BGE 90 II 269 |
31. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Oktober 1964 i.S. M. gegen K. |
Regeste |
Vaterschaftsklage |
2. Dieser positive Beweis der Vaterschaft kann durch ein anthropologisch-erbbiologisches Gutachten erbracht werden, auf dessen Durchführung die Parteien einen bundesrechtlichen Anspruch haben (Bestätigung der Rechtsprechung). |
Sachverhalt |
K. lernte M. am 17. Februar 1960 kennen, innerhalb der vom 6. Februar bis 6. Juni 1960 dauernden kritischen Zeit. Schon am ersten Tag der Bekanntschaft kam es zu Geschlechtsverkehr. Die Freundschaft zwischen den beiden führte zu weitern intimen Beziehungen, letztmals am 14. März 1960. Damals verliess K. seinen Wohnort für einige Tage. Als er zurückkam, brach er das Verhältnis zu M. ab. |
Anfangs 1960 hatte die Kindsmutter geschlechtliche Beziehungen zu L. und im Laufe des Monats Juni 1960 zu P.; diese beiden Männer wohnten wie K. im Barackenlager A.
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B.- Das Bezirksgericht und das Obergericht des Kantons Aargau haben die Einrede des Beklagten geschützt, die Kindsmutter habe um die Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt, und die Klage abgewiesen. Die Annahme unzüchtigen Lebenswandels gründet das Obergericht in seinem Urteil vom 20. März 1964 vor allem auf folgende, für das Bundesgericht verbindlich festgestellte Tatsachen:
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Am 17. Februar 1960 suchten B. und der Beklagte mit seinem Wagen die Erstklägerin am späten Nachmittag an ihrer Arbeitsstätte in W. auf. Sie luden die ihnen nicht näher bekannte Erstklägerin ein, mit auf ihr Zimmer im Barackenlager A. zu kommen, wobei sie das mit der Einladung verfolgte Ziel nicht verschwiegen. Das Mädchen folgte den beiden und liess sich durch das Fenster in das Zimmer schaffen, das der Beklagte, B. und C. bewohnten. C., welcher dem Mädchen gänzlich unbekannt war, lag zu dieser Zeit schon im Bett. Als sich der Beklagte nach der Ankunft im Zimmer entfernte, um sein Nachtessen einzunehmen, begab sich die Erstklägerin mit B. in dessen Bett; bei ausgelöschtem Licht kam es zu Geschlechtsverkehr. Nach Rückkehr des Beklagten vom Nachtessen hatte das Mädchen intime Beziehungen mit C., dem Beklagten und B., wobei die genaue Reihenfolge nicht mehr abgeklärt werden konnte; jedenfalls blieb es zuletzt bis zu seinem Weggehen beim Beklagten im Bett. Die Erstklägerin gab sich C. hin, nachdem der Beklagte sie dazu mit der Bemerkung aufgefordert hatte, sie solle diesen Zimmergenossen beruhigen und zum Schlafen bringen. |
Das Obergericht lehnte die von den Klägerinnen beantragte Durchführung eines Blutgruppengutachtens und eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens mit der Begründung ab, der Wortlaut von Art. 315 ZGB schliesse die Klage schlechthin und damit auch weitere Beweiserhebungen aus, wenn die Kindsmutter wie im vorliegenden Fall um die Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt habe.
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C.- Die Klägerinnen haben Berufung an das Bundesgericht ergriffen. Sie machen geltend, die Vorinstanz habe die Einrede aus Art. 315 ZGB zu Unrecht geschützt. Sie beantragen jedenfalls Durchführung einer Blutgruppenuntersuchung und eines anthropologisch-erbbiologischen Gutachtens und Gutheissung der Klage. - Der Beklagte begehrt Abweisung der Berufung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Ein unzüchtiger Lebenswandel gemäss Art. 315 ZGB liegt nach der Praxis des Bundesgerichtes dann vor, wenn sich die Kindsmutter um die Zeit der Empfängnis in sexueller Beziehung gewohnheitsmässig so hemmungslos zeigte, dass sich der Verdacht aufdrängt, sie habe nicht nur mit dem Beklagten - und allenfalls im Prozessverfahren genannten Dritten -, sondern auch noch mit unbekannten weitern Männern Umgang gehabt (vgl. BGE 89 II 275 /276; BGE 82 II 270 /271;BGE 79 II 26/27 und dort zitierte Entscheide). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Kindsmutter hat sich einige Tage vor dem 3. März 1960, dem mutmasslichen Zeitpunkt der Empfängnis, von zwei ihr nicht näher bekannten Männern einladen lassen, zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf deren Zimmer zu kommen. Die Annahme dieser Einladung und die der Einladung vom 17. Februar 1960 folgenden Ereignisse - mehrmalige Hingabe an den Beklagten und dessen zwei Zimmergenossen unter den von der Vorinstanz festgestellten Umständen - beweisen eine sittliche Verwahrlosung der Erstklägerin und rechtfertigen den Schluss, sie habe um die Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel geführt. Bei der grossen Leichtfertigkeit der Kindsmutter in geschlechtlichen Dingen scheint es wahrscheinlich, dass es bei den nachgewiesenen intimen Verhältnissen vor, in und nach der kritischen Zeit zu 5 verschiedenen Insassen des Lagers A. nicht geblieben ist und sie sich, trotz vorübergehender Bindung an den Beklagten, noch unbekannt gebliebenen Dritten hingegeben hat, die als Erzeuger des Kindes ebenfalls in Frage kommen. |
Art. 315 ZGB bezweckt, die Vaterschaftsklage in all den Fällen auszuschliessen, in denen die Abstammung des Kindes zufolge unzüchtigen Lebenswandels der Kindsmutter nicht in zuverlässiger Weise festgestellt werden kann (EGGER, Kommentar, N. 2 zu Art. 315 ZGB; SILBERNAGEL, Kommentar, N. 7 zu Art. 315 ZGB; ROSSEL u. MENTHA, Manuel I, 477/478;BGE 39 II 14E 3,BGE 39 II 492,BGE 39 II 687/688,BGE 44 II 26,BGE 79 II 26, BGE 89 II 273 f. insbes. È 2). Ein pönales Moment fehlt dem Art. 315 ZGB im Gegensatz zu einer Reihe analoger Bestimmungen der alten kantonalen Rechtsordnungen; sein Grund ist nicht in einer moralischen Missbilligung der Kindsmutter zu erblicken (SILBERNAGEL, Kommentar, N. 6 und 7 zu Art. 315 ZGB;BGE 39 II 14E 3). Von dieser Zweckbestimmung des Gesetzgebers ausgehend, kam der Wirkung, die an den unzüchtigen Lebenswandel geknüpft wurde - dem Ausschluss der Klage nämlich -, solange absolute Geltung zu, als ein positiver Nachweis der Vaterschaft praktisch unmöglich war. Das traf zur Zeit des Inkrafttretens des ZGB und in den darauf folgenden Jahrzehnten zu (vgl.BGE 44 II 26). Die seit BGE 87 II 65 f. anerkannte Möglichkeit, mittels eines anthropologischerbbiologischen Gutachtens positiv und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Vaterschaft nachzuweisen, stellt jedoch die bisherige Auslegung von Art. 315 ZGB in Frage. |
Angenommen, man würde wie bisher bei unzüchtigem Lebenswandel der Kindsmutter die Vaterschaftsansprüche - in Anlehnung an den Wortlaut des Art. 315 ZGB - abweisen, so käme dies dort, wo der positive Nachweis der Vaterschaft des Beklagten erbracht ist oder erbracht werden kann, einer Bestrafung der Mutter für ihren Lebenswandel gleich, wobei die Strafe ebenso hart das völlig unschuldige Kind treffen würde. Dem Art. 315 ZGB ist jedoch sein ursprünglicher Zweck zu erhalten und die allgemeine Bestimmung, wonach bei unzüchtigem Lebenswandel die Klage abzuweisen ist, durch eine Ausnahmeregel zu ergänzen, in welcher der positive Nachweis der Abstammung des Kindes vom Beklagten vorbehalten wird.
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Bevor das anthropologisch-erbbiologische Gutachten durchgeführt wird, ist jedoch eine Blutgruppenbestimmung vorzunehmen, zu deren Anordnung bis heute noch kein Anlass bestand. Diese Bestimmung kann unter Umständen rascher und mit weniger Kosten eine endgültige Beurteilung der vorliegenden Vaterschaftssache ermöglichen: Wird nämlich der Beklagte als Vater der Zweitklägerin ausgeschlossen, so ist die Klage abzuweisen; das anthropologisch-erbbiologische Gutachten wäre vom Richter zu verwerfen, da es das bereits feststehende Beweisergebnis nicht zu ändern vermöchte. Erfolgt kein Ausschluss des Beklagten durch Blutgruppenbestimmung, so sind die Klägerinnen zum positiven Nachweis zuzulassen, dass die Zweitklägerin vom Beklagten abstamme. Dieser Nachweis ist aber erst dann erbracht, wenn die Abstammung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann. |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des Kantons Aargau - 2. Zivilabteilung - vom 20. März 1964 aufgehoben und die Streitsache an die Vorinstanz zurückgewiesen zur Durchführung eines Blutgruppengutachtens und eventuell einer anthropologisch-erbbiologischen Begutachtung sowie zu nachheriger Neubeurteilung.
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