BGE 76 II 26 - Touring Motor AG
 


BGE 76 II 26 (26):

5. Urteil der II. Zivilabteilung
vom 2. Februar 1950 i.S. Touring Motor A.-G. gegen Frei.
 
Regeste
Bestandteil der Sache (Art. 642 ZGB).
Der Eigentumsvorbehalt an einer Sache (Art. 715 ZGB) geht unter, wenn diese Bestandteil einer anderen Sache wird und damit ihre eigene rechtliche Existenz verliert (Kippanlage und Motorwagenchassis).
Voraussetzungen der Bestandteilsqualität (Art. 642 Abs. 2 ZGB).
 


BGE 76 II 26 (27):

Sachverhalt
 
A.
Laut zwei separaten Verträgen vom 25. April 1947 bestellte der Bauunternehmer Max Frei in Solothurn von der Touring Motor A.-G. in Solothurn ein Ford-Lastwagen-Chassis mit Stahlkabine zum Preise von Fr. 14,440.-, sofort lieferbar, und einen hydraulischen Motor-Dreiseitenkipper, System Burkhardt, zum Preise von Fr. 6700.-, lieferbar im Oktober 1947. In beiden Verträgen behielt sich der Verkäufer das Eigentum bis nach restloser Bezahlung des Kaufpreises vor. Die Eigentumsvorbehalte wurden nach Lieferung jedes der beiden Teile, nämlich für den Wagen am 19. Mai und für den Kipper am 14. Oktober 1947 beim Betreibungsamt Solothurn in das Eigentumsvorbehaltsregister eingetragen.
Bis zur Lieferung des Kippers versah Frei das Chassis mit einer provisorischen Ladebrücke. Als im November 1947 der Kipper auf dem Chassis angebracht und dafür mit Fr. 6968.- Rechnung gestellt wurde, war das Chassis bereits abbezahlt und der Eigentumsvorbehalt dafür gelöscht.
Am 2. Dezember 1947 wurde über die Firma Max Frei der Konkurs eröffnet. Die Touring Motor A.-G. verlangte die Aussonderung des Kippers und machte zugleich folgende Forderungsansprüche geltend: Kaufpreis des Kippers Fr. 6996.80; Entschädigung wegen Nichterfüllung des Vertrages Fr. 1500.-; Miete für den Kipper bis Konkurs

BGE 76 II 26 (28):

eröffnung Fr. 333.34, seit Konkurseröffnung Fr. 280.-. Die Konkursverwaltung wies das Aussonderungsbegehren ab, weil der Kipper Bestandteil des Lastwagens geworden sei und daher nicht in gesondertem Eigentum stehen könne; sie liess nur die Kaufpreisforderung zu und kollozierte sie in 5. Klasse. Die Touring Motor A.-G. machte innert der ihr gesetzten Frist klageweise den Aussonderungsanspruch geltend und focht gleichzeitig den Kollokationsplan an mit den Begehren, es sei eine Forderung von Fr. 1862.14 in 5. Klasse aufzunehmen als Entschädigung für Miete und Abnützung des Kippers; endlich machte sie eine Forderung von mindestens Fr. 60.- pro Monat ab 2. Dezember 1947 bis zur Herausgabe des Kippers wegen weiterer Benützung desselben als Massaschuld geltend.
 
B.
Das Amtsgericht schützte den Aussonderungsanspruch und eine Forderung von Fr. 1703.80 in 5. Klasse. Auf Appellation der Konkursmasse hat das Obergericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 13. September 1949 die Klage gänzlich abgewiesen und die Klägerin mit ihrer Kaufpreisforderung in die 5. Klasse verwiesen, weil an dem durch Verbindung mit dem Chassis zu dessen Bestandteil gewordenen Kipper ein Eigentumsvorbehalt nicht zu Recht bestehe.
 
C.
Mit der vorliegenden Berufung hält die Klägerin an ihren Begehren auf Herausgabe des Kippers, Kollozierung einer Entschädigungsforderung von Fr. 1703.80 in 5. Klasse und Zahlung von Fr. 60.- monatlich vom 2. Dezember 1947 bis zur Herausgabe des Kippers fest.
Die beklagte Konkursmasse trägt auf Bestätigung des angefochtenen Urteils an.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Eigentumsvorbehalt ist nur an Gegenständen möglich, die als selbständige Sache eine eigene rechtliche Existenz haben. Vorbehaltenes Eigentum an einer Sache geht daher unter, wenn diese zum Bestandteil einer andern Sache gemacht wird und damit ihre eigene rechtliche Existenz

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verliert, weil das Eigentumsrecht an der Hauptsache notwendig auch alle Bestandteile dieser Sache umfasst (Art. 642 ZGB). Der vorliegende Streit läuft auf die Frage hinaus, ob der Kipper im Zeitpunkt seiner Anbringung am Lastwagen zu dessen Bestandteil wurde oder nicht. Ist dies der Fall, so war die Begründung bzw. das Weiterbestehen eines Eigentumsvorbehaltes am Kipper unmöglich und die Eintragung des Vorbehaltes wirkungslos; denn die Eintragung kann den Vorbehalt nur begründen, wenn die rechtlichen Voraussetzungen dafür gegeben sind, hier die Existenz des Kippers als selbständige Sache.
 
Erwägung 1
Im vorliegenden Falle war das Chassis an sich geeignet, wechselweise mehrere Brücken zu tragen. Der Käufer Frei machte jedoch von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, sondern bestellte bei der Klägerin gleichzeitig sowohl das Lastwagenchassis als den Motorkipper und zwar diesen "auf Fordchassis fertig montiert". Da die Erstellung und Anpassung des Kippers längere Zeit in Anspruch nahm, liess Frei, um den Wagen schon vorher verwenden zu können, am sofort gelieferten Chassis zunächst provisorisch eine Holzbrücke anbringen, die aber nach erfolgter Montierung des Kippers beseitigt und nicht mehr verwendet wurde. Eine weitere Brücke oder andere Aufbaute, die er anstelle des Kippers wechselweise hätte aufmontieren

BGE 76 II 26 (30):

können, besass Frei nicht. Die Vorinstanz stellt fest, dass es ihm zum vornherein bei der Bestellung "nicht darum ging, einen auswechselbaren Kipper zu erhalten, sondern eine Kippanlage, die auf dem Lastwagen blieb".
Diesem Zwecke entsprach auch die Montage des Kippers. Im Gegensatz zu Aufbauten bei Mehrzweckwagen, die in der Regel behufs rascher und leichter Auswechselbarkeit mit sog. Verschlussriegeln am Chassis befestigt werden, war die streitige Kipperanlage mit Schrauben montiert, worin die Vorinstanz ein Indiz dafür erblickt, dass Frei von Anfang an nicht an Auswechslung des Aufbaus dachte.
Von besonderer Bedeutung für die Frage der Auswechselbarkeit ist neben der Art der Befestigung des Aufbaus am Chassis die Anlage der Ölleitung von der Pumpe zur hydraulischen Hebevorrichtung. Bei wegnehmbarem Kipper muss eine besondere Abschlussvorrichtung und Kupplung zum Abschluss bzw. zur Verbindung der Ölleitung zwischen Pumpe und Teleskop angebracht sein, die beim Fahrzeug Freis fehlte, sodass dieses -- laut Vorinstanz und Experte -- als Ganzes als Einzweckfahrzeug zu betrachten ist.
Es kann mithin keinem Zweifel unterliegen, dass eine äussere, physische Verbindung des Kippers mit dem Chassis vorliegt, wie sie für die Konstituierung einer vorher selbständigen Sache zum Bestandteil einer anderen vorausgesetzt ist, nämlich eine Verbindung, die nicht ohne Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung der Sache (Art. 642 Abs. 2 ZGB) oder unverhältnismässige Arbeit oder Auslagen (Art. 727 Abs. 1) wieder gelöst werden kann.
 
Erwägung 2
Diese vorausgesetzte Einheit hinsichtlich der Zweckbestimmung ist hier ohne weiteres zu bejahen, da die Kippbrücke für sich allein als solche nicht brauchbar ist, sondern ihren Zweck erst infolge der Anbringung auf einem Chassis erfüllt, wie auch dieses selbst erst durch die Aufmontierung eines Aufbaus zum gebrauchsfähigen Lastwagen wird. Für den dauernden Charakter dieser Verbindung fällt entscheidend der Wille dessen ins Gewicht, der die Nebensache zur Hauptsache fügte. Dass aber Frei den Kipper dauernd dem Chassis anfügen und nicht einen auswechselbaren Aufbau schaffen wollte, wird, wie erwähnt, von der Vorinstanz ausdrücklich und für das Bundesgericht verbindlich festgestellt. Diese Willensmeinung Freis konnte in der Tat ernsthaft nicht bezweifelt werden. Nicht nur liess er den Kipper mit dem Chassis fest verschrauben und an der Ölleitung keine Kupplungs- und Verschlussvorrichtung anbringen; er hatte tatsächlich keine andere Brücke, und es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass er je die Absicht hatte, noch eine andere anzuschaffen. Die Holzbrücke, die er bis zur Lieferung des Kippers angebracht hatte, war provisorischen Charakters, um die Benutzung des Wagens schon vor der Lieferung des Kippers zu ermöglichen. Gerade die Tatsache, dass Frei eine solche provisorische Brücke erstellen liess, spricht dafür, dass er keine zweite definitive anschaffen wollte.
Der Umstand, dass Frei einen Eigentumsvorbehalt am Kipper eintragen liess, ändert an dieser Betrachtungsweise nichts. Er machte sich über die rechtliche Möglichkeit vorbehaltenen Eigentums am Kipper nach dessen Verbindung mit dem Chassis aller Wahrscheinlichkeit nach keine Gedanken. Jedenfalls konnte der Eigentumsvorbehalt den Eigentumsübergang nicht hindern, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen dafür durch die Überführung der bisher selbständigen Sache zum Bestandteil einer andern gegeben

BGE 76 II 26 (32):

waren. Durch die feste und dauernde Verbindung ging das selbständige Eigentum am Bestandteil von Gesetzes wegen und notwendig unter, weil es begrifflich nicht fortbestehen konnte. Dem Willen des Erwerbers Frei kommt nur insoweit Bedeutung zu, als er auf die Herstellung dieser festen und dauernden Vereinigung der beiden Sachen gerichtet war; soweit er dabei von der Meinung ausging, das separate Eigentum könne ungeachtet der Verbindung weiterbestehen, kam dem Willen keine Wirkung zu, weil die Folge des Eigentumsuntergangs am Bestandteil durch die Verbindung ipso iure eintritt.
Endlich hat es die Vorinstanz mit Recht auch abgelehnt, darin, dass beim Erwerb von Motorkippern häufig Eigentumsvorbehalte eingetragen werden, einen Ortsgebrauch im Sinne des Art. 642 Abs. 2 ZGB anzunehmen, welcher der Umwandlung der Nebensache zum Bestandteil entgegenstehen würde. Soweit darin die Feststellung liegt, dass ein solcher Ortsgebrauch nicht bestehe, ist sie für das Bundesgericht verbindlich. Für einen Ortsgebrauch im Sinne der zit. Bestimmung ist jedoch überhaupt kein Platz mehr, wenn die Frage schon durch die vom ZGB selbst umschriebenen wesentlichen Merkmale entschieden wird. Wo, wie hier, die dauernde feste Verbindung zur Einheit der Zweckbestimmung gewollt und verwirklicht ist, tritt die Einheit des Eigentums von Bundesrechts wegen ein, ohne dass eine entgegengesetzte lokale Auffassung dies zu verhindern vermöchte (BGE 64 II 85).
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Kipper nicht sogar dann als Bestandteil des Wagens anzusehen wäre, wenn es sich um ein Mehrzweckfahrzeug handeln würde.
Muss der Kipper demnach als Bestandteil des Lastwagens angesehen werden, so steht der Klägerin kein Eigentum daran und somit kein Aussonderungsanspruch zu. Damit entfällt auch die Grundlage für die weitern Begehren; die Klägerin hat nur Anspruch auf die auf die Kaufpreisforderung entfallende Konkursdividende in der

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5. Klasse, wie sie ihr von der Konkursverwaltung zugesprochen worden ist.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 13. September 1949 bestätigt.