BGE 22 I 1012 - Kantonsverfassung Nidwalden |
Urteil |
vom 5. November 1896 |
in Sachen Lussy und Konsorten |
Sachverhalt |
A. |
Durch Beschluß vom 13. Oktober 1895 ersetzte die Landsgemeinde des Kantons Unterwalden nid dem Wald den Art. 15 der damals geltenden Verfassung vom 2. April 1877, der lautete:
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durch folgenden neuen Artikel:
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"Das Hypothekarwesen des Kantons wird durch die staatliche Gesetzgebung geregelt. Der Zinsfuß für alle bestehenden und neu zu errichtenden Gülten und kanzleiischen Versicherungen innert der jeweiligen Würdigung des Pfandobjektes darf 4% in keinerlei Form übersteigen. Alle genannten Gülten und Versicherungen sind in ihrem Nennwerte gegen bar (Pfunde im Werte von 7 ösbar und vom Gläubiger aufkündbar. Der Zinsfuß für die außer der jeweiligen amtlichen Schatzung errichteten Gülten und Versicherungen beträgt, wie bisher, 5%; diese Gülten können, wie bisher, vom Schuldner abgelöst, aber vom Gläubiger nicht aufgekündet werden."
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Nach einer gleichzeitig angenommenen Übergangsbestimmung sollte der neue Art. 15 mit dem 11. November 1895 in Kraft treten. Gegen diesen am 18. Oktober im Amtsblatt publizierten Beschluß erhoben mit Eingabe vom 15. Dezember 1895 eine gewisse Anzahl von Gültenbesitzern, an ihrer Spitze alt Ständerat Nikolaus Lussy in Stans Beschwerde beim Bundesgericht. Derselbe greife, wurde im wesentlichen unter Berufung auf die Botschaft des Landrates vom 25. September 1895 angebracht, tief in die wirtschaftlichen Verhältnisse von Nidwalden ein, indem insbesondere die Gülteigentümer um einen Teil ihres Kapitales benachteiligt würden. Eine solche gewaltsame Schädigung stehe mit Art. 13 der Kantonsverfassung, der das Eigentum gewährleiste, in Widerspruch. Auch stehe es der Landsgemeinde nicht zu, in Verhältnisse, die durch Privatverträge geordnet seien, einzugreifen. Zudem sei es unbegreiflich, daß die Zinsansätze so ungleich festgesetzt worden seien, indem der Zins der vor dem 9. Mai 1751 errichteten Gülten 3%, derjenige der nachher errichteten Pfundgülten 4% betrage, und indem ferner die Gülten innert der amtlichen Schatzung zu 4%, diejenigen außer dieser Schatzung zu 5% zu verzinsen seien. Diese Ordnung der Sache entbehre jedweden Systemes und jeder Logik und verletze überdies den Grundsatz der Rechtsgleichheit. Ebenso sei es ungerechtfertigt, daß nur die außer der Schatzung stehenden Gülten vom Gläubiger nicht sollten aufgekündet werden dürfen. Dadurch sei es in die Hände der Güterschatzungskommission gelegt, den Zinsfuß und die Kündbarkeit gewisser Gülten zu bestimmen. Überhaupt widerspreche es jedem Rechtsgefühl, daß ein Souverain willkürlich bestimmen könne, wie viel ein Schuldner seinem Gläubiger zurückzuzahlen habe. Dies bestimme sich einzig nach dem privatrechtlichen Schuldtitel. Demgemäß wurde beantragt, es sei der angefochtene Landsgemeindebeschluß als ungültig zu erklären und aufzuheben. Das Bundesgericht trat laut Beschluß vom 29. Januar 1896 auf den Rekurs, soweit Verletzung der Bundesverfassung behauptet wurde, wegen Inkompetenz, soweit dagegen Verletzung der Kantonsverfassung behauptet wurde, zur Zeit nicht ein, mit der Begründung, daß es Sache der Bundesversammung sei, zu prüfen und zu entscheiden, ob die angefochtene Bestimmung mit der Bundesverfassung im Einklang stehe, und daß die Beantwortung der andern Frage, ob durch den fraglichen Beschluß die Kantonsverfassung verletzt werde, auszusetzen sei, bis die Bundesversammlung über die Gewährleistung des neuen Verfassungsartikels Beschluß gefaßt haben werde. Diese Gewährleistung wurde dann durch Beschlüsse der Bundesversammlung vom 15. und 23. Juni, veröffentlicht am 29. Juni 1896, erteilt. |
B. |
Inzwischen hatte der Landrat von Nidwalden ein Gesetz betreffend Einführung des neuen Art. 15 der Kantonsverfassung ausgearbeitet, nach dessen Eingang alle Privatrechte, sowie die in der Sache zu treffenden Entscheide der Bundesbehörden vorbehalten werden sollten und dessen § 8 lautete:
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"Dieses Gesetz tritt mit der Annahme in Kraft."
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In der Landsgemeinde vom 26. April 1896 wurde nach einem Gegenvorschlage verschiedener Verfassungsräte der erwähnte Vorbehalt weggelassen und dem § 8 folgende Fassung gegeben.
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"Dieses Gesetz tritt mit Annahme in Kraft und ist nach Anleitung von Art. 15 der Kantonsverfassung auf den 11. November 1895 zurück rückwirkend."
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Im übrigen wurde das Gesetz dem Vorschlage des Landrates gemäß angenommen. Danach wurde im wesentlichen bestimmt, daß bestehende Gülten, deren Zins gemäß Art. 15 der Kantonsverfassung künftig nicht mehr als 4% betrage, bis 11. November 1896 vom Schuldner und vom Gläubiger jederzeit auf eine beliebige, vom Aufkündenden zu bestimmende Zahlungsfrist gekündet werden können, daß aber nach dem 11. November 1896 die innerhalb der amtlichen Güterschatzung stehenden Gülten (unter Vorbehalt von § 5) nur von 5 zu 5 Jahren, auf die Jahreszahl der Errichtung berechnet, gekündet werden können, daß im letzteren Falle die Kündigung schriftlich auf 10. Mai und die Abzahlung auf 11. November des betreffenden Jahres stattfinden solle, und daß es dem Schuldner zwar gestattet sei, nach erfolgter Kündigung die betreffende Hypothek sammt Zins vor Martini des betreffenden Jahres abzuzahlen, daß er aber trotzdem den Zins bis zum folgenden Martini berechnet entrichten müsse. § 5 bestimmt: |
"Verzinsliche Versicherungen innert der amtlichen Güterschatzung, deren Zins durch Art. 15 der Kantonsverfassung reduziert wurde, sind vom Schuldner und Gläubiger ohne Rücksicht auf allfällig bestellte Termine oder Teilzahlungen auf beliebige Frist kündbar. Wenn für andere kanzleiisch versicherte Forderungen Teilzahlungen oder Kündigungsfristen bedungen worden sind, so bleiben für sie diese Bedingungen in Kraft."
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Und § 6:
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"Für künftig kanzleiisch zu versichernde Forderungen dürfen nicht mehr als zwei Jahreszinsen mit versichert werden und es ist die Zinssumme vereint mit der Schuldsumme im Bekenntnisse aufzuführen."
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Gegen dieses am 1. Mai 1896 promulgierte Gesetz reichten alt Ständerat Nikolaus Lussy und Mithafte am 29. Juni 1896 einen Rekurs beim Bundesgerichte ein, in dessen Eingang sie darauf aufmerksam machten, daß sie im Dezember 1895 einen Rekurs gegen den Landsgemeindebeschluß vom 13. Oktober 1895 eingereicht hätten, welcher noch nicht erledigt sei, und den sie dann im wesentlichen folgendermaßen begründeten: Das Einführungsgesetz stehe mit dem angefochtenen Art. 15 der Kantonsverfassung derart im Zusammenhang, daß diese Bestimmung bei Anlaß des vorliegenden Rekurses ebenfalls erörtert werden müsse. Deshalb werde auch vorab auf die Ausführungen in der Rekursschrift vom 15. Dezember 1895 verwiesen. Durch das Einführungsgesetz wurde fernerhin bemerkt sei nicht nur eine Abänderung des bisherigen Art. 15 der Kantonsverfassung bezweckt worden, sondern auch die Aufhebung und die Aufnahme von Bestimmungen, die mit rückwirkender Kraft eine Änderung der bisherigen Rechtsgrundsätze im Hypothekarwesen und aller auf Grund der bisherigen Verfassung und Gesetze zu Stande gekommenen hypothekarischen Rechtsverhältnisse zur Folge habe und die Gült verträge zum Schaden der Gülteigentümer mißachte. Der Verfassungsrat habe selbst in der Botschaft für die Revision des Art. 15 der Verfassung den Art. 337 des schweiz. Obligationenrechtes angerufen und damit zugegeben, daß dieses über das Hypothekarwesen maßgebende Hauptgrundsätze und Bestimmungen aufzustellen berechtigt sei. Und nun könnten die Nidwaldener Gültenbesitzer für sich den Art. 882 des schweiz. Obligationenrechtes anrufen, der es ausschließe, daß mit rückwirkender Kraft durch die kantonale Gesetzgebung in diese Verhältnisse eingegriffen werde. Demnach müsse es sowohl betreffs des Zinsfußes als betreffs der Ablösung und Rückzahlung der vor dem 1. Januar 1883 errichteten Gülten bei den zwischen Gläubiger und Schuldner frei getroffenen Abreden verbleiben, wie denn auch bisher die Gesetzgebung sich in dieser Materie lediglich mit der Festsetzung allgemeiner Bestimmungen und der Aufstellung eines Zinsmaximums von 5% begnügt habe. Übrigens liege in der "Zwitterstellung der Hypotheken, in der Einführung eines zweifachen Zinsfußes à 4% u. 5%, sowie in der Kündbarkeit "der einen und der Unkündbarkeit der andern Hypotheken (oft der einen und der gleichen Gült) kein System." Ferner aber habe die Annahme des neuen Gültartikels eine Entwertung der Gülten zur Folge, und zwar nicht nur der nach, sondern auch der vor 1751 errichteten, indem es sich damals nur um die Herabsetzung des Zinsfußes, nicht aber auch um eine solche des Kapitalbetrages gehandelt habe was dann alles des nähern ausgeführt wurde. Eine solche Schädigung könne aber offenbar nicht in die Kompetenz der Landsgemeinde fallen. Es widerspreche dies dem die Unverletzlichkeit des Eigentumes gewährleistenden Art. 13 der Kantonsverfassung. Indem die Rekurrenten schließlich auch noch auf Art. 43 der Kantonsverfassung verweisen, stellen sie die Begehren: |
1. Das Bundesgericht wolle das am 26. April 1896 von der Landsgemeinde des Kantons Nidwalden beschlossene Einführungsgesetz zum neuen Art. 15 der Kantonsverfassung, soweit es die vor dem 1. Januar 1883 errichteten Gülten betreffe, aufheben, mit welchem Beschlusse
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2. auch für diese Hypotheken das Auf- und Abkündungsrecht dahinfalle. Eventuell
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b. für die nach dem 9. Mai 1751 bekennten Pfundgülten wegen Entwertung derselben an die Miteigentümer voller Schadenersatz zu leisten.
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Subeventuell 4. sei, sofern die Angelegenheit nicht spruchreif befunden werde, das Einführungsgesetz, soweit es vor dem 1. Januar 1883 errichtete Gülten betreffe, bis zum erfolgten Urteil zu sistieren;
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5. sei der Verfassungsrat in die Kosten zu verfallen.
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Der Verfassungsrat des Kantons Nidwalden, dem durch die Landsgemeinde die Vertretung des Staates gegenüber allen Angriffen auf den neuen Art. 15 der Verfassung übertragen worden war, erklärte in seiner Vernehmlassung vom 15. September 1896 zunächst, auf die Beschwerden wegen dieses Art. 15 selbst nicht mehr eintreten zu wollen, da derselbe, nachdem die Bestimmung die Genehmigung der Bundesversammlung erhalten habe, nicht mehr angefochten werden könne. Immerhin wird behauptet und des nähern ausgeführt, daß es Sache des Gesetzgebers sei, den Begriff des Eigentumes und dessen Schranken zu bestimmen, daß deshalb auch Änderungen, wie die in Frage stehende, nicht unzulässig seien, und daß überdies das neue Recht nichts anderes enthalte, als die geregelte Feststellung der ursprünglichen historisch nachweisbaren Verhältnisse. So sei auch durch den Landsgemeindebeschluß von 1751 weder am Kapital noch am Zinsfuß der Gülten etwas geändert, sondern blos der Wert des alten Pfundes festgesetzt worden. Zudem sei in Nidwalden von jeher Form und Inhalt der Gülten durch das Gesetz geregelt worden. Überhaupt aber gebe es kein Beschwerderecht dagegen, daß eine neue Verfassungsbestimmung mit bereits bestehenden in Widerspruch trete und die Berufung auf Art. 882 O.-R. sei völlig unverständlich. Das angefochtene Einführungsgesetz speziell sodann enthalte nichts als eine Ausführung des Art. 15 der Verfassung, und es sei auch unrichtig, daß demselben rückwirkende Kraft erteilt worden sei. Den Rekurrenten würden ihre Rechte nicht geraubt, sondern nur gesetzgeberisch geregelt, wozu sich der Kanton Nidwalden seit Jahrhunderten das Recht und die Kompetenz beigemessen habe. Aus allen diesen Gründen sei der Rekurs abzuweisen. In der Replik vom 24. Oktober 1896 treten die Rekurrenten insbesondere in eingehender Weise den Ausführungen der Vernehmlassung darüber entgegen, daß eine Schmälerung der Rechte der Gülteigentümer in Bezug auf den Kapitalwert nicht eintrete und daß schon früher diese Verhältnisse gesetzgeberisch geregelt worden seien. Die prozessuale Seite der Sache betreffend scheint die Replik davon auszugehen, daß mit dem Rekurse vom 29. Juni 1896 auch derjenige vom 15. Dezember 1895 erledigt werden solle, welch' letzterer nie zurückgezogen sei. Auf dem gleichen Boden stehen zwei weitere Eingaben der Rekurrenten, die eine ebenfalls vom 24., die andere vom 31. Oktober 1896 (auf welch' letztere allerdings wegen Verspätung nicht eingetreten werden kann). Ein umfangreiches, von den Rekurrenten eingelegtes Aktenmaterial gibt überdies Aufschluß über die bestehenden Gültverhältnisse und die historische Entwicklung des Gültrechtes, sowie auch über alle die Schritte, die vor und nach der letzten Verfassungsrevision von revisionsfreundlicher und -gegnerischer Seite gethan worden sind. |
Auszug aus den Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
1. Der vorliegende Rekurs richtet sich formell nur gegen das Einführungsgesetz zu Art. 15 der neuen Nidwaldener Verfassung, vom 20. April 1896. Allein sachlich wird nicht allein dieses Gesetz, sondern die demselben zu Grunde liegende Verfassungsbestimmung selbst angefochten, wie denn auch ausdrücklich auf den frühern Rekurs vom 15. Dezember 1895, der sich lediglich mit der erwähnten Verfassungsbestimmung beschäftigte, und der durch den bundesgerichtlichen Beschluß vom 29. Januar 1896 nicht definitiv erledigt, sondern nur zur Zeit zurückgewiesen worden ist, verwiesen und verlangt wird, daß auch über jenen Rekurs nunmehr endgültig entschieden werde. Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, daß die Gültigkeit des neuen Art. 15 der Verfassung anerkannt oder daß auf eine Anfechtung auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses verzichtet worden sei. Da das Hindernis, das am 29. Januar der materiellen Behandlung des Rekurses vom 15. Dezember 1895, der Umstand nämlich, daß dem fraglichen Art. 15 der Kantonsverfassung die Genehmigung der Bundesversammlung noch nicht erteilt war, weggefallen ist, und da ferner jener Rekurs mit demjenigen vom 29. Juni 1896 in engstem Zusammenhang steht, rechtfertigt es sich vielmehr, heute die beiden Rekurs, und zwar gleichzeitig zu behandeln. |
Erwägung 2 |
Erwägung 3 |
Erwägung 4 |
4. Vorerst nun fällt diesbezüglich die Beschwerde der Rekurrenten, daß der neue Art. 15 eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung enthalte, außer Betracht. Durch Urteil vom 29. Januar 1896 ist rechtskräftig festgestellt, daß zu einer Prüfung der neuen Verfassungsbestimmung in dieser Hinsicht das Bundesgericht nicht kompetent sei, indem diese Frage gemäß ausdrücklicher Vorschrift der Bundesverfassung (Art. 5, 6 und 85, Ziff. 7) bei Anlaß der Frage der Gewährleistung der neuen Verfassung durch die Bundesversammlung zu entscheiden sei. Aus letzterem Grunde könnte aber das Bundesgericht auch auf die Rekurse nicht eintreten, sofern man annehmen wollte, daß auch noch in anderer Richtung der neue Art. 15 der Nidwaldner Kantonsverfassung als bundesverfassungswidrig habe angefochten werden wollen. |
Erwägung 5 |
5. Das Hauptgewicht verlegen denn auch die Rekurrenten auf die Behauptung, daß der neue Verfassungsartikel und das Einführungsgesetz gegen die nach kantonalem Verfassungsrecht gewährleistete Garantie bestehender Privatrechte, insbesondere gegen den die Unverletzlichkeit des Eigentumes aussprechenden Art. 13 der Verfassung verstoßen. Dieser Standpunkt ist nun aber schon deshalb unhaltbar, weil er in sich selbst einen unlösbaren Widerspruch enthält. Es ist nicht bestritten, daß der neue Art. 15 der Verfassung formell richtig zu stande gekommen ist; und nachdem derselbe dann auch die durch die Bundesverfassung geforderte Gewährleistung der Bundesversammlung erhalten hat, so kann es keinem Zweifel mehr unterstehen, daß diese Bestimmung ein Bestandteil des nidwaldnerischen Verfassungsrechtes geworden ist. Und nun ist es logisch und rechtlich völlig ausgeschlossen, diesen Bestandteil der Verfassung selbst als verfassungswidrig zu bezeichnen. Es giebt innerhalb des Geltungsgebietes der nämlichen Verfassung nicht ein höher und ein minderwertiges Verfassungsrecht in dem Sinne, daß dieses vor jenem weichen müßte, sondern es bestehen sämmtliche Grundsätze des Verfassungsrechtes mit gleicher Rechtskraft neben einander. Ein Rechtssatz, der sich als Ausfluß des obersten souveränen Willens eines Kantons darstellt, kann nicht deshalb angefochten werden, weil er einem anderen, auf gleicher Grundlage beruhenden, widerspreche. Es mag eine neue Verfassungsbestimmung inhaltlich sich als Beschränkung einer schon bestehenden darstellen. Allein wenn man dieselbe deshalb nicht als gleichwertig anerkennen wollte, so würde dies in der letzten Konsequenz dazu führen, daß niemals je an dem bestehenden Verfassungsrechte etwas geändert werden dürfte, was geradezu dem Art. 6 litt. c der Bundesverfassung zuwiderlaufen würde. Auch wäre nicht erfindlich, worin das Kriterium für diejenigen Verfassungsrechtssätze gefunden werden könnte, die den andern vorgehen sollten. Insbesondere ist auch solchen Verfassungsbestimmungen, welche die Garantie bestehender Privatrechte aussprechen, ein derartiges Privileg nicht zuzuerkennen. Der Umstand, daß eine Verfassung bestehende Privatrechte gewährleistet, hindert sie keineswegs, die objektive Rechtsordnung in einem Sinne abzuändern, durch die jene Rechte verletzt werden, und die verfassungsmäßige Sanktion der letztern kann nicht angerufen werden, wenn die Verfassung selbst dieselbe aufhebt, wie denn auch eine Selbstbeschränkung des obersten, für die Rechtszustände eines Gemeinwesens maßgebenden, Willens vor einer aus gleicher Quelle fließenden Anordnung nicht standhält. Unbestrittenermaßen ist nun aber der neue Art. 15 der Nidwaldener Verfassung der Ausdruck des Wissens derjenigen Gewalt, die in souveräner Weise auf diesem Gebiete das Recht zu setzen berufen ist (vgl. Art. 2, 15 und 88 der Nidwaldener Verfassung). Und so wenig als gesagt werden dürfte, derselbe sei aufzuheben, weil er mit dem frühern Art. 15, den er ersetzt, im Widerspruch stehe, so wenig kann seiner Gültigkeit eine andere Verfassungsbestimmung entgegen gehalten werden. Wäre es daher auch richtig, daß durch den neuen Verfassungsartikel bestehende Privatrechte, die früher gewährleistet waren, verletzt werden, und müßte insbesondere darin auch eine Einschränkung des Art. 13 der Verfassung erblickt werden, so würde deshalb doch nicht der neue Artikel, der ebenso wie die andern verfassungsrechtlichen Bestimmungen auf dem formell richtig ausgeübten Selbstbestimmungsrecht des Kantons Nidwalden beruht, als verfassungswidrig aufgehoben werden können. Übrigens dürfte kaum angenommen werden, daß an sich die in Art. 13 der Verfassung ausgesprochene Garantie des Eigentums und der Rechtsamen sich auch auf die den Gültenbesitzern zustehenden Rechte erstrecke, hat doch die frühere Verfassung es für nötig befunden, diese in einem besondern Artikel, der jetzt in unanfechtbarer Weise durch einen andern ersetzt ist, zu gewährleisten. Aber auch nicht einmal hinsichtlich des Eigentumes und der Rechtsamen kommt dem Art. 13 der Verfassung jene absolute Bedeutung zu, die ihm die Rekurrenten beilegen möchten. Derselbe bietet den Bürgern allerdings nicht nur Privaten, sondern auch dem Staate gegenüber Schutz vor Eingriffen in die genannten Rechte. Regelmäßig wird derselbe daher angerufen werden können, wenn die Verwaltung ohne gesetzliche Grundlage sich derartige Eingriffe erlaubt. Dagegen bildet jener Artikel für den Gesetzgeber kein Hindernis, um den Inhalt des Eigentumes und der Rechtssamen nach den jeweilen bestehenden Bedürfnisse des Staates und der Bürger zu bestimmen, sofern nur dadurch die Begriffe nicht zu leeren Formen herabsinken, und sofern nur weiterhin mit den neuen Normen eine allgemein verbindliche Abänderung der objektiven Rechtsordnung und nicht etwa ein willkürlicher Eingriff in einzelne subjektive Rechte bezweckt wird (vgl. hiezu z.B. die bundesgerichtlichen Entscheide in der Amtlichen Sammlung, Bd. III, S. 269; VI, S. 597; XVI, S. 705; XIX, S. 976 und den speziell die Verfassung von Nidwalden betreffenden Entscheid in Bd. III, S. 686). Noch weniger aber als die Gesetzgebung ist selbstverständlich die Verfassung in der Normierung des Inhaltes der von ihr gewährleisteten Rechte beschränkt, und so würde sich, wenn überhaupt der neue Art. 15 der Nidwaldener Verfassung eine Beeinträchtigung des Eigentums oder der Rechtsamen einer bestimmten Klasse von Bürgern enthielte, die Bestimmung als Ausnahme neben diejenige des Art. 13 stellen, als Ausnahme, über deren Zweckmäßigkeit einzig der Träger der Verfassungsgewalt im Kanton Nidwalden, die dortige Landsgemeinde, zu entscheiden hatte. Es mag übrigens hiebei darauf hingewiesen werden, daß die nidwaldensche Landsgemeinde am 12. Oktober 1895 nicht zum ersten Male durch Aufstellung objektiver Rechtssätze in das Gültrecht eingegriffen hat. Schon im Jahre 1432 hat dieselbe die Ablösbarkeit der Gülten, die bis dahin unablösbar gewesen waren, ausgesprochen, und ferner ist im Jahre 1751 der Zins für die alten Gülten durch Landsgemeindebeschluß von 5 auf 3% herabgesetzt worden. Auch damals scheinen dringende allgemeine Bedürfnisse auf eine Änderung der Rechte hingedrängt zu haben, und diese sind es denn wohl auch, welche die dem Beschlusse vor 1751 angefügte Androhung gegenüber allen Versuchen zur Veränderung des Gültbuchstabens, die An drohung des Verlustes von Gut und Blut, im Laufe der Zeit zu einer leeren Formel haben werden lassen. |
Erwägung 6 |
"Sofern sich jemand durch einen Beschluß der Landsgemeinde in seinen Privatrechten verletzt glaubt, kann der gesetzliche Richter angerufen werden,"
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so ist hierüber zu bemerken: Welche Bedeutung man immer dieser Bestimmung beimessen mag, so darf das jedenfalls nicht gesagt werden, daß unter dem gesetzlichen Richter im Sinne desselben das Bundesgericht in der Eigenschaft als des zur Beurteilung von Verfassungsverletzungen zuständigen Staatsgerichtshofes zu verstehen sei. Denn die durch die Bundesverfassung ihm zugewiesenen Kompetenzen können durch eine kantonale Verfassung nicht erweitert werden. Es erscheint deshalb auch aus diesem Grunde der Hinweis auf jenen Artikel als verfehlt.
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Erwägung 7 |
7. Des gänzlichen unhaltbar ist die Berufung der Rekurrenten auf Art. 882 des schweizerischen Obligationenrechtes. Es handelt sich hier überhaupt nicht um eine Verfassungsbestimmung, sondern um eine privatrechtliche Gesetzesvorschrift, wegen deren Verletzung der staatsrechtliche Rekurs an das Bundesgericht nicht zulässig ist (vgl. Art. 182 O.-G. ). Und wenn die Rekurrenten jenen Artikel als Ausfluß eines verfassungsrechtlichen Prinzips hinzustellen suchen des Inhaltes, daß den Gesetzen nicht rückwirkende Kraft beigemessen werden dürfe, so ist hierauf zunächst wieder daran zu erinnern, daß die Verfassung selbst an ein solches Prinzip jedenfalls nicht gebunden wäre. Zudem bezieht sich Art. 882 nur auf die durch das eidg. Obligationenrecht normierten Rechtsverhältnisse, und kann deshalb hier, wo es sich um ein, wie die Rekurrenten selbst anführen, dem kantonalen Recht überlassenes Gebiet handelt, nicht angerufen werden. Endlich ist zu bemerken, daß überhaupt davon nicht gesprochen werden kann, daß dem neuen Art. 15 der Nidwaldenschen Verfassung oder dem Einführungsgesetze dazu rückwirkende Kraft beigelegt worden sei: es wird nicht angeordnet, daß neues objektives Recht auch für die Beurteilung von Thatsachen und Handlungen zur Anwendung zu kommen habe, die in die Zeit vor dessen formellen Inkrafttreten fallen; sondern es wird einfach für die Zukunft der Inhalt der Gülten, in gewissen Punkten, die bisher freier Vereinbarung unterstanden, in zwingender Weise normiert. |
Erwägung 8 |
Erwägung 9 |
Aus diesen Gründen hat das Bundesgericht |
zunächst beschlossen: |
Die Rekurrenten werden mit ihrem subeventuell gestellten Gesuche unter Ziffer 4 der Rekursschrift vom 29. Juni 1896, betreffend Sistierung des Einführungsgesetzes zu Art. 15 der Kantonsverfassung, soweit es vor dem 1. Januar 1883 errichtete Gülten betrifft, abgewiesen;
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und sodann in der Sache selbst erkannt: |
1. Mit ihren Hauptanträgen unter Ziffer 1 und 2 der Rekursschrift vom 29. Juni 1896 betreffend Aufhebung des erwähnten Einführungsgesetzes im angegebenen Umfange, sind die Rekurrenten abgewiesen.
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2. Auf die eventuellen Anträge der Rekurrenten unter Ziffer 3 der Rekursschrift betreffend Schadenersatz wird nicht eingetreten.
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