 2021 geendet hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Parteifähigkeit eines Beteiligten im Organstreit ist sein Status zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verfassungsstreit anhängig gemacht worden ist (vgl. BVerfGE 148, 11 [19 f. Rn. 29] m.w.N.).
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b) Die Parteifähigkeit der Antragsgegnerin zu II. folgt aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 63 BVerfGG.
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II. |
1. Antragsgegenstand ist lediglich die in den Anträgen der Antragstellerin ausdrücklich bezeichnete Passage der am 6. Februar 2020 abgegebenen Erklärung der Antragsgegnerin zu I. und die diesbezüglichen Veröffentlichungen; gegen die Erklärung in ihrer Gesamtheit wendet die Antragstellerin sich nicht. Im Organstreit wird der Streitgegenstand durch die im Antrag genannte Maßnahme oder Unterlassung und durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die die Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll (§ 64 Abs. 2 BVerfGG). An diese Begrenzung des Streitstoffs ist das Bundesverfassungsgericht gebunden (vgl. BVerfGE 138, 102 [108 Rn. 23] m.w.N.). Daher ist allein darüber zu entscheiden, ob die Antragstellerin durch den angegriffenen Teil der Erklärung in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden ist.
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2. Bei der angegriffenen Äußerung und ihrer nachfolgenden Veröffentlichung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen handelt es sich um taugliche Gegenstände des Organstreitverfahrens im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG, da sie grundsätzlich geeignet sind, in die Rechtsstellung der Antragstellerin einzugreifen (vgl. BVerfGE 154, 320 [331 Rn. 37]).
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III. |
Die Antragstellerin ist antragsbefugt.
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Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die streitgegenständliche Äußerung und ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen die verfassungsrechtlichen Grenzen der Äußerungsbefugnisse des Bundeskanzlers überschritten und dadurch die Antragstellerin in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt haben.
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Die Antragstellerin hat unter Rückgriff auf die in der angegriffenen Äußerung enthaltenen Aussagen und die bisherigen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts zu Äußerungsbefugnissen von Regierungsmitgliedern nachvollziehbar dargelegt, dass die streitgegenständliche Äußerung (jedenfalls auch) gegen die Antragstellerin gerichtet gewesen und unter spezifischer Inanspruchnahme der Amtsautorität und staatlicher Ressourcen getätigt beziehungsweise veröffentlicht worden sei. Für die Äußerung folgt dies bereits aus ihrem äußeren Rahmen -- einer Pressekonferenz der Bundeskanzlerin im Rahmen eines Staatsbesuchs. Darüber hinaus ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Äußerung jedenfalls auch eine negative und für den Parteienwettbewerb relevante Bewertung der explizit bezeichneten Antragstellerin zu entnehmen ist. Damit erscheint es zumindest möglich, dass die Antragstellerin durch die Äußerung und deren Verbreitung in ihrem Recht aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden ist.
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IV. |
Das im Organstreitverfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 148, 11 [21 Rn. 33]; 152, 35 [45 f. Rn. 27]; stRspr) liegt vor.
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1. Das Organstreitverfahren dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis (vgl. BVerfGE 151, 191 [198 Rn. 20]; 152, 35 [45 f. Rn. 27]; stRspr). Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn und solange über die behauptete Rechtsverletzung zwischen den Beteiligten Streit besteht (vgl. BVerfGE 147, 31 [37 Rn. 18] m.w.N.; 152, 35 [46 Rn. 28]).
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2. Diese Anforderungen sind erfüllt. Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht dadurch entfallen, dass die Äußerung abgeschlossen ist und ihr Gegenstand sich zwischenzeitlich erledigt hat (a). Gleiches gilt für die Entfernung der streitgegenständlichen Presseerklärung von den Internetseiten der Antragsgegnerinnen (b). Auch der Umstand, dass das Amt der Antragsgegnerin zu I. gemäß Art. 69 Abs. 2 GG beendet ist, führt zu keiner anderen Bewertung (c).
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a) Das Rechtsschutzbedürfnis ist nicht deshalb entfallen, weil die streitgegenständliche Äußerung bereits abgeschlossen und ihr Gegenstand, die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, durch seinen Rücktritt und die Wahl eines anderen Ministerpräsidenten mittlerweile weggefallen ist. Im Organstreitverfahren entfällt das Rechtsschutzinteresse grundsätzlich nicht allein dadurch, dass die beanstandete Rechtsverletzung in der Vergangenheit stattgefunden hat und bereits abgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 148, 11 [22 Rn. 35] m.w.N.). Selbst wenn man in diesen Fällen ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse forderte, läge dieses hier in Form eines objektiven Klarstellungsinteresses vor (vgl. dazu BVerfGE 148, 11 [22 Rn. 35] m.w.N.). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich Mitglieder der Bundesregierung zukünftig in einer der streitgegenständlichen Aussage ähnlichen Weise äußern. Für die Antragstellerin besteht daher ein erhebliches Interesse an der Klärung der Frage, ob derartige Aussagen sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzen.
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b) Auch in Bezug auf die Veröffentlichung der Äußerung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen ist das Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Hieran ändert nichts, dass die Antragsgegnerinnen den Text freiwillig von ihren Internetseiten entfernt haben (vgl. BVerfGE 154, 320 [332 f. Rn. 41]). Sie halten an ihrer Auffassung fest, dass die Veröffentlichung verfassungsrechtlich unbedenklich sei, und haben deutlich gemacht, die Mitschrift der Pressekonferenz nur mit Blick auf die laufenden Verfahren und lediglich vorläufig von ihren Internetseiten entfernt zu haben. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass die streitgegenständliche Äußerung oder vergleichbare Aussagen erneut auf amtlichen Internetseiten publiziert werden.
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c) Schließlich steht dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin aus den oben genannten Gründen (vgl. Rn. 65, 66) das Ausscheiden der Antragsgegnerin zu I. aus dem Amt der Bundeskanzlerin und das Ende der Amtszeit der damaligen Bundesregierung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht entgegen (vgl. BVerfGE 148, 11 [22 Rn. 36]).
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C. |
Die Anträge sind begründet. Sowohl die streitgegenständliche Äußerung selbst als auch ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen verletzen das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG.
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I. |
Der von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte verfassungsrechtliche Status der Parteien (1.) gewährleistet das Recht, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilzunehmen (2.). Damit unvereinbar ist grundsätzlich jede Einwirkung von Staatsorganen zugunsten oder zulasten einzelner am politischen Wettbewerb teilnehmender Parteien (3.). Nichts Anderes gilt für das einzelne Mitglied der Bundesregierung, soweit es in Wahrnehmung seines Amtes auf die politische Willensbildung des Volkes einwirkt (4.). Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung in Wahrnehmung seines Amtes stattgefunden hat, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (5.). Diese Maßstäbe gelten grundsätzlich auch für das Amt des Bundeskanzlers (6.). Eingriffe in den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien können zum Schutz gleichwertiger Verfassungsgüter gerechtfertigt sein (7.).
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1. a) In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von ihm in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt (Art. 20 Abs. 2 GG). Demokratische Legitimation im Sinne des Art. 20 Abs. 2 GG vermögen Wahlen und Abstimmungen nur zu vermitteln, wenn sie frei sind. Dies setzt nicht nur voraus, dass der Akt der Stimmabgabe frei von Zwang und unzulässigem Druck bleibt, sondern auch, dass die Wähler ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen und fällen können (vgl. BVerfGE 148, 11 [23 Rn. 40]; 154, 320 [334 Rn. 44]; stRspr).
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b) In diesem Prozess kommt in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes politischen Parteien entscheidende Bedeutung zu. Art. 21 GG verleiht dem dadurch Ausdruck, dass Parteien als verfassungsrechtlich notwendige Einrichtungen für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt und in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben werden. Politische Parteien sind frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Vereinigungen, die in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinwirken, ohne diesem selbst anzugehören. Ihnen kommt eine spezifische Vermittlungsfunktion zwischen Staat und Gesellschaft zu. Es handelt sich um politische Handlungseinheiten, derer die Demokratie bedarf, um die Wähler zu politisch aktionsfähigen Gruppen zusammenzuschließen und ihnen so einen wirksamen Einfluss auf das Handeln der Staatsorgane zu ermöglichen (vgl. insgesamt BVerfGE 148, 11 [24 Rn. 41]; 154, 320 [334 Rn. 45]; jeweils m.w.N.).
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2. Um die verfassungsrechtlich gebotene Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung zu gewährleisten, ist es unerlässlich, dass die Parteien, soweit irgend möglich, gleichberechtigt am politischen Wettbewerb teilnehmen. Ihr Recht auf Chancengleichheit steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Von dieser Einsicht her empfängt der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien das ihm eigene Gepräge. Der formale Charakter des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien in dem gleichen Sinne formal verstanden werden muss. Art. 21 Abs. 1 GG garantiert den politischen Parteien nicht nur die Freiheit ihrer Gründung und die Möglichkeit der Mitwirkung an der politischen Willensbildung, sondern auch, dass diese Mitwirkung auf der Basis gleicher Rechte und gleicher Chancen erfolgt (vgl. insgesamt BVerfGE 148, 11 [24 Rn. 42]; 154, 320 [334 f. Rn. 46]; jeweils m.w.N.). Eingriffe in den Grundsatz der gleichberechtigten Teilhabe der Parteien an der politischen Willensbildung bedürfen daher verfassungsrechtlicher Rechtfertigung.
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3. a) Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Demgemäß wird das Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, regelmäßig verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken (vgl. BVerfGE 148, 11 [25 Rn. 44 f.]; 154, 320 [335 f. Rn. 47]; jeweils m.w.N.). Die Willensbildung des Volkes und die Willensbildung in den Staatsorganen vollziehen sich zwar in vielfältiger und tagtäglicher Wechselwirkung. So sehr vom Verhalten der Staatsorgane Wirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung der Wählerinnen und Wähler ausgehen, so sehr ist es den Staatsorganen in amtlicher Funktion aber verwehrt, durch besondere Maßnahmen darüber hinaus auf die Willensbildung des Volkes bei Wahlen und in ihrem Vorfeld einzuwirken und dadurch Herrschaftsmacht in Staatsorganen zu erhalten oder zu verändern. Staatsorgane haben als solche allen zu dienen und sich neutral zu verhalten. Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (vgl. insgesamt BVerfGE 154, 320 [335 f. Rn. 47] m.w.N.).
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b) Auch außerhalb von Wahlkampfzeiten erfordert der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität. Der Prozess der politischen Willensbildung ist nicht auf den Wahlkampf beschränkt, sondern findet fortlaufend statt. Zwar mag der politische Wettbewerb zwischen den Parteien im Wahlkampf mit erhöhter Intensität ausgetragen werden; er herrscht aber auch außerhalb von Wahlkämpfen und wirkt auf die Wahlentscheidung der Wähler zurück (vgl. BVerfGE 148, 11 [25 f. Rn. 46]; 154, 320 [336 Rn. 48]; jeweils m.w.N.). Ob in Zeiten des Wahlkampfs das Neutralitätsgebot zu verschärften Anforderungen an das Verhalten staatlicher Organe führt, hat der Senat bisher offengelassen (vgl. BVerfGE 148, 11 [26 Rn. 46] m.w.N.; 154, 320 [336 Rn. 48]). Das Gebot staatlicher Neutralität gilt jedenfalls nicht nur für den Wahlvorgang und die Wahlvorbereitung, sondern für sämtliche Betätigungen der Parteien, die auf die Erfüllung des ihnen durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zugewiesenen Verfassungsauftrags gerichtet sind. Insoweit schützt Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb in seiner Gesamtheit (vgl. BVerfGE 148, 11 [26 Rn. 46]; 154, 320 [336 Rn. 48]; jeweils m.w.N.).
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4. a) Für die Äußerungsbefugnisse eines einzelnen Mitglieds der Bundesregierung gilt nichts Anderes als für die Bundesregierung als Ganzes. Handelt das Regierungsmitglied in Wahrnehmung seines Ministeramtes, hat es gemäß Art. 20 Abs. 3 GG in gleicher Weise wie die Bundesregierung den verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien zu beachten (vgl. BVerfGE 138, 102 [116 f. Rn. 49]; 148, 11 [31 Rn. 61]; 154, 320 [338 Rn. 53]).
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b) Dies schließt nicht aus, dass Regierungsmitglieder außerhalb ihrer amtlichen Funktion am politischen Meinungskampf teilnehmen. Die bloße Übernahme eines Regierungsamtes hat nicht zur Folge, dass dem Regierungsmitglied die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht, da die regierungstragenden Parteien anderenfalls in nicht gerechtfertigter Weise benachteiligt würden. Es muss aber sichergestellt sein, dass ein Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundenen Mittel und Möglichkeiten, die den politischen Wettbewerbern verschlossen sind, unterbleibt (vgl. BVerfGE 138, 102 [117 f. Rn. 50 ff.]; 148, 11 [31 f. Rn. 62]; 154, 320 [338 f. Rn. 54]; jeweils m.w.N.).
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c) Dem Neutralitätsgebot steht nicht entgegen, dass die Inhaber von Regierungsämtern regelmäßig in ihrer Doppelrolle als Regierungsmitglieder einerseits und Parteipolitiker andererseits wahrgenommen werden. Zwar mögen aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger aufgrund der Verschränkung von staatlichem Amt und parteipolitischer Zugehörigkeit gegenüber einem Regierungsmitglied nur begrenzte Neutralitätserwartungen bestehen. Unabhängig davon bleibt es aber verfassungsrechtlich geboten, den Prozess der politischen Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen durch die chancengleiche Teilnahme der Parteien am politischen Wettbewerb im weitest möglichen Umfang zu gewährleisten. Dass eine strikte Trennung der Sphären von "Bundesminister", "Parteipolitiker" und politisch handelnder "Privatperson" nicht möglich ist, führt deshalb nicht zur Unanwendbarkeit des Neutralitätsgebots im amtlichen Tätigkeitsbereich eines Regierungsmitglieds (vgl. BVerfGE 148, 11 [32 Rn. 63]; 154, 320 [339 Rn. 55]; jeweils m.w.N.).
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d) Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb liegt daher vor, wenn Regierungsmitglieder sich am politischen Meinungskampf beteiligen und dabei auf durch das Regierungsamt eröffnete Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen, über welche die politischen Wettbewerber nicht verfügen. Demgemäß verstößt eine Partei ergreifende Äußerung eines Bundesministers im politischen Meinungskampf gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien und verletzt die Integrität des freien und offenen Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen, wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amtes fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen (vgl. BVerfGE 138, 102 [118 Rn. 55]; 148, 11 [33 Rn. 64]; 154, 320 [339 f. Rn. 56]).
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e) Demgegenüber kann nicht darauf verwiesen werden, die Anwendung des Neutralitätsgrundsatzes auf regierungsamtliche Äußerungen erschwere den Mitgliedern der Bundesregierung die Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Verantwortlichkeit und führe zu einer Entpolitisierung des Regierungshandelns. Eine solche Argumentation lässt außer Betracht, dass das Neutralitätsgebot die Bundesregierung und ihre Mitglieder nicht daran hindert, politische Positionen der Regierung oder Ressorts zu vertreten, über politische Vorhaben und Maßnahmen zu informieren sowie unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots Angriffe und Vorwürfe zurückzuweisen. Die Wahrnehmung parlamentarischer Verantwortlichkeit und das Führen der politischen Sachdebatte sind daher auch bei Geltung des Neutralitätsgrundsatzes nicht infrage gestellt. Die Mitglieder der Bundesregierung sind durch das Neutralitätsgebot lediglich daran gehindert, im Rahmen ihrer Regierungstätigkeit einseitig Partei zu ergreifen oder bei der Teilnahme am allgemeinen politischen Wettbewerb auf die spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramtes zurückzugreifen (vgl. BVerfGE 148, 11 [33 f. Rn. 65] m.w.N.; 154, 320 [340 Rn. 57]) und sich oder den Parteien, denen sie angehören, dadurch einen Vorteil zu verschaffen, der den politischen Mitbewerbern nicht offensteht.
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5. Ob die Äußerung eines Mitglieds der Bundesregierung unter spezifischer Inanspruchnahme der Autorität des Regierungsamtes oder der mit ihm verbundenen Ressourcen erfolgt, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 138, 102 [118 Rn. 56]; 148, 11 [33 Rn. 66]; 154, 320 [340 Rn. 58]; jeweils m.w.N.), wobei die Perspektive eines mündigen, verständigen Bürgers zugrunde zu legen ist (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 27).
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a) Eine solche Inanspruchnahme liegt regelmäßig vor, wenn Bundesminister bei einer Äußerung ausdrücklich auf ihr Ministeramt Bezug nehmen oder die Äußerung ausschließlich Maßnahmen oder Vorhaben ihres jeweiligen Ministeriums zum Gegenstand hat. Amtsautorität wird ferner in Anspruch genommen, wenn sich Amtsinhaber durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten ihres Geschäftsbereichs erklären (vgl. BVerfGE 138, 102 [118 f. Rn. 57]; 148, 11 [34 f. Rn. 66]; 154, 320 [340 f. Rn. 59]; jeweils m.w.N.). Gleiches dürfte für offizielle Konten von Regierungsmitgliedern in sozialen Medien gelten (vgl. VerfGH Thüringen, Urteil vom 8. Juni 2016 - 25/15 -, juris, Rn. 90). Auch aus äußeren Umständen, wie der Verwendung von Staatssymbolen und Hoheitszeichen oder der Nutzung der Amtsräume, kann sich ein spezifischer Amtsbezug ergeben. Gleiches gilt für den äußerungsbezogenen Einsatz sonstiger Sach- oder Finanzmittel, die einem Regierungsmitglied aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehen. Schließlich findet eine Inanspruchnahme der Autorität des Amtes statt, wenn sich Bundesminister im Rahmen einer Veranstaltung äußern, die von der Bundesregierung ausschließlich oder teilweise verantwortet wird, oder wenn die Teilnahme an einer Veranstaltung ausschließlich aufgrund des Regierungsamtes erfolgt (vgl. BVerfGE 138, 102 [119 Rn. 57]; 148, 11 [34 f. Rn. 66]; 154, 320 [341 Rn. 59]).
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b) Eine schlichte Beteiligung am politischen Wettbewerb ist demgegenüber insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Regierungsmitglied im parteipolitischen Kontext agiert. Äußerungen auf Parteitagen oder vergleichbaren Parteiveranstaltungen wirken regelmäßig nicht in einer Weise auf die Willensbildung des Volkes ein, die das Recht politischer Parteien auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb tangiert, da die handelnden Personen primär als Parteipolitiker wahrgenommen werden (vgl. BVerfGE 138, 102 [119 Rn. 58]; 154, 320 [341 Rn. 60]).
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c) Veranstaltungen des allgemeinen politischen Diskurses wie Talkrunden, Diskussionsforen, Interviews sowie die Nutzung sozialer Medien außerhalb regierungsamtlicher Konten (vgl. hierzu Spitzlei, JuS 2018, S. 856 [857]; Mast, K&R;R 2016, S. 542 [543]) bedürfen differenzierter Betrachtung. Inhaber eines Regierungsamtes können hier sowohl als Regierungsmitglied als auch als Parteipolitiker oder Privatperson angesprochen sein. Die Verwendung der Amtsbezeichnung allein ist noch kein Indiz für die Inanspruchnahme von Amtsautorität, weil staatliche Funktionsträger ihre Amtsbezeichnung auch in außerdienstlichen Zusammenhängen führen dürfen (vgl. BVerfGE 138, 102 [119 f. Rn. 59]; 154, 320 [341 f. Rn. 61]; jeweils m.w.N.). Insoweit kommt es für die Geltung des Neutralitätsgebots entscheidend darauf an, ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt (vgl. BVerfGE 138, 102 [120 Rn. 59 ff.]; 154, 320 [342 Rn. 62]). Jedenfalls ist es ihm unbenommen, klarstellend darauf hinzuweisen, dass es sich um Beiträge im politischen Meinungskampf jenseits der ministeriellen Tätigkeit handelt (vgl. BVerfGE 148, 11 [35 Rn. 66]).
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6. Für das Amt des Bundeskanzlers gelten die Maßgaben zur Abgrenzung des Handelns in amtlicher Funktion von der nicht amtsbezogenen Teilnahme am politischen Wettbewerb grundsätzlich in gleicher Weise.
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a) Das Gebot staatlicher Neutralität gilt im Grundsatz in gleichem Maße für alle staatlichen Organe, die nicht zugunsten oder zulasten einer Partei in den Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes eingreifen dürfen (vgl. BVerfGE 148, 11 [25 Rn. 45]; 154, 320 [335 Rn. 47]; jeweils m.w.N.). Es verpflichtet die Bundesregierung als Kollegialorgan, denn diese kann nachhaltig auf die politische Willensbildung einwirken und den politischen Wettbewerb verzerren (vgl. BVerfGE 138, 102 [115 Rn. 45]; 148, 11 [28 Rn. 52]; 154, 320 [337 Rn. 50]). Gleiches gilt für das einzelne Regierungsmitglied, das heißt für die Bundesminister ebenso wie für den Bundeskanzler (vgl. Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019, S. 202), der gemäß Art. 62 GG gemeinsam mit den Bundesministern die Bundesregierung bildet. Mit Blick auf die herausgehobene Stellung des Bundeskanzlers in der Regierung, die in seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag gemäß Art. 63 GG sowie in Art. 64, 65, 67 und 68 GG Ausdruck findet (vgl. Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 63 Rn. 12 m.w.N.), liegt die Gleichsetzung mit dem Kollegialorgan Bundesregierung für ihn sogar näher als für die einzelnen Bundesminister.
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b) Die Maßstäbe für Äußerungen des Bundespräsidenten (vgl. BVerfGE 136, 323) sind hingegen auf den Bundeskanzler nicht übertragbar. Anders als der Bundespräsident stehen die Mitglieder der Bundesregierung einschließlich des Bundeskanzlers mit den politischen Parteien im Wettbewerb um die Gewinnung politischen Einflusses (vgl. BVerfGE 138, 102 [112 Rn. 37]). Durch die im Grundgesetz angelegte Verzahnung von Bundesregierung, parlamentarischer Mehrheit und den dahinterstehenden Parteien (vgl. Kuch, in: Krüper/Pilniok, Die Organisationsverfassung der Regierung, 2021, S. 55 [58 f.]; Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019, S. 196; Voßkuhle/Schemmel, JuS 2020, S. 736 [738]) liegt die Neigung der Mitglieder einer Regierung, die sie tragenden Parteien zu unterstützen, jedenfalls nahe (vgl. Eder, "Rote Karte" gegen "Spinner"?, 2017, S. 130). Insofern gilt für den Bundeskanzler nichts Anderes als für die übrigen Mitglieder der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 138, 102 [111 f. Rn. 35]).
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Soweit der Senat für den Bundespräsidenten aus dem Umstand, dass dieser vorrangig Repräsentations- und Integrationsaufgaben wahrnimmt, einen weiten, nur auf die Einhaltung äußerster Grenzen hin überprüfbaren Gestaltungsspielraum abgeleitet hat (vgl. BVerfGE 136, 323 [332 Rn. 25, 335 f. Rn. 31 ff.]), ist dies auf das Amt des Bundeskanzlers nicht übertragbar. Seine vorrangige Aufgabe ist es nicht, durch sein öffentliches Auftreten die Einheit des Gemeinwesens sichtbar zu machen und diese Einheit mittels der Autorität des Amtes zu fördern. Der Bundeskanzler schlägt dem Bundespräsidenten gemäß Art. 64 Abs. 1 GG Ernennung und Entlassung der Minister vor. Er bestimmt gemäß Art. 65 Satz 1 GG die Richtlinien der Politik, trägt dafür die Verantwortung und leitet nach Art. 65 Satz 4 GG die Geschäfte der Bundesregierung. Damit bringt das Grundgesetz die besondere politische Führungsrolle des Bundeskanzlers in der Bundesregierung zum Ausdruck (vgl. nur Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 66 Rn. 12 ff.; Hilbert, in: Krüper/Pilniok, Die Organisationsverfassung der Regierung, 2021, S. 91 [105]; jeweils m.w.N.). Der Bundeskanzler wirkt in der Regel entscheidend an der Aufgabe der Regierung zur Staatsleitung mit, aus der jene Autorität und Ressourcenvorteile erwachsen, die für die Bindung an den Grundsatz der Chancengleichheit und die sich daraus ergebenden Neutralitätspflichten ursächlich sind (vgl. BVerfGE 138, 102 [115 Rn. 45]; 148, 11 [28 Rn. 52]; 154, 320 [337 Rn. 50]).
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c) Die herausgehobene Stellung des Bundeskanzlers in der Bundesregierung führt nicht dazu, dass an sein Verhalten hinsichtlich der Beachtung des Neutralitätsgebotes im Vergleich zu anderen Regierungsmitgliedern großzügigere (aa) oder strengere (bb) Maßstäbe anzulegen wären.
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aa) Dem Bundeskanzler sind mit Blick auf seine besondere Stellung innerhalb der Bundesregierung und insbesondere die ihm nach Art. 65 Satz 1 GG zustehende Richtlinienkompetenz gegenständlich weitergehende Äußerungsrechte zuzugestehen als den Bundesministern, die vorrangig auf ihren jeweiligen Ressortbereich beschränkt sind (vgl. Art. 65 Satz 2 GG; Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019, S. 202). Es liegt deshalb nahe, seine Äußerungsbefugnisse auf alle der Bundesregierung als Kollegialorgan zugeschriebenen Staatsleitungsaufgaben im Sinne einer politischen Allzuständigkeit (vgl. Voßkuhle/Schemmel, JuS 2020, S. 736 [738]; vgl. zur Staatsleitung als Leitung des Ganzen der inneren und äußeren Politik auch BVerfGE 138, 102 [114 Rn. 39] m.w.N.) zu erstrecken.
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Daraus folgt jedoch nicht, dass die Grenzen der Wahrnehmung seines gegenständlich weit zu fassenden Äußerungsrechts mit Blick auf das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot großzügiger zu ziehen wären als bei Äußerungen von Bundesministern (vgl. auch Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019, S. 202). Dem steht der Sinn und Zweck des in der Chancengleichheit der Parteien und dem Grundsatz freier politischer Willensbildung wurzelnden Gebots staatlicher Neutralität entgegen. Selbst wenn der Bundeskanzler sich zu allen politischen Fragen namens der Bundesregierung äußern darf, entbindet ihn dies nicht von der Pflicht, den Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb und damit das Neutralitätsgebot zu beachten.
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bb) An den Bundeskanzler sind mit Blick auf seine hervorgehobene Stellung innerhalb der Bundesregierung allerdings auch keine gesteigerten Neutralitätsanforderungen zu stellen (vgl. auch Nellesen, Äußerungsrechte staatlicher Funktionsträger, 2019, S. 202). Die Rechtsprechung zu den Äußerungsrechten von Regierungsmitgliedern folgt gerade aus der Funktion, die dem Kollegialorgan Bundesregierung im demokratischen Willensbildungsprozess zukommt (vgl. BVerfGE 138, 102 [114 ff. Rn. 44 ff.]; 148, 11 [28 ff. Rn. 52 ff.]; 154, 320 [337 f. Rn. 50 ff.]). Auch die Richtlinienkompetenz, die (nur) innerhalb der Bundesregierung gilt (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 65 Rn. 17; Voßkuhle/Schemmel, JuS 2020, S. 736 [737]), vermag für sich genommen eine Verschärfung der Neutralitätsanforderungen an den Bundeskanzler im politischen Wettbewerb nicht zu begründen. Ebenso rechtfertigen die übrigen Intra- und Interorgankompetenzen, die das Grundgesetz nicht der Bundesregierung, sondern dem Bundeskanzler zuweist (vgl. hierzu Eder, "Rote Karte" gegen "Spinner"?, 2017, S. 118 ff. m.w.N.), keine andere Einschätzung. Die Kompetenzordnung innerhalb der Bundesregierung führt zwar zu einem gegenständlich weiteren Äußerungsrecht des Bundeskanzlers, nicht jedoch zu anderen Anforderungen mit Blick auf das Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot, als sie an Äußerungen der Bundesregierung selbst zu stellen sind.
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7. a) Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien unterliegt ebenso wie die Wahlrechtsgleichheit keinem absoluten Differenzierungsverbot (vgl. BVerfGE 135, 258 [286 Rn. 51]). Aufgrund seines formalen Charakters (vgl. BVerfGE 8, 51 [64 f.]; 85, 264 [297]; 111, 54 [105]; 135, 259 [286 Rn. 51]; stRspr) hat aber grundsätzlich jeder Eingriff in die chancengleiche Teilhabe der Parteien am politischen Wettbewerb zu unterbleiben, der nicht durch einen besonderen, in der Vergangenheit als "zwingend" bezeichneten Grund gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 8, 51 [65]; 14, 121 [133]; 34, 160 [163]; 47, 198 [227]; 111, 54 [105]; 135, 259 [286 Rn. 51]). Gründe, die Ungleichbehandlungen rechtfertigen und der Bundesregierung eine Befugnis zum Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien verleihen, müssen durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sein, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann (vgl. insoweit zum Grundsatz der Gleichheit der Wahl BVerfGE 6, 84 [92 f.]; 95, 408 [418]; 129, 300 [320]; 130, 212 [227 f.]; 135, 259 [286 Rn. 51]; zum Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl BVerfGE 42, 212 [340 f.]; 132, 39 [48 Rn. 25]; 151, 1 [19 Rn. 43]). Dabei ist jedenfalls den Grundsätzen der Geeignetheit und Erforderlichkeit zur Erreichung der verfassungsrechtlich legitimierten Zwecke Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 135, 259 [287 Rn. 53]).
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b) Als derartige gleichwertige Verfassungsgüter kommen der Schutz der Handlungsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung (aa) sowie das Ansehen und das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft (bb) in Betracht. Dagegen entbindet die Aufgabe der Staatsleitung und die von ihr umfasste Befugnis der Bundesregierung zur Öffentlichkeitsarbeit für sich genommen nicht von der Beachtung des Neutralitätsgebots (cc).
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aa) Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung stellt -- vergleichbar mit der Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestages (vgl. dazu BVerfGE 130, 318 [348] m.w.N.) -- ein Rechtsgut von Verfassungsrang dar, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann (1). Sie sicherzustellen ist zuvörderst Aufgabe des Bundeskanzlers (2), dem bei der Bestimmung der hierfür erforderlichen Maßnahmen ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt (3).
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(1) Das Grundgesetz erstrebt mit den Regelungen in Art. 63, 67 und 68 GG die Bildung einer vom Willen der Mehrheit des Parlaments getragenen, handlungsfähigen Regierung (vgl. BVerfGE 114, 121 [149]; vgl. auch schon BVerfGE 62, 1 [40]; 67, 100 [129 f.]; vgl. zu diesem Verfassungsziel auch Schröder, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 65 Rn. 35; ders., in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 63 Rn. 4; jeweils m.w.N.).
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(a) Gemäß Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG kann der Bundestag dem Bundeskanzler -- nicht hingegen einem einzelnen Bundesminister -- das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Dies dient der Gewährleistung einer stabilen, auf eine parlamentarische Mehrheit gestützten Regierung (vgl. BVerfGE 112, 118 [141]; vgl. zu den Beweggründen der Einführung dieses "konstruktiven Misstrauensvotums" Der Parlamentarische Rat 1948-49, Akten und Protokolle, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 551 ff.).
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(b) Gleiches gilt für die Regelung der Vertrauensfrage in Art. 68 GG. Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG). Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt (Art. 68 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Norm ist darauf angelegt, während der laufenden Wahlperiode dem amtierenden Bundeskanzler zu ermöglichen, ein ausreichendes Maß an parlamentarischer Unterstützung zu gewinnen oder zu festigen; sie will eine vorschnelle Auflösung des Bundestages verhindern und damit zu politischer Stabilität im Verhältnis von Bundeskanzler und Bundestag beitragen (vgl. BVerfGE 62, 1 [35, 39]; vgl. auch Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 68 Rn. 1, 3; Schenke, in: Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 1. Aufl. 2021, Art. 68 Rn. 101; Herzog, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 68 Rn. 1 [Juli 2021]; jeweils m.w.N.).
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(c) Soweit die Wahl des Bundeskanzlers in Rede steht, darf der Bundespräsident den Bundestag gemäß Art. 63 Abs. 4 GG nur auflösen, wenn die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages seinem Wahlvorschlag nicht gefolgt ist, innerhalb von 14 Tagen einen anderen Bundeskanzler nicht gewählt und in einem daraufhin stattfindenden Wahlgang der Gewählte nicht die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt hat. Die Vorschrift zielt, wie Art. 68 GG, vorrangig darauf ab, Regierungsfähigkeit herzustellen, zu gewinnen oder zu erhalten (vgl. BVerfGE 62, 1 [40 f.]).
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(d) Aus der Zusammenschau der dargestellten Bestimmungen des Grundgesetzes ergibt sich das verfassungsunmittelbare Ziel, die Regierungsaufgaben stets von einer handlungsfähigen Exekutive wahrnehmen zu lassen (vgl. BVerfGE 62, 1 [74] Sondervotum Rinck; Schröder, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 65 Rn. 35 ff.; Niclauß, APuZ 1999, S. 27 [27 ff.]). Die Erhaltung der Handlungsfähigkeit der Regierung stellt damit ein Verfassungsgut dar, das dem Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit gleichwertig gegenübersteht.
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2) Für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung Sorge zu tragen, ist zuvörderst Aufgabe des Bundeskanzlers.
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(a) Innerhalb der Bundesregierung kommt dem Bundeskanzler eine herausgehobene Stellung zu. Diese findet ihre Grundlage in seiner Wahl durch den Deutschen Bundestag (Art. 63 Abs. 1 GG) und beruht weiter auf dem Kabinettsbildungsrecht (Art. 64 Abs. 1 GG) sowie darauf, dass er gemäß Art. 65 Satz 1 GG die Richtlinien der Politik bestimmt (vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 641 f.; Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 66 Rn. 12 ff.; Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 62 Rn. 15; Epping, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 68 Rn. 4). Das dadurch zum Ausdruck kommende Kanzlerprinzip (vgl. nur Kloepfer, Handbuch der Verfassungsorgane im Grundgesetz, 2022, § 7 Rn. 299 ff.) dient dazu, dass "die Festigkeit in der Führung der Politik des Bundes auch verfassungsmäßig verbürgt" wird (vgl. Der Parlamentarische Rat 1948-49, Akten und Protokolle, Bd. 2: Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1981, S. 550). Dieses Prinzip soll -- im Zusammenspiel mit dem Ressort- und dem Kollegialprinzip -- eine funktionsgerechte Regierungsstruktur und eine handlungsfähige Bundesregierung gewährleisten (vgl. Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 65 Rn. 9).
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(b) Daraus erwächst dem Bundeskanzler die Verantwortung, politische Führung nicht nur dadurch zu ermöglichen, dass er Ziele und Maßnahmen zu einem Gesamtkonzept zusammenführt und unterschiedliche politische Auffassungen in Ausgleich bringt (vgl. Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 65 Rn. 8; Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 65 Rn. 11). Vielmehr obliegt ihm auch die Organisation und Gewährleistung einer stabilen und handlungsfähigen Bundesregierung für die Dauer der Wahlperiode.
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(3) Bei der Frage, welcher Maßnahmen es zur Stabilisierung oder zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bedarf, verfügt der Bundeskanzler über einen weiten Einschätzungsspielraum (vgl. für den Rückgriff auf die Richtlinienkompetenz Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 66 Rn. 15; Brinktrine, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 65 Rn. 16; Schenke, JZ 2015, S. 1009 [1011]; jeweils m.w.N.). Er ist insbesondere nicht auf die Wahrnehmung der ihm nach Art. 65 Satz 1 GG eingeräumten Richtlinienkompetenz oder die Möglichkeit, die personelle Zusammensetzung der Bundesregierung zu ändern, beschränkt. Vielmehr kann er auch auf weniger formelle Mittel, etwa auf regierungsinterne Gespräche oder öffentliche Äußerungen zurückgreifen (vgl. Detterbeck, in: Isensee/ Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 66 Rn. 18 f.; zu den Erscheinungsformen der Richtlinienkompetenz Hilbert, in: Krüper/Pilniok, Die Organisationsverfassung der Regierung, 2021, S. 91 [99 ff.]). Soweit es um die Vorgabe allgemeinpolitischer Ziele mittels öffentlicher Redebeiträge geht, ist der Bundeskanzler nicht darauf verwiesen, ausschließlich die Bundesminister zu adressieren (vgl. zu den Adressaten der Richtlinien im engeren Sinne Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 65 Rn. 22 ff.; Detterbeck, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 66 Rn. 22; Schenke, JZ 2015, S. 1009 [1012]). Er kann sich auch an die die Bundesregierung tragenden Fraktionen, Abgeordneten und politischen Parteien richten. Beeinträchtigen Spannungen, die von diesen ausgehen oder zwischen ihnen bestehen, die Stabilität der Bundesregierung, steht dem Bundeskanzler auch insoweit ein richtungsbestimmendes Eingreifen zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung offen.
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bb) Die Erhaltung des Ansehens der und des Vertrauens in die Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft stellt ebenfalls ein der Chancengleichheit der Parteien gleichwertiges Verfassungsgut dar (1), dessen Schutz nach der Verfassungsordnung zuvörderst der Bundesregierung und insbesondere dem Bundeskanzler anvertraut ist (2).
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(1) Das Grundgesetz bindet die Bundesrepublik Deutschland mit der Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 23 bis Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG in die internationale Gemeinschaft ein und hat die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet (vgl. BVerfGE 63, 343 [370]; 75, 1 [17]; 108, 129 [137]; 111, 307 [319]; 112, 1 [25]; 123, 267 [345 f.]; 141, 220 [341 Rn. 325]; vgl. auch BVerfGE 89, 155 [183]). Um dies zu erreichen, ist die Bundesrepublik Deutschland unter anderem darauf angewiesen, in der internationalen Gemeinschaft als angesehener, berechenbarer und verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. Entsprechend ist die Sicherstellung der außenpolitischen Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Teilhabe an der internationalen Zusammenarbeit (vgl. hierzu BVerfGE 100, 313 [371, 382]; 108, 129 [137]; 141, 220 [341 f. Rn. 325]; 154, 152 [225 Rn. 106 f., 233 f. Rn. 128, 240 Rn. 144, 248 Rn. 162]) dem Grundgesetz als Ziel immanent. Es handelt sich um ein Verfassungsgut, das dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten kann.
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(2) Die Beachtung und Umsetzung des Verfassungsgebots der Einbindung Deutschlands in die internationale Staatengemeinschaft obliegt vorrangig der Bundesregierung und innerhalb dieser insbesondere dem Bundeskanzler.
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(a) Nach Art. 32 Abs. 1 GG ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten Sache des Bundes. Auf diese Weise stellt das Grundgesetz sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland nach außen grundsätzlich als Einheit auftritt (vgl. BVerfGE 2, 347 [378]; 55, 349 [368]; vgl. auch Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 15 Rn. 140 m.w.N.; Randelzhofer, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 17 Rn. 24; Calliess, in: Isensee/Kirchhof, HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 83 Rn. 53; Nettesheim, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 32 Rn. 2 [Juli 2021]). Der Begriff der "Pflege der auswärtigen Beziehungen" ist dabei weit zu verstehen und erfasst auch informelle, nicht-rechtsförmliche Verhaltensweisen, sofern diese geeignet sind, der Bundesrepublik Deutschland zugerechnet zu werden (vgl. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 32 Rn. 33 ff., 68; Wollenschläger, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 32 Rn. 22; vgl. auch -- für eine Einschätzungsprärogative des Bundes -- Menzel, Internationales Öffentliches Recht, 2011, S. 477 ff., 480 f.). Er bezeichnet die Funktion des Staates, die die Ordnung und Gestaltung der Beziehungen nach außen zum Gegenstand hat (vgl. Nettesheim, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 32 Rn. 11 [Juli 2021]).
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(b) Der Verkehr mit anderen Staaten, die Vertretung in internationalen Organisationen, zwischenstaatlichen Einrichtungen und Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit sowie die Sicherstellung der gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland fallen grundsätzlich in den Kompetenzbereich der Exekutive, insbesondere der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 68, 1 [87]; 131, 152 [195]). Die Rolle des Parlaments ist schon aus Gründen der Funktionsgerechtigkeit in diesem Bereich beschränkt, ohne dass die Bundesregierung insoweit außerhalb parlamentarischer Kontrolle stünde (vgl. BVerfGE 104, 151 [207]; 131, 152 [195 f.]; 143, 101 [140 Rn. 130]). Davon ausgehend, eröffnet das Grundgesetz der Regierung im Bereich auswärtiger Politik einen weiten Spielraum zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung (vgl. BVerfGE 40, 141 [178]; 55, 349 [365]; 104, 151 [207]; 131, 152 [195]; 143, 101 [140 Rn. 130]).
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(c) Innerhalb der Bundesregierung unterliegt auch die Außenpolitik der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers; dem entspricht § 1 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (GOBReg), wonach der Bundeskanzler die Richtlinien der inneren und äußeren Politik bestimmt (vgl. Calliess, in: Isensee/ Kirchhof, HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 83 Rn. 21 m.w.N.). Daneben regelt § 15 Abs. 1 GOBReg, dass der Bundesregierung -- als Kollegium (vgl. für den verfassungsrechtlichen Begriff der Bundesregierung BVerfGE 26, 338 [395 f.]; 91, 148 [166]; 100, 249 [259]; 115, 118 [149]; 132, 1 [21 Rn. 54]; 137, 185 [237 f. Rn. 144]) -- alle Angelegenheiten von allgemeiner außenpolitischer Bedeutung zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten sind. Der Bundeskanzler ist demgemäß für die Erhaltung des Ansehens und des Vertrauens in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland auf internationaler Ebene in besonderem Maße verantwortlich.
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cc) Die der Bundesregierung und ihren Mitgliedern obliegende Aufgabe der Staatsleitung schließt die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (1). Diese beinhaltet für sich genommen jedoch nicht das Recht, zielgerichtet in den Wettbewerb der politischen Parteien einzugreifen (2). Die Bundesregierung ist dadurch nicht gehindert, für Grundsätze und Wertvorgaben der Verfassung einzutreten und sich insbesondere mit verfassungsfeindlichen Parteien zu befassen (3).
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(1) (a) Die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ist integraler Bestandteil der der Bundesregierung und ihren Mitgliedern obliegenden Aufgabe der Staatsleitung (vgl. BVerfGE 138, 102 [114 Rn. 40]; 148, 11 [27 Rn. 51]; 154, 320 [336 Rn. 48] m.w.N.). Regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit ist nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten und die Bürger zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung sowie der Bewältigung vorhandener Probleme zu befähigen (vgl. BVerfGE 148, 11 [27 f. Rn. 51]; 154, 320 [336 ff. Rn. 49]; jeweils m.w.N.).
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(b) Die Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst die Darlegung und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme (vgl. BVerfGE 20, 56 [100]; 44, 125 [147]; 63, 230 [243]; 138, 102 [114 Rn. 40]; 148, 11 [27 f. Rn. 51]; 154, 320 [337 Rn. 49]). Dazu gehören auch die Erläuterung und Verteidigung der Regierungspolitik gegen Angriffe und Kritik unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots (vgl. BVerfGE 148, 11 [29 f. Rn. 56 f.]; 154, 320 [338 Rn. 52]). Die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit erstreckt sich darüber hinaus auch darauf, außerhalb oder weit im Vorfeld der eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit über Fragen und Vorgänge zu informieren, die die Bürger unmittelbar betreffen, sowie auf aktuell streitige oder die Öffentlichkeit erheblich berührende Fragen einzugehen (vgl. BVerfGE 20, 56 [100]; 138, 102 [114 Rn. 40]; 148, 11 [28 Rn. 51]; 154, 320 [337 Rn. 49]; VerfGH Thüringen, Urteil vom 8. Juni 2016 - 25/15 -, juris, Rn. 102).
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(c) Die Inanspruchnahme der Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit durch staatliche Organe setzt grundsätzlich die Beachtung der bestehenden Kompetenzordnung voraus (vgl. BVerfGE 44, 125 [149]; 105, 252 [270]; 148, 11 [37 Rn. 77]; 154, 320 [351 Rn. 94]). Liegt eine im eigenen Verfassungsraum der Länder (vgl. BVerfGE 99, 1 [11 f.]) autonom zu regelnde Angelegenheit vor, kann diese gleichwohl tauglicher Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Mitglieder sein, wenn deren Handeln im Rahmen ihrer Befugnis zur Staatsleitung erfolgt (vgl. BVerfGE 105, 252 [270]). Dies ist insbesondere der Fall, wenn landesinterne Vorgänge wegen ihres Auslandsbezugs oder ihrer länderübergreifenden Bedeutung überregionalen Charakter haben und deshalb Anlass für eine bundesweite Informationsarbeit bieten können. Äußerungen der Bundesregierung und des Bundeskanzlers zu landesinternen Vorgängen sind dann von deren Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit umfasst, wenn sie sich als Wahrnehmung gesamtstaatlicher Verantwortung darstellen.
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(2) Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die der Bundesregierung und ihren Mitgliedern zukommende Autorität und die Verfügung über staatliche Ressourcen eine nachhaltige Einwirkung auf die politische Willensbildung des Volkes ermöglichen, die das Risiko erheblicher Verzerrungen des politischen Wettbewerbs der Parteien und einer Umkehrung des Prozesses der Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen beinhaltet (vgl. BVerfGE 138, 102 [115 Rn. 45]; 148, 11 [28 Rn. 52]; 154, 320 [337 Rn. 50]). Als Teil des politischen Prozesses einer freiheitlichen Demokratie, wie sie das Grundgesetz versteht, ist es zwar hinzunehmen, dass das Regierungshandeln sich in erheblichem Umfang auf die Wahlchancen der im politischen Wettbewerb stehenden Parteien auswirkt (vgl. BVerfGE 44, 125 [140]; 138, 102 [114 f. Rn. 44]). Davon zu unterscheiden ist aber der zielgerichtete Eingriff der Bundesregierung in den Wettbewerb der politischen Parteien. Es ist der Bundesregierung, auch wenn sie von ihrer Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit Gebrauch macht, von Verfassungs wegen versagt, sich mit einzelnen Parteien zu identifizieren und die ihr zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen (vgl. BVerfGE 44, 125 [141 ff.]; 138, 102 [115 Rn. 45]; 148, 11 [28 Rn. 53]; 154, 320 [337 Rn. 51]).
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Demgemäß endet die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Personen oder Parteien beginnt. Der Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lässt es nicht zu, dass die Bundesregierung oder ihre Mitglieder die Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit nutzen, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen (vgl. BVerfGE 44, 125 [148 ff.]; 138, 102 [115 Rn. 46]; 148, 11 [28 f. Rn. 54]; 154, 320 [338 Rn. 51]).
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(3) Dies ändert nichts daran, dass die Bundesregierung nicht gehindert, sondern sogar verpflichtet ist, für die Grundsätze und Werte der Verfassung einzutreten (vgl. BVerfGE 113, 63 [78]; VerfGH Berlin, Urteil vom 20. Februar 2019 - 80/18 -, juris, Rn. 42; VerfGH Saarland, Urteil vom 8. Juli 2014 - Lv 5/14 -, juris, Rn. 40). Im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hat sie sich auch mit verfassungsfeindlichen Parteien zu befassen. Dabei vorgenommene Einschätzungen politischer Parteien als verfassungsfeindlich sind, soweit sie sich im Rahmen von Gesetz und Recht halten, Teil der öffentlichen Auseinandersetzung, gegen die sich die betroffene Partei mit den Mitteln des öffentlichen Meinungskampfs zur Wehr setzen muss. Sie werden erst unzulässig, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen und den Anspruch der betroffenen Partei auf gleiche Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 40, 287 [293]; 138, 102 [116 Rn. 47]).
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II. |
Nach diesen Maßstäben sind die Anträge sowohl im Hinblick auf die streitgegenständliche Äußerung (1.) als auch deren Veröffentlichung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen (2.) begründet.
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1. Die streitgegenständliche Äußerung wurde von der Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion getätigt (a). Sie greift in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ein (b), ohne dass dies gerechtfertigt wäre (c).
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a) Die zur Abgrenzung zwischen amtlicher Tätigkeit und parteipolitischer Teilnahme am Meinungskampf gebotene Bewertung der konkreten Umstände der streitgegenständlichen Äußerung (vgl. BVerfGE 138, 102 [118 Rn. 56]; 154, 320 [340 Rn. 58]) ergibt, dass diese durch die Antragsgegnerin zu I. in Wahrnehmung ihres Amtes als Bundeskanzlerin getätigt wurde. Dies folgt insbesondere aus dem äußeren Rahmen der Erklärung (aa). Deren Qualifizierung als "Vorbemerkung" rechtfertigt keine andere Einschätzung (bb). Auch der Inhalt der Erklärung lässt nicht in ausreichendem Maße eine Betätigung der Antragsgegnerin zu I. als Parteipolitikerin oder Privatperson erkennen (cc). Die sonstigen Umstände des vorliegenden Falles sprechen ebenfalls für ein Handeln in amtlicher Funktion (dd).
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aa) Die streitgegenständliche Äußerung fiel im Rahmen einer Auslandsreise, die die Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion als Bundeskanzlerin unter anderem nach Südafrika unternahm. Anlässlich dieser Reise gab sie gemeinsam mit dem Präsidenten der Republik Südafrika eine offizielle Pressekonferenz, in deren Verlauf die streitgegenständliche Äußerung fiel. Während der Pressekonferenz standen die Antragsgegnerin zu I. und der Präsident vor den Flaggen der Bundesrepublik Deutschland sowie der Republik Südafrika an Pulten mit dem staatlichen Wappen Südafrikas. Vor der streitgegenständlichen Äußerung drückte der Präsident unter anderem seine Freude darüber aus, "Kanzlerin Merkel, Botschafter, Minister, oberste Regierungsbeamte" zu empfangen und sprach mehrfach von der "Kanzlerin" und "ihrer Delegation". Darüber hinaus wies er auf die Bedeutung Deutschlands als strategischer Partner Südafrikas hin.
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Diese Umstände sprechen für ein Handeln der Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion. Sie äußerte sich im ausschließlich amtsbezogenen Rahmen einer Regierungspressekonferenz, deren Anlass sowie vorgesehener Gegenstand die Gespräche waren, welche sie in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin im Rahmen eines Staatsbesuchs in Südafrika geführt hatte. Die streitgegenständliche Äußerung fiel mithin in einem Umfeld, das der Antragsgegnerin zu I. allein aufgrund ihres Amtes als Bundeskanzlerin zur Verfügung stand.
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Wie die Äußerung durch die anwesenden Journalisten verbreitet wurde, hing ausschließlich von redaktionellen Entscheidungen ab (vgl. zur Wirkungsunsicherheit von staatlichem Informationshandeln Mast, Staatsinformationsqualität, 2020, S. 97 ff.). Es ist daher für die Frage, ob sie in amtlicher Funktion gefallen war, nicht ausschlaggebend.
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bb) Die Ankündigung der Antragsgegnerin zu I., "aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung [zu] machen [...] bezogen auf den gestrigen Tag, an dem ein Ministerpräsident in Thüringen gewählt wurde", ist nicht hinreichend, um ein Handeln der Antragsgegnerin zu I. außerhalb der Wahrnehmung ihrer Funktion als Bundeskanzlerin anzunehmen.
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(1) Aus dem bloßen Hinweis, eine "Vorbemerkung" machen zu wollen, kann nicht geschlossen werden, dass diese außerhalb der Ausübung der Dienstgeschäfte erfolgen sollte. Vielmehr ergab sich daraus zunächst nur, dass die Äußerung den Aussagen der Antragsgegnerin zu I. zum eigentlichen Thema der Pressekonferenz (Inhalt und Ergebnis der Gespräche mit den Vertretern der Republik Südafrika) vorgelagert war.
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(2) Dem amtlichen Charakter der Äußerung steht auch nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin zu I. darauf hinwies, die Vorbemerkung "aus innenpolitischen Gründen" zu machen. Vielmehr ist der Bundeskanzler zur verantwortlichen Leitung der Regierungspolitik in Gänze, das heißt sowohl der inneren als auch der äußeren Politik, berufen (vgl. BVerfGE 105, 279 [301]). Davon ist auch bei einer innenpolitischen Äußerung, die -- wie hier im Rahmen einer Auslandsreise der Bundeskanzlerin -- in einem außenpolitischen Kontext fällt, auszugehen. Ob eine solche Äußerung in amtlicher oder nichtamtlicher Eigenschaft erfolgt, ist aus Sicht eines verständigen Bürgers (vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21. Mai 2014 - VGH A 39/14 -, juris, Rn. 27; Gusy, NVwZ 2015, S. 700 [703]; Eder, "Rote Karte" gegen "Spinner"?, 2017, S. 146 ff.) nach dem konkreten Inhalt der Aussage und ihrem Gesamtkontext zu beurteilen (vgl. BVerfGE 154, 320 [340 Rn. 58, 347 ff. Rn. 80 ff.]).
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cc) Inhaltlich lässt die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. keine hinreichende Distanzierung von ihrem Amt erkennen, die die Vermutung für eine Äußerung in amtlicher Eigenschaft entkräften könnte.
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(1) Auszugehen ist dabei von der "Vorbemerkung" in ihrer Gesamtheit. Diese beschränkt sich nicht auf die von der Antragstellerin zitierten, streitgegenständlichen Passagen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin zu I. im Anschluss daran weitere Ausführungen dazu gemacht, dass die CDU mit der Wahl des Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen mit ihren "Werten und Überzeugungen gebrochen" habe und in den folgenden Tagen daran gearbeitet werden müsse, deutlich zu machen, dass dies in keiner Weise mit dem, was die CDU denke, in Übereinstimmung stehe. Erkennbar wird damit, dass sie in ihrer "Vorbemerkung" die Wahl des Ministerpräsidenten vorrangig mit Blick auf das Verhalten der Landtagsabgeordneten ihrer eigenen Partei kommentierte. Dies allein rechtfertigt aber nicht den Rückschluss, dass sie sich nur als Parteipolitikerin oder Privatperson äußern wollte, zumal sie die Wahl insgesamt als "unverzeihlich" qualifizierte und dazu aufrief, das Wahlergebnis rückgängig zu machen.
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(2) Die Antragsgegnerin zu I. bezieht sich zwar auf einen Sachverhalt, für den eine Regelungszuständigkeit der Bundeskanzlerin oder der von ihr geführten Bundesregierung nicht besteht. Weder die Wahl der Ministerpräsidenten in den Ländern noch die Positionierung der daran beteiligten, durch ihre Abgeordneten vertretenen Parteien unterliegen dem Regelungszugriff der Bundesregierung. Dies schließt ein Handeln in amtlicher Funktion aber nicht aus. Regierungstätigkeit entfaltet sich typischerweise auch jenseits der Befugnis zu regulatorischem Handeln. Selbst ein Handeln jenseits der mit dem Regierungsamt verbundenen Kompetenzen ist ein Handeln in amtlicher Funktion, wenn dafür die Autorität des Regierungsamtes in Anspruch genommen wird. Ob eine Äußerung sich im Kompetenzbereich des Äußernden hält, ist für die Frage der Abgrenzung zwischen amtlichem und nichtamtlichem Handeln nicht von ausschlaggebender Bedeutung (vgl. Mast, K&R;R 2016, S. 542 [543]), sondern nur für seine Rechtmäßigkeit. Daher geht auch der Hinweis der Antragsgegnerinnen fehl, einem amtlichen Handeln stehe entgegen, dass die Bundeskanzlerin nicht über die Autorität verfüge, Konflikte zwischen Parteigliederungen zu lösen. Streitgegenstand ist vorliegend nicht die Frage, ob die Bundeskanzlerin in amtlicher Eigenschaft ihren Worten auch Taten folgen lassen konnte, sondern nur, ob ihre Worte in amtlicher Eigenschaft gefallen sind.
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(3) Unbeachtlich ist auch der Umstand, dass die Antragsgegnerin zu I. in ihrer streitgegenständlichen Äußerung auf die Nennung ihrer Amtsbezeichnung verzichtete, während sie bei den sich anschließenden Einlassungen zu Südafrika ausdrücklich auf ihre Rolle "als Bundeskanzlerin" Bezug nahm. Dass damit eine Differenzierung in der Sprecherrolle und ein Wechsel von der Rolle der Parteipolitikerin oder Privatperson in das Amt der Bundeskanzlerin verbunden sein sollte, ist aus der Perspektive eines verständigen Bürgers nicht ausreichend deutlich. Dagegen spricht, dass sich die Ausführungen zu Südafrika der "Vorbemerkung" unmittelbar anschlossen und die Antragsgegnerin zu I. sie lediglich mit den Worten "Jetzt komme ich zu Südafrika" einleitete.
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(4) Es wäre der Antragsgegnerin zu I. unbenommen gewesen, mit hinreichender Klarheit darauf hinzuweisen, dass sie sich zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nicht in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzlerin, sondern als Parteipolitikerin oder Privatperson äußern werde (vgl. BVerfGE 148, 11 [35 Rn. 66]; vgl. zur "Kommunikatorklarheit" Mast, K&R;R 2016, S. 542 [543]; ders., Staatsinformationsqualität, 2020, S. 324 [329 ff., 336 ff.]). Von dieser Möglichkeit hat sie trotz des für ein Handeln in amtlicher Funktion sprechenden äußeren Rahmens der Pressekonferenz keinen Gebrauch gemacht.
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dd) Auch die übrigen Umstände der streitgegenständlichen Äußerung sprechen gegen ein Handeln der Antragsgegnerin zu I. in nichtamtlicher Eigenschaft. Dass sie eine exponierte Politikerin ihrer Partei war und auch als solche wahrgenommen wurde, rechtfertigt für sich genommen den Rückschluss auf ein nichtamtliches Handeln nicht (1). Soweit die Antragsgegnerinnen geltend machen, die Regierungskoalition habe stabilisiert (2) und außenpolitischen Verwerfungen vorgebeugt werden müssen (3), streitet dies eher für eine Äußerung in amtlicher Funktion. Der Umstand, dass die Äußerung später auf den offiziellen Internetseiten der Bundesregierung beziehungsweise der Bundeskanzlerin veröffentlicht wurde, ist hingegen für die Qualifizierung der Äußerung selbst ohne Belang (4).
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(1) Die Antragsgegnerin zu I. war eine exponierte Funktionsträgerin ihrer Partei. Im Zeitpunkt ihrer Einlassung war sie zwar nicht mehr Parteivorsitzende, jedoch kraft Amtes Mitglied des CDU-Präsidiums und des CDU-Bundesvorstandes. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Äußerung zu parteipolitischen Themen stets in der Funktion als Parteipolitikerin erfolgte, zumal, wenn der äußere Rahmen, wie vorliegend, eindeutig einen Bezug zum Regierungsamt aufwies. Gegen einen Rückschluss von der parteipolitischen Funktion auf eine parteipolitische Äußerung dürfte zudem sprechen, dass die streitgegenständliche Aussage zu einem Zeitpunkt fiel, als sich die damalige CDU-Bundesvorsitzende zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen bereits geäußert hatte, worauf die Antragsgegnerin zu I. im weiteren Verlauf der Pressekonferenz auch verwies. Obwohl insofern keine ausschließliche Zuständigkeit der Parteivorsitzenden besteht, ist aus der Sicht eines objektiven Empfängers vor diesem Hintergrund nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die Antragsgegnerin zu I. eine zusätzliche politische Standortbestimmung für die CDU Deutschlands beabsichtigte.
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(2) Soweit die Antragsgegnerinnen geltend machen, dass die angegriffene Äußerung (auch) dazu gedient habe, das gegenseitige Vertrauen der die Regierung tragenden Koalitionspartner wiederherzustellen und eine Gefährdung der Stabilität der Bundesregierung zu verhindern, spricht dies ebenfalls dafür, dass die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion erfolgte. Dass ihr als Privatperson oder Mitglied des CDU-Präsidiums und des CDU-Bundesvorstandes eigene Verantwortung für die Stabilität der Bundesregierung zugewiesen sein sollte, erschließt sich nicht. Eine dahingehende Verantwortung resultierte vielmehr aus ihrer Funktion als Bundeskanzlerin, der nach Maßgabe von Art. 64 und 65 GG die Leitung der Bundesregierung und der Erhalt ihrer Arbeitsfähigkeit obliegt. Diente die Äußerung diesem von der Antragsgegnerin zu I. vorgetragenen Zweck, ist davon auszugehen, dass sie damit die ihr in amtlicher Funktion zugewiesene Aufgabe der Führung der Geschäfte der Bundesregierung wahrgenommen hat.
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(3) Soweit die Antragsgegnerinnen weiter geltend machen, die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen sei mittelbar außenpolitisch relevant gewesen, da sie von der internationalen Presseöffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit und Skepsis verfolgt worden sei, legt auch dies ein Handeln in amtlicher Funktion nahe. Die Sicherstellung der "Glaubwürdigkeit der Bundesregierung" und die "Erhaltung des Vertrauens der ausländischen Partner der Bundesrepublik Deutschland" obliegt der Bundeskanzlerin kraft ihres Amtes. Dass sie insoweit auch als Parteipolitikerin oder gar als Privatperson gefordert gewesen wäre, erschließt sich nicht.
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(4) Für die Frage, ob die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. ein Handeln in amtlicher Funktion darstellt, kommt es nicht darauf an, dass die Äußerung später auf den offiziellen Internetseiten der Antragsgegnerinnen veröffentlicht wurde. Die Veröffentlichung mag zwar amtlichen Charakter haben, dies macht aber nicht zwangsläufig auch die Äußerung selbst zu einer solchen in amtlicher Funktion (vgl. BVerfGE 154, 320 [347 ff. Rn. 79-96]).
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b) Die streitgegenständliche Äußerung beinhaltet negative Qualifizierungen der Antragstellerin (aa). Hierdurch hat die Antragsgegnerin zu I. in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt (bb).
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aa) Die Antragsgegnerin zu I. beschränkt sich in der streitgegenständlichen Äußerung nicht auf eine Bewertung der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten und des diesbezüglichen Verhaltens der Landtagsabgeordneten der CDU. Vielmehr beinhaltet die Äußerung auch eine grundsätzliche Stellungnahme zum Umgang mit der Antragstellerin und deren Verortung im demokratischen Spektrum.
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(1) Entscheidend dafür, wie die Äußerung eines Regierungsmitglieds inhaltlich zu verstehen ist, ist nicht die jeweilige Intention des Äußernden, sondern die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. für eine solche Auslegung BVerfGE 148, 11 [36 f. Rn. 71 ff.]; 154, 320 [345 f. Rn. 72 ff.]). Die Chancengleichheit der Parteien kann durch die Äußerung eines Regierungsmitglieds in amtlicher Eigenschaft unabhängig davon beeinträchtigt werden, ob sich der Äußernde bewusst und zweckgerichtet negativ zu einer bestimmten Partei verhält.
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(2) Nach dieser Maßgabe lässt sich der streitgegenständlichen Äußerung eine negative Qualifizierung der Antragstellerin entnehmen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Antragsgegnerin zu I. sich nicht unmittelbar an die Antragstellerin wandte, sondern vorrangig das Verhalten der Landtagsabgeordneten ihrer eigenen Partei adressierte. Die Äußerung enthält jedenfalls auch ein negatives Urteil über die in ihr konkret bezeichnete Antragstellerin.
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(a) Die Aussage der Antragsgegnerin zu I., dass die Ministerpräsidentenwahl mit einer "Grundüberzeugung" gebrochen habe, mit "der AfD" keine Mehrheiten bilden zu sollen, qualifiziert die Antragstellerin insgesamt als eine Partei, mit der jedwede (parlamentarische) Zusammenarbeit von vornherein ausscheidet. Dies beinhaltet eine vom konkreten Anlass der Äußerung losgelöste Ausgrenzung der Antragstellerin aus dem Prozess parlamentarisch-demokratischer Willensbildung. Diese Bewertung wird dadurch verstärkt, dass die Antragsgegnerin zu I. den Kooperationsvorgang bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen als "unverzeihlich" bezeichnet und gefordert hat, dessen Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden.
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Dabei hat sich die Antragsgegnerin zu I. nicht darauf beschränkt, der Antragstellerin aus Sicht ihrer eigenen Partei, der CDU, die Kooperationsfähigkeit abzusprechen. Vielmehr mündete die streitgegenständliche Äußerung in der Aussage, die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen sei "ein schlechter Tag für die Demokratie" gewesen. Damit hat die Antragsgegnerin zu I. deutlich gemacht, dass sie die Beteiligung der Antragstellerin an der Bildung parlamentarischer Mehrheiten generell als demokratieschädlich erachtet, und implizit ein insgesamt negatives Werturteil über die Koalitions- und Kooperationsfähigkeit der Antragstellerin im demokratischen Gemeinwesen gefällt.
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(b) Soweit die Antragsgegnerinnen demgegenüber geltend machen, die Antragsgegnerin zu I. habe lediglich darauf verwiesen, dass keine Mehrheiten mithilfe der Antragstellerin gewonnen werden "sollen", und folglich eine politisch-moralische Erwartungshaltung formuliert, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Die Antragsgegnerin zu I. hat nämlich im Weiteren geäußert, dass der Vorgang rückgängig gemacht werden "muss". Die streitgegenständliche Äußerung im Sinne einer bloßen Erwartungshaltung zu interpretieren, erscheint daher fernliegend. Jedenfalls relativierte eine solche Deutung nicht den negativen Gehalt der Äußerung mit Blick auf die Koalitions- und Kooperationsfähigkeit der Antragstellerin.
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(c) Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerinnen vortragen, die Antragsgegnerin zu I. habe nur auf "Grundüberzeugungen" ihrer Person sowie ihrer Partei und nicht auf amtliche Positionen der Bundesregierung verwiesen. Auch ein solcher Verweis vermag den negativen Gehalt der Äußerung nicht zu relativieren. Unabhängig davon, ob es sich um eine persönliche oder parteiliche Grundüberzeugung handelte, hat die Antragsgegnerin zu I. zum Ausdruck gebracht, dass die Bildung parlamentarischer Mehrheiten unter Beteiligung der Antragstellerin abzulehnen ist und diese als Koalitions- oder Kooperationspartner von vornherein nicht in Betracht kommt.
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bb) Die negative Bewertung der Antragstellerin stellt sich als Eingriff in das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG dar. Die von der Antragstellerin vorgebrachte Qualifizierung der streitgegenständlichen Äußerung als "in ungeheuerlicher Diktion vernichtendes Werturteil", "Boykottaufruf" oder Brandmarkung der Antragstellerin als ",Aussätzige†und â€ö Feindinâ€4 der Demokratie" &uum4 berzeichnet deren objektiven Aussagegehalt zwar erheblich. Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin zu I. mit der streitgegenst&aum4 ndlichen &Aum4 u&szli4 erung aber in einseitiger Weise auf den politischen Wettbewerb einge4 rkt.
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(1) Ob die Äußerung eines Regierungsmitglieds eine Verletzung des Neutralitätsgebots darstellt, ist danach zu bestimmen, ob sie sich im Einzelfall aus Sicht eines verständigen Bürgers als offene oder versteckte Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Parteien darstellt (vgl. BVerfGE 138, 102 [117 ff. Rn. 53 ff.]; 148, 11 [34 f. Rn. 66]; 154, 320 [340 f. Rn. 58 ff.]). Eine solche Einflussnahme kann nicht nur durch direkte Wahl- oder Nichtwahlaufrufe, sondern auch durch die negative Qualifizierung des Handelns oder der Ziele einzelner Parteien erfolgen.
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(2) Dies zugrunde gelegt, greift die streitgegenständliche Äußerung zulasten der Antragstellerin in den politischen Wettbewerb ein. Die Antragsgegnerin zu I. hat mit ihr die durch das Neutralitätsgebot vorgegebenen inhaltlichen Grenzen ihrer Äußerungsbefugnisse überschritten, indem sie ein negatives Werturteil über die konkret benannte Antragstellerin als eine im politischen Wettbewerb stehende Partei gefällt und ihr jegliche Kooperations- und Koalitionsfähigkeit abgesprochen hat. Die dagegen erhobenen Einwände der Antragsgegnerinnen gehen fehl.
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(a) Auch insoweit ist es ohne Belang, dass die Äußerung die Antragstellerin nur mittelbar betrifft und primär das Verhalten der Abgeordneten der CDU-Landtagsfraktion in Thüringen zum Gegenstand hat. Es liegt damit zwar keine unmittelbare Einwirkung auf die Wettbewerbsposition der Antragstellerin vor. Die mit der Äußerung der Antragsgegnerin zu I. verbundene Ausgrenzung der Antragstellerin aus dem Kreis der kooperationsfähigen politischen Parteien stellt sich aber als ein Eingriff in den politischen Wettbewerb dar, der in seiner Wirkung nicht hinter einem unmittelbaren Angriff auf die Antragstellerin zurückbleibt.
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Die Antragsgegnerin zu I. hat offensichtlich gegen die Antragstellerin Partei ergriffen, indem sie -- mittelbar, aber unmissverständlich -- zum Ausdruck gebracht hat, dass eine für die Mehrheitsverhältnisse relevante parlamentarische Zusammenarbeit mit dieser nicht in Betracht komme. Dabei spricht sie sich mit der Formulierung "Es war ein schlechter Tag für die Demokratie" für einen Ausschluss der Antragstellerin bei der Bildung parlamentarischer Mehrheiten nicht nur mit Blick auf die eigene Partei, sondern auch mit Blick auf das parlamentarische System in seiner Gesamtheit aus. Die Antragsgegnerin zu I. grenzt die Antragstellerin aus dem Kreis der im demokratischen Spektrum koalitions- und kooperationsfähigen Parteien aus und beeinträchtigt damit (mittelbar) deren Position im politischen Wettbewerb.
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(b) Ebenso geht der Einwand der Antragsgegnerinnen fehl, dass ein Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit schon deshalb nicht vorliege, weil sich die Antragsgegnerin zu I. nicht zu deren Wählbarkeit geäußert habe.
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Die streitgegenständliche Äußerung beinhaltet implizit ein negatives Urteil über die Wählbarkeit der Antragstellerin. Dem steht der Hinweis der Antragsgegnerinnen, dass die Landtagswahl in Thüringen zum Zeitpunkt der Äußerung bereits abgeschlossen gewesen sei, nicht entgegen. Die Antragsgegnerin zu I. hat mit ihrer Wortwahl über die Bewertung des konkreten Ereignisses hinaus ein negatives Urteil über die Koalitions- und Kooperationsfähigkeit der Antragstellerin zum Ausdruck gebracht, das potenziell auch für zukünftige Wahlen Wirkung entfaltet. Es ist jedenfalls nicht fernliegend, dass sich ein solches Urteil negativ auf das Ansehen der Antragstellerin bei den Wählerinnen und Wählern und damit auf deren Wahlchancen auswirkt. Wenn davon auszugehen ist, dass die Antragstellerin vom parlamentarischen Mehrheitsbildungsprozess ausgeschlossen ist oder sein sollte, kann dies Veranlassung sein, die Antragstellerin bei der Stimmabgabe nicht zu unterstützen.
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(c) Daher kommt es auch nicht darauf an, dass sich die streitgegenständliche Äußerung mit der Ministerpräsidentenwahl auf einen Vorgang bezog, der der Landtagswahl nachgelagert ist. Bei der politischen Willensbildung handelt es sich um einen permanenten Prozess. Aus diesem Grund verlangt der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien auch außerhalb von Wahlkampfzeiten die Beachtung des Gebots staatlicher Neutralität (vgl. BVerfGE 148, 11 [25 f. Rn. 46]; 154, 320 [336 Rn. 48]; jeweils m.w.N.). Die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. stellt eine Parteinahme zulasten der Antragstellerin dar, die über die zurückliegende Landtagswahl in Thüringen hinausreicht und auch in Zukunft deren Stellung im politischen Meinungskampf negativ zu beeinflussen vermag.
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(d) Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus dem Hinweis der Antragsgegnerinnen auf die Beachtung des Sachlichkeitsgebots. Dass die Antragsgegnerin zu I. sich weder unsachlich noch polemisch zur Antragstellerin geäußert hat, schließt eine unzulässige Partei ergreifende Einflussnahme auf den politischen Wettbewerb nicht aus. Das Sachlichkeitsgebot betrifft nicht die Eingriffsrelevanz einer Äußerung, sondern entfaltet seine Bedeutung erst bei der Frage, ob eine Äußerung, die sich auf die Chancengleichheit der Parteien auswirkt, im Rahmen regierungsamtlicher Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gerechtfertigt werden kann (vgl. BVerfGE 154, 320 [338 Rn. 52] m.w.N.).
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(e) Schließlich kommt es nicht darauf an, dass die Antragstellerin, wie die Antragsgegnerinnen ausführen, mit Blick auf den in Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Parteienwettbewerb keinen Anspruch darauf hat, als Kooperations- oder Koalitionspartnerin anerkannt zu werden. Die Parteinahme zulasten der Antragstellerin erwächst vorliegend daraus, dass die Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion geäußert hat, im demokratischen Gemeinwesen dürfe mit der Antragstellerin in keiner Weise koaliert oder kooperiert werden und das Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen müsse daher rückgängig gemacht werden. Hierdurch hat sie die Wählbarkeit der Antragstellerin infrage gestellt und in der Folge deren Wettbewerbslage nachteilig beeinflusst.
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c) Der Eingriff in das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit ist nicht gerechtfertigt. Gründe, die von der Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, die dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien die Waage halten können, liegen nicht vor. Eine Rechtfertigung der Äußerung der Antragsgegnerin zu I. ergibt sich weder aus dem Schutz der Arbeitsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung (aa) noch mit Blick auf die Wahrung des Ansehens der und des Vertrauens in die Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft (bb). Ebenso wenig handelt es sich bei der streitbefangenen Äußerung um eine zulässige Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der Antragsgegnerin zu I. (cc).
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aa) Weder aus dem Vorbringen der Antragsgegnerinnen noch im Übrigen ist erkennbar, dass die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung geboten war. Zwar ist die Wahl des Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen durch die Koalitionsparteien auf Bundesebene heftig kritisiert worden und hat zur Einberufung des Koalitionsausschusses geführt (1). Dass dies zu einer Gefährdung der Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung geführt hätte, die den mit der öffentlichen Einlassung der Antragsgegnerin zu I. verbundenen Eingriff in die Rechte der Antragstellerin hätte rechtfertigen können, erschließt sich aber nicht (2).
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(1) Die Antragsgegnerinnen haben nachvollziehbar dargelegt, dass die Abläufe bei der Ministerpräsidentenwahl von den Koalitionspartnern im Bund als Bruch mit den Grundwerten, die der Arbeit der Regierungskoalition zugrunde gelegen hätten, angesehen worden seien. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass sich im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD aus dem Jahr 2018 kein expliziter Ausschluss von Kooperationen der Regierungsparteien mit der Antragstellerin findet, da nicht alle der Zusammenarbeit einer Koalitionsregierung zugrundeliegenden Vorstellungen ausdrücklich in den Koalitionsvereinbarungen ausgewiesen sein müssen (vgl. Schenke, JZ 2015, S. 1009 [1012]).
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(2) Der Hinweis auf die Reaktionen auf die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen allein vermag die Annahme, die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung sei infrage gestellt gewesen, aber nicht zu tragen. Dass dem Bundeskanzler bei der Beurteilung der Frage, welcher Maßnahmen es zur Erhaltung der Stabilität und der Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bedarf, ein weiter Einschätzungsspielraum zusteht (vgl. oben Rn. 103), entbindet nicht davon, dass plausibel dargelegt werden oder in sonstiger Weise ersichtlich sein muss, dass die Stabilität der Bundesregierung im Einzelfall tatsächlich betroffen gewesen ist und einen Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG erforderlich gemacht hat. Daran fehlt es.
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(a) Allein die kritischen Äußerungen führender Vertreter der Koalitionsparteien SPD und CSU im unmittelbaren Anschluss an die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen genügen nicht, um eine Gefahr für die Stabilität und Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung zu belegen. Soweit die Antragsgegnerinnen darauf verweisen, der SPD-Vorsitzende habe von einem "unverzeihlichen Dammbruch" gesprochen und der Vizekanzler habe erklärt, "sehr ernste Fragen" an die CDU-Spitze zu haben, markiert dies zwar, dass politischer Diskussions- und Klärungsbedarf bestand. Daraus folgt aber noch nicht die Absicht, die Zusammenarbeit in der Bundesregierung -- unabhängig vom Ergebnis des eingeforderten Klärungsprozesses -- nicht weiterzuführen. Hinzu kommt, dass sich auch die CDU durch ihre Parteivorsitzende bereits am 5. Februar 2020 vom Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen distanziert und deutlich gemacht hatte, dass die Unterstützung des Kandidaten Kemmerich durch Abgeordnete der CDU-Landtagsfraktion in Thüringen gegen die -- eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließende -- Parteilinie verstoße. Zudem forderte die CDU-Vorsitzende den gewählten Kandidaten zum Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten auf. Angesichts der von allen Koalitionsparteien einmütig geäußerten Kritik an der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen erschließt sich nicht, dass durch diese Wahl die Stabilität und Handlungsfähigkeit der Bundesregierung infrage gestanden hätten.
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(b) Außerdem hat die Antragsgegnerin zu I. im Rahmen der Pressekonferenz selbst dargelegt, dass sie wegen der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen mit dem SPD-Vorsitzenden und dem Vizekanzler persönlich gesprochen und sich mit ihnen auf die Einberufung des Koalitionsausschusses verständigt habe. Auch dies spricht dagegen, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerung die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung in einer Weise gefährdet war, die den vorliegenden Eingriff in das Recht der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG rechtfertigen könnte.
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Dabei ist davon auszugehen, dass dem Koalitionsausschuss, der ebenso wie die Koalitionsvereinbarungen im Grundgesetz nicht geregelt ist, die Aufgabe zukommt, die Arbeit der Koalitionsparteien untereinander und mit der Regierung abzustimmen, Entscheidungen vorzubereiten und Meinungsverschiedenheiten auszuräumen (vgl. Gräfin von Schlieffen, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 49 Rn. 2; Hermes, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 63 Rn. 14; Schröder, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 63 Rn. 16; Kloepfer, NJW 2018, S. 1799 [1801]; Kersten, JuS 2018, S. 929 [935]; ders., in: Herdegen/Masing/ Poscher/Gärditz, Handbuch des Verfassungsrechts, 1. Aufl. 2021, § 11 Rn. 54). Diese Aufgabenzuschreibung wird durch den Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, welcher im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerung in Kraft war, bestätigt (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode, Zeilen 8236 ff.).
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Der Koalitionsausschuss ist folglich ein Instrument der Politikorganisation (vgl. Kloepfer, NJW 2018, S. 1799 [1800]; vgl. zu seiner historischen Entwicklung Schreckenberger, ZParl 25 [1994], S. 329 [333 f.]; zu seiner Notwendigkeit Rudzio, ZParl 1 [1970], S. 206 [207 ff.]), das dazu dient, die Regierungskoalition über die Dauer der Legislaturperiode handlungsfähig zu halten und im Konfliktfall zu stabilisieren; mit seiner Einrichtung wird ein Verfahren geschaffen, das den Durchgriff des Politischen auf den Bestand der Koalition jedenfalls verzögert (vgl. Gräfin von Schlieffen, in: Isensee/Kirchhof, HStR III, 3. Aufl. 2005, § 49 Rn. 2, 8).
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Mit der Verständigung über die Einberufung des Koalitionsausschusses war somit der im Koalitionsvertrag vorgesehene Mechanismus zur Bewältigung krisenhafter Situationen in der Regierungsarbeit im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerung bereits betätigt worden. Dass die Stabilität und Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung bis zu dessen Zusammentritt trotzdem gefährdet waren, sodass der vorliegende Eingriff in das Recht der Antragstellerin durch die streitbefangene Äußerung zum Schutz dieses gleichwertigen Verfassungsgutes erfolgte, erschließt sich aus den Darlegungen der Antragsgegnerinnen nicht und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.
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bb) Ebenso wenig ist erkennbar, dass infolge der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen das Ansehen der und das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft in einer Weise betroffen waren, dass dadurch die mit der öffentlichen Erklärung der Antragsgegnerin zu I. verbundene Parteinahme zulasten der Antragstellerin gerechtfertigt sein könnte.
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(1) Zwar ist davon auszugehen, dass dem Bundeskanzler auch bei der Beurteilung der Frage, ob die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland infrage steht und welche Maßnahmen insoweit zu ergreifen sind, ein weiter Einschätzungsspielraum eingeräumt ist (vgl. oben Rn. 108). Dennoch muss von den Antragsgegnerinnen dargelegt werden oder in sonstiger Weise ersichtlich sein, dass infolge der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen Zweifel ausländischer Partner an der Verlässlichkeit oder Vertrauenswürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland, welche die außenpolitische Handlungsfähigkeit bedrohten, bestanden oder vermutet werden konnten. Auch daran fehlt es.
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(2) Soweit die Antragsgegnerinnen vortragen, dass angesichts des vermuteten Zusammenwirkens von Abgeordneten der CDU mit Abgeordneten der Antragstellerin bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen international die Erwartung bestanden habe, dass sich die CDU als stärkste Regierungspartei positioniere, war eine solche Positionierung zum Zeitpunkt der Äußerung der Antragstellerin zu I. durch die CDU-Parteivorsitzende bereits erfolgt.
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(3) Schon angesichts der einmütigen Kritik der die Bundesregierung tragenden Parteien an der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ist nicht ersichtlich, dass das Ansehen, die außenpolitische Handlungsfähigkeit oder das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Äußerung der Antragsgegnerin zu I. beschädigt oder auch nur gefährdet waren. Zweifel bestehen daran schon deshalb, weil es sich bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen um einen Vorgang im Verfassungsraum eines Landes und nicht des Bundes handelte. Es kommt hinzu, dass der gewählte Ministerpräsident zwar von den Landtagsabgeordneten der Antragstellerin unterstützt wurde. Er war aber weder seitens der Antragstellerin vorgeschlagen, noch war oder ist er deren Mitglied. Außerdem distanzierten sich sämtliche Regierungsparteien auf Bundesebene unverzüglich und klar von der Mehrheitsbildung bei der Ministerpräsidentenwahl. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass die landespolitischen Vorgänge bei der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen das Ansehen der oder das Vertrauen in die Bundesrepublik Deutschland in relevantem, die außenpolitische Handlungsfähigkeit einschränkenden Umfang erschütterten. Dahingehende Reaktionen ausländischer Staatsorgane sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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(4) Die von den Antragsgegnerinnen zur Begründung der internationalen Breitenwirkung vorgelegten Presseartikel rechtfertigen keine andere Einschätzung. Diese beschränken sich darauf, das Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl sowie die Reaktionen der deutschen Politik darauf wiederzugeben. Sofern in den Artikeln von einem "Tabubruch" oder "Dammbruch" die Rede ist, handelt es sich im Wesentlichen um die Wiedergabe von Aussagen deutscher Akteure oder allgemeine Bewertungen, die eine außenpolitische Relevanz der Vorgänge nicht erkennen lassen. Politische Reaktionen ausländischer Entscheidungsträger werden auch in den vorgelegten Presseartikeln nicht berichtet. Soweit der Berichterstattung teilweise zu entnehmen ist, die deutliche Verurteilung der Vorgänge durch die deutsche Politik habe bestätigt, dass das Tabu einer Kooperation mit der Antragstellerin fortbestehe, knüpft diese Bewertung auch, aber nicht ausschließlich an die streitgegenständliche Äußerung der Antragsgegnerin zu I. an. Vielmehr wird insoweit auch auf die Bewertung durch die CDU-Parteivorsitzende abgestellt.
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(5) Vor diesem Hintergrund fehlt es an hinreichenden objektiven Anknüpfungspunkten für eine Gefährdung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit oder des Vertrauens in die Bundesrepublik Deutschland, auf deren Grundlage der Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der Antragstellerin gerechtfertigt sein könnte. Allein eine dahingehende subjektive Einschätzung der Antragsgegnerin zu I. reicht demgegenüber nicht aus, da ansonsten dem Bundeskanzler umfängliche, letztlich kaum eingrenzbare Möglichkeiten eröffnet würden, unter Inanspruchnahme der Amtsautorität einseitig in den Wettbewerb der politischen Parteien einzugreifen.
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cc) Der Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist auch nicht durch die Befugnis der Antragsgegnerin zu I. zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit gerechtfertigt. Es kann dahinstehen, inwieweit die Bewertung der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen überhaupt einen tauglichen Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung und ihrer Mitglieder darstellt (1). Jedenfalls hat die Antragsgegnerin zu I. mit ihrer Äußerung das dabei grundsätzlich zu beachtende Neutralitätsgebot verletzt (2).
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(1) Zweifel daran, dass die streitbefangene Äußerung einen tauglichen Gegenstand der Öffentlichkeitsarbeit der Antragsgegnerin zu I. betrifft, folgen aus dem Umstand, dass sie sich nicht auf die eigene Regierungstätigkeit des Bundeskanzlers oder der Bundesregierung bezog. Weder diente sie der Darlegung oder Erörterung eigener Maßnahmen oder Vorhaben noch der Verteidigung der Politik der Bundesregierung gegen Angriffe oder Kritik.
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Hinzu kommt, dass die Wahl eines Ministerpräsidenten als Teil der Bildung der Landesregierung dem Verfassungsraum der Länder zuzuordnen ist. Regelungs- oder sonstige Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Ministerpräsidentenwahl stehen der Antragsgegnerin zu I. oder der Bundesregierung -- vom Fall des Art. 37 GG abgesehen -- nicht zu. Die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen könnte daher allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer über den Verfassungsraum des Freistaats Thüringen hinausreichenden Stellungnahme zu einer aktuell streitigen, die Öffentlichkeit erheblich berührenden Frage von der Befugnis der Antragsgegnerin zu I. zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit umfasst sein (vgl. BVerfGE 20, 56 [100]; 138, 102 [114 Rn. 40]; 148, 11 [28 Rn. 51]; 154, 320 [337 Rn. 49]).
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(2) (a) Einer Rechtfertigung der Äußerung der Antragsgegnerin zu I. durch ihre Befugnis zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit steht aber jedenfalls die Verletzung des insoweit zu beachtenden Neutralitätsgebots entgegen. Der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien lässt es -- wie dargelegt (siehe oben Rn. 115) -- nicht zu, dass die Bundesregierung oder ihre Mitglieder die Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit nutzen, um Regierungsparteien zu unterstützen oder Oppositionsparteien zu bekämpfen. Dies gilt insbesondere bei öffentlichen Stellungnahmen zu außerhalb der eigenen Regierungsverantwortung liegenden Sachverhalten. Damit ist die streitbefangene Äußerung der Antragsgegnerin zu I. nicht zu vereinbaren. Sie beinhaltet eine negative Qualifizierung der Antragstellerin, der jegliche Koalitions- oder Kooperationsfähigkeit im demokratischen Spektrum abgesprochen wird. Die Antragsgegnerin zu I. hat damit in einseitiger Weise auf den politischen Wettbewerb eingewirkt (siehe oben Rn. 144 ff.).
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(b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Äußerung zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen erfolgte. Die Antragsgegnerin zu I. bezeichnete zwar die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen wegen der mutmaßlichen Mehrheitsbeschaffung durch Landtagsabgeordnete der Antragstellerin als "schlechten Tag für die Demokratie" und forderte dazu auf, deren Ergebnis rückgängig zu machen. Sie verband dies aber nicht mit dem Hinweis darauf, dass die Antragstellerin verfassungsfeindliche Positionen vertrete und die Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit ihr zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geboten sei. Aus welchem Grund die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit unter Beteiligung der Abgeordneten der Antragstellerin einen "schlechten Tag für die Demokratie" bedeuten und Grundüberzeugungen der CDU widersprechen sollte, bleibt vielmehr offen. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob eine Qualifizierung der Antragstellerin als verfassungsfeindliche Partei die hierfür von Verfassungs wegen geltenden Grenzen (siehe oben Rn. 116) gewahrt hätte.
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2. Soweit die streitgegenständliche Äußerung unter dem Titel "Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem Präsidenten der Republik Südafrika, Cyril Ramaphosa" auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen veröffentlicht wurde, ist der Antrag ebenfalls begründet. Die Antragsgegnerinnen haben damit auf amtliche Ressourcen zurückgegriffen (a) und diese zum politischen Meinungskampf eingesetzt (b), ohne dass dies gerechtfertigt war (c).
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a) Die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Äußerung auf den offiziellen Internetseiten der Antragsgegnerinnen stellt sich als amtliches Handeln dar, da in spezifischer Weise regierungsamtliche Autorität in Anspruch genommen und auf Ressourcen zurückgegriffen wurde, die allein der Bundeskanzlerin beziehungsweise der Bundesregierung zur Verfügung standen. Dem amtlichen Charakter der Veröffentlichung steht dabei nicht entgegen, dass die Äußerung der Antragsgegnerin zu I. in dem veröffentlichten Text als "Vorbemerkung" bezeichnet und in der streitgegenständlichen Passage selbst auf die Amtsbezeichnung verzichtet wurde. Dies ändert am amtlichen Charakter der Äußerung selbst nichts (vgl. oben Rn. 124 f., 129). Umso mehr gilt dies für die anschließenden Veröffentlichungen auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen. Diese stellen sich mit Blick auf die Verwendung des jeweiligen Dienstwappens, welches neben dem Bundesadler den Schriftzug "Die Bundeskanzlerin" beziehungsweise "Die Bundesregierung" trägt, sowie aufgrund der gewählten Überschrift, welche explizit auf das Amt der Bundeskanzlerin verweist, nach ihrem objektiven Erscheinungsbild zweifelsfrei als amtlich dar.
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Soweit die Antragsgegnerinnen dem entgegenhalten, dass sie sich mit Veröffentlichungen auf ihren offiziellen Internetseiten nicht notwendig auch die veröffentlichten Äußerungen als amtlich zu eigen machten, und beispielhaft auf Fragen von Medienvertretern sowie die Einlassungen des Präsidenten der Republik Südafrika verweisen, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Vorliegend geht es gerade nicht um Äußerungen Dritter, sondern um eine Erklärung der Antragsgegnerin zu I., die bereits in amtlicher Eigenschaft erfolgte und deren Veröffentlichung auf den offiziellen Internetseiten der Antragsgegnerinnen mit der Bezeichnung "BK'in Merkel:" eingeleitet wurde.
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Im Übrigen kommt es für die Frage, ob die Veröffentlichung der Äußerung auf der offiziellen Internetseite den Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt, allein darauf an, ob die Antragsgegnerinnen mit der Veröffentlichung der streitbefangenen Äußerung in Partei ergreifender Weise staatliche, der Antragstellerin nicht zur Verfügung stehende Ressourcen im politischen Meinungskampf eingesetzt haben (vgl. BVerfGE 154, 320 [350 f. Rn. 92]). Eine andere Bewertung dürfte daher selbst dann nicht angezeigt sein, wenn die Antragsgegnerinnen die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Äußerung mit dem Hinweis versehen hätten, dass die Antragsgegnerin zu I. sich insoweit als Parteipolitikerin geäußert habe. Andernfalls ließen sich die äußerungsrechtlichen Anforderungen an staatliche Funktionsträger leicht umgehen (vgl. Nellesen, NVwZ 2020, S. 1024 [1032]), und es ergäben sich umfassende Möglichkeiten parteipolitischer Instrumentalisierung amtsbezogener Ressourcen (vgl. BVerfGE 154, 320 [351 Rn. 92]).
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b) Die Antragsgegnerinnen haben die in Anspruch genommenen amtlichen Ressourcen auch zur Beteiligung am politischen Meinungskampf eingesetzt. Die Veröffentlichung der im Rahmen der Pressekonferenz gefallenen "Vorbemerkung" der Antragsgegnerin zu I. diente jedenfalls auch der weiteren Verbreitung der darin enthaltenen streitgegenständlichen Äußerung. Da diese ein negatives Werturteil über die Antragstellerin enthält und dieser Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien vorliegend nicht gerechtfertigt ist, führt die Veröffentlichung dieser Äußerung auf den Internetseiten der Antragsgegnerinnen zu einer eigenständigen Verletzung des Rechts der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG.
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c) Der Eingriff ist nicht gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung folgt weder aus einer Pflicht zur authentischen Dokumentation von Regierungshandeln (aa), noch ergibt sie sich mit Blick auf Informationsansprüche Dritter (bb).
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aa) (1) Soweit die Antragsgegnerinnen darauf verweisen, dass es zur Wahrung der Authentizität der Dokumentation unvertretbar gewesen sei, den streitgegenständlichen Teil der Presseerklärung von der Veröffentlichung auszunehmen, vermag dies den durch die Veröffentlichung erfolgten Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien bereits unter Zugrundelegung des Vortrags der Antragsgegnerinnen nicht zu rechtfertigen, wonach es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um eine Verlautbarung der Antragsgegnerin zu I. als Parteipolitikerin gehandelt habe. Dass bezüglich einer solchen Äußerung die Verpflichtung zu einer authentischen Dokumentation durch das Informations- und Presseamt der Bundesregierung in Wahrnehmung seiner "Chronistenfunktion" besteht, erschließt sich nicht. In diesem Fall fiele es vielmehr anderen Stellen, namentlich dem Bundesverband der Partei der Antragsgegnerin zu I., zu, die Äußerung zu veröffentlichen beziehungsweise sie zu dokumentieren und auf entsprechende Anfragen herauszugeben (vgl. für eine umfassende Dokumentationspflicht hingegen Klein, in: Koop/Bantle, Festschrift für Holger Weidemann, 2020, S. 71 [79 f.]).
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(2) Vorliegend ist die streitgegenständliche Äußerung allerdings als eine solche der Antragsgegnerin zu I. in amtlicher Funktion einzuordnen. Das in diesem Fall grundsätzlich anzuerkennende Interesse an einer vollständigen und authentischen Dokumentation des Regierungshandelns, das auch Auslandsbesuche des Bundeskanzlers erfasst, erstreckt sich aber nicht auf die Verbreitung von Erklärungen, die in nicht gerechtfertigter Weise in das Recht auf politische Chancengleichheit einer politischen Partei aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG eingreifen. Anderenfalls könnten Äußerungen von Regierungsmitgliedern, die unter Verletzung des Neutralitätsgebots getätigt werden, unter Verweis auf die Pflicht zur Dokumentation des Regierungshandelns amtlich verbreitet und der damit verbundene Eingriff in das Recht der politischen Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG perpetuiert und vertieft werden (vgl. BVerfGE 154, 320 [350 f. Rn. 92]).
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Zu keiner anderen Bewertung führt die Argumentation der Antragsgegnerinnen, vorliegend sei nicht eine als unzulässig qualifizierte Äußerung "selbstständig und intentional" verbreitet worden. Dies scheint auf eine Differenzierung danach abzuzielen, ob eine Äußerung insgesamt oder nur in Teilen unzulässig ist. Ob eine das Neutralitätsgebot verletzende Äußerung eines Regierungsmitglieds veröffentlicht werden darf, hängt aber nicht davon ab, ob sie isoliert abgegeben wurde. Es dürfte der Regelfall sein, dass unzulässige Aussagen von Äußerungen begleitet werden, die das Neutralitätsgebot (noch) achten beziehungsweise gerechtfertigt sind (vgl. BVerfGE 154, 320 [344 ff. Rn. 69 ff.]).
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bb) Soweit die Antragsgegnerinnen darauf verweisen, dass die Veröffentlichung die Erfüllung ihrer nach dem Informationsfreiheitsgesetz beziehungsweise den Pressegesetzen ohnehin bestehenden Informationspflicht lediglich in allgemeiner Weise vorwegnehme, kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch bestünde. Dafür könnte sprechen, dass die Ausnahmetatbestände des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes vorliegend nicht einschlägig sein dürften (vgl. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2. Aufl. 2016, § 2 Rn. 86, § 5 Rn. 25).
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Indes entstünde eine solche Auskunftspflicht erst mit Vorliegen eines entsprechenden Antrags und zudem nur in dem im Einzelfall begehrten Umfang. Es ist aber grundlegend anders zu bewerten, wenn einerseits die amtliche Mitschrift der streitgegenständlichen Äußerung auf eine konkrete Anfrage Dritter hin herausgegeben werden muss (und anschließend gegebenenfalls nichtamtlich veröffentlicht wird) als wenn sich andererseits die Antragsgegnerinnen auf ihren offiziellen Internetseiten von sich aus an die Öffentlichkeit wenden. Letzteres stellt eine aktive Verbreitung einer einseitig zulasten der Antragstellerin Partei ergreifenden Äußerung dar und setzt staatliche, politischen Wettbewerbern nicht verfügbare Ressourcen im politischen Meinungskampf ein. Dadurch wird das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit unabhängig vom Bestand individueller Auskunftsansprüche verletzt.
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D. |
Die Auslagenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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I. |
1. Im Organstreitverfahren findet eine Kostenerstattung nur ausnahmsweise statt, wenn besondere Billigkeitsgründe dies geboten erscheinen lassen. Dabei ist im Rahmen von § 34a Abs. 3 BVerfGG für einen Rückgriff auf § 34a Abs. 2 BVerfGG kein Raum (vgl. BVerfGE 154, 320 [353 Rn. 97]).
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2. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist eine Auslagenerstattung nicht deshalb geboten, weil die Antragsgegnerinnen ihr Verhalten trotz außergerichtlicher Korrespondenz und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in ähnlich gelagerten Fällen (zunächst) nicht korrigiert haben. Ungeachtet der Frage, ob vorliegend ein der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Äußerungsbefugnissen von Regierungsmitgliedern vergleichbarer Fall vorliegt (vgl. dazu BVerfGE 138, 102; 148, 11; 154, 320), widerspräche dies dem im Verfassungsprozessrecht geltenden Grundsatz des Selbstbehalts der Auslagen (vgl. BVerfGE 66, 152 [154]). Dieser findet seine Begründung in dem Charakter verfassungsgerichtlicher Verfahren, bei denen überwiegend Verfassungsorgane untereinander streiten oder es -- jedenfalls auch -- um die Wahrung der Integrität der Verfassung geht, und lässt nur dort Ausnahmen zu, wo in erster Linie subjektive Interessen wahrgenommen werden (vgl. Graßhof, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG, § 34a Rn. 4 ff. [Juli 2021]). Vor diesem Hintergrund kommt eine Auslagenerstattung im Organstreitverfahren grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 7, 75 [77]; 44, 125 [167]). Auch soweit politische Parteien Antragsteller im Organstreit sind, dient dieser nicht der Durchsetzung individueller Rechte, sondern der Klärung der Rechte und Pflichten von obersten Bundesorganen und anderen Beteiligten, die -- wie die politischen Parteien -- durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (vgl. BVerfGE 154, 320 [353 Rn. 97]).
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II. |
1. Über die Auslagenerstattung für die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG ebenfalls nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden.
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2. Derartige Billigkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sie sich nicht, wie die Antragstellerin meint, daraus, dass sich die Antragsgegnerinnen in die Rolle des Unterliegenden begeben hätten. Denn im Verfahren der einstweiligen Anordnung im Rahmen eines Organstreits fehlt es an einer § 34a Abs. 2 BVerfGG entsprechenden Regel, wonach eine Auslagenerstattung bei Erfolg einer Verfassungsbeschwerde stets zu gewähren ist. Demgemäß genügt der Erlass einer einstweiligen Anordnung oder die Erledigung des Verfahrens für sich genommen nicht, um eine Auslagenerstattung anzuordnen. Vielmehr kommt diese nach § 34a Abs. 3 BVerfGG nur aus besonderen Billigkeitsgesichtspunkten in Betracht. Insoweit kann aber nichts Anderes gelten als in der Hauptsache, in der es vorliegend an besonderen Billigkeitsgründen für die Anordnung der Auslagenerstattung fehlt.
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E. |
Diese Entscheidung ist mit 5:3 Stimmen ergangen.
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König Huber Hermanns Müller Kessal-Wulf Maidowski Langenfeld Wallrabenstein |
Abweichende Meinung der Richterin Wallrabenstein zum Urteil des Zweiten Senats vom 15. Juni 2022 - 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 - |
I. |
1. Bei der Durchführung dieser Kontrolle lässt die Senatsmehrheit anerkannte Argumentationsfiguren der verfassungsgerichtlichen Praxis außer Betracht.
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Den Aussagegehalt der streitgegenständlichen Äußerung will die Senatsmehrheit aus der Perspektive eines objektiven Empfängerhorizonts bestimmen (oben Rn. 138, 145). Warum sie dabei aber keine äußerungsfreundliche und damit debattenfördernde Interpretation in Betracht zieht, wie sie im Kontext der für ein demokratisches Gemeinwesen zentralen Meinungsfreiheit geboten ist (vgl. BVerfGE 43, 130; 93, 266 [295 f. m.w.N.]), erläutert sie nicht.
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Eingriffe in die Chancengleichheit der Parteien sollen gerechtfertigt werden können. Dass hierfür Staatswohlgründe in Betracht kommen, ist im Kontext des Art. 21 GG, der Parteien bis zur Grenze der Verfassungsfeindlichkeit schützt, mindestens begründungsbedürftig.
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Akzeptiert man solche Rechtfertigungsgründe, verletzt die Senatsmehrheit die Einschätzungsprärogative, die der Regierung für diesen genuin politischen Bereich aus Gründen der Gewaltenteilung zuzugestehen ist.
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2. Bereits bei der entscheidenden Weichenstellung für den Einstieg in dieses Kontrollprogramm -- bei der Einordnung der Äußerung der Bundeskanzlerin als Amtsausübung -- will die Senatsmehrheit den objektiven Empfängerhorizont eines mündigen und verständigen Bürgers einnehmen (oben Rn. 80, 125). Dieser Maßstab ist jedoch für die Abgrenzung zwischen Amtsausübung und davon zu trennender Stellungnahme einer Parteipolitikerin ungeeignet.
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Inhaber von Regierungsämtern werden regelmäßig in ihrer Doppelrolle wahrgenommen. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger bestehen aufgrund der Verschränkung von staatlichem Amt und parteipolitischer Zugehörigkeit gegenüber einem Regierungsmitglied nur begrenzte Neutralitätserwartungen. Beides hat der Senat in ständiger Rechtsprechung (BVerfGE 138, 102 [118 Rn. 54]; 148, 11 [32 Rn. 63]; 154, 320 [339 Rn. 55]) sowie auch hier (oben Rn. 77) erkannt. Er zieht daraus aber keine Konsequenzen. Die Einordnung einer Äußerung der Bundeskanzlerin als ebensolche bereitet gerade wegen ihrer Doppelrolle keine Schwierigkeiten. Zweifelhaft und unbewiesen ist hingegen die Hypothese, sie könne diese Vermutung mit einer hinreichenden Distanzierung von ihrem Amt entkräften (oben Rn. 126 ff.). Eher wäre darauf abzustellen, ob ausnahmsweise ein Regierungsmitglied ausschließlich in Wahrnehmung seines Amtes spricht, sich also deutlich von seiner Parteifunktion distanziert.
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Dass zudem die redaktionelle Einordnung der Äußerung durch die in der Pressekonferenz anwesenden Journalistinnen und Journalisten unbeachtlich sein soll (oben Rn. 122), geht nicht nur an der Wirklichkeit vorbei, in der Bürgerinnen und Bürger für ihre persönliche politische Willensbildung auf die mediale Berichterstattung angewiesen sind. Die Senatsmehrheit blendet damit auch konzeptionell den vielschichtigen Kommunikationsprozess einer demokratischen Gesellschaft und damit die Grundlage des politischen Willensbildungsprozesses aus, dessen Schutz die Äußerungsbeschränkungen der Bundeskanzlerin gerade dienen sollen.
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II. |
1. Zum "Schutz des politischen Willensbildungsprozesses vom Volk hin zu den Staatsorganen vor seiner Umkehrung" hat der Senat zunächst nur die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung in Wahlkampfzeiten begrenzt (BVerfGE 44, 125). Die hierbei aufgestellten Maßstäbe hat er in Verfahren über Äußerungen von Regierungsmitgliedern zur NPD beziehungsweise AfD zunächst im Wahlkampf (vgl. noch BVerfGE 138, 102 [110 f. Rn. 30 ff.]), sodann zu Parteiaktivitäten (vgl. BVerfGE 148, 11 [25 ff. Rn. 46 ff.]) und schließlich allgemein (BVerfGE 154, 320 [336 Rn. 48]) zu einer Neutralitätspflicht für Äußerungen von Regierungsmitgliedern weiterentwickelt. Dies führt dazu, dass das Bundesverfassungsgericht auf den Organstreitantrag einer Partei hin Äußerungen von Regierungsmitgliedern einer inhaltlichen Neutralitätskontrolle unterzieht.
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2. Bereits für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung -- im Sinne der Selbstdarstellung der Regierungsarbeit -- waren (vgl. die Sondervoten zu BVerfGE 44, 125) und sind (vgl. Krüper, JZ 2015, 414 ff.; Putzer, DÖV 2015, 417; Payandeh, Der Staat 55 (2016), 519; Gusy, KritV 2018, 210; Meinel, Der Staat 60, 43 [79 ff.]) diese inhaltlichen Neutralitätsmaßstäbe umstritten. Ich halte sie für verfehlt.
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Die Selbstdarstellung der Regierung ist etwas anderes als die sachbezogene Öffentlichkeitsarbeit, etwa die Aufklärung über Gesundheitsrisiken, Sozialleistungen und Verbraucherrechte oder auch über demokratiefeindliche Bestrebungen. Diese ist, auch wenn sie von einer Ministerin oder einem Minister ausgeübt wird, eine spezifische Form der Verwaltungstätigkeit und unterliegt -- dementsprechend justiziablen -- Vorgaben wie Richtigkeit, Sachlichkeit und Zurückhaltung.
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Ich kann nicht erkennen, dass bei der Selbstdarstellung der Regierung eine Neutralitätspflicht dem Schutz der Richtung des Willensbildungsprozesses vom Volk zu den Staatsorganen vor seiner Umkehrung dienen könnte. Eine offene Parteinahme der Regierungsmitglieder für die Parteien, die die Regierung tragen, ist hierfür nicht das Problem. Wie erwähnt, erwarten Bürgerinnen und Bürger von den Regierungsmitgliedern nur begrenzt Neutralität, nämlich insoweit, als sie Funktionen der Fachverwaltung ausüben.
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Das Konzept einer Trennung, das der Senat verfolgt (oben Rn. 76 ff. m.w.N.), wäre daher nicht zwischen Amtsausübung und Parteitätigkeit, sondern zwischen Exekutiv- und Regierungstätigkeit zu verorten. Indem der Senat stattdessen die Amtsausübung eines Regierungsmitglieds insgesamt den Vorgaben unterstellt, die ihrem Grunde nach für Exekutivhandeln gelten, verkennt er die eigentliche Regierungsfunktion, die im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes vom Parlament der Bundeskanzlerin und ihrem Kabinett überantwortet ist.
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Dieses Regierungshandeln soll auch in der Erwartung der Bürgerinnen und Bürger gerade nicht neutral sein. Regierungsarbeit ist politisch und in einer Parteiendemokratie parteipolitisch geprägt. Eine neutrale, womöglich expertokratische, Regierung ist für eine Parteiendemokratie ein Krisenphänomen. Die Sorge, dass die Richtung des politischen Willensbildungsprozesses umgekehrt werden könnte, wird gerade durch den Anschein von Neutralität des Regierungshandelns begründet. Themensetzung, Gewichtung der Belange, Auswahl der Expertise, Bewertung von Argumenten, also alle politischen Leitungsentscheidungen stellen eben Entscheidungen dar. Sie sind nie neutral, sondern beruhen auf Prägungen, Überzeugungen und Wirklichkeitswahrnehmungen, die in einer Gesellschaft sehr unterschiedlich sind. Wahlen dienen dazu, bei diesen Entscheidungen einen Unterschied zu machen. "Neutralität" einer Regierung würde diese in einer Parteiendemokratie gewollte Rückbindung verschleiern und könnte dazu beitragen, die Macht der regierenden Parteien dadurch zu erhalten, dass Bürgerinnen und Bürger die parteipolitischen Vorprägungen vermeintlich neutraler Entscheidungen nicht erkennen.
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Daher spricht bereits bei der Selbstdarstellung der Regierungstätigkeit nichts für eine Neutralitätspflicht (vgl. bereits Sondervotum Rottmann, BVerfGE 44, 125 [181 ff.]).
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3. Äußerungen einzelner Regierungsmitglieder zu konkreten politischen Fragen sind erst recht nicht einer Neutralitätspflicht unterworfen.
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Geht man mit dem Senat davon aus, dass für die -- selbstdarstellende -- Öffentlichkeitsarbeit der Regierung Neutralitätspflichten gelten, müsste ein genereller Maßstab für alle Äußerungen von Regierungsmitgliedern format- und situationsbezogen präzisiert werden. Oder er müsste so gefasst sein, dass die Kontextbedingungen einer Äußerung berücksichtigt werden können.
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Der Senat wählt mit dem Trennungskonzept einen anderen Weg. Er unterwirft regierungsamtliche Äußerungen engen Neutralitätsvorgaben und verweist die Auseinandersetzung mit politischen Parteien auf den Bereich "außerhalb der amtlichen Funktion" (vgl. BVerfGE 148, 11 [31 ff. Rn. 62 ff.]). Damit soll einerseits Regierungsmitgliedern die Wahrnehmung parlamentarischer Verantwortlichkeit und das Führen der politischen Sachdebatte ermöglicht und andererseits verhindert werden, dass sie bei Teilnahme am allgemeinen politischen Wettbewerb auf die "spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramtes" zurückgreifen (oben Rn. 79 m.w.N.).
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Bezogen auf den Wahlkampf hat die Unterscheidung zwischen der Regierungsarbeit zuzuordnender Selbstdarstellung und parteipolitischer Wahlwerbung ihren Sinn. Regierungsmitglieder sollen ihre Ressourcen nicht für den Wahlkampf verwenden dürfen, sondern ihn ebenso mit persönlichem Einsatz führen müssen, wie andere Parteipolitiker auch. Auch die Differenzierung zwischen "dienstlichen" und privaten Meinungsäußerungen hat in zahlreichen Kontexten ihre Berechtigung. Sie erlaubt die Wahrnehmung persönlicher Freiheiten und bewahrt zugleich die Institution, der eine Person "dienstlich" angehört, davor, mit deren Auffassungen oder Verhaltensweisen gleichgesetzt zu werden. Weder das eine noch das andere ist aber angezeigt, wenn Regierungsmitglieder sich zu politischen Fragen parteinehmend äußern. Regierungsmitglieder stehen auch -- und gerade -- persönlich in der politischen Verantwortung. Umgekehrt dient die Möglichkeit der Parteinahme in ihrem Fall nicht nur der Verwirklichung persönlicher Freiheiten.
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III. |
Das berechtigte Anliegen, das der Senat mit dieser Trennung verfolgt, findet sich nicht auf der Seite der Amtsausübung des Regierungsmitglieds, sondern auf der Seite seiner parteipolitischen Betätigung. Bei letzterer soll es nicht auf die spezifischen Möglichkeiten und Mittel des Ministeramtes zurückgreifen dürfen. Es geht also nicht um ein inhaltliches Äußerungsverbot, sondern um ein Ressourcennutzungsverbot.
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1. Dies entspricht dem Rechtsschutzziel der Organklage gegen eine exzessive Öffentlichkeitsarbeit der Regierung im Wahlkampf (vgl. BVerfGE 44, 125). Es besteht darin, die Nutzung von Regierungsressourcen für parteispezifische Zwecke, nämlich den Wahlkampf, zu unterbinden. Ein solches Ressourcennutzungsverbot dient dem Ziel, den politischen Wettbewerb zu sichern, damit aktuelle parlamentarische Minderheiten über Wahlen die Möglichkeit haben, zur Mehrheit zu werden (vgl. BVerfGE 5, 85 [198 f.]). Zu seiner Geltendmachung ist die Organklage konkurrierender Parteien ein geeignetes Instrument.
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2. Allerdings ist ein solches Verbot nur für die Nutzung wirtschaftlicher Ressourcen plausibel. Durch den Rückgriff auf sie ersparen sich Regierungsparteien eigene Aufwendungen. Dies und nicht der Inhalt der -- selbstdarstellenden -- Öffentlichkeitsarbeit kann den Parteienwettbewerb verzerren. Dass eine regierende Partei ihre Wahlprogramme umsetzt und damit auch in kommenden Wahlen überzeugen will, ist gerade Folge der in den vorangegangenen Wahlen zum Ausdruck gekommenen Präferenzen der Wählerinnen und Wähler.
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Daher ist es verfehlt, der Nutzung der Ressourcen die Nutzung der Amtsautorität gleichzustellen. In seiner Entscheidung zur Öffentlichkeitsarbeit im Wahlkampf hat der Senat dies gerade nicht getan, sondern sich auf die monetären Ressourcen beschränkt. Nur Geiger stellte in seinem konkurrierenden Sondervotum (BVerfGE 44, 125 [174 f.]) -- mit energischem Widerspruch von Rottmann (BVerfGE 44, 125 [184 f.]) -- der wirtschaftlichen Ressourcennutzung auch die Nutzung von Amts- autorität gleich.
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3. Indem der Senat diese bewusste Beschränkung auf die wirtschaftlichen Ressourcen aufgegeben und auch die Amtsautorität als Regierungsressource angesehen hat (BVerfGE 138, 102 [118 Rn. 55 ff.]; 148, 11 [33 Rn. 64, 34 Rn. 66]; 154, 320 [339 Rn. 56, 340 f. Rn. 59 f.]), hat er die Grundlage dafür geschaffen, dass aus der Chancengleichheit der Parteien nicht nur ein Ressourcennutzungsverbot für die Regierung folgt, sondern ein Äußerungsverbot für Regierungsmitglieder geltend gemacht werden kann. Der demokratischen Willensbildung und ihrer Realisierung im parlamentarischen Regierungssystem ist damit nicht gedient.
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Wallrabenstein |