BGE 90 II 501
 
57. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Dezember 1964 i.S. Miniera AG. und Mitbeteiligte gegen Küderli & Co. und Mitbeteiligte.
 
Regeste
Zeitlicher Geltungsbereich des Kartellgesetzes. Art. 23 Abs. 1 KG (Erw. 1).
Deliktshaftung bei einfacher Gesellschaft, Art. 544 OR; Haftung mehrerer Schädiger, Art. 50 OR. Voraussetzungen (Erw. 3).
Kartellähnliche Organisation, Begriff des stillschweigenden gegenseitigen Abstimmens des Verhaltens. Art. 3 KG (Erw. 4).
Klagemöglichkeiten des von unzulässiger Kartellmassnahme Betroffenen. Art. 6 KG (Erw. 6).
Erfordernis einer erheblichen Wettbewerbsbehinderung. Art. 4 Abs. 1 KG (Erw. 8).
 
Sachverhalt


BGE 90 II 501 (502):

A.- Der Bedarf der schweizerischen Wirtschaft an Eisen wird zu rund 70% durch Importe gedeckt; die übrigen 30% werden durch die vier schweizerischen Eisen- und Stahlwerke erzeugt, nämlich durch die von Roll AG in Gerlafingen, die Aktiengesellschaft der von Moos'schen Eisenwerke in Luzern, die Monteforno Stahl- und Walzwerke AG in Bodio und die Ferrowohlen AG in Wohlen. Diese Werke stellen hochwertige Armierungsstähle her, die im Eisenbetonbau eine führende Rolle spielen.
Der schweizerische Eisenhandel ist auf der EngrosStufe im Eisenverband organisiert, dem 10 Import- und Grosshandelsfirmen angehören. Auf der Detailstufe wurden vier regionale Eisenhändler-Konventionen abgeschlossen, die zusammen mehr als 160 Mitglieder haben. Die regionalen Eisenhändlerkonventionen sind unter sich und mit dem Eisenverband durch Verträge verbunden. Der Eisenverband und die Detailkonventionen setzen Preise und Lieferungsbedingungen fest und sehen Sanktionen für deren Verletzung vor. Zwischen den Detailkonventionen

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und einer Reihe von Verbraucherverbänden bestehen Verträge, wonach die Mitglieder dieser Verbände verpflichtet sind, Konventions-Artikel ausschliesslich bei Verbandshändlern zu beziehen.
Die Miniera AG in Basel, eine Kohlenimportfirma, nahm im Jahre 1947 auch den Import von Eisen und Stahl auf. Sie gründete zu diesem Zweck mehrere Tochtergesellschaften. 1959 nahm sodann die mit der Miniera AG verbundene Kohlenhandelsfirma Hänggi & Co. AG auch das Detailgeschäft mit Eisen und Stahl auf. Alle die erwähnten Firmen sind durch Beteiligungsverhältnisse miteinander verbunden. Die Leitung der ganzen Gruppe liegt in der Hand des Verwaltungsratspräsidenten der Muttergesellschaft Miniera AG Diese befasst sich hauptsächlich mit dem Import; sie ist Vertreterin der Ferrostaal AG in Essen. Sie betätigt sich sodann im Engros-Handel und beliefert die übrigen der Gruppe angehörenden Gesellschaften, die das Detailgeschäft betreiben. Die Gesellschaften gehören weder dem Eisenverband noch einer regionalen Eisenhändlerkonvention an.
B.- Am 7. Juli 1960 reichten die der Miniera-Gruppe angehörenden sechs Firmen beim Handelsgericht Zürich Klage ein gegen die drei Zürcher Firmen Küderli & Co., Pestalozzi & Co. und Julius Schoch & Co., die Mitglieder des Eisenverbandes und zugleich der Eisenhändler-Konvention Zürich-Ostschweiz (Z - O) sind.
Die Klägerinnen machten geltend, die Beklagten spielten eine führende Rolle im Eisenverband und seien daher verantwortlich dafür, dass dieser und die ihm unterworfenen regionalen Detailkonventionen im Einvernehmen mit den schweizerischen Eisen- und Stahlwerken die Klägerinnen boykottierten, um sie aus dem Eisenhandel zu verdrängen.
Zum Nachweis für die Behauptung, dass ein Boykott vorliege, brachten die Klägerinnen im wesentlichen vor: Es werde ihnen die Aufnahme in die Detailkonventionen verweigert, so dass sie von der Belieferung mit Konventionsartikeln

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ausgeschlossen seien. Auf Grund der Bindungen zwischen dem Eisenverband und den schweizerischen Eisenwerken lehnten diese eine Belieferung der Klägerinnen ab. Infolgedessen erhielten diese keinen Armierungsstahl, der wegen seiner grossen Bedeutung im Eisenbetonbau für jeden Eisenhändler lebenswichtig sei. Armierungsstahl der Werke von Roll, von Moos und Monteforno sei für die Klägerinnen überhaupt nicht und solcher von Ferrowohlen nur auf dem Umweg über die Handelsfirma Walzstahl AG in Basel erhältlich.
Gestützt auf den von ihnen behaupteten Sachverhalt beantragten die Klägerinnen unter anderem:
1. Die Verurteilung der Beklagten, sämtlichen dem Eisenverband angeschlossenen Organisationen und Firmen mitzuteilen, dass die Aufnahme und Belieferung der Klägerinnen gestattet sei;
2. die Verurteilung der Beklagten, den schweizerischen Eisenwerken mitzuteilen, dass der Belieferung der Klägerinnen nichts entgegenstehe;
3. die Verurteilung der Beklagten zu folgenden Schadenersatzleistungen:
a) Fr. 2 000 000.-- für den Schaden der Klägerinnen bis zur Klageeinreichung;
b) Fr. 50 000.-- monatlich während der weiteren Dauer von Boykott und Diskriminierung, nämlich solange die schweizerischen Eisenwerke die Klägerinnen nicht in gleicher Weise wie andere Eisenhandelsfirmen beliefern.
C.- Das Handelsgericht Zürich wies diese Begehren gemäss Antrag der Beklagten ab.
Das Bundesgericht hat die Berufung der Klägerinnen hiegegen abgewiesen und den angefochtenen Entscheid bestätigt, im wesentlichen auf Grund der folgenden
 
Erwägungen:
1. Am 15. Februar 1964 ist das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1962 über Kartelle und ähnliche Organisationen (KG) in Kraft getreten. Es ist deshalb in erster Linie

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zu prüfen, ob und inwieweit dessen Bestimmungen bei der Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites heranzuziehen sind.
Das KG enthält keine übergangsrechtlichen Vorschriften. Es wird lediglich in Art. 23 Abs. 1 bestimmt, soweit das Gesetz nichts Abweichendes vorsehe, seien auf Kartelle und ähnliche Organisationen die Bestimmungen des ZGB, insbesondere jene über das OR, anwendbar.
Aus dieser Vorschrift ist zu folgern, dass sich der zeitliche Geltungsbereich des KG nach den einschlägigen Bestimmungen des ZGB und des OR richtet. Da Art. 1 der Schluss- und Übergangsbestimmungen des OR auf die Vorschriften des Schlusstitels des ZGB verweist, sind dessen Bestimmungen massgebend. Es gilt somit der in Art. 1 SchlT ZGB aufgestellte Grundsatz der Nichtrückwirkung des Gesetzes. Die Bestimmungen des KG gelten daher nur für Tatsachen, die nach dem 15. Februar 1964 eingetreten sind, während für vorher eingetretene die damals geltenden Rechtsnormen weiterhin massgebend bleiben.
Mit den Berufungsbegehren 1 und 2 fordern die Klägerinnen die Beseitigung von wettbewerbsbehindernden Massnahmen der Beklagten, durch welche sie nach ihrer Ansicht in ihren Rechten verletzt werden. Die Gutheissung solcher Beseitigungsbegehren setzt voraus, dass die Beeinträchtigung in dem für das Urteil massgebenden Zeitpunkt noch bestanden hat (BGE 88 II 179 f.). Massgebender Zeitpunkt in diesem Sinne ist nach dem diese Frage beherrschenden kantonalen Prozessrecht, wie die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich entschieden hat, der Tag der Urteilsfällung, also der 14. April 1964. Die Begründetheit der Berufungsbegehren 1 und 2 beurteilt sich somit nach den Bestimmungen des KG.
Das Berufungsbegehren 3 hat Schadenersatzansprüche zum Gegenstand. Soweit sich diese auf Wettbewerbsbehinderungen aus der Zeit vor dem 15. Februar 1964 stützen, sind sie nach altem Recht zu beurteilen. Der

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Anspruch auf Ersatz eines nach dem genannten Tag entstandenen Schadens dagegen unterliegt dem neuen Recht.
Die Klägerinnen behaupten in erster Linie, die gänzliche Lieferungsverweigerung der drei älteren Eisenwerke von Roll, von Moos und Monteforno, sowie die Verweigerung unmittelbarer Belieferung durch das 1955 gegründete Werk Ferrowohlen beruhe auf einer Kartellabrede zwischen den Werken einerseits und den Händlerverbänden sowie den Beklagten als deren Mitgliedern anderseits. Sie streben danach, die Wettbewerbsbehinderung, welche diese Kartellabrede für sie zur Folge habe, durch den Richter beseitigen zu lassen. Zu diesem Zwecke beantragen sie mit Berufungsbegehren 2, die Beklagten seien zu verpflichten, den Eisenwerken gegenüber zu erklären, sie hätten gegen die Belieferung der Klägerinnen mit sämtlichen Erzeugnissen der schweizerischen Eisenwerke nichts einzuwenden.
Nach den Ausführungen des Handelsgerichts haben die Klägerinnen jedoch nicht nachzuweisen vermocht, dass zwischen den Beklagten oder den Verbänden, denen sie angehören, und den Stahlwerken eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung getroffen worden ist, wonach den Werken eine Belieferung der Unternehmen der Miniera-Gruppe verwehrt wäre. Wie im angefochtenen Entscheid weiter ausgeführt wird, haben die Klägerinnen auch nicht dargetan, dass die Lieferungsverweigerung der

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Werke auf einen Druck oder eine sonstige Einflussnahme seitens der Beklagten oder der Verbände des Eisenhandels zurückzuführen sei. Das Handelsgericht ist auf Grund seiner Beweiserhebungen vielmehr zum Schluss gelangt, dass die Werke die Belieferung der Klägerinnen aus eigenem Entschluss, zur Wahrung ihrer eigenen Interessen ablehnen. Der angefochtene Entscheid stellt somit fest, dass die von den Klägerinnen in dieser Hinsicht behauptete Wettbewerbsbehinderung ausschliesslich die Folge des Verhaltens der am vorliegenden Prozess nicht beteiligten Werke ist. Die Vorinstanz verneint also mit andern Worten das Bestehen eines Kausalzusammenhanges zwischen einem Verhalten der Beklagten und einer durch die Lieferungsverweigerung der Werke bewirkten Beeinträchtigung der Klägerinnen.
Diese Feststellungen betreffen tatsächliche Verhältnisse; sie sind daher gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlich, sofern sie nicht auf einem offensichtlichen Versehen der Vorinstanz beruhen oder unter Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande gekommen sind.
(Es folgen Ausführungen darüber, dass die von den Klägerinnen in dieser Hinsicht erhobenen Rügen unbegründet sind).


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Von einer gesellschaftsrechtlichen Haftung in dem von den Klägerinnen behaupteten Sinne kann jedoch nicht die Rede sein. Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides bieten keinen Anhaltspunkt für das Bestehen von Abmachungen der Beklagten mit den Werken, die zwischen ihnen eine einfache Gesellschaft im Sinne von Art. 530 ff. OR begründen würden. Die Vorinstanz hat im Gegenteil ausdrücklich festgestellt, dass kein solcher Vertrag habe nachgewiesen werden können, mit dem die Werke sich den Händlern gegenüber verpflichtet hätten, die Klägerinnen nicht zu beliefern. Das von den Klägerinnen behauptete Bestehen eines Systems von Verträgen unter den Werken einerseits und unter den Händlern anderseits vermag den fehlenden Gesellschaftsvertrag zwischen den beiden Gruppen nicht zu ersetzen. Für einen solchen bedürfte es des Nachweises gemeinsam beschlossener und durchgeführter Massnahmen, d.h. einer Kartellabrede im Sinne von Art. 2 KG.
Abgesehen hievon trifft nicht zu, dass jedes Mitglied einer einfachen Gesellschaft für die von den übrigen Gesellschaftern begangenen unerlaubten Handlungen solidarisch hafte. Eine solche Haftung besteht nur für die von den Gesellschaftern gemeinsam oder durch einen Vertreter eingegangenen Verpflichtungen (Art. 544 Abs. 3 OR). Für die unerlaubten Handlungen eines Gesellschafters haften dagegen die übrigen nicht, sofern er nicht mit ihrem Einverständnis gehandelt hat (BGE 84 II 383).
Auch die von den Klägerinnen weiter angerufene solidarische Haftung mehrerer Schädiger nach Art. 50 OR setzt ein gemeinsames Handeln voraus, das im Falle eines Boykottes nur in einer bewussten und gewollten Teilnahme an diesem bestehen kann. Der Umstand, dass die Werke, also Dritte, eine Belieferung der Klägerinnen ablehnen, vermag keine Deliktshaftung der Beklagten zu begründen, selbst wenn sie vom Vorgehen der Werke Kenntnis hatten und dieses sich indirekt zu ihrem Vorteil auswirkte. Entscheidend ist, dass sie nicht beteiligt waren an

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der Beschlussfassung über diese Massnahmen, sondern dass diese, wie bereits ausgeführt wurde, von den Werken aus eigenem Entschluss, zur Wahrung ihrer eigenen Interessen getroffen wurden, und daher auch der Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und der in Frage stehenden schädigenden Handlung der Werke fehlt.
Die Betrachtungsweise der Klägerinnen setzt somit einerseits einen Sachverhalt voraus, der in den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils keine Stütze findet, und anderseits beruht sie auf rechtlich unhaltbaren Auffassungen über den Begriff der Solidarität.
Eine Heranziehung von Art. 3 KG scheitert jedoch schon daran, dass nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz zwischen der Lieferungsverweigerung der Werke und den von den Händlerverbänden und den Beklagten gegenüber den Klägerinnen vorgekehrten Massnahmen kein ursächlicher Zusammenhang besteht. Auf Grund der vorinstanzlichen Feststellungen hat das Bundesgericht vielmehr davon auszugehen, dass die Werke aus eigenem Entschluss, in Verfolgung ihrer eigenen Interessen, eine Belieferung der Klägerinnen mit Armierungsstählen ablehnen, ohne dass dabei eine Rücksichtnahme oder Ausrichtung auf die Wünsche oder Interessen des Handels eine Rolle gespielt hätten.
Wenn die Vorinstanz bei dieser Sachlage ein "gegenseitiges Abstimmen" zwischen dem Verhalten der Werke einerseits und demjenigen der Händlerverbände anderseits verneint, so ist sie dabei nicht von einem unzutreffenden

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Begriff des "gegenseitigen Abstimmens des Verhaltens" ausgegangen. Denn wie immer man im übrigen diesen Rechtsbegriff umschreiben mag, so steht doch auf jeden Fall das Eine fest, dass er einen irgendwie gearteten Zusammenhang im Verhalten der beteiligten Unternehmen erfordert.
Scheidet eine "kartellähnliche Organisation" zwischen Werken und Händlerverbänden schon aus diesem Grunde aus, so braucht nicht entschieden zu werden, ob die erste Voraussetzung erfüllt wäre, die Art. 3 KG im einleitenden Satz für das Vorliegen einer solchen aufstellt, nämlich dass die in Frage stehenden Unternehmen "den Markt für bestimmte Waren... beherrschen oder massgeblich beeinflussen". Ebenso kann offen bleiben, wie der Zusammenhang des Verhaltens der beteiligten Unternehmen beschaffen sein müsste, um als "stillschweigendes Abstimmen" gelten zu können, und ob ein solches nur in Bezug auf Unternehmen der gleichen Marktstufe (also für das Verhältnis zwischen Produzenten oder dasjenige von Unternehmen des Grosshandels oder solchen des Kleinhandels je unter sich) denkbar wäre. Da das Verhalten der Werke, die am vorliegenden Prozess nicht beteiligt sind, ausser Betracht zu bleiben hat, braucht nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz auch nicht geprüft zu werden, ob die Weigerung der Werke, die Klägerinnen zu beliefern, auf einer Abrede oder einem stillschweigenden Abstimmen der Werke unter sich beruhe. Ebenso kann dahingestellt bleiben, welches die Gründe für dieses Verhalten der Werke seien und ob es mit Rücksicht auf das Geschäftsgebaren der Klägerinnen als berechtigt betrachtet werden könnte, weil sie gemäss den Behauptungen der Beklagten den schweizerischen Markt durch Unterbietung der landesüblichen Preise gestört haben. Alle diese Fragen liegen, da sich die Klage nicht gegen die Werke richtet, ausserhalb des Rahmens des vorliegenden Prozesses.
5. Nach dem Gesagten ist sowohl das Vorliegen einer Kartellabrede zwischen den Werken und den Verbänden

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des Handels im Sinne von Art. 2 KG, als auch das Bestehen einer kartellähnlichen Organisation gemäss Art. 3 KG zwischen ihnen zu verneinen. Soweit sich die Berufung gegen die Abweisung von Berufungsbegehren 2 richtet, ist sie daher unbegründet.
Die Fassung dieses Begehrens lässt seine Zulässigkeit als zweifelhaft erscheinen. Nach Art. 6 Abs. 1 KG hat der durch eine unzulässige Wettbewerbsbehinderung Betroffene Anspruch auf Feststellung der Widerrechtlichkeit, auf Unterlassung der Vorkehren und Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes, auf Ersatz des Schadens bei Verschulden und auf Genugtuung im Falle von Art. 49 OR. Art. 6 Abs. 2 KG sodann bestimmt, zur Durchsetzung des Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs könne der Richter auf Begehren des Klägers anordnen, dass diesem gegenüber Kartellverpflichtungen unverbindlich seien; nötigenfalls könne er auch die Beteiligung des Klägers am Kartell mit den damit verbundenen Rechten und Pflichten oder die Aufnahme des Klägers in den Verband verfügen.
Seinem Wortlaut nach fällt das Berufungsbegehren 1 unter keinen der in Art. 6 KG vorgesehenen Ansprüche. Die Klägerinnen verlangen vielmehr nur die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass bestimmter Mitteilungen an die Händlerverbände und deren übrige Mitglieder. Es liesse sich allenfalls erwägen, ob eine Mitteilung des von den

BGE 90 II 501 (512):

Klägerinnen beantragten Inhalts nicht als eine besondere Form der Störungsbeseitigung zu betrachten sei, die der Richter gleich den in Art. 6 Abs. 2 KG vorgesehenen Massnahmen anordnen könne. Unter der Herrschaft des früheren Rechtes hat das Bundesgericht die Verpflichtung einer Partei, derartige Mitteilungen vorzunehmen, als zulässiges und geeignetes Mittel zur Beseitigung eines gegen die Grundsätze des Persönlichkeitsrechts verstossenden und darum unzulässigen Boykotts betrachtet (BGE 76 II 295). Allerdings hatte in jenem Fall die Mitteilung von einem Grosshandelsverband auszugehen, auf dessen Verträgen mit den Produzenten einerseits und den Verbrauchern anderseits der Boykott beruhte, und die Mitteilung war an die Partner dieser Verträge zu richten, während vorliegend einzelne Firmen dazu verhalten werden sollen, die Mitteilung den Verbänden zukommen zu lassen, in denen sie angeblich eine führende Rolle spielen.
Die Frage der Zulässigkeit des Berufungsbegehrens 1 kann indessen offen gelassen werden, da auf jeden Fall die sachlichen Voraussetzungen für seine Gutheissung fehlen.
Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellung des Inhaltes, dass die Wettbewerbsbehinderungen, die von den Beklagten den Klägerinnen gegenüber getroffen worden sind, deren gänzlichen Ausschluss vom Wettbewerb bezweckt oder bewirkt hätten. Es kann sich daher lediglich fragen, ob diese Vorkehren auf eine "erhebliche Behinderung" der Klägerinnen abzielen oder eine solche zur Folge haben. Der Begriff des unzulässigen Boykottes wird damit von einem quantitativen Element abhängig gemacht. Gegen dieses Erfordernis der Erheblichkeit der

BGE 90 II 501 (513):

Behinderung sind im Schrifttum Bedenken geäussert worden (MERZ, Der mögliche Wettbewerb, Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, 1959, S. 431; DESCHENEAUX, La nouvelle jurisprudence du Tribunal fédéral en matière de boycott, Wirtschaft und Recht, 1961, S. 148). Nach der Auffassung dieser Autoren schützt das KG damit die Wettbewerbsfreiheit in geringerem Masse als die bisherige Boykottrechtsprechung des Bundesgerichts, welche eine solche Erheblichkeit der Behinderung nicht vorausgesetzt habe.
Dieser Ansicht kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Sowohl nach dem letzten Stand der Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des KG (BGE 86 II 376 ff.) als auch nach dem neuen Recht ist der Boykott unerlaubt, weil er das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt, nämlich sein Recht auf freie Betätigung seiner Persönlichkeit im Wirtschaftsleben. Die Unterlassung wirtschaftlicher Beziehungen ist aber, selbst wenn sie auf Verabredung beruht, nicht an sich schon unzulässig. Sie ist es nur, soweit sie einem Dritten die Ausübung einer normalen Tätigkeit verwehrt, indem sie seine wirtschaftliche Freiheit aufhebt oder übermässig einschränkt. Eine solche Persönlichkeitsverletzung kann sich begriffsmässig nur aus einer Behinderung der wirtschaftlichen Betätigung ergeben, die eine gewisse Intensität aufweist. Ein bloss vorübergehender Eingriff, wie auch ein Eingriff von geringer Tragweite, der lediglich Unzukömmlichkeiten von untergeordneter Bedeutung mit sich bringt, stellen keine Verletzungen der wirtschaftlichen Persönlichkeit dar. Denn diese ist, sowenig wie die andern von der Rechtsordnung anerkannten Freiheitsrechte, kein absolutes und schrankenloses Recht. Die Erheblichkeit der Wettbewerbsbehinderung ist daher ein Begriffsmerkmal des unzulässigen Boykottes sowohl nach der früheren Rechtsprechung als auch nach dem neuen Recht.
9. Die von einem Kartell getroffenen diskriminierenden Massnahmen sind somit nur unerlaubt, wenn sie

BGE 90 II 501 (514):

die Wettbewerbstätigkeit erheblich behindern. Wer Unzulässigkeit eines Boykottes behauptet, muss dartun, dass alle in Art. 4 KG umschriebenen Begriffsmerkmale der Unzulässigkeit gegeben sind. Er hat daher auch zu beweisen, dass die gegen ihn gerichteten Massnahmen eine erhebliche Wettbewerbsbehinderung bezwecken oder bewirken.
Lässt man die Nichtbelieferung mit Armierungsstählen beiseite, die ausschliesslich auf Massnahmen der Stahlwerke beruht und daher hier ausser Betracht zu bleiben hat, so enthält das angefochtene Urteil keine Feststellung über die beabsichtigten oder tatsächlich eingetretenen Wirkungen der diskriminierenden Massnahmen, welche die mit dem Berufungsbegehren 1 ins Recht gefassten Beklagten über die Klägerinnen verhängt haben. Die Vorinstanz hat sich auf die Feststellung beschränkt, dass die von Seiten des Handels veranlassten Behinderungen der Klägerinnen (also die Nichtbelieferung durch die Mitglieder der Händlerverbände und die durch die sog. Handwerkerabkommen bewirkten Absatzerschwerungen) "nur von untergeordneter Bedeutung" seien.
Es geht daher nicht an, aus dem Bestehen diskriminierender Massnahmen der Händlerverbände gegenüber den Klägerinnen ohne weiteres zu folgern, die dadurch bewirkte Behinderung weise auch die nach dem Gesetz für ihre Unzulässigkeit erforderliche Intensität auf. Gewiss dürfen an den Beweis dieser Erheblichkeit keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Häufig wird schon die blosse Tatsache des Boykottes eine Vermutung für seine Erheblichkeit begründen; denn es ist anzunehmen, dass die Urheber eines Boykottes die getroffenen Massnahmen kaum beschlossen hätten, wenn sie von ihnen nicht Wirkungen von einer gewissen Bedeutung erhoffen würden. Im vorliegenden Fall stellt aber, wie bereits oben (Erw. 2) hervorgehoben wurde, die Weigerung der Werke, die Klägerinnen mit Armierungsstählen zu beliefern, das Element dar, dem auch nach der Auffassung der Klägerinnen selber die weitaus überragende Bedeutung zukommt.


BGE 90 II 501 (515):

Man darf in der Tat ohne Bedenken davon ausgehen, dass es für die Klägerinnen, die eine bedeutende Wirtschaftsgruppe mit sicheren und leistungsfähigen Bezugsquellen im Ausland bilden, keine erhebliche Behinderung bewirke, wenn sie von ihren Konkurrenzunternehmen nicht beliefert werden. Denn einerseits ist die Muttergesellschaft Miniera AG selber ein Import- und Grosshandelsunternehmen, das die Vertretung des Werkes Ferrostaal AG in Essen innehat, und anderseits leuchtet ein, dass als Lieferanten eines Grossisten nicht andere Grossisten, sondern in erster Linie die Produzenten in Betracht kommen.
Aus diesen Erwägungen geht es daher nicht an, aus dem blossen Bestehen der von den Händlerverbänden getroffenen Massnahmen gestützt auf eine natürliche Vermutung den Schluss zu ziehen, es liege auch eine erhebliche Wettbewerbsbehinderung der Miniera-Gruppe vor.
Die Klägerinnen behaupten in der Berufungsschrift nicht, den ihnen obliegenden Beweis für dieses Merkmal der Erheblichkeit der Behinderung angetragen zu haben. Sie machen auch nicht geltend, dass das Handelsgericht in diesem Punkte durch die Ablehnung von ihnen gestellter Beweisanträge Art. 8 ZGB verletzt habe. Für das Bundesgericht, das nach Art. 63 Abs. 2 OG ausschliesslich auf den im angefochtenen Urteil festgehaltenen Sachverhalt abzustellen hat, ergibt sich daraus die rechtliche Folgerung, dass das Berufungsbegehren 1 wegen Nichtvorliegens eines Begriffsmerkmals des Boykotts abzuweisen ist.