60. Urteil
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vom 16. Oktober 1913 in Sachen Schnyder gegen Schwyz.
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BGE 39 I 351 (351): Regeste:
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Formelle Erfordernisse des staatsrechtlichen Rekurses. -- Bedeutung der Garantie des Art. 49 Abs. 2 BV hinsichtlich der Kritik der religiösen Ansichten anderer: Der verfassungsmässige Schutz umfasst nicht beschimpfende oder verhöhnende Aeusserungen über religiöse Dinge, die lediglich auf Verletzung fremden religiösen Gefühls gerichtet sind. Verletzung der Verfassungsgarantie durch eine auf ihr widersprechenden Erwägungen beruhende Strafausmessung (Anwendung des § 97 schwyz. Krim.StG).
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Sachverhalt:
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Das Bundesgericht hat
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auf Grund folgender Aktenlage:
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A.
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Das Kriminalstrafgesetz des Kantons Schwyz vom 20. Mai 1881 enthält unter dem Abschnittstitel "Verbrechen gegen die Religion " neben einer Strafdrohung für die " Störung gottesdienstlicher Verrichtungen" (§ 96) in § 97 folgende Strafbestimmung, deren Tatbestand in den offiziellen Marginalien kurzweg als "Gotteslästerung" bezeichnet ist:
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"Wer auf eine öffentliches Ärgernis erregende Weise Gottes BGE 39 I 351 (352):
lästerungen sich erlaubt, oder die Gegenstände der Verehrung einer der vom Staate anerkannten Konfessionen oder ihrer Lehren in Rede, Schrift oder bildlicher Darstellung, oder durch beschimpfende Handlungen herabwürdigt, soll mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis auf 4 Jahre bestraft werden."
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In Anwendung dieser Strafbestimmung wurde der Rekurrent Josef Martin Schnyder, geb. 1878, von Vorderthal (Schwyz), Textilarbeiter, vom Kriminalgericht des Kantons Schwyz am 21. Mai 1913 zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt. Und auf seine Appellation bestätigte das Kantonsgericht des Kantons Schwyz durch Urteil vom 31. Mai 1913 dieses Straferkenntnis.
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Dem Straffalle liegt nach den Feststellungen des Kantonsgerichts folgender Tatbestand zugrunde: Am Sonntag, den 9. März 1913 wurde in Lachen das sog. Kapellfest (Fest der "schmerzhaften Mutter Gottes " ) gefeiert. Gegen Abend dieses Tages befand sich Schnyder im Restaurant " Jäger" daselbst. Hier legte er, nach eigenem Geständnis, mehreren Gästen, nachdem er in deren Gesellschaft anfänglich "mehr harmlose Witze gerissen und Zoten aufgetischt" hatte, die Frage vor: ob sie auch wissen, warum die "Maria" -- darunter verstand er die Mutter Gottes -- bei der Flucht aus Ägypten einen Esel benutzt habe. Als keiner der Anwesenden hierauf antwortete, sagte er selbst: weil man nur einem Esel habe angeben können, daß die Mutter Gottes eine keusche Jungfrau gewesen sei. Ferner spottete er, wie durch die Aussagen mehrerer Zeugen bewiesen ist, bei diesem Anlasse über religiöse Gebräuche und suchte die Teilnehmer der (um diese Zeit stattfindenden) Prozession verächtlich zu machen mit den Worten: "Die Komödie geht jetzt los; die Hallunken kommen jetzt." Auch betete er ein Vaterunser, das "aus lauter Witzen zusammengesetzt" war. Schnyder war wiederholt aufgefordert worden, seinen Witzeleien über die Religion Einhalt zu tun, kehrte sich aber nicht hieran. Er erregte durch seine Reden erwiesenermaßen allgemeinen Unwillen und Ärgernis, so daß der Gemeindepräsident, hievon in Kenntnis gesetzt, seine Verhaftung verfügte, die noch am gleichen Abend vollzogen wurde.
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Das Kantonsgericht ist zur Bestätigung des erstinstanzlichen Strafentscheides an Hand folgender Erwägungen gelangt:
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"1. Der Beklagte bestreitet, daß er die katholische Religion oder BGE 39 I 351 (353):
religiöse Einrichtungen habe beschimpfen wollen. Dem gegenüber ist zu bemerken, daß der Beklagte nicht nur eine oder zwei beschimpfende Äußerungen getan hat, sondern daß er in dieser Weise fortgefahren ist, nachdem und trotzdem er wiederholt zur Ruhe und zum Einhalten aufgefordert worden war.
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2. Daß die gemeinen Äußerungen über die Teilnehmer an der Prozession und über die Marienverehrung geeignet waren, Lehren und Zeremonien der katholischen Staatsreligion und Gegenstände des katholischen Kultus herabzuwürdigen, ist ohne weiteres klar. Eine solche Verspottung der Gottesmutter enthält aber auch eine Verspottung des Erlösers und der Grundlagen der katholischen Religion, wie schon Holtzendorf ausgeführt hat. Auch das Requisit der Öffentlichkeit ist gegeben. Der Beklagte hat seine Äußerungen in einem öffentlichen Wirtslokale gemacht, zu dem jedermann Zutritt hatte. Und es waren auch eine größere Zahl Personen anwesend. Daß die Anwesenden an den Äußerungen Ärgernis nahmen, läßt sich an Hand des Zeugenbeweises nicht bestreiten und ergibt sich auch daraus, daß die Verhaftung, nach der Aussage des Polizisten Beul, zum Teil auch den Zweck verfolgte, den Beklagten vor Prügeln zu schützen. Zudem hat der Beklagte im Spezialuntersuch selbst zugegeben, daß sich einige ob seinen Reden empört haben. Damit sind alle Erfordernisse des § 97 des Kriminal-Straf-Gesetzes nachgewiesen und es muß daher der Beklagte wegen Gotteslästerung bestraft werden.
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3. Das vom Kriminalgericht angenommene Strafmaß scheint den Verhältnissen angemessen. Das Gesetz gestattet eine viel höhere und schärfere Strafe. Aber es darf in Betracht gezogen werden, daß der Beklagte noch keine Vorstrafen erlitten hat. Dagegen mußte dem Beklagten, der in der katholischen Religion auferzogen worden ist, bekannt sein, daß er mit solchen Beschimpfungen katholischer Glaubenslehren und Einrichtungen an einem katholischen Orte und in unmittelbarer Nähe der Kapelle, in welcher eben das Jahresfest der Gottesmutter gefeiert wurde, schweres Ärgernis bereiten werde."
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B.
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Am 17. Juni 1913 hat Schnyder (der vom Abend des 9. März bis zum 6. Mai 1913 in Untersuchungshaft gehalten und nach Erlaß des kantonsgerichtlichen Urteils zur Verbüßung des Restes der ihm auferlegten Strafe wieder verhaftet worden BGE 39 I 351 (354):
war) aus dem Gefängnis in Schwyz eine Eingabe an das Bundesgericht gelangen lassen, worin er zunächst bemerkt, er habe auf das Urteil des Kantonsgerichts hin am 31. Mai 1913 bei der schwyzerischen Regierung das Gesuch gestellt um "Sistierung des Restes der Gefängnisstrafe bis zur endgültigen Entscheidung durch das Bundesgericht und behufs rechtsgültiger Ausführung des Rekurses ans Bundesgericht"; dem Gesuche sei aber nicht entsprochen worden. Im weitern bringt Schnyder -- unter Vorbehalt des Beizuges eines Anwaltes und der formgerechten Ergänzung des Rekurses nach seiner Freilassung -- wesentlich vor, er habe schon im Voruntersuch den Rekurs ans Bundesgericht "in Anwendung der Art. 48 und 49 der schweiz. Bundesverfassung" "vorgeschützt" und deshalb die kriminelle Aburteilung nicht verweigert. Er sehe sich nun genötigt, " diesen Religionsprozeß von unserem höchsten schweiz. Landesgericht zum Untersuch und Aburteilung vorbringen zu lassen", um den Tadel seitens seiner Gesinnungsgenossen vom deutschschweizerischen Freidenkerbund und Andersgläubiger zu verhüten. Was den ihm zur Last gelegten Vorfall betreffe, hätte man am ganzen Tisch seinem Witzereißen, da er einige Jahre in verschiedenen Ländern gewesen sei, "mit vollen Freuden" zugehört, und der Lacherfolg sei immer ärger gewesen, bis dann wegen des Witzes von der Gottesmutter Maria und dem Esel "ein Gemurmel losgegangen" sei, weswegen man ihn nun beschuldige. Die Unterhaltung sei dann abgebrochen worden und man habe die Polizei avisiert, die ihn wegen "Gotteslästerung" abgeführt habe, obschon er die Gottheit mit keinem Worte berührt, sondern nur die Anwesenden von seinen religiösen Ansichten habe überzeugen wollen.
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Mit Zuschrift vom 22. Juli 1913 hat Schnyder sodann, nachdem inzwischen der weitere Vollzug des gegen ihn erlassenen Strafurteils durch Verfügung des Präsidenten der staatsrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 18. Juni 1913 suspendiert worden war, in Ergänzung seiner früheren Eingabe beantragt, es sei der Rekurs in dem Sinne gutzuheißen, daß das Urteil des Kriminal- und des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz wegen Verletzung der Art. 48 und 49 BV aufgehoben werde.
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C.
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Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz hat auf Abweisung des Rekurses angetragen und dabei ausgeführt: In BGE 39 I 351 (355):
den Handlungen, deretwegen der Rekurrent verurteilt worden sei, liege nicht eine bloße erlaubte Äußerung seiner religiösen Ansicht, sondern vielmehr ein Angriff auf das religiöse Gefühl seiner Mitmenschen, für den die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht in Betracht falle. Diese könne unmöglich dem einen Teil das Recht geben, nicht nur nichts zu glauben, sondern die Freiheit des andern Teils, zu glauben und seinen Glauben und sein religiöses Gefühl innert den Schranken der öffentlichen Ordnung zu betätigen, in roher Weise anzutasten. Nichts anderes aber habe der Rekurrent getan.
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Auch das Kantonsgericht der Kantons Schwyz hat Abweisung des Rekurses beantragt. Es betont, daß nicht etwa wissenschaftliche Erörterungen katholischer Dogmen in Frage ständen, wofür dem Rekurrenten die nötigen Fähigkeiten mangelten, sondern eine Lästerung katholischer Dogmen (v. Holtzendorf); die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewähre keinen Freibrief auf Verletzung und Verhöhnung der religiösen Gefühle anderer und auf Beschimpfung der Gegenstände höchster Verehrung der staatlich anerkannten katholischen Religion; --
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Erwägungen:
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in Erwägung:
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Erwägung 1
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BGE 39 I 351 (356): Erwägung 2
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2. Die Bestimmung des Art. 49 Abs. 2 BV, daß niemand wegen Glaubensansichten mit Strafen irgend welcher Art belegt werden darf, garantiert nach der Praxis des Bundesgerichts (vergl. AS 34 I Nr. 44 Erw. 2 S. 260 [= BGE 34 I 254 (260)]; 35 I Nr. 59 Erw. 5 f. S. 351 ff. [= BGE 35 I 337 (351)] und Nr. 112 Erw. 6 S. 702 [= BGE 35 I 693 (702)]), an der festzuhalten ist, die Straflosigkeit nicht nur der religiösen Überzeugungen als solchen, im Sinne des Denkens und Fühlens in religiösen Dingen, sondern auch der Äusserung dieser Überzeugungen, soweit sie mit der rechtsordnungsmäßigen Beschränkung der Individualrechtssphäre im Interesse des gesellschaftlichen Zusammenlebens vereinbar ist. Zur erlaubten Äußerung gehört danach insbesondere auch die Kritik der religiösen Ansichten anderer, jedoch nur, sofern diese Kritik nach Form und Inhalt, wie auch nach den Begleitumständen sich auf eine sachliche Begründung oder Verteidigung der eigenen religiösen Überzeugungen beschränkt und nicht in Übertretung dieses erlaubten Ziels zur Beeinträchtigung der rechtlich gleichwertigen gegnerischen Überzeugung mißbraucht wird. Die durch Art. 49 BV gedeckte Kritik von Glaubensangelegenheiten darf, m. a. W., nicht zu einem rechtswidrigen Eingriff in den Bereich des religiösen Empfindens der Mitmenschen führen, wobei indessen als rechtswidrig nicht jede Äußerung anzusehen ist, die von Andersgläubigen tatsächlich als Kränkung ihres religiösen Gefühls empfunden wird, sondern nur eine Kritik fremder Glaubensansichten, welche über den Rahmen einer sachlichen Erörterung der eigenen religiösen Anschauungen im angegebenen Sinne hinausgeht. Dies letztere aber ist dann der Fall, wenn die Kritik in einer Beschimpfung oder Verhöhnung besteht, die roher oder gemeiner Gesinnung entspringt und nicht als ernsthafte Rechtfertigung eigenen Glaubens oder Unglaubens erscheint, sondern lediglich auf Verletzung der gegnerischen Überzeugung in Glaubenssachen gerichtet ist. Und zwar brauchen derart verletzende Äußerungen nicht notwendig gerade den Gottesbegriff der kritisierten Glaubensansicht zu betreffen, sie können vielmehr auf irgendwelche religiöse Lehren oder Kultusgegenstände Bezug haben, die überhaupt Bestandteil des fremden Glaubens oder Gegenstand der religiösen Verehrung des in seinen Gefühlen Verletzten bilden.
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BGE 39 I 351 (357): Erwägung 3
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Der "Witz " über die Muttergottes wurde vom Rekurrenten und auch von seinen Zuhörern offenbar auf das katholische Dogma der unbefleckten Empfängnis Mariae bezogen (allerdings in unrichtiger Auffassung desselben). Sein Inhalt aber kann nicht als erlaubte Kritik dieses Dogmas, das einen Glaubenssatz der römisch-katholischen Kirche bildet, anerkannt werden; denn in dem "Witze" ist die Auffassung von der vernunftgemäßen Unhaltbarkeit des fraglichen Glaubenssatzes, die der Rekurrent damit kundgeben wollte, nicht in sachlich einwandfreier Weise, sondern in persönlich verletzender Form (Bezeichnung der Dogmagläubiger als "Esel") zum Ausdruck gebracht worden.
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Ebenso ist der Hinweis des Rekurrenten auf die in Ausführung begriffene Prozession -- mit den Worten: "Die Komödie geht jetzt los, die Hallunken kommen jetzt " -- insofern nicht schutzwürdig, als jedenfalls der Ausdruck "Hallunken" für die Prozessionsteilnehmer über die Grenzen einer zulässigen Ansichtsäußerung über die in Frage stehende Kultushandlung hinausgeht.
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Endlich muß auch das Hersagen eines "Vaterunser", das aus lauter " Witzen" zusammengesetzt ist, als einfache Verspottung des Gebetes bezeichnet werden, die sich mit der erlaubten ernsthaften Kritik solcher religiösen Betätigung wiederum keineswegs deckt.
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Überhaupt geht aus den gesamten Umständen, unter denen die fraglichen Äußerungen erfolgt sind, unverkennbar hervor, daß es dem Rekurrenten jedenfalls nicht nur darum zu tun war, die Anwesenden von seinen eigenen religiösen Ansichten eines "Freidenkers " zu überzeugen, wie er behauptet, sondern vielmehr wesentlich darum, sich lustig zu machen über den Glauben und Kultus der römisch-katholischen Religionsgemeinschaft, denen, wie er zweifellos wußte, seine größtenteils einheimischen Zuhörer zugetan waren. Und da nun der Rekurrent speziell mit dem "Witz" über die Muttergottes auch nach seiner eigenen Sachdarstellung das religiöse Gefühl dieser Zuhörer tatsächlich verletzt hat, so kann er gegenüber der Qualifikation seines Verhaltens als einer strafbaren Hand BGE 39 I 351 (358):
lung den verfassungsmäßigen Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht anrufen.
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Erwägung 4
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4. Ist also nach dem Gesagten gegen die Bestrafung des Rekurrenten aus dem Gesichtspunkte des Art. 49 BV grundsätzlich nichts einzuwenden, so steht dagegen die Art seiner Bestrafung mit der festgestellten Bedeutung jener Verfassungsbestimmung nicht im Einklang. Äußerungen von Glaubensansichten fallen, wie ausgeführt, aus dem Schutzbereiche des Art. 49 Abs. 2 BV nur heraus, sofern sie das religiöse Gefühl der Mitmenschen in rechtswidriger Weise, d.h. durch Überschreitung der Grenzen einer sachlichen Begründung oder Verteidigung der eigenen religiösen Auffassung des sich Äußernden, verletzen. Den verfassungsmäßig möglichen Gegenstand des Strafschutzes auf diesem Gebiete kann somit nur das derart verletzte Persönlichkeitsgut des religiösen Gefühls als solches, und nicht etwa die es bestimmende Glaubenslehre mit ihren Verehrungsobjekten selbst, bilden. Denn Glaubenslehre und Kultusgegenstände sollen eben nach Art. 49 Abs. 2 BV nicht schlechthin, sondern nur soweit der freien Erörterung entzogen werden dürfen, als diese eine im angegebenen Sinne widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit ihrer Anhänger in sich schließt.
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Es kann also die öffentliches Ärgernis erregende "Gotteslästerung" oder die durch Äußerungen ("in Rede, Schrift oder bildlicher Darstellung") begangene Herabwürdigung der Lehren und Gegenstände der Verehrung einer staatlich anerkannten Konfession, von denen § 97 des schwyzerischen Kriminalstrafgesetzes spricht, nicht vorbehaltlos, wie das Gesetz lautet, strafbar sein. Die strafrechtliche Ahndung dieser Tatbestände erscheint als bundesverfassungsmäßig statthaft vielmehr nur unter der Voraussetzung, daß das "öffentliche Ärgernis" in der besonderen Art der als "Gotteslästerung" aufgefaßten Äußerung über die Gottheit d.h. in der auf rechtswidrige persönliche Verletzung gerichteten Form dieser Äußerung begründet ist, oder daß die "Herabwürdigung" der Glaubenslehre oder Kultusgegenstände in einem die Grenzen sachlicher Kritik überschreitenden und dadurch das religiöse Gefühl anderer verletzenden Angriffe besteht. Daraus aber folgt, daß § 97 des schwyz. Kriminalstrafgesetzes zum Teil in das Gebiet der nach Art. 49 Abs. 2 BV straffreien Äußerungen hinübergreift, BGE 39 I 351 (359):
indem er bei der "Gotteslästerung" die Gottheit selbst, nicht nur den Glauben an sie, und bei der "Herabwürdigung" von Glaubenslehren oder Kultusgegenständen diese letzteren als solche, die Religion oder Konfession an sich, die sie zum Ausdruck bringen, statt bloß deren menschliche Empfindung, als Objekt des Strafschutzes behandelt.
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Und auf dieser verfassungswidrigen Auffassung über den Umfang der Strafbarkeit der Äußerungen in Glaubenssachen beruht speziell auch die vorliegende Strafbegründung des Kantonsgerichts (dessen Urteil als selbständig motivierte Bestätigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses für die Anfechtung vor Bundesgericht allein in Betracht fällt). Das Kantonsgericht hält den gesetzlichen Straftatbestand der "Gotteslästerung" insofern für erfüllt, als es die Äußerungen des Rekurrenten über die Teilnehmer an der Prozession und über die Marienverehrung als "geeignet " bezeichnet, "Lehren und Zeremonien der katholischen Staatsreligion und Gegenstände des katholischen Kultus herabzuwürdigen". Im weitern erklärt es dann allerdings auch noch das im Gesetze nicht als Erfordernis speziell des Tatbestandes der strafbaren Herabwürdigung kirchlicher Lehren und Einrichtungen erwähnte Moment der Erregung öffentlichen Ärgernisses als gegeben. Allein als strafbar erscheint nach seiner Argumentation doch nicht die durch dieses Ärgernis bekundete Verletzung des religiösen Gefühls der betreffenden Zuhörer, sondern überhaupt die "Verspottung der Gottesmutter" und die seines Erachtens damit gegebene "Verspottung des Erlösers und der Grundlagen der katholischen Religion". Die kantonsgerichtliche Urteilsbegründung behandelt also nicht das verletzte religiöse Gefühl anderer als das gegen schuldhafte Angriffe geschützte Rechtsgut, sondern betrachtet die Erregung von Ärgernis lediglich als objektive Voraussetzung für den strafrechtlichen Schutz der herabgewürdigten religiösen Institutionen selbst. In ihren Rekursbeantwortungen haben die Staatsanwaltschaft und das Kantonsgericht dann allerdings die bundesgerichtliche Umschreibung der strafbaren Äußerungen in Glaubenssachen zur Rechtfertigung des angefochtenen Strafentscheides verwendet. Allein hierauf kann angesichts der abweichenden Grundlage dieses Entscheides selbst nichts ankommen.
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BGE 39 I 351 (360):
Den bundesverfassungswidrigen Standpunkt des Kantonsgerichts läßt übrigens nicht nur die erörterte Urteilsbegründung, sondern auch die kantonsgerichtlich bestätigte Strafausmessung erkennen. Die dem Rekurrenten zuerkannte Strafe von 4 Monaten Gefängnis ist nach der heutigen strafrechtlichen Bewertung des Gefühls- und Empfindungsgehaltes der Persönlichkeit im allgemeinen (wie sie namentlich in den Strafdrohungen gegenüber Ehrverletzungen zum Ausdruck kommt) bloß der durch die fraglichen Äußerungen erzeugten Verletzung des religiösen Gefühls der katholischen Zuhörer ganz offenbar nicht adäquat. Das auffallend hohe Maß dieser Strafe wird vielmehr nur mit der Annahme verständlich, daß der kantonale Richter sich bei ihrer Festsetzung von der Auffassung des gesetzlichen Straftatbestandes der "Gotteslästerung " als eines Vergehens gegen die Gottheit selbst oder gegen die Glaubenslehren einer staatlich anerkannten Konfession in ihrem objektiven Bestande habe leiten lassen.
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Erwägung 5
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Dispositiv
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erkannt:
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Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen gutgeheißen und das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom 31. Mai 1913 mit Bezug auf das Strafmaß aufgehoben.
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