34. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Oktober 1961 i.S. Baginski gegen J. H. Kunz AG
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Regeste
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Art. 197, 219 OR.
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Sachverhalt
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BGE 87 II 244 (244):
Die J. H. Kunz AG, die sich um den Verkauf einer Villa bemühte, schrieb dem Interessenten Baginski am 21. Februar 1959, das Haus weise ein Bauvolumen von ca. 2'500 m3 auf. Diese Zahl entsprach ungefähr dem sich aus den Akten der J. H. Kunz AG ergebenden Mass eines Baues, der geplant, aber nicht ausgeführt worden war. Das erstellte Haus mass nur rund 1850 m3. Nachdem Baginski es am 24. April 1959 gekauft hatte, wurde er im Sommer 1959 von Dritten über den Unterschied zwischen dem zugesicherten und dem wirklichen Rauminhalt aufgeklärt. Er klagte gegen die J. H. Kunz Ats.G. auf Ersatz des Minderwertes der Kaufsache. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich erklärte er die Berufung.
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BGE 87 II 244 (245): Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Gemäss Art. 197 OR, der auf den Grundstückkauf entsprechend anwendbar ist (Art. 221 OR), haftet der Verkäufer dem Käufer sowohl für die zugesicherten Eigenschaften als auch dafür, dass die Sache nicht körperliche oder rechtliche Mängel habe, die ihren Wert oder ihre Tauglichkeit zu dem vorausgesetzten Gebrauche aufheben oder erheblich mindern.
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a) Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Zusicherung einer bestimmten Eigenschaft nicht wie der körperliche oder rechtliche Mangel nur dann gewährspflichtig macht, wenn der vorausgesetzte Gebrauch der Sache aufgehoben oder erheblich gemindert ist, sondern dass der Verkäufer für die Zusicherung schlechthin einzustehen hat. Nötig ist nach der Rechtsprechung nur, dass die Zusicherung den Entschluss des Käufers, die Sache überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen zu erwerben, beeinflusst habe (BGE 71 II 240, BGE 73 II 222, BGE 81 II 209). Das Bundesgericht lässt deshalb nicht nur körperliche und rechtliche Eigenschaften als im Sinne des Art. 197 OR zugesichert gelten, sondern auch rein wirtschaftliche, z.B. den Zinsertrag einer Liegenschaft (BGE 45 II 444 f.), den Umsatz einer in der Liegenschaft betriebenen Gastwirtschaft (BGE 63 II 78 f.), die Zahl der mit einem Motorwagen gefahrenen Kilometer (BGE 71 II 240 f.).
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Ähnlich verhält es sich, wenn der Verkäufer einer Liegenschaft dem Käufer erklärt, der Bau habe einen bestimmten Rauminhalt. Diese Zusicherung ist nicht zum vornherein ungeeignet, Ansprüche aus Gewährleistung entstehen zu lassen, weil sie an der Vorstellung über den körperlichen Zustand des Hauses, den der Käufer während der Vertragsverhandlungen sieht, nichts ändert. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Käufer dem Kubikinhalt nur deshalb Bedeutung beilegt, weil er ein Gebäude von ganz bestimmtem Inhalt oder Mindestinhalt nötig hat, z.B. ein Lagerhaus, oder ob er sich durch die Angabe über BGE 87 II 244 (246):
den Inhalt nur aus wirtschaftlichen Überlegungen zum Kauf bestimmen lässt, besonders weil er den Preis im Hinblick auf den Rauminhalt für vorteilhaft hält. Dieser Fall ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 197 OR nicht grundsätzlich anders zu behandeln als etwa die Zusicherung eines bestimmten Mietertrages, an dem der Käufer die Tragbarkeit des verlangten Preises ermisst.
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b) Äusserungen über den Rauminhalt sind Quantitätsangaben, gleich wie z.B. Mitteilungen über die Länge, die Fläche, das Gewicht, die Stückzahl. Von unzutreffenden Quantitätsangaben hat nun aber das Bundesgericht gesagt, sie beträfen "an sich nicht Sachmängel im Sinne von Art. 197 ff. OR", da in der Lieferung cines geringeren als des vereinbarten Quantums nicht die Lieferung einer mangelhaften Sache, sondern eine teilweise Nichterfüllung liege, bei welcher der Käufer Nachlieferung der fehlenden Menge verlangen könne (BGE 62 II 162; vgl. BGE 81 II 140).
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Das gilt bei den im Schrifttum so genannten "eigentlichen Quantitätsmängeln", d.h. wenn vertretbare Sachen nach Mass, Gewicht oder Stückzahl gekauft und nicht im versprochenen Umfange geliefert werden (BECKER Art. 197 N. 1; OSER/SCHÖNENBERGER Art. 197 N. 13). Hier bedarf der Käufer des Schutzes nach den Bestimmungen über die Gewährleistung nicht. Er kann die fehlende Menge nachfordern oder nach den Bestimmungen über den Verzug des Verkäufers (Art. 107 ff., 190 f. OR) vorgehen. Anders verhält es sich, wenn Angaben über Mass, Gewicht oder Stückzahl nicht zur Bestimmung der gekauften Menge dienen, sondern Eigenschaften einer unvertretbaren Sache, einer einzelnen Gattungssache oder eines ganz bestimmten Postens von Gattungssachen bezeichnen, so wenn der Verkäufer dem Käufer die Länge eines bestimmten Kühltisches unrichtig angibt (BGE 57 II 290) oder ihm ein zu hohes Gewicht oder eine zu hohe Stückzahl nennt, die eine in Bausch und Bogen angebotene bestimmte Wagenladung einer Handelsware aufweise. In solchen Fällen BGE 87 II 244 (247):
liegt nicht ein "eigentlicher Quantitätsmangel" vor, sondern fehlt dem Kaufgegenstand eine zugesicherte Eigenschaft im Sinne des Art. 197 OR.
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Die Ausführungen in BGE 62 II 162 und BGE 81 II 140 stehen daher der Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall nicht im Wege. Der zu beurteilende Kauf betrifft eine unvertretbare Sache. Der Kläger kaufte nicht umbauten Raum nach Kubikinhalt, so dass er Nachlieferung des fehlenden Masses verlangen könnte. Die Angabe des Bauvolumens diente der Beschreibung des Kaufgegenstandes. Die Beklagte sicherte dem Kläger zu, die verkaufte Sache habe cine bestimmte Eigenschaft.
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c) Dass die Angabe des Rauminhaltes eines Hauses nicht als Zusicherung einer Eigenschaft Ansprüche aus Gewährleistung geben könne, darf auch nicht aus Art. 219 Abs. 1 und 2 OR geschlossen werden. Diese Bestimmungen wurden nicht erlassen, weil die gesetzgebenden Behörden der Auffassung gewesen wären, Quantitätsangaben würden nie von Art. 197 OR erfasst. Die Norm des Art. 219 Abs. 1 OR, wonach der Verkäufer eines Grundstückes unter Vorbehalt anderer Abrede dem Käufer Ersatz leisten muss, wenn das Grundstück nicht das im Kaufvertrag angegebene Mass besitzt, ist gegenüber Art. 197 insofern eine Sondervorschrift, als sie nur Anspruch auf Ersatz des Minderwertes, nicht auch den in Art. 205 OR wahlweise vorgesehenen Wandelungsanspruch gibt, wie er für Fälle nach Art. 197 besteht. Ausserdem soll Art. 219 Abs. 1 jeden Streit darüber ausschliessen, ob im einzelnen Falle die Angabe des Flächenmasses im Kaufvertrag wirklich den Sinn einer Zusicherung hatte oder z.B. aus blosser Gewohnheit der Urkundsperson oder als Mittel zur Auslegung der Grenzbeschreibung aufgenommen wurde (BECKER Art. 219 N. 2). Art. 219 Abs. 2 OR sodann betrifft den Fall, wo das Grundstück nicht das im Grundbuch auf Grund amtlicher Vermessung angegebene Mass aufweist. Der Käufer hat hier wiederum nicht wie nach Art. 205 in Verbindung mit Art. 197 OR wahlweise Anspruch BGE 87 II 244 (248):
auf Wandelung, sondern in dem für ihn günstigsten Falle nur Anspruch auf Ersatz des Minderwertes. Ferner kann er diesen nur unter einer Voraussetzung geltend machen, die strenger ist, als die Anforderungen des Art. 197. Art. 219 Abs. 2 gibt den Anspruch nur, wenn der Verkäufer die Gewährleistung ausdrücklich übernommen hat (BGE 81 II 140), wogegen nach Art. 197 die Zusicherung der Eigenschaft auch stillschweigend und ohne Erwähnung der Gewährspflicht erfolgen kann. Der Grund der abweichenden Regelung liegt darin, dass der Verkäufer sich auf das im Grundbuch auf Grund amtlicher Vermessung angegebene Mass nicht minder soll verlassen können als der Käufer. Ist bei den Vertragsunterhandlungen oder im Vertrag davon die Rede, so soll der Käufer ihn dabei nur behaften können, wenn der Verkäufer ausdrücklich erklärt hat, er leiste Gewähr (BECKER Art. 219 N. 4).
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d) Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, Art. 219 Abs. 2 OR sei auf unrichtige Angaben über das Bauvolumen sinngemäss anzuwenden, so dass nur ausdrückliche Gewährleistung den Käufer haftbar mache. Das geht jedoch deshalb nicht an, weil das Bauvolumen weder auf amtlicher Vermessung beruht noch im Grundbuch steht.
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e) Die Beklagte ist der Auffassung, Art. 197 Abs. 1 OR sei im vorliegenden Falle nicht anwendbar, weil die Kaufsache ein "Liebhaberobjekt" mit "luxuriösem Ausbau" sei, weshalb der Kubikmeterpreis für den Kläger keine Rolle habe spielen können, jedenfalls nicht mehr, nachdem er das Haus besichtigt hatte. Der Wert des Hauses habe denn auch im vorliegenden Falle mit dem umbauten Raume nichts zu tun.
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Das Handelsgericht bejaht den ursächlichen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe über das Bauvolumen und dem Entschluss des Klägers, die Liegenschaft zum Preise von Fr. 540'000.-- zu kaufen. Darin liegt eine Feststellung über tatsächliche Verhältnisse. Da sie nicht offensichtlich auf Versehen beruht, sondern in Würdigung BGE 87 II 244 (249):
des Beweises zustande gekommen ist, ohne dass bundesrechtliche Beweisvorschriften verletzt worden wären, ist das Bundesgericht an sie gebunden (Art. 63 Abs. 2 OG).
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Nach Treu und Glauben durfte der Kläger in der Angabe über das Bauvolumen eine Zusicherung im Sinne des Art. 197 OR sehen. Solche Angaben eignen sich dazu, die Preiswürdigkeit der Kaufsache zu beurteilen. Dass der Kläger das Haus besichtigte und von dessen Aussehen beeindruckt worden sein mag, ändert nichts. Die Beklagte musste sich sagen, dass er ihrer Angabe Bedeutung beimesse und sie dabei behaften wolle. Das konnte ihr Beauftragter Meier daraus ersehen, dass der Kläger am 23. April 1959 an der Richtigkeit der Angabe zweifelte. Meier bemühte sich denn auch, die Zweifel zu zerstreuen. Übrigens war ihm und der Beklagten schon vor dieser Besprechung bewusst, dass die Nennung des Rauminhaltes nicht bedeutungslos sei, sonst hätten sie nicht, nachdem sie in den ersten Inseraten davon nichts gesagt hatten, in einem Schreiben vom 19. Februar 1959 an einen anderen Interessenten, im Briefe vom 21. Februar 1959 an den Kläger und in den Inseraten vom 27. März und 10. April 1959 das "Bauvolumen von ca. 2'500 m3" erwähnt, um, wie das Handelsgericht verbindlich feststellt, "das Objekt attraktiver zu machen".
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Die Bestimmungen über die Gewährleistung (Art. 197 ff. OR) sind daher anwendbar.
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