BGE 54 II 300 - Filmlager |
Urteil der I. Zivilabteilung |
vom 27. Juni 1928 |
i.S. Bär & Cie gegen Burstein. |
Vertragsschluss (Miete): |
1. Art. 2 OR: Zustandekommen des Vertrages mit der Willenseinigung der Parteien über die von ihnen als wesentlich bezeichneten Punkte, auch wenn eine Einigung über die vorbehaltenen Nebenpunkte nicht erfolgt (Erw. 1). |
2. Art. 16 OR: Vorbehalt der Schriftform muss vor der Willenseinigung erfolgen. Der Umstand, dass bei bedeutenderen Verträgen die Schriftlichkeit üblich ist, vermag ihn nicht zu begründen (Erw. 2). |
3. Schadensfestsetzung (Erw. 3). |
Sachverhalt |
A. |
Die Parteien traten im August 1925 miteinander in Unterhandlung wegen der Miete des dritten Stockes in dem den Klägern gehörenden Hause Nr. 36 an der Bahnhofstrasse in Zürich. Der Beklagte -- welcher damals in St. Gallen wohnte -- hatte die Absicht, in der Wohnung ein Filmlager zu halten, was jedoch die Kläger wegen der Explosionsgefahr von Anfang an ablehnten.
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Mit Schreiben vom 25. August 1925 anerboten sie dem Beklagten die Vermietung der Räume für die Dauer von fünf Jahren, vom 1. Oktober 1925 hinweg, zu einem jährlichen Mietzinse von 7000 Fr. Am folgenden Tage antwortete der Beklagte, er könne auf diesen Zeitpunkt nicht abschliessen, da er einen andern Lagerraum bis zum 1. Oktober vielleicht nicht finden werde; wenn die Kläger ihm dagegen die Bureaux erst ab 1. Januar 1926 vermieten könnten, so würde er sofort zusagen. Daraufhin schrieben ihm die Kläger, ebenfalls am 26. August 1925, zurück, sie seien damit einverstanden, dass der Mietvertrag erst am 1. Januar 1926 zu laufen beginne, und fügten bei: |
"Wir nehmen gerne an, dass unsere Abmachung nunmehr perfekt sei, und bitten Sie, uns den Tag anzugeben, wann Sie zur gegenseitigen Vollziehung des Mietvertrages persönlich bei uns vorsprechen wollen."
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Am 27. August 1925 antwortete der Beklagte, man sei also darin einig, dass er sein Hauptlager an Films ausserhalb des Hauses unterbringe und in den Räumen der Kläger nur diejenigen Films aufbewahre und bearbeite, welche er zur Bedienung seiner Kundschaft für die laufende Woche benötige..
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"In diesem Sinne betrachte ich unsere Abmachung als perfekt. Die übrigen Punkte werden wir dann bei persönlicher Besprechung erledigen."
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Er ging dann aber nicht nach Zürich, sondern ersuchte die Kläger am 1. September 1925, ihm einen Vertragsentwurf zu schicken, damit er eventuelle Abänderungen und Wünsche anbringen könne. Es müsse ihm darin ausdrücklich das Recht eingeräumt sein, an der Front gegen die Bahnhofstrasse ein Firmenschild anzubringen. Anschliessend erwähnte er noch einige andere Punkte und bemerkte am Schlusse des Schreibens:
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"Alle diese Kleinigkeiten, obwohl dieselben sich von selbst verstehen, möchte ich schriftlich bestätigt haben."
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Am 4. September stellten ihm die Kläger einen Vertragsentwurf zu, wobei sie sich im allgemeinen mit seinen Wünschen einverstanden erklärten, die Anbringung eines Firmenschildes jedoch ablehnten.
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Am 9. September 1925 liess ihnen der Beklagte mitteilen, dass er nach reiflicher Überlegung die Wohnung nicht mieten werde. Als ihm die Kläger am 10. September mit Schadenersatzansprüchen drohten, schrieb er am 12. September zurück, er werde -- um jeden Schaden zu verhüten -- die Bureaux übernehmen, halte aber daran fest, dass sein Firmenschild an der Bahnhofstrasse angebracht werde. Mit Zuschrift vom 17. September erklärten sich dann die Kläger mit der Anbringung eines solchen in einer von ihnen vorgeschriebenen Ausführung einverstanden, so dass nunmehr der letzte streitige Punkt erledigt sei. |
Am 30. September teilte ihnen der Beklagte mit, er habe im Glauben, die Sache werde sich zerschlagen, sein Miete in St. Gallen bis zum 1. Mai erneuert, so dass von einem Umzug vor Frühling 1926 nicht die Rede sein könne. Unterm 15. Oktober stellten ihm die Kläger den "vorgesehenen" Mietvertrag im Doppel und von ihnen unterzeichnet zu, mit dem Ersuchen, es ebenfalls zu tun; sie fügten bei:
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"Wie Sie aus dem Vertrage ersehen, haben wir, um Ihnen unser äusserstes Entgegenkommen zu beweisen, den Antritt auf den 1. April 1926 festgesetzt. Alle andern Punkte sind laut vorangegangener Korrespondenz bereits geklärt."
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Am 17. Oktober sandte der Beklagte die Mietverträge ununterzeichnet zurück, mit dem Bemerken, er habe die Verhandlungen mit den Klägern aufgegeben, nachdem diese die Anbringung eines Schildes abgelehnt haben, und bestritt, eine Verpflichtung eingegangen zu sein "vor Vertragsunterzeichnung". Daraufhin teilten ihm die Kläger am 22. Oktober 1925 mit, dass sie auf seine nachträgliche Erfüllung verzichten und ihn für den aus der Nichterfüllung entstandenen Schaden haftbar machen.
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B. |
Mit der vorliegenden, im Mai 1927 beim Bezirksgericht Zürich eingereichten Klage verlangen die Kläger Ersatz dieses Schadens, und zwar laut Weisung mit 6650 Fr., laut Klagebegehren dagegen nur mit 6080 Fr. 80 Cts., nebst 5% Zins seit 11. Mai 1927. Dieser letztere Betrag stellt die Differenz dar zwischen dem Gesamt mietzins von 35,000 Fr. für die mit dem Beklagten angeblich vereinbarte fünfjährige Mietperiode (1. April 1920 bis 1. April 1931) und den aus der anderweitigen Vermietung sich ergebenden Zinsbetreffnissen von 28,919 Fr. 20 Cts. |
Der Beklagte bestritt den klägerischen Anspruch mit der Behauptung, dass mangels Erfüllung der von den Parteien vorbehaltenen Schriftform kein Vertrag zustandegekommen sei.
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C. |
Beide kantonalen Instanzen haben die Klage abgewiesen, das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 3. Dezember 1927.
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D. |
Hiegegen richtet sich die Berufung der Kläger mit dem Begehren um Gutheissung der Klage, eventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Schadensfestsetzung.
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Aus den Erwägungen: |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
1. Die Vorinstanz nimmt, in Übereinstimmung mit dem Beklagten, an, es habe zum Zustandekommen des von den Klägern geltend gemachten Mietvertrages nicht bloss an der Erfüllung der Schriftform gefehlt, sondern überhaupt schon an der Willenseinigung, so dass auch die Voraussetzungen für die Entstehung eines formlosen Vertrages nicht gegeben seien. Diese letztere Auffassung wird der Bestimmung des Art. 2 OR nicht gerecht. Wie aus deren Wortlaut klar hervorgeht, ist für die nach Art. 1 OR notwendige übereinstimmende Willenserklärung der Parteien nicht erforderlich, dass sich dieselbe auf alle Punkte erstrecke, welche für die Gestaltung des Vertragsverhältnisses von Bedeutung sein können, vielmehr genügt es grundsätzlich, dass sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte geeinigt haben, indem alsdann vermutet wird, dass der Vorbehalt von Nebenpunkten die Verbindlichkeit des Vertrages nicht hindern solle, auch wenn eine Einigung über diese vorbehaltenen Punkte nicht zustande kommt. Nun ist unbestritten, dass durch den Briefwechsel der Parteien vom 26. und 27. August 1925 eine Einigung über die dem Begriffe des streitigen Vertrages, als eines Mietvertrages, objektiv wesentlichen Punkte: Mietsache, Mietzins und Dauer der Miete, erzielt worden ist, also über diejenigen Punkte, bei deren Festsetzung der Vertrag als geschlossen betrachtet werden konnte und musste, sofern die Parteien -- deren Willensmeinung für die Abgrenzung der Haupt- und Nebenpunkte im Sinne von Art. 2 OR ausschlaggebend ist -- nicht noch weitere Punkte als für sie erheblich bezeichnet und deren Erledigung als notwendige Voraussetzung für den Vertragsabschluss angesehen haben (vgl. Oser, Komm. 2. Aufl. N. 12 und Becker, N. 4 zu Art. 2 OR; BGE 34 II 468, 725). In dieser Hinsicht kommt in Betracht, das der Beklagte in seinem Briefe vom 27. August allerdings ausdrücklich bemerkte: |
"Die übrigen Punkte werden wir dann bei persönlicher Besprechung erledigen."
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Da er aber unmittelbar vorher festgestellt hatte, worin die Parteien einig geworden seien, und daran die Erklärung knüpfte: "In diesem Sinne betrachte ich unsere Abmachung als perfekt", so konnte jener Vorbehalt unmöglich den Sinn haben, dass von dieser Erledigung der übrigen Punkte doch wieder die Perfektion des Vertrages abhängen solle, sondern er konnte nur so verstanden werden, dass es sich hier um Punkte handle, welche den nunmehr zustandegekommenen Vertrag nicht mehr in Frage stellen sollten; dies umsomehr, als der Beklagte diese weitern Punkte, die er in seinem Schreiben vom 1. September 1925 erwähnte, selber ausdrücklich als Kleinigkeiten bezeichnete, welche sich von selbst verstehen, so dass darüber kein Zweifel bestehen kann, dass er sie als Nebenpunkte im Sinne von Art. 2 OR ansah.
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Diese Auslegung muss namentlich auch hinsichtlich der Firmatafel gelten, die der Beklagte in der Korrespondenz erstmals in seiner Zuschrift vom 1. September als einen jener "übrigen Punkte" berührte. Wenn er die Zulassung einer solchen als einen wesentlichen Punkt im Sinne einer condicio sine qua non für das Zustandekommen des Vertrages geltend machen wollte, so durfte er nach Treu und Glauben im Verkehr hierüber in seinem Schreiben vom 27. August nicht stillschweigen und dann erst einige Tage später darauf zu sprechen kommen. Nachdem die Kläger unbestrittenermassen sein schon im Anfange der Unterhandlungen mündlich gestelltes Verlangen betreffend die Anbringung eines Firmenschildes abgelehnt hatten, und er darauf in der Folge nicht mehr zurückgekommen war, mussten sie annehmen, dass er sich bei dem abschlägigen Bescheid beruhigt habe (auch wenn er sich nicht, wie sie behaupten, bei jener Unterredung sogar ausdrücklich darein gefügt haben sollte). |
Vorausgesetzt aber auch, es habe sich hiebei um einen wesentlichen Bestandteil des Geschäftes gehandelt, so wäre eine nachträgliche Einigung hierüber als zustande gekommen anzunehmen. Denn mit Schreiben vom 17. September haben sich ja die Kläger mit der Anbringung eines Firmenschildes einverstanden erklärt, freilich mit der Einschränkung: "in einer von uns vorgeschriebenen Ausführung." Wenn die Vorinstanz auf diesen -- vom Beklagten in der Korrespondenz selber nicht aufgegriffenen -- Vorbehalt abstellt für die Annahme, es sei schliesslich doch insoweit noch ein Dissens übrig geblieben, so verkennt sie, dass der Beklagte, nachdem die Partien gerade über diesen einzig noch streitigen Punkt verhandelt hatten, nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, den Klägern ausdrücklich kund zu tun, wenn er ihr Entgegenkommen nicht als genügend erachtete. Sein Stillschweigen durften sie daher als Zustimmungserklärung zum Inhalte ihres Schreibens vom 17. September auffassen.
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Erwägung 2 |
2. Ist somit eine Willenseinigung zustandegekom men, so bleibt noch zu prüfen, ob die Perfektion des Vertrages aus dem Grunde gescheitert sei, weil die Parteien die schriftliche Form vorbehalten haben, und deshalb nach Art. 16 OR zu vermuten sei, dass sie vor Erfüllung derselben nicht gebunden sein wollten. Dass die Parteien beidseitig dem Willen Ausdruck gegeben haben, den Vertrag schriftlich aufzusetzen, steht nach den Akten ausser Zweifel. Es frägt sich nur, in welchem Stadium der Verhandlungen dies geschehen sei, ob schon von Anfang an, bezw. bevor es zu der durch den Briefwechsel vom 26./27. August 1925 bekundeten Willenseinigung gekommen war, oder erst nachher. Trifft letzteres zu, so kann offenbar von einem Vorbehalt im Sinne des Art. 16 OR dann nicht mehr gesprochen werden, wenn mit den Klägern anzunehmen ist, dass der Mietvertrag durch jene Willenseinigung perfekt geworden sei (vgl. Oser, N. 6 und Becker, N.1 zu Art. 16 OR). |
Nun fallen von den durch die Vorinstanz für die Annahme eines Vorbehaltes dieser Art angeführten Umständen die folgenden in die Zeit nach dem 27. August, nämlich einerseits das Verlangen des Beklagten in seinem Briefe vom 1. September, gewisse von ihm aufgegriffene Punkte noch schriftlich bestätigt zu haben, und andererseits die durch die Kläger an ihn erfolgte Zustellung einer Vertragsurkunde vom 4. September und des "vorgesehenen Mietvertrages im Doppel" mit ihrer Unterschrift, behufs Einholung derjenigen des Beklagten, vom 15. Oktober 1925. Einzig die vom Vorderrichter weiter herangezogne Tatsache der Einladung der Kläger an den Beklagten, nach Zürich zu kommen "zur gegenseitigen Vollziehung des Mietvertrages", wie sie im Briefe vom 26. August enthalten ist, geht zeitlich der Erklärung des Beklagten voraus, dass er die Abmachung im Sinne seines Schreibens vom 27. August als perfekt erachte. Allein in ihrem Briefe vom 26. August haben die Kläger unzweideutig ihrer Meinung Ausdruck gegeben, dass der Vertrag perfekt sei (nachdem sie gemäss dem Wunsche des Beklagten den Beginn der Miete auf den 1. Januar 1926 hinausgeschoben hatten), und anschliessend dann jene Einladung beigefügt, so dass dieselbe schon im Hinblick auf ihren Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Schreibens nicht dahin gedeutet werden kann, der Beklagte hätte nach Zürich kommen sollen, um den Vertrag durch Ausstellung einer besondern Urkunde zur Perfektion zu bringen. Gegen diese Auslegung spricht namentlich auch die Wendung zur gegenseitigen Vertragsvollziehung", die klar erkennen lässt, dass die Kläger die Schaffung einer Vertragsurkunde nicht als Voraussetzung für den Abschluss des Vertrages, sondern lediglich als Folge desselben, als Mittel zum Beweise der bereits getroffenen Vereinbarung wollten. Wenn anderseits der Beklagte in seinem Antwortschreiben vom 27. August die Behandlung der "übrigen Punkte" einer persönlichen Besprechung vorbehielt, so war damit bekundet, dass diese Punkte Gegenstand mündlicher und nicht schriftlicher Erledigung bilden sollten. Der blosse Umstand endlich, dass bei bedeutenderen Verträgen der vorliegenden Art die Schriftlichkeit üblich ist, vermag den Vorbehalt dieser Form im Sinne von Art. 16 OR nicht zu begründen (vgl. Oser, N. 2 zu zit. Art.). |
Erwägung 3 |
Als Schaden machen die Kläger einen Mietzinsausfall von 6080 Fr. 80 Cts. geltend, den sie dadurch erleiden, dass sie von der dem Beklagten ab 1. April 1926 für fünf Jahre vermieteten Wohnung mit einer Gesamtfläche von 129 m2 (bei einem Durchschnittspreis von 54 Fr. 25 Cts. pro m2) ein Zimmer von 25 m2 erst ab 30. September 1926 an die Gebr. Schelhaas zu 1000 Fr. jährlich und die übrigen Räume von 104 m2 erst ab 1. April 1927 an die Elliot Fischer, Flachschreibmaschinen A.-G. zu einem Durchschnittspreis von 58 Fr. 70 Cts. pro m2 vermieten konnten. Dieser Betrag kann ihnen jedoch nicht voll zugesprochen werden. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass die Kläger die an den Vertragsabschluss vom 26./27. August 1925 sich anschliessenden Weiterungen in der Korrespondenz und die dadurch geschaffene Unsicherheit über die Rechtslage durch ihr zu wenig aktives Vorgehen und ihre zum Teil widerspruchsvolle Haltung mitverschuldet haben. Angesichts dessen erscheint es als angemessen, die Entschädigung ex aequo et bono auf 4000 Fr. festzusetzen. Von dieser Summe hat der Beklagte den eingeklagten Verzugszins von 5% seit 11. Mai 1927 (Datum des Friedensrichtervorstandes) zu leisten. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |