BGE 86 I 330
 
47. Auszug aus dem Urteil vom 7. Dezember 1960 i.S. Wissmann gegen Klopfer und Obergericht des Kantons Zürich.
 
Regeste
Tragweite der Gewährleistung des verfassungsmässigen Richters (Art. 58 Abs. 1 BV).
 
Sachverhalt


BGE 86 I 330 (330):

Aus dem Tatbestand:
Der Einzelrichter in nichtstreitigen Rechtssachen des Bezirks Zürich ernannte gestützt auf Art. 554 ZGB Rechtsanwalt Dr. Wissmann zum Erbschaftsverwalter für den Nachlass des Emil Klopfer. Dr. Wissmann stellte den Erben für seine Bemühungen Rechnung. Einzelne Erben beanstandeten diese; sie ersuchten den Einzelrichter, die Ansprüche des Erbschaftsverwalters zu überprüfen und festzusetzen. Dr. Wissmann wandte ein, Streitigkeiten dieser Art seien nicht von der Aufsichtsbehörde, sondern vom ordentlichen Richter zu beurteilen. Der Einzelrichter hat in einem Vorentscheid seine Zuständigkeit bejaht. Das Obergericht hat einen dagegen erhobenen Rekurs abgewiesen. Dr. Wissmann führt gegen den Rekursentscheid

BGE 86 I 330 (331):

staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger (Art. 4 und 58 Abs. 1 BV) im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG; eventuell erhebt er überdies Beschwerde wegen Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften über die Abgrenzung der sachlichen (oder örtlichen) Zuständigkeit der Behörden im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. d OG.
 
Aus den Erwägungen:
Soweit die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde sich auf Art. 84 Abs. 1 lit. a OG stützt, wird damit eine Verletzung der Art. 4 und 58 Abs. 1 BV geltend gemacht. Mit dem Gebot, niemand seinem verfassungsmässigen Richter zu entziehen, gewährleistet Art. 58 Abs. 1 BV dem Bürger die Freiheit, nur vor dem Richter Recht zu zu nehmen, der nach den bestehenden Verfassungsbestimmungen, Gesetzen und Verordnungen allgemein für die Streitsachen zuständig ist, zu denen der konkrete Prozess gehört (BGE 83 I 85 Erw. 3; FLEINER/GIACOMETTI, Bundesstaatsrecht, S. 867). Ergibt sich die Zuständigkeit des Richters, vor dem der Bürger Recht zu nehmen hat, aus dem Bundesrecht, so kann ein (mittelbar auch Art. 58 Abs. 1 BV verletzender) Verstoss gegen die betreffende eidgenössische Vorschrift in Fragen des Zivilrechts mit der Berufung im Sinne von Art. 49 OG oder mit der zivilrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. b OG gerügt werden. Die staatsrechtliche Beschwerde, die subsidiärer Natur ist (Art. 84 Abs. 2 OG), steht dafür nicht offen. Die Verletzung eidgenössischer Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit in Fragen des öffentlichen Rechts (ausserhalb des Strafrechts) ist grundsätzlich mit der staatsrechtlichen Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. d OG zu beanstanden (vgl. BGE 80 I 251 Erw. 2; BIRCHMEIER, Handbuch, S. 328 lit. b). Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte der Bürger im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a

BGE 86 I 330 (332):

OG kann nur diejenige Missachtung des Art. 58 Abs. 1 BV geltend gemacht werden, die in der unrichtigen Auslegung und Anwendung kantonaler Zuständigkeitsvorschriften begründet ist.
Der Beschwerdeführer wendet in erster Linie ein, das Verhältnis der Erben zum Erbschaftsverwalter und damit auch dessen Vergütungsanspruch seien zivilrechtlicher Natur; ob dieser Anspruch vom ordentlichen Richter oder von der mit der Aufsicht über die Erbschaftsverwaltung betrauten "Gerichtsadministrativbehörde" (im Kanton Zürich demnach vom Einzelrichter in nichtstreitigen Rechtssachen) zu beurteilen sei, sei aus den "Grundprinzipien des zivilrechtlichen Instituts der Erbschaftsverwaltung... zu gewinnen und abzuleiten", entscheide sich also nach Bundesrecht; nach diesem aber sei die Zuständigkeit des ordentlichen Richters gegeben. Der Beschwerdeführer weist mithin den Vergütungsanspruch eines Erbschaftsverwalters (der nicht als kantonaler Beamter tätig geworden ist) dem Privatrecht zu. Es ist deshalb unerfindlich, wieso er eventuell staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. d OG erhebt, mit der nur die Verletzung eidgenössischer Zuständigkeitsvorschriften in Fragen des öffentlichen Rechts gerügt werden kann.
Dass der angefochtene Entscheid gegen Zuständigkeitsvorschriften des Bundeszivilrechts verstosse, wie der Beschwerdeführer geltend macht, wäre gegebenenfalls mit der Berufung im Sinne von Art. 49 OG oder mit der zivilrechtlichen Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 Abs. 1 lit. b OG zu beanstanden gewesen. Die staatsrechtliche Beschwerde ist dafür nicht gegeben. Das enthebt das Bundesgericht nicht der Notwendigkeit, den betreffenden Einwand auf dieses Rechtsmittel hin vorfrageweise zu prüfen. In der vorliegenden Beschwerde wird nebenher ausgeführt, der angefochtene Entscheid verstosse auch gegen kantonale Zuständigkeitsregeln. Diese Behauptung ist nur dann von Belang, wenn der Bund auf dem in Frage stehenden Gebiet Raum für kantonale

BGE 86 I 330 (333):

Zuständigkeitsvorschriften gelassen hat, die das Obergericht verletzt haben könnte.
Die staatsrechtliche Kammer hat hierüber die Meinung der II. Zivilabteilung des Bundesgerichts eingeholt, die ihrerseits mit der I. Zivilabteilung Rücksprache genommen hat. In Übereinstimmung mit ihnen ist festzustellen, dass das ZGB die Beurteilung der Entschädigungsforderung des Erbschaftsverwalters weder ausdrücklich noch dem Sinne nach einer bestimmten Behörde zuweist. Es bleibt daher bei der Regel des Art. 54 Abs. 1 SchlT ZGB, wonach die Kantone anzuordnen haben, welche Behörde zuständig sein soll, wobei sie gemäss dem zweiten Absatz der angeführten Vorschrift auch eine Verwaltungsbehörde zuständig erklären können. Aus BGE 78 II 125 lässt sich nichts anderes folgern. Das Bundesgericht hat darin erkannt, dass der Streit über den Vergütungsanspruch des Willensvollstreckers eine Zivilrechtsstreitigkeit ist, das heisst ein Streit zwischen gleichartigen, gleichberechtigten und gleichwertigen Subjekten, der notwendigerweise Gegenstand eines kontradiktorischen Verfahrens bildet (BIRCHMEIER, a.a.O., S. 122 lit. a). Ein solches wird in der Regel vor dem ordentlichen Richter ausgetragen; eine andere Ordnung ist jedoch nach Art. 54 SchlT ZGB durchaus denkbar. So sind die Kantone frei, Angelegenheiten der streitigen Gerichtsbarkeit Instanzen zu übertragen, die sich ordentlicherweise mit der freiwilligen Gerichtsbarkeit befassen, falls sie dafür sorgen, dass diese Behörden die Grundsätze des rechtlichen Gehörs wahren (GULDENER, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 98 ff.). Weil es die Kantone in den Angelegenheiten der streitigen Gerichtsbarkeit indes im allgemeinen bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte bewenden lassen, konnte in BGE 78 II 125 davon ausgegangen werden, dass der Streit über die Vergütung des Willensvollstreckers als Zivilrechtsstreit "mangels einer abweichenden Sondervorschrift" vor dem Zivilrichter ausgetragen werde. Da den Kantonen die Befugnis zum Erlass derartiger Vorschriften nur auf Gebieten zukommt,

BGE 86 I 330 (334):

auf denen der Bund die Zuständigkeit nicht schon selbst geregelt hat, hat das Bundesgericht mit dem erwähnten Vorbehalt zu erkennen gegeben, dass es in diesem Zusammenhang an einer bundesrechtlichen Ordnung fehlt.
Hat das ZGB aber Raum für kantonale Zuständigkeitsregeln gelassen, so ist es möglich, dass das Obergericht dagegen verstossen haben könnte. Die auf Art. 84 Abs. 1 lit. a OG gestützte staatsrechtliche Beschwerde erweist sich demnach insoweit, als sie eine Verletzung kantonaler Zuständigkeitsvorschriften rügt, nicht als gegenstandslos.