BGE 96 I 266
 
45. Urteil vom 5. Juni 1970 i.S. Modena gegen Regierungsrat des Kantons Zürich.
 
Regeste
Fremdenpolizei; Androhung der in Art. 10 Abs. 1 lit. b BG über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vorgesehenen Ausweisung. Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Erw. 1).
Beschwerdegründe; Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (Erw. 3).
Voraussetzungen der Ausweisung. Die Massnahme kann auch gerechtfertigt sein, wenn der Ausländer bei seiner politischen Tätigkeit in der Schweiz die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört und gegen die guten Sitten verstossen hat (Erw. 4-6).
Der Androhung der Ausweisung braucht nicht eine Verwarnung vorauszugehen (Erw. 7).
 
Sachverhalt


BGE 96 I 266 (267):

A.- Der Beschwerdeführer Emilio Modena, italienischer Staatsangehöriger, geboren am 16. September 1941 in Neapel, zog im Jahre 1950 zu seiner in Zürich lebenden Mutter. Diese heiratete im Jahre 1951 einen Schweizerbürger. Im Jahre 1955 erhielt der Beschwerdeführer im Kanton Zürich die Niederlassungsbewilligung. Nach dem Besuch der Mittelschule in Zürich studierte er an der dortigen Universität Medizin; im Frühling 1968 schloss er das Studium mit dem Staatsexamen ab. Er ist mit einer Schweizerin verheiratet und Vater einer Tochter. Er übt den Arztberuf aus.
B.- Im Sommer 1968 wurde der Polizeidirektion des Kantons Zürich gemeldet, dass der Beschwerdeführer "auf einen gewaltsamen politischen Umsturz in der Schweiz hinarbeite". Das Ergebnis der darauf vorgenommenen Erhebungen veranlasste die Polizeidirektion, in einer Verfügung vom 3. Oktober 1968 den Beschwerdeführer zu verwarnen und ihm die Landesverweisung anzudrohen "für den Fall, dass er sich in politischer Hinsicht nicht die notwendige Zurückhaltung auferlegen, sich weiterhin in unzulässiger Weise in die inneren Verhältnisse und Einrichtungen unseres Landes einmischen, durch seine Tätigkeit die guten Beziehungen der Schweiz zu ausländischen Staaten beeinträchtigen oder dass sein Verhalten in anderer Hinsicht zu schweren Klagen Anlass geben sollte".
C.- Der Rekurs Emilio Modenas gegen die Androhung der Ausweisung wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich am 16. Oktober 1969 abgewiesen. Der Begründung des Rekursentscheids ist zu entnehmen:
"Seit einigen Jahren wird die bestehende Ordnung in vielen Ländern, in steigendem Masse auch in der Schweiz, auch im Kanton Zürich, nicht nur theoretisch diskutiert, sondern gestört. Solche Rechtswidrigkeit darf das Gemeinwesen im Interesse seiner möglichst ungestörten Existenz nicht dulden. In der Gegenwart stammen solche Störungen in der Schweiz wesentlich von politisch links stehenden Kreisen. Vom Rekurrenten ist bekannt, dass er die zweite Hälfte seiner Jugendzeit in der Familie eines ausgesprochen kommunistisch eingestellten Stiefvaters im Kanton Zürich verbrachte, des öfteren

BGE 96 I 266 (268):

an Veranstaltungen der kommunistisch orientierten ,Freien Jugend' sowie solchen der ,Jungen Sektion der PdA' teilnahm, im Jahre 1963 zu den Initianten für die Gründung des Vereins der ,Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich' und dann auch zum Vorstand gehörte. In letzter Zeit wurde er wiederholt als Teilnehmer an sogenannten ,Demonstrationen' gesehen, durch welche die allgemeine Ordnung zum Teil erheblich gestört wurde, so zum Beispiel: am 26. August 1967 bei der Polizei-Hauptwache; am 1. Juli (recte: Juni) 1968 am sogenannten ,teach-in' mit dem französischen Studenten Boissier vor der Eidgenössischen Technischen Hochschule; am 15. Juli (recte: Juni) 1968 auf dem Hirschenplatz im Niederdorf in Zürich, wo der Rekurrent nach Kantonsrat Franz Rueb (PdA) eine Rede hielt, in welcher er heftige Angriffe gegen die Polizei richtete, diese mit einem Augiasstall verglich und Rücktritte forderte; am 26. Juni 1968 an der sogenannten ,Warndemonstration' vom Globus bis Sechseläutenplatz in Zürich, verbunden mit Verkehrsbehinderung und Diskussion; am sogenannten ,Globuskrawall'-Abend vom 29. Juni 1968; an der Pressekonferenz des Aktionskomitees ,Autonomes Jugendzentrum' vom 30. Juni 1968; am 13. Juli 1968 an der Vollversammlung für ein autonomes Jugendzentrum, die er zeitweilig leitete; auch stellte er seine Wohnung als Zentrale für die Verteilung von Flugblättern betreffend das autonome Jugendzentrum zur Verfügung und anderes mehr."
Der Regierungsrat nahm an, das Verhalten des Beschwerdeführers würde an sich die Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März 1931/8. Oktober 1948 (ANAG) rechtfertigen; doch erscheine diese Massnahme nach den gesamten Umständen nicht angemessen und sei daher bloss anzudrohen.
D.- Emilio Modena führt Beschwerde beim Bundesgericht, die er in erster Linie als Verwaltungsgerichtsbeschwerde und subsidiär als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnet. Er beantragt, der Entscheid des Regierungsrates sei aufzuheben; eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an diese Behörde zurückzuweisen.
Es wird geltend gemacht, dem Ausländer K. habe die Polizeidirektion des Kantons Zürich die Ausweisung erst nach einer von der Zürcher Stadtpolizei ausgesprochenen formellen Verwarnung angedroht. Es verstosse gegen das Gebot der Rechtsgleichheit, dass nicht auch der Beschwerdeführer Modena zunächst bloss verwarnt worden sei. Sein Verhalten sei der Fremdenpolizei seit langem bekannt gewesen; sie habe ihn während Jahren im Glauben gelassen, dass sie es toleriere.
Der Regierungsrat weise darauf hin, dass der Beschwerdeführer

BGE 96 I 266 (269):

in einer kommunistisch orientierten Familie aufgewachsen sei und in Linkskreisen verkehrt habe, und behaupte, die Ausweisung sei nicht nur wegen Verletzung der Rechts- und Sittenordnung zulässig, sondern auch aus anderen Gründen, womit offensichtlich die politische Gesinnung und die nicht ordnungswidrige politische Betätigung gemeint seien. Diese Betrachtungsweise sei mit Art. 10 ANAG nicht vereinbar. Der angefochtene Entscheid sei so motiviert, wie es nur eine Ausweisung nach Art. 70 BV, wofür ausschliesslich der Bundesrat zuständig wäre, sein könnte.
Der Regierungsrat schildere die von ihm angeführten acht Ereignisse unrichtig. Er habe die vom Beschwerdeführer angebotenen Beweise willkürlich nicht berücksichtigt. Der wirkliche Sachverhalt rechtfertige die Androhung der Ausweisung in keiner Weise. Der Beschwerdeführer habe nichts getan, was die öffentliche Ruhe und Ordnung auch nur im geringsten hätte stören oder gefährden können.
Der angefochtene Entscheid lege entgegen Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung des Bundesrates vom 1. März 1949 zum ANAG (ANAV) nicht klar dar, was vom Beschwerdeführer erwartet werde.
E.- Der Regierungsrat des Kantons Zürich und das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement beantragen die Abweisung der Beschwerde.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach Art. 100 lit. b rev. OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei unzulässig gegen: 1. die Einreiseverweigerung, die Einreisebeschränkung und die Einreisesperre; 2. Verfügungen über das Asylrecht; 3. die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt; 4. die Ausweisung gestützt auf Art. 70 BV und die Wegweisung (von Ausländern, die keine Anwesenheitsbewilligung besitzen, Art. 12 ANAG und Art. 17 ANAV). Die Ausweisung, die gestützt auf Art. 10 ANAG verfügt wird, fällt nicht unter diese Aufzählung; sie kann nach der

BGE 96 I 266 (270):

neuen Ordnung mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden.
Erscheint eine Ausweisung zwar als nach Art. 10 Abs. 1 lit. a oder b ANAG "rechtlich begründet", aber nach den Umständen nicht angemessen (Art. 11 Abs. 3 ANAG), dann soll sie angedroht werden, und zwar in einer "schriftlichen, begründeten Verfügung", die klar darlegen soll, was vom Ausländer erwartet wird (Art. 16 Abs. 3 ANAV). Gegen die - hier auf Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG gestützte - Androhung ist nach dem neuen OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ebenfalls gegeben. Wie die angedrohte Massnahme, so ist auch die Androhung eine Verfügung im Sinne des Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren, worauf Art. 97 rev. OG verweist; denn sie gründet sich auf öffentliches Recht des Bundes, beruht auf der Feststellung, dass die Ausweisung an sich gerechtfertigt wäre, und greift in die Rechtsstellung des Ausländers ein, indem sie ihn daraufhinweist, dass er die Ausweisung gewärtigen muss, falls er sich nicht so verhält, wie es von ihm erwartet wird. Art. 100 lit. b rev. OG schliesst auch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Androhung nicht aus.
Angefochten ist ein Entscheid der letzten kantonalen Instanz. Gegen ihn ist mangels einer entgegenstehenden Bestimmung des Bundesrechtes unmittelbar die Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Art. 98 lit. g rev. OG).
Als Verwaltungsgericht kann das Bundesgericht grundsätzlich frei prüfen, ob der angefochtene Entscheid des Regierungsrates das Bundesrecht verletze und auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes beruhe (Art. 104 lit. a und b, Art. 105 Abs. 1, Art. 114 Abs. 1 rev. OG). Art. 105 Abs. 2 rev. OG beschränkt die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nur für den hier nicht gegebenen Fall, wo sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid eines kantonalen Gerichts oder einer Rekurskommission richtet.
Nach Art. 11 Abs. 3 ANAG soll die Ausweisung nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen erscheint. Für die Beurteilung der Angemessenheit sind namentlich wichtig die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile (Art. 16 Abs. 3 ANAV); anderseits dürfen auch die geistigen und wirtschaftlichen Interessen sowie der Grad der Überfremdung des Landes berücksichtigt werden (Art. 16 ANAG). Hier hat der Regierungsrat von dem ihm nach dieser Ordnung eingeräumten Ermessen zugunsten des Ausländers Gebrauch gemacht. Diese Entscheidung ist nicht angefochten, so dass sich die Frage nicht stellt, ob der Regierungsrat das Ermessen überschritten oder missbraucht und damit Bundesrecht verletzt habe (Art. 104 lit. a rev. OG; zu einer weitergehenden Kontrolle des Ermessens wäre das Bundesgericht nicht befugt, da keiner der Fälle vorliegt, in denen nach lit. c ebenda die Rüge der "Unangemessenheit" erhoben werden kann).
Der Streit geht darum, ob die Voraussetzungen für eine Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG - und damit auch für deren Androhung - gegeben seien. Auf Grund dieser Bestimmung kann ein Ausländer aus der Schweiz oder aus einem Kanton nur ausgewiesen werden, wenn sein Verhalten im allgemeinen und seine Handlungen darauf schliessen lassen, dass er nicht gewillt oder nicht fähig ist, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen. Ob dieser Schluss im einzelnen Fall gerechtfertigt sei, ist nicht eine Ermessensfrage; vielmehr handelt es sich ausschliesslich um Rechts- und Tatfragen.


BGE 96 I 266 (272):

Immerhin ist der kantonalen Behörde bei der Würdigung des jeweils massgebenden Sachverhalts ein gewisser Beurteilungsspielraum zu belassen. Da sie den tatsächlichen Verhältnissen näher steht als das Bundesgericht, ist ihr Entscheid mit Zurückhaltung zu überprüfen.
Art. 16 Abs. 2 ANAV bestimmt, dass die Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. b des Gesetzes namentlich als begründet erscheinen kann bei
"schweren oder wiederholten Verstössen gegen gesetzliche Vorschriften oder behördliche Verfügungen;
grober Verletzung allgemeiner Gebote der Sittlichkeit;
fortgesetzter böswilliger oder liederlicher Nichterfüllung der öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Verpflichtungen;
sonstiger fortgesetzter Liederlichkeit oder Arbeitsscheu".
Der Bundesrat hat in der Botschaft vom 8. März 1948 über die Revision des ANAG seine Absicht bekanntgegeben, diesen Text in die Verordnung aufzunehmen (BBl 1948 I S. 1297). Da sich in den eidgenössischen Räten kein Widerspruch dagegen erhoben hat, ist anzunehmen, dass Art. 16 Abs. 2 ANAV dem Willen des Gesetzgebers entspricht.
Ob unter der "Sittlichkeit", von der in dieser Verordnungsbestimmung die Rede ist, nur die geschlechtliche Sittlichkeit (im Sinne der Art. 187-212 StGB) zu verstehen sei oder ob damit die guten Sitten im allgemeinen gemeint seien, kann offen gelassen werden. Die in Art. 16 Abs. 2 ANAV genannten Tatbestände sind Beispiele ("namentlich"). Auch andere Verhaltensweisen können den Schluss rechtfertigen, der Ausländer sei nicht gewillt oder nicht fähig, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen. Ein Gebaren, das nach den in der Schweiz herrschenden Anschauungen gegen die guten Sitten verstösst, kommt ebenfalls in Betracht, auch wenn es nicht unter die Aufzählung des Art. 16 Abs. 2 ANAV fällt; denn unter der im Gaststaat geltenden Ordnung (Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG) ist nicht nur dessen Rechtsordnung, sondern auch die im Lande allgemein anerkannte Sittenordnung zu verstehen.


BGE 96 I 266 (273):

5. Auch für die politische Einstellung des Ausländers gilt, dass einzig seine Handlungsweise, nicht auch schon seine Gesinnung, die Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG rechtfertigen kann. Die politische Tätigkeit in der Schweiz ist ihm grundsätzlich erlaubt; sie ist ihm nur verwehrt, soweit sie mit der hier geltenden Ordnung nicht vereinbar ist (vgl. den Bericht des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1966, S. 138). Im Rahmen dieser Ordnung darf der Ausländer in politischen Vereinigungen mitwirken und an politischen Versammlungen teilnehmen, wobei er, falls er die Niederlassungsbewilligung besitzt, auch als Redner auftreten kann, ohne der besonderen Bewilligung gemäss BRB betreffend politische Reden von Ausländern vom 24. Februar 1948 zu bedürfen.
Art. 70 BV gibt dem Bunde das Recht, Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen. Die dort vorgesehene Ausweisung bleibt nach Art. 10 Abs. 4 ANAG von diesem Gesetz unberührt. Anderseits schliesst die Bundesverfassung nicht aus, dass ein Ausländer auch von der kantonalen Behörde, auf Grund des ANAG, wegen unzulässiger politischer Betätigung ausgewiesen werden kann. Nach Art. 69ter BV und dem darauf beruhenden ANAG sind die Kantone ebenfalls zur Ausweisung befugt, und dazu kann nach Art. 10 Abs. 1 ANAG auch das Verhalten des Ausländers in politischer Beziehung Anlass geben. Auf jeden Fall kann die kantonale Behörde einen Ausländer ausweisen, dessen politische Tätigkeit zwar nicht die innere oder äussere Sicherheit des Landes gefährdet, aber gleichwohl darauf schliessen lässt, dass er nicht gewillt oder nicht fähig ist, sich in die hier geltende Ordnung einzufügen. Dieser Schluss kann namentlich dann gerechtfertigt sein, wenn die politische Aktivität des Ausländers die öffentliche Ruhe und Ordnung, für deren Aufrechterhaltung die Behörden zu sorgen haben, stört oder zu stören geeignet ist, oder wenn sie gegen die im Gastland allgemein anerkannte Sittenordnung verstösst, welche auch erheischt, dass in der politischen Auseinandersetzung, insbesondere bei der Kritik der Institutionen und Behörden des Landes, ein gewisser Anstand gewahrt werde.
6. Die Vorinstanz misst den politischen Überzeugungen des Beschwerdeführers nicht eine entscheidende Bedeutung bei, noch stellt sie auf die -- unbestrittenen - Tatsachen ab, dass

BGE 96 I 266 (274):

er "des öfteren an Veranstaltungen der kommunistisch orientierten ,Freien Jugend' sowie solchen der ,Jungen Sektion der PdA' teilnahm, im Jahre 1963 zu den Initianten für die Gründung des Vereins der ,Fortschrittlichen Studentenschaft Zürichs' und dann auch zum Vorstand gehörte". Sie nimmt nicht an, dass er in Vereinigungen, die als rechtswidrig oder staatsgefährlich im Sinne des Art. 56 BV zu betrachten wären, mitgewirkt habe und dass sich schon aus diesem Grunde der Schluss rechtfertige, er sei nicht gewillt oder nicht fähig, sich in die Ordnung des Gaststaates einzufügen. Der Beschwerdeführer ist nicht wegen Teilnahme an einer rechtswidrigen Vereinigung gemäss Art. 275ter StGB oder wegen eines anderen Vergehens oder gar wegen eines Verbrechens gerichtlich bestraft worden, so dass der in Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG vorgesehene Ausweisungsgrund ausser Betracht fällt. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer auch nicht vor, er habe im Sinne des Art. 70 BV die innere oder äussere Sicherheit des Landes gefährdet. Sein Einwand, der Regierungsrat habe in Missachtung dieser Verfassungsvorschrift in die Zuständigkeit des Bundesrates übergegriffen, geht daher fehl.
Vorgeworfen wird dem Beschwerdeführer lediglich, er habe an "extremen politischen Veranstaltungen" teilgenommen, "durch welche die allgemeine Ordnung zum Teil erheblich gestört wurde" (S. 4 des angefochtenen Entscheides, S. 4 der Beschwerdeantwort des Regierungsrates). Als "Beispiele" werden im angefochtenen Entscheid acht Vorkommnisse genannt. Es ist zu prüfen, ob die erhobenen Vorwürfe den daraus vom Regierungsrat gezogenen Schluss rechtfertigen, dass die Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG rechtlich begründet wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorwürfe sich nach der eigenen Darstellung des Beschwerdeführers auf seine politische Betätigung als Mitglied der "Freien Studentenschaft Zürich", einer weit links stehenden Gruppe, beziehen (Einvernahmeprotokoll der Stadtpolizei Zürich vom 15. August 1968, S. 16).
a) Der Beschwerdeführer behauptet heute, er habe die Demonstration vom 26. August 1967 bei der städtischen Polizeihauptwache in Zürich "am Rande und nur zeitweise als Zuschauer verfolgt". Bei seiner Einvernahme durch die Stadtpolizei hat er jedoch zugegeben, darüber orientiert worden zu sein, dass die Demonstration stattfinden werde, und daran teilgenommen

BGE 96 I 266 (275):

zu haben. Es besteht kein Grund, an der Richtigkeit dieser früheren Darstellung zu zweifeln.
Die Demonstration war gegen die Polizei gerichtet, und sie war denn auch nicht bewilligt worden. Dem Beschwerdeführer kann nicht entgangen sein, dass solche Veranstaltungen vor der Polizeihauptwache nicht gestattet werden, und auch nicht, dass sie ihrer Natur nach geeignet sind, die öffentliche Ruhe und Ordnung, für deren Aufrechterhaltung die Polizei zu sorgen hat, zu stören. Wie die Demonstration vom 26. August 1967 überhaupt, so war auch die Teilnahme des Beschwerdeführers daran rechtswidrig, denn Art. 7 der Allgemeinen Polizeiverordnung der Stadt Zürich verbietet ausdrücklich jede Störung der polizeilichen Tätigkeit.
b) Am 1. Juni 1968 veranstaltete die "Fortschrittliche Studentenschaft Zürich" ein "teach-in", wobei der französische Student Boissier eine Rede über die Maiereignisse in Frankreich hielt. Die Veranstaltung, die auf öffentlichem Grund stattfand, war nicht bewilligt worden; die erforderliche Redeerlaubnis für den ausländischen Studenten lag nicht vor. Der Beschwerdeführer erklärt, er habe bei diesem Anlass nur als "offizieller Übersetzer der Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich" mitgewirkt. Das mag zutreffen, ändert aber nichts daran, dass er an einer rechtswidrigen, gegen die öffentliche Ordnung verstossenden Veranstaltung teilgenommen hat. Er muss gewusst haben, dass die Demonstration nicht bewilligt war; er behauptet nicht das Gegenteil.
c) Die weitere Demonstration vom 15. Juli 1968 war ebenfalls nicht gestattet worden, was dem Beschwerdeführer nicht entgangen sein kann, da sie gegen die Polizei gerichtet war. Sie begann auf dem Hirschenplatz im Niederdorf in Zürich, wo ein Brückenwagen als Podium für die Redner aufgestellt wurde. Auf einem zweiten Brückenwagen wurde ein Käfig mit einer Puppe herangeführt, die einen anonymen "Schläger-Polizisten" darstellen sollte. Diesem Polizisten wurde im zweiten Teil der Demonstration, der sich vor der Polizeihauptwache abspielte, der Prozess gemacht, welcher mit einem "Freispruch". endete.
Auf dem Hirschenplatz hielt der Beschwerdeführer im Auftrage der "Fortschrittlichen Studentenschaft Zürich" eine Ansprache an mehrere hundert Zuhörer. Dabei griff er die Polizei heftig an; nach ihrer Darstellung, die er nicht bestreitet, sprach

BGE 96 I 266 (276):

er von einem "Augiasstall" und forderte Rücktritte; nach seiner eigenen Aussage schloss er mit der Aufforderung, "der Solidarität der Polizei eine Solidarität der Verwalteten entgegenzusetzen". Damit überschritt er offensichtlich die Grenzen, die nach der in der Schweiz allgemein anerkannten Sittenordnung in der politischen Auseinandersetzung, namentlich bei der Kritik an den staatlichen Institutionen und Behörden, einzuhalten sind. Daran würde auch nichts geändert, wenn er in seiner Rede gewisse Presseberichte verwertet hätte, wie er behauptet. Sein Vorgehen lässt sich nur mit der Absicht erklären, das Ansehen und die Autorität der Polizei zu untergraben. Es störte an sich schon die öffentliche Ruhe und Ordnung und war zudem geeignet, weitere Störungen herbeizuführen, worüber der Beschwerdeführer sich Rechenschaft geben musste. Seine Handlungsweise bei der Demonstration vom 15. Juni 1968 verstiess in schwerwiegender Weise gegen die Rechts- und Sittenordnung des Gastlandes.
d) Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich während der "Warndemonstration", die am 26. Juni 1968 zwischen dem Globusgebäude und dem Sechseläutenplatz in Zürich stattfand, anderswo aufgehalten, und beruft sich dafür auf eine schriftliche Bestätigung des Architekten B. Seine Teilnahme an dieser Veranstaltung ist nicht nachgewiesen.
e) Beim "Globuskrawall" am 29. Juni 1968 abends kam es zu schweren Zusammenstössen zwischen Demonstranten und Polizeikräften; zahlreiche Personen wurden verletzt. Der Beschwerdeführer war nach seinen Angaben jedenfalls am Anfang der Demonstration beteiligt. In der Folge wurde gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte eingeleitet, doch wurde das Verfahren eingestellt. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer im ersten Stadium der Demonstration die Menschenmenge zu bewegen versuchte, gemäss den Anweisungen der Polizei den Platz vor dem Globusgebäude zu räumen, und dass er selber am Kopf verletzt wurde. Den weiteren Ablauf der Ereignisse will er nur als Beobachter verfolgt haben. Er erklärt, er habe eine friedliche Demonstration erwartet. Immerhin musste er zum mindesten mit einer Behinderung des Strassenverkehrs rechnen, die auch nicht ausblieb. Indem er gleichwohl an der nicht bewilligten Demonstration teilnahm, beteiligte er sich an einer Störung der öffentlichen Ordnung.


BGE 96 I 266 (277):

f) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, an der Pressekonferenz des Aktionskomitees für ein "autonomes Jugendzentrum", welche am 30. Juni 1968 in einem Restaurant in Zürich stattfand, teilgenommen zu haben; er erklärt jedoch, er habe bloss über seine Wahrnehmungen bei der ärztlichen Behandlung von Personen, die anlässlich des "Globuskrawalls" verletzt worden waren, Bericht erstattet. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er an dieser Pressekonferenz sich ordnungswidrig verhalten hat.
g) Der Beschwerdeführer gibt zu, seine Wohnung in der Zeit vom 2. bis zum 13. Juli 1968 dem erwähnten Aktionskomitee für die Verteilung von Flugblättern zur Verfügung gestellt zu haben. Er bestreitet, dass er dies schon vor dem "Globuskrawall" vom 29. Juni 1968 getan habe, und macht geltend, die von seiner Wohnung aus verteilten Flugblätter seien nicht dazu angetan gewesen, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören. Diese Darstellung lässt sich auf Grund der vorliegenden Akten nicht widerlegen. Während der Zeit, da der Beschwerdeführer seine Wohnung zur Verfügung stellte, wurde auf jeden Fall ein vierseitiges "Informations-Extrablatt" verteilt. Die Verbreitung dieses Blattes war indessen nach allem, was vorangegangen war, durch die Pressefreiheit gedeckt. Auch die schriftlichen Instruktionen für die Flugblattverteiler enthalten nichts Ungehöriges.
h) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer am 13. Juli 1968 der "Vollversammlung für ein autonomes Jugendzentrum" im Volkshaus Zürich beiwohnte und sie zeitweilig leitete. Er erklärt, die Veranstaltung sei von der Behörde bewilligt worden und habe die öffentliche Ruhe und Ordnung nicht gestört. Diese Darstellung ist nicht widerlegt.
i) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Vorwürfe, die im angefochtenen Entscheid "beispielsweise" gegen den Beschwerdeführer erhoben werden, zwar nicht durchweg, aber doch in einem wesentlichen Umfange begründet sind. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer sich wiederholt, durch aktive Teilnahme an mehreren nicht bewilligten politischen Demonstrationen, Störungen von Ruhe und Ordnung hat zuschulden kommen lassen. Bezeichnend für seine Haltung ist insbesondere seine gegen die Polizei gerichtete Rede vom 15. Juni 1968, in der er in krasser Weise den nach den schweizerischen Anschauungen bei der politischen Tätigkeit zu wahrenden Anstand

BGE 96 I 266 (278):

verletzt hat. Aus diesen Tatsachen durfte die Vorinstanz schliessen, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich in die im Gaststaat geltende Ordnung einzufügen. Der Gerichtshof hat keinen Grund, die unzulässige Handlungsweise des Beschwerdeführers anders zu würdigen. Der Sachverhalt ist genügend abgeklärt. Der angefochtene Entscheid verstösst nicht gegen Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG.
7. Durfte die kantonale Behörde somit annehmen, dass die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Art. 10 Abs. 1 lit. b ANAG rechtlich begründet sei, so war sie auch befugt, ihm diese Massnahme anzudrohen (Art. 16 Abs. 3 ANAV). Er wendet vergeblich ein, dass die Fremdenpolizei ihn zunächst hätte verwarnen müssen, nachdem sie ihn während Jahren im Glauben gelassen habe, sein Verhalten, das ihr seit langem bekannt gewesen sei, werde toleriert. Gerade durch die Androhung der Ausweisung wird der Ausländer verwarnt. Dass er schon vor der Androhung verwarnt werden müsse, ist nirgends vorgeschrieben. Die Behörden können nicht jeden im Lande weilenden Ausländer ständig beaufsichtigen und ihn zurechtweisen, wenn sein Verhalten sich der Grenze des Zulässigen nähert; wie die Vorinstanz bemerkt, würde eine solche Überwachung in der Öffentlichkeit, namentlich auch von den Ausländern selbst, mit Recht abgelehnt. Wohl ist in dem vom Beschwerdeführer angeführten Falle K. vor der Androhung der Ausweisung eine Verwarnung (seitens der Stadtpolizei Zürich) ausgesprochen worden; doch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass auch dem Beschwerdeführer gegenüber so hätte verfahren werden müssen. Nach den massgebenden Vorschriften durfte dem Beschwerdeführer ohne weiteres die Ausweisung angedroht werden, und das ist entscheidend. Seine Rüge, das Gebot der rechtsgleichen Behandlung sei verletzt worden, ist unbegründet. Es trifft auch nicht zu, dass die kantonalen Behörden ihn jahrelang im Glauben gelassen haben, sie tolerierten seine unzulässige Handlungsweise. In Frage steht sein Verhalten im August 1967 und namentlich im Sommer 1968. Die kantonale Polizeidirektion ist darauf im Juli 1968 hingewiesen worden; sie hat sofort Erhebungen vornehmen lassen und gestützt auf deren Ergebnis am 3. Oktober 1968 die Ausweisung angedroht.


BGE 96 I 266 (279):

Die Ausführungen in der Beschwerdeschrift zeigen, dass der Beschwerdeführer den Erwägungen der Vorinstanz das Erforderliche hat entnehmen können.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.