BGE 93 II 7
 
3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Mai 1967 i.S. Hoell gegen Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich.
 
Regeste
Auslieferungsrecht (hier: Vertrag zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn vom 10. März 1896): Der Grundsatz der Spezialität verbietet nur die Verfolgung des Ausgelieferten (durch strafrechtliche, polizeiliche oder administrative Massnahmen) wegen anderer vor der Auslieferung begangener Taten, dagegen nicht den Eintritt gesetzlicher Nebenfolgen des Strafvollzuges, zu welchem die Auslieferung an die Schweiz bewilligt wurde. Insbesondere ist eine Entmündigung nach Art. 371 ZGB zulässig. (Erw. 1).
 
Sachverhalt


BGE 93 II 7 (8):

A.- K. H. Hoell, Bürger von Zürich, wurde am 5. Juli 1949 vom Schwurgericht des Kantons Zürich zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt. Er entwich aus der Strafhaft nach Frankreich, und dieser Staat bewilligte die Auslieferung nur für einen Teil der Delikte, weshalb die zürcherischen Behörden eine Strafaufteilung beschlossen. Am 6. September 1960 endigte der Strafteil, für welchen die Auslieferung bewilligt war. Daher wurde K. H. Hoell unter Gewährung der auslieferungsrechtlichen Schonfrist von dreissig Tagen in Freiheit gesetzt. Nachher wurde er zur Verbüssung des andern Strafteils wieder zur Fahndung

BGE 93 II 7 (9):

ausgeschrieben. In den Jahren 1963 bis 1966 lebte er in Österreich. Als er seinen Reisepass beim schweizerischen Konsulat in Bregenz verlängern lassen wollte, erfuhren die schweizerischen Strafvollzugsbehörden von seinem Aufenthalt. Auf ihr Ersuchen wurde er von den österreichischen Behörden verhaftet und im Sommer 1966 an die Schweiz ausgeliefert. Den in Frage stehenden Rest der Strafe von noch etwas mehr als acht Jahren Zuchthaus ersteht er in der Anstalt Regensdorf.
B.- Am 27. Oktober 1966 beschloss der Bezirksrat Zürich, die im Jahre 1960 intern aufgehobene Vormundschaft nach Art. 371 ZGB über K. H. Hoell wieder zu errichten. Darüber beschwerte sich dieser bei der kantonalen Justizdirektion im wesentlichen deshalb, weil die Auslieferung durch Österreich nur zum Strafvollzug erfolgt sei und Massnahmen anderer Art wie insbesondere eine Entmündigung nicht zulässig seien.
C.- Mit Entscheid vom 9. Januar 1967 wies die Justizdirektion des Kantons Zürich die gegen die Entmündigung erhobene Beschwerde ab.
D.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Berufung des K. H. Hoell an das Bundesgericht. Er lehnt die Entmündigung weiterhin als unzulässig ab. Die Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich beantragt Abweisung der Berufung.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Dass die Anordnung einer Entmündigung, wie sie Art. 371 ZGB für die Dauer einer Strafhaft von mindestens einem Jahr vorschreibt, gegen die Grundsätze des Auslieferungsrechts verstosse, kann dem Berufungskläger nicht zugegeben werden. Wird die Auslieferung nur zur Strafverfolgung oder zum Strafvollzuge wegen bestimmter Delikte gewährt (wie sie insbesondere der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Österreich-Ungarn vom 10. März 1896 in Art. 11 umschreibt: BS 1848-1947 Bd. 12 S. 185), so schliesst dies allerdings nach dem sog. Grundsatz der Spezialität die Verfolgung jeder vor der Auslieferung begangenen anderen Tat aus, und zwar nicht nur die eigentliche Strafverfolgung, sondern auch andere die Bewegungsfreiheit des Verfolgten beeinträchtigende Massnahmen, seien es solche polizeilicher oder verwaltungsrechtlicher Art (vgl. H. SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, 1953, S. 365). Eine derartige Massnahme steht jedoch hier nicht in Frage. Vielmehr wurde gegenüber dem Berufungskläger

BGE 93 II 7 (10):

- im wesentlichen zu seinem eigenen Schutze - lediglich eine gesetzliche Nebenfolge des Strafvollzuges verfügt, zu welchem ihn die österreichischen Behörden an die Schweiz ausgeliefert haben. Solche mit dem Strafvollzug verbundene Massnahmen überschreiten den durch das Auslieferungsrecht gezogenen Rahmen nicht, so wenig wie die Art des Strafvollzuges selbst und die allfällig die Hauptstrafe ergänzenden Nebenstrafen.
2. Es besteht auch kein Zweifel, dass die schweizerischen (und speziell die zürcherischen) Behörden zur Anordnung einer solchen Vormundschaft örtlich zuständig sind. Wie das Bundesgericht bereits im Fall eines Schweizerbürgers, der seinen ausländischen Wohnsitz aufgegeben hatte und nach seiner Einreise in die Schweiz verhaftet wurde, entschieden hat (BGE 80 II 107 ff. und daran anknüpfend das Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1966 i.S. Vormundschaftskommission der Stadt Thun, Erw. 3), begründet auch ein Zwangsaufenthalt den fiktiven Wohnsitz im Sinne des Art. 24 Abs. 2 ZGB. Im vorliegenden Fall ist freilich ungewiss, ob der Berufungskläger in Innsbruck bis zu seiner Auslieferung einen festen Wohnsitz hatte (vgl. die darüber von der kantonalen Justizdirektion mit ihrem Schreiben vom 20. Januar 1967 an das schweizerische Zentralpolizeibureau eingeleitete Untersuchung, deren Ergebnis aus den Akten nicht hervorgeht), und es ist fraglich, ob seine Auslieferung einer freiwilligen Einreise in die Schweiz gleichzustellen und als Aufgabe des ausländischen Wohnsitzes zu deuten sei. Wie dem aber auch sein mag, ergibt sich die Zuständigkeit der schweizerischen Behörden zur Ergreifung vormundschaftlicher Massnahmen gegenüber diesem Schweizerbürger aus den Normen des internationalen Privatrechts, wie sie in den Artikeln 29 und 30 NAG enthalten sind. Diese Bestimmungen gehen dem Art. 28 NAG vor, gelten also unabhängig davon, ob nach der Gesetzgebung des Wohnsitzstaates auch dort eine Zuständigkeit zu vormundschaftlichen Massnahmen gegenüber dem betreffenden Schweizerbürger bestehe (BGE 86 II 323 ff.; siehe auch BGE 87 II 132 ff.; ferner STAUFFER, N II zu Art. 30 NAG). Daraus folgt, dass selbst wenn die Auslieferung des Berufungsklägers an die Schweiz nicht als "Aufgabe" seines allfälligen Innsbrucker Wohnsitzes zu gelten haben sollte, eine Entmündigung nach Art. 371 ZGB in der Schweiz verfügt werden durfte. Ob die österreichischen Behörden ebenfalls zu

BGE 93 II 7 (11):

solchen Massnahmen gegenüber K. H. Hoell zuständig und auch bereit wären, sie zu ergreifen (wofür die Akten übrigens keinen Anhaltspunkt bieten), ist nach dem Gesagten ohne Belang. - Als wohnsitzbegründender Aufenthalt in der Schweiz wie auch allenfalls als Heimatort kommt nur Zürich in Frage.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und die Verfügung der Justizdirektion des Kantons Zürich vom 9. Januar 1967 bestätigt.