BGE 91 II 474 |
64. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1965 i.S. Schweizerische Genossenschaft für Gemüsebau Kerzers gegen den Kanton Zürich. |
Regeste |
Haftung des Kantons für die Folgen des Überlaufens eines unter seiner Hoheit stehenden öffentlichen Gewässers. Art. 664 und 679 ZGB. Art. 58 OR. |
"Natürlicher Bach" als öffentliches Gewässer nach zürcherischem Recht. |
Die Beweislast für Eigentum Privater am Bachbett trifft den auf Schadenersatz belangten Kanton. (Erw. 2-4). |
2. Eine Haftung des Staates aus Art. 679 ZGB kann sich nicht nur bei Ausübung einer aus dem Privatrecht fliessenden Befugnis, sondern auch bei Ausübung der staatlichen Hoheit ergeben, sofern sich die Schadensfolgen ohne unzumutbare Aufwendungen hätten vermeiden lassen. (Erw. 5). |
3. Der Werkeigentümer haftet nach Art. 58 OR nicht bloss für eine Schädigung von Personen und beweglichen Sachen, sondern ebenso für eine Schädigung benachbarter Grundstücke. Diese Haftung kann neben eine Haftung aus Art. 679 ZGB treten oder für sich allein bestehen. (Erw. 6 und 7). |
4. Ob die Anlage oder Herstellung eines Werkes als fehlerhaft oder dessen Unterhalt als mangelhaft zu gelten habe, ist nach dem Zweck zu entscheiden, zu dem es projektiert und errichtet wurde. - Bei einer Geländemelioration in bestimmter Weise angelegtes und dimensioniertes Bachbett als Werk zur Vermeidung von Überschwemmungen auch bei Hochwasser. Sind Regengüsse von ungewöhnlicher Stärke als höhere Gewalt zu betrachten? Frage im vorliegenden Falle verneint (Erw. 8). |
Sachverhalt |
A. Die Klägerin betreibt den Gemüsebau auf einem in den zürcherischen Gemeinden Otelfingen und Dänikon im Furttal gelegenen Gut, das teils ihr gehört, teils ihr verpachtet ist. Das Gut grenzt südlich an den die Talsohle von Osten nach Westen durchfliessenden Furtbach, südöstlich an den von rechts in diesen mündenden Bennengraben, einen Bach aus einem Einzugsgebiet von etwa 1,8 km2, welcher seinen Lauf bei einer Melioration des Furttales einige Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges erhielt. |
B. Am 13. Juni 1946 trat der Bennengraben bei Hochwasser über die Ufer. Die Klägerin gelangte deshalb an die kantonalen Behörden. Sie machte geltend, das aus dem Bennengraben ausgetretene Wasser habe ihr Gebiet überschwemmt und dadurch einen Schaden von Fr. 23'000.-- verursacht, und verlangte verschiedene Verbesserungen an dem nach ihrer Ansicht mangelhaften Wasserlauf. Es wurde ihr im Mai 1947 mitgeteilt, die Gemeinde Buchs (durch deren Gebiet der Bennengraben zum Teil fliesst) habe für den Unterhalt dieses Wasserlaufes zu sorgen und verschiedenen Verbesserungsmassnahmen zugestimmt. Auf der rechten Bachseite werde der oberhalb des den Bach überquerenden Mittelweges weggepflügte Damm wieder anzuschütten sein. Die Bachsohle werde man jährlich mindestens zweimal ausmähen. - Die Klägerin hatte zur Vermeidung von Überschwemmungen ausserdem vorgeschlagen, den Bennengraben zu erweitern, die Dämme zu erhöhen und die 80 cm Zementröhren bei der erwähnten Wegüberführung durch solche von mindestens 100 bis 120 cm zu ersetzen.
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In den folgenden Jahren wurde weder das weggepflügte Dammstück wieder angeschüttet noch der Durchlass beim Mittelweg erweitert. Wie es mit dem Ausmähen und Ausräumen der Bachsohle gehalten wurde, ist umstritten.
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C. In der Nacht vom 25. auf den 26. Juni 1953 fiel in jener Gegend starker Regen. Das Gut der Klägerin wurde überschwemmt. Die Klägerin schrieb dies dem Umstande zu, dass das Wasser des Bennengrabens wegen Mangelhaftigkeit dieses Zuleitungskanals über das rechte Ufer getreten sei. Sie erklärte den Kanton Zürich als Eigentümer des Bennengrabens haftbar für den an ihren Kulturen erlittenen Schaden, den sie mit Fr. 98'900.-- angab.
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D. Demgemäss verlangte die Klägerin mit der am 18. April 1956 beim Bundesgericht eingereichten Klage die kostenfällige Verurteilung des Kantons Zürich zur Zahlung von Fr. 98'900.-- nebst Zins.
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Der Beklagte verlangte die kostenfällige Abweisung der Klage. Er lehnte seine Haftung in erster Linie deshalb ab, weil er nicht Eigentümer des Bennengrabens sei, und bestritt sodann das Vorliegen eines Haftungsgrundes nach Art. 679 ZGB wie auch nach Art. 58 OR.
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E. Nach Abschluss des Schriftenwechsel durch Replik und Duplik fand am 3. April 1958 eine Vorbereitungsverhandlung mit Einvernahmen und Augenschein statt. In der ersten Hauptverhandlung vom 25. Juni 1959 wurde die Angelegenheit als nicht spruchreif befunden. Nach ergebnislos gebliebenen Vergleichsverhandlungen beauftragte der Instruktionsrichter am 5. Oktober 1961 zwei Experten mit der Abklärung und Begutachtung verschiedener Fragen (Mängel der Anlage und des Unterhaltes des Bennengrabens; Kausalzusammenhang solcher Mängel mit dem Schaden). Das Gutachten ging am 29. September 1963 ein. |
Durch Teilvergleich vom 23. Juni /10. August 1964 setzten die Parteien den Schadensbetrag auf Fr. 90'000.-- fest. Die Klägerin ermässigte ihr Begehren dementsprechend.
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Am 7. Juni 1965 wurden zwei Ergänzungs- bezw. Erläuterungsfragen zum Expertenbefund beantwortet.
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F. In der heutigen Verhandlung hat die Klägerin ihr auf den Hauptbetrag von Fr. 90'000.-- ermässigtes Begehren erneuert und der Beklagte neuerdings Abweisung der Klage beantragt.
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Das Bundesgericht heisst die Klage im Teilbetrag von Fr. 50'000.-- nebst Zins gut.
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Aus den Erwägungen: |
2. Die Klägerin stützt ihren Schadenersatzanspruch auf die durch Art. 679 ZGB begründete Verantwortlichkeit des Grundeigentümers und auf die in Art. 58 OR vorgesehene Haftung des Werkeigentümers. Die behauptete Ersatzpflicht des Beklagten setzt daher in erster Linie voraus, dass es sich beim Bennengraben um ein Grundstück handelt, das im Eigentum (ein beschränktes dingliches Recht wie insbesondere ein Baurecht, BGE 88 II 264, kommt hier nicht in Betracht) oder doch (im Sinne des Art. 664 Abs. 1 ZGB) "unter der Hoheit" des Kantons Zürich steht. Dieses Hoheitsrecht greift Platz, wenn der Bennengraben ein öffentliches Gewässer ist und nicht nachweisbar in jemandes Privateigentum steht (Art. 664 Abs. 1 und 2 ZGB und § 1 des Zürcher Wasserbaugesetzes vom 15. Dezember 1901, wonach als öffentliche Gewässer "alle Seen, natürlichen Teiche, Flüsse und Bäche" gelten, "soweit sie nicht nachweisbar im Privateigentum sich befinden"). Der Bennengraben untersteht dieser kantonalrechtlichen Vorschri ft auch dann, wenn man das Beiwort "natürlichen" nicht bloss auf die Teiche, sondern auch auf die "Flüsse und Bäche" bezieht. Denn unter einem natürlichen Bach ist auch ein solcher zu verstehen, dessen ursprünglicher Lauf nur zum Zwecke des bessern Abflusses verändert worden ist. Als nicht "natürlich" sind Kanäle zu betrachten, die zu andern Zwecken als dem blossen Ablauf des Quell-, Regen- und Schmelzwassers errichtet worden sind, so etwa zum Betrieb einer Mühle oder einer Fischzucht. Der Bennengraben dient nun, nach wie vor Veränderung seines Laufes, nichts anderem als dem Ablauf des in der Umgebung seines obern Teiles fallenden Regens und Schnees. Er hat diesen Charakter auch dadurch nicht verloren, dass ihm im obern Teil Wasserläufe zugeleitet wurden, die früher ihren Weg nach einer andern Seite hin genommen hatten. |
a) In erster Linie verweist der Beklagte darauf, dass der Bennengraben durch Land verläuft, das vor der Korrektion zweifellos Privateigentum dargestellt habe. Gemäss einem Beschluss des Zürcher Regierungsrates vom 9. Dezember 1916 sei bei Bachkorrektionen das Gewässer zu vermarken und dem Staate zu übertragen. Eine solche Übertragung habe für den Bennengraben nie stattgefunden. |
Dem ist entgegenzuhalten, dass das Fehlen eines förmlichen Übertragungsaktes, zumal eines solchen des eidgenössischen Privatrechts, nicht als Nachweis eines Eigentums Privater gelten kann. Die Ansicht des Beklagten, zur Übertragung im Sinne jenes Regierungsratsbeschlusses hätte es eines zivilrechtlichen Veräusserungsgeschäftes wie Kauf oder Schenkung bedurft, trifft nicht zu. Angesichts des öffentlichen Zwecks der Inanspruchnahme von Land für eine Gewässerkorrektion hat man es mit einer nach kantonalem Rechte zu beurteilenden Enteignung zu tun. Hiefür schreibt der erwähnte Regierungsratsbeschluss keine besondere Form vor, sondern bestimmt in Dispositiv I: "Bei der Korrektion öffentlicher Gewässer... geht das Areal des neuen Bachlaufes... samt den Böschungen in das Eigentum des Staates." Das für eine Korrektion beanspruchte Land geht somit unmittelbar durch die tatsächliche Inanspruchnahme, also durch die Verlegung des Bachlaufes, aus dem Eigentum eines Privaten in dasjenige des Kantons über (wobei die Frage der Entschädigung oder des Ausgleiches durch Zuweisung von Land oder durch andere Vorteile hier nicht zu prüfen ist; vgl. Art. 659 ZGB).
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Eine Ausnahme gilt nach § 3 Abs. 2 des Wasserbaugesetzes nur für Böschungen und Dämme korrigierter Gewässer, welche (vorerst) "den Anstössern überlassen wurden"; sie sind "nötigenfalls auf dem Wege der Zwangsabtretung zu erwerben und abzumarken". Es liegt jedoch nichts dafür vor, dass bei der Korrektion des Bennengrabens die Böschungen den Anstössern überlassen wurden. Für das Gegenteil spricht der Umstand, dass, wie der Augenschein ergeben hat, an zwei Stellen auf der Uferböschung Marksteine sichtbar sind. Das lässt darauf schliessen, dass nach der Korrektion eine Vermarkung im Sinne von § 3 Abs. 1 des Wasserbaugesetzes stattfand, eben zum Zwecke, die Böschungen laut dieser Gesetzesnorm "als Bestandteile des Fluss- oder Bachgebietes zu bezeichnen".
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b) Sodann beruft sich der Beklagte darauf, dass in gewissen Kaufverträgen über anstossendes Land die Hälfte des Bennengrabens mitverkauft wurde. So verkaufte am 16. Januar 1923 die Gemeinde Buchs der Vereinigung für Innenkolonisation 5 ha 47 a 40 m Pflanzland, auf der einen Seite grenzend "an die Strasse und an Bennengraben", und dazu "zehn Aren 60 m unproduktives Land, Hälfte des Bennengrabens". Das lässt jedoch auf die wirklichen Eigentumsverhältnisse keinen sichern Schluss zu. Einmal wurde für die in den Kaufverträgen als "unproduktives Land" bezeichneten Teile des Bennengrabens jeweilen nichts bezahlt. Den Kaufparteien mochte es daher als gleichgültig erscheinen, wer in Wahrheit Eigentümer des Bennengrabens sei. Im übrigen kann nicht angenommen werden, sie hätten an die Bedeutung dieser Frage für die Haftung aus Art. 679 ZGB und Art. 58 OR gedacht. Namentlich aber kann es auf die Meinung der Kaufparteien gar nicht ankommen, da der die öffentlichen Gewässer beherrschende Kanton an jenen Vertragsabschlüssen nicht mitwirkte. |
Der Beklagte verweist ferner auf den am 24. Mai 1929 erfolgten Verkauf von Land durch die Gemeinde Otelfingen an die Klägerin. Darin werden als Grenze des auf der Westseite des Bennengrabens gelegenen Landes die jenseits dieses Grabens liegenden Grundstücke, also das Ostufer, nicht etwa die Bachmitte, genannt. Die Beteiligten kümmerten sich also anscheinend gar nicht um die am Bennengraben bestehenden Eigentumsverhältnisse. Die Klägerin ihrerseits hat einen Kaufvertrag vom 8. Mai und 25. Juni 1929 vorgelegt; danach grenzt das ihr von der Gemeinde Otelfingen auf der Westseite des Bennengrabens verkaufte Stück Land an jene auf der Ostseite gelegenen Grundstücke, zugleich aber "an Bennengraben". Auch in einem Kaufvertrag vom 26. Juni 1929 zwischen der Gemeinde Dänikon und der Klägerin ist angegeben, das Land grenze "östlich an Bennengraben". Bei diesen Vertragsabschlüssen ging man offenbar davon aus, der Bennengraben stehe in niemandes oder aber in des Staates Eigentum, was nach dem Gesagten die objektiv richtige Meinung war.
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Dafür, dass der Kanton selbst den Bennengraben als im Eigentum Privater stehend betrachtet hätte, liegt nichts vor. Vielmehr ergibt sich aus verschiedenen Schriftstücken, dass sowohl die kantonale Baudirektion (Abteilung für Wasserbau und Wasserrecht) wie auch die kantonale Volkswirtschaftsdirektion (Meliorationsamt) den Bennengraben ebenso wie den Furtbach als öffentliches, nicht im Eigentum Privater stehendes Gewässer betrachtet haben.
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Für die Anwendung von Art. 679 ZGB und Art. 58 OR kommt es, wie dargetan (Erw. 3), nur darauf an, dass der Bennengraben ein öffentliches Gewässer ist, gleichgültig ob dieser Gegenstand des staatlichen Hoheitsrechtes als herrenloses Gut zu gelten hat, oder ob dem Kanton geradezu ein Eigentumsrecht daran zusteht. Bei der Schaffung des ZGB zählte man die öffentlichen Gewässer zu den herrenlosen Sachen. Doch kam auch in Kantonen, deren Einführungsgesetz zum ZGB dies nicht festlegte, mehr und mehr die Auffassung auf, die Gewässerhoheit umfasse alle in den Schranken der Rechtsordnung überhaupt zulässigen Herrschaftsbefugnisse, somit ausser den aus dem öffentlichen Recht fliessenden besondern Befugnissen auch die Rechte eines Eigentümers. Diese Auffassung wird von der Rechtslehre gebilligt und hat sich (mit Abweichungen in einzelnen Punkten) auch in der kantonalen Praxis Geltung verschafft, insbesondere im Kanton Zürich (vgl., ausser dem bereits angeführten Regierungsratsbeschluss vom 9. Dezember 1916: BlZR 31 Nr. 168; LIVER, Die Entwicklung des Wasserrechts in der Schweiz seit hundert Jahren, ZSR NF 71 I 330-32). Dem Bennengraben kommt somit die rechtliche Eigenschaft eines dem Kanton Zürich zu Eigentum gehörenden öffentlichen Gewässers zu. |
5. Das Bundesgericht hat nun freilich in BGE 61 II 327, Erw. 3, das Gemeinwesen als Eigentümer öffentlicher Sachen nur insoweit der Haftung nach Art. 679 ZGB unterstellt, als es eine aus dem Privatrecht fliessende Befugnis ausübt, nicht dagegen, soweit es kraft des ihm zustehenden Hoheitsrechts handelt. Auf dieser Betrachtungsweise beruhten bereits BGE 43 II 268 und ein staaatsrechtlicher Entscheid vom 27. April 1934 i.S. Aufdermaur gegen Kanton Schwyz. Sie fand eine Stütze in gewissen Äusserungen der Rechtslehre (HAAB, 2.A., N. 17 und 20 zu Art. 664 und N. 6 zu Art. 679 ZGB; LEEMANN, 2.A., N. 64 zu Art. 664 und N. 33 zu Art. 679 ZGB). Von anderer Seite wurde diese Begrenzung des Anwendungsbereiches von Art. 679 ZGB jedoch kritisch gewürdigt und im allgemeinen abgelehnt (vgl. GUHL, ZBJV 72 S. 541, der von einer "drolligen Unterscheidung" spricht; ferner F. GUISAN, Le domaine public et le droit de voisinage, JdT 1936 S. 298 ff.; LIVER, Die nachbarrechtliche Haftung des Gemeinwesens, ZBJV 99 S. 241 ff., insbesondere S. 249; MEIER-HAYOZ, N 70/71 zu Art. 679 ZGB; FROELICHER, Die Abgrenzung der Haftung des Werkeigentümers nach Art. 58 OR von der Verantwortlichkeit des Grundeigentümers nach Art. 679 ZGB, S. 99/100). Dieser Auffassung ist grundsätzlich beizustimmen. In der Tat ist die Anwendung der nachbarrechtlichen Normen des ZGB (insbesondere des Art. 684) und des damit zusammenhängenden Art. 679 (vgl. BGE 88 II 263 Erw. 3; BGE 91 II 106) gegenüber dem Gemeinwesen (Staat oder Gemeinde) auch dann nicht schlechthin auszuschliessen, wenn es sich um Auswirkungen des Gemeingebrauches oder einer andern Art der Ausübung öffentlicher Gewalt handelt. Gewiss ist der auf öffentlichem Recht beruhenden Zweckbestimmung Rechnung zu tragen. Nachteilige Einwirkungen, die der bestimmungsmässige Gebrauch öffentlicher Sachen für die Nachbarschaft mit sich bringt und die sich nicht oder nicht leicht vermeiden lassen, sind durch das Enteignungsrecht gedeckt und müssen hingenommen werden. An die Stelle der zivilrechtlichen Klagen tritt hiebei der Anspruch auf öffentlich-rechtliche Entschädigung, der sich nach den Grundsätzen des Enteignungsrechtes bestimmt und vor den Enteignungsbehörden geltend zu machen ist (BGE 88 I 195 Erw. 2 und dort angeführte Entscheidungen). Damit ist aber nun im Gegensatz zur erwähnten umstrittenen Rechtsprechung stillschweigend anerkannt, dass die jenen gesetzlichen Rahmen überschreitenden Einwirkungen öffentlicher Sachen - seien es Einwirkungen, die nicht dem bestimmungsmässigen Gebrauch oder Betrieb zuzuschreiben sind, oder solche, die zwar auf eine solche Verwendung der Sache zurückgehen, sich jedoch mit einem zumutbaren Aufwand hätten vermeiden lassen - nicht mehr durch die Ausübung öffentlich-rechtlicher Befugnisse zu rechtfertigen sind und daher zur Anrufung des Art. 679 ZGB Anlass bieten können. Auch das Gemeinwesen untersteht als Herr über unbewegliches Gut dem Nachbarrecht, soweit der öffentlich-rechtliche Zweck jenes Gutes keinen Eingriff in die für private Grundeigentümer geltende Ordnung erfordert (vgl. F. GUISAN, a.a.O., p. 313). Entscheidend ist somit, ob die übermässigen Einwirkungen auf Nachbargrundstücke bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben unvermeidlich (oder doch nur mit unverhältnismässigen Aufwendungen vermeidbar) sind oder nicht. Im ersten Fall ist der Nachbar auf die Geltendmachung einer öffentlich-rechtlichen Entschädigung nach Enteignungsgrundsätzen angewiesen, im zweiten kann er sich mit einer Unterlassungs- und Schadenersatzklage nach Art. 679 ZGB zur Wehr setzen. Auf dieser Betrachtungsweise beruhen, ausser der soeben erwähnten staatsrechtlichen Entscheidung, auch neuere Urteile der II. Zivilabteilung (i.S. Domaine du Rhône gegen Etat du Valais, Erw. 3, vom 17. September 1959, i.S. Fischereiverein Neptun gegen Viertelsgemeinde Schwarzenburg, Erw. 6, vom 12. März 1964, und i.S. Consorzio sistemazione torrentizia, Gordola, gegen Patelli und Kons., Erw. 1, vom 21. Januar 1964). |
Dagegen liegt eine wesentliche Schadensursache im mangelhaften Zustand des Bennengrabens, der über die Ufer trat und das Land der Klägerin überschwemmte, weil
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(erstens) das Bachbett verkrautet und daher das Durchflussprofil allgemein verkleinert war,
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(zweitens) der sog. Mittelwegdurchlass nur einen Durchmesser von 80 cm aufweis - und
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(drittens) der rechtsufrige Damm des Bennengrabens oberhalb des Mittelwegdurchlasses um 20 bis 30 cm abgetragen worden war, sodass die Sohlentiefe des Baches dort nur 1.20 bis 1.30 m (statt 1.50 m) betrug.
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Bei der Melioration hatte man den Lauf des Bennengrabens verlegt und ein neues Bachbett angelegt. Die zu diesem Zweck erstellten Einrichtungen (Bachbett, Damm, Durchlässe mit Einschluss des Mündungsbauwerkes) erfüllen den Werkbegriff, wie ihn Lehre und Rechtsprechung entwickelt haben (vgl. BGE 61 II 254; OFTINGER, Haftpflichtrecht Bd. II S. 31 ff.). Auch die Aufschüttungen links und rechts des Bachbettes sind - entgegen der Auffassung des Beklagten - als Teile des Werkes zu betrachten; denn von ihrer Höhe und Ausdehnung hangen die Sohlentiefe und zum Teil auch das Durchflussprofil ab, so wie beides von den Erstellern des neuen Bachbettes als erforderlich betrachtet wurde (vgl. den Bericht des Kulturingenieurs des Kantons Zürich über die Melioration des Furttales, 1920, S. 35; danach wurde die mittlere Tiefe des Bennengrabens auf 1,50 m festgelegt). Dementsprechend fasste denn auch das kantonale Meliorations- und Vermessungsamt im Frühjahr 1947 als eine der zu treffenden Massnahmen das "stellenweise Wiederanschütten des weggepflügten Hochwasserdammes" am rechten Bachufer ins Auge. Der zu geringe Durchmesser des Mittelwegdurchlasses sowie der sog. Dammabtrag stellen also Werkmängel dar. Die Verkrautung des Bachbettes wirkte sich in ähnlicher Weise aus, da sie das Durchflussprofil verengerte und somit das Werk gleichfalls in einen mangelhaften Zustand versetzte. Dennoch ist sie nicht als eigentlicher Werkmangel zu betrachten. An und für sich ist sie eine natürliche Erscheinung, muss aber durch periodisches Ausmähen immer wieder beseitigt werden, damit das Werk seinen Zweck zu erfüllen vermag. Die Unterlassung dieser Unterhaltsarbeiten kann als "mangelhafte Unterhaltung des Werks" gleichfalls unter Art. 58 OR fallen. |
7. Im bereits (in Erw. 5) erwähnten Urteil BGE 61 II 323 ff., speziell S. 326, wurde indessen das Anwendungsgebiet des Art. 58 OR gegenüber Art. 679 ZGB in der Weise abgegrenzt, dass sich die Haftung aus Art. 58 OR auf die Schädigung von Personen und beweglichen Sachen beschränke, die mit dem betreffenden Werk (zum Beispiel mit einer Strasse, bei deren Benützung) in Berührung kommen; "für Einwirkungen dagegen, die sich aus dem Vorhandensein der Strasse oder aus deren Benützung auf die ihr benachbarten Grundstücke ergeben, findet diese Bestimmung keine Anwendung." Bei solch enger Auslegung des Art. 58 OR könnte sich die in ihrem Grundeigentum geschädigte Klägerin nicht auf diese Bestimmung berufen, sondern nur auf den (unter den gegebenen Umständen, wie dargetan, eine Haftung des Beklagten nicht rechtfertigenden) Art. 679 ZGB. Zur Begründung hiefür wurde ausgeführt, ein in seinem Grundeigentum Geschädigter habe sich nicht auf das Obligationenrecht, sondern auf die sachenrechtlichen Normen, also auf das Nachbarrecht und auf die zugehörige Haftungsnorm des Art. 679 ZGB zu stützen. Das angeführte Urteil beruft sich auch in diesem Punkte auf das Präjudiz i.S. Aufdermaur c. Schwyz (das seinerseits auf BGE 43 II 268 ff. verweist) und auf die Entstehungsgeschichte der Art. 58 OR und 679 ZGB. Auch diese U nterscheidung lässt sich nun aber nicht halten. Das Bundesgericht selbst (und zwar die gleiche Zivilabteilung, welche das Urteil BGE 61 II 323 ff. gefällt hatte) ist davon im Urteil vom 28. März 1944 i.S. Gemeinde Langwies c. Stadt Chur bereits abgewichen und hat die beklagte Gemeinde auf Grund des Art. 58 OR zum Ersatz des Schadens verurteilt. der an den Grundstücken der Klägerin durch einen Werkmangel (Bruch einer Stauanlage) verursacht worden war (vgl. den Bericht hierüber im Zentralblatt für Staats- und Gemeindeverwaltung 45/1944 S. 186 ff.). Sodann haben sich mehrere Autoren mit zutreffenden Argumenten gegen jene Einschränkung der Haftung für Werkmängel ausgesprochen (OFTINGER, Haftpflichtrecht II S. 16, Fussnote 38; LIVER, Die nachbarrechtliche Haftung des Gemeinwesens, ZBJV 99 S. 247, Fussnote 1; STARK, Das Wesen der Haftpflicht des Grundeigentümers nach Art. 679 ZGB, S. 225; FROELICHER, a.a.O., S. 69). In BGE 61 II 323 ff. Erw. 4 konnte von einer Anwendung des Art. 58 OR deshalb abgesehen werden, weil "die fehlerhafte Herstellung der Strasse, welche an sich geeignet wäre, eine Haftung des Beklagten aus Art. 58 OR entstehen zu lassen", als Überschreitung des Eigentumsrechtes im Sinne des Art. 679 ZGB erschien (dort S. 328 unten /329 oben). Die Werkmängel sind aber richtigerweise, wenn sie ein benachbartes Grundstück schädigen, unmittelbar nach Art. 58 OR als Haftungsgrund zu berücksichtigen. Es steht dem Geschädigten also frei, neben Art. 679 ZGB den Art. 58 OR anzurufen, sofern er diese beiden Haftungsgründe zugleich als gegeben erachtet, oder aber bloss die eine oder andere dieser Gesetzesnormen, sofern er nur den einen Haftungsgrund in Anspruch nehmen will. Nichts zwingt dazu, bei der Schädigung eines benachbarten Grundstücks durch ein mangelhaft angelegtes oder unterhaltenes Werk ausschliesslich Art. 679 ZGB anzuwenden und, wenn dessen Voraussetzungen nicht zutreffen, den Entschädigungsanspruch überhaupt abzulehnen, in der Annahme, Art. 58 OR beziehe sich nur auf eine Schädigung von Personen und beweglichen Sachen. Eine derartige Begrenzung des Anwendungsgebietes des Art. 58 OR ergibt sich weder aus dessen Wortlaut, noch liegen Gründe dafür vor, diese Bestimmung so eng auszulegen. Auch die Entstehungsgeschichte der beiden Bestimmungen bietet keinen Anlass hiezu. Denn daraus, dass man die Haftung des Grundeigentümers für eine Überschreitung seines Eigent umsrechtes, namentlich für Nachbarrechtsverletzungen, in das Sachenrecht verwies, folgt keineswegs, dass ihn eine Haftung für Werkschaden nach Art. 58 OR nicht treffen solle, wenn ein benachbartes Grundstück infolge eines Werkmangels geschädigt worden ist. Es liegt unzweifelhaft im Sinne des Art. 58 OR und ist denn auch unbestritten, dass der Werkeigentümer nicht bloss für eine Verletzung von Personen, sondern auch für Sachschaden haftet. Warum dann aber ein an Grundstücken angerichteter Schaden davon auszunehmen sei, ist nicht einzusehen. Zuzugeben ist nur, dass in Schadensfällen solcher Art oftmals die Anwendung des Art. 679 ZGB näher liegt, und dass es sich bei Bejahung einer auf dieser Norm beruhenden Haftung erübrigt, auch noch die Voraussetzungen eines Anspruchs aus Art. 58 OR zu prüfen. Es besteht aber Anspruchskonkurrenz, und Art. 58 OR muss insbesondere dann zur Geltung kommen, wenn nicht Eigentumsüberschreitung und Werkmangel zugleich vorliegen, sondern der zweite Haftungsgrund allein gegeben ist, wie im vorliegenden Falle. |
8. Dass der zu eng dimensionierte Durchlass beim Mittelweg und der sog. Dammabtrag auf dem rechten Ufer des Bennengrabens Werkmängel sind, ist bereits in Erw. 6 gesagt worden und ergibt sich klar und einleuchtend aus dem technischen Gutachten. Der Beklagte wendet zwar ein, diese Unzulänglichkeiten des Bennengrabens seien deshalb nicht als Werkmängel zu betrachten, weil die vorhandene Bachanlage normalerweise ihren Zweck erfüllt habe und das Schadensereignis vom Juni 1953 ganz ungewöhnlichen Niederschlagsmengen zuzuschreiben sei; es handle sich dabei geradezu um höhere Gewalt, deren Auswirkungen man nicht mit einem den normalen Anforderungen genügenden Abflussgraben habe vorbeugen können. Der Bennengraben war jedoch als Zuleitungskanal von Anfang an seit der Melioration ebenso wie der Hauptkanal des Furtbaches dazu bestimmt, auch ungewöhnliche Niederschlagsmengen aufzunehmen und Überschwemmungen bei Hochwasser zu verhüten. Deshalb pflegt man denn auch solche Anlagen, an den Auswirkungen gewöhnlicher, häufig wiederkehrender Regenfälle (und Schneeschmelzen) gemessen, überzudimensionieren. Derart aussergewöhnlich waren übrigens die Regenfälle des Juni 1953 nicht, dass damit im Lauf der Jahrzehnte schlechterdings nicht zu rechnen war. Von einer mit zumutbaren Mitteln nicht abwendbaren höhern Gewalt kann daher nicht gesprochen werden (vgl. zum Begriff der höhern Gewalt BGE 90 IV 270 Erw. 2 b, und BGE 88 II 291 Erw. 3 c; OFTINGER, Haftpflichtrecht Bd I S. 101 ff. und Bd II S. 45/46 und 52). Das bestehende Kanalsystem des Furtbaches und des in ihn mündenden Bennengrabens hätte übrigens zur Eindämmung und Ableitung des Hochwassers vom Juni 1953 völlig hingereicht, wenn der Mittelwegdurchlass ebenso weit dimensioniert gewesen wäre wie das offene Bachbett ober- und unterhalb (oder wenn statt des Durchlasses an jener Stelle ein offenes Gerinne bestanden hätte) und im übrigen der Bennengraben nicht verkrautet, sondern gereinigt gewesen wäre (Gutachten S. 43 lit. d). |
Die Haftung nach Art. 58 OR muss somit Platz greifen, soweit die Überschwemmung des Landes der Klägerin auf die erwähnten Werkmängel zurückzuführen ist. Die weitere Schadensursache, nämlich der verkrautete Zustand der Bachsohle (die ebenfalls zur Verkleinerung des freien Durchflussprofils beitrug), scheidet dagegen als Haftungsfaktor aus. Der Kanton wie auch die von ihm in entsprechendem Sinn angewiesene Gemeinde Buchs haben in dieser Hinsicht das ihnen Obliegende getan. Diese Gemeinde liess nämlich die Bachsohle jährlich zweimal, wie es ihr aufgegeben worden war, ausmähen (was der damals im Amte stehende und der frühere Gemeindepräsident als Zeugen glaubwürdig bestätigt haben). Diese Massnahme ist auch nach dem Expertenbefund als normaler, ordentlicher Unterhalt des Werkes zu betrachten.
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