BGE 94 II 220
 
37. Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. November 1968 i.S. Salcher gegen Weisseisen.
 
Regeste
Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen. Zuständigkeit. Anwendbares Recht.
2. Der erste Wohnsitz des ausserehelichen Kindes befindet sich am Sitz der Vormundschaftsbehörde, die ihm nach Art. 311 ZGB einen Beistand bestellt hat (Erw. 4, 5; Änderung der Rechtsprechung).
3. Der Beistand ist in der Regel von der Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt zu bestellen. Ist die Mutter jedoch eine minderjährige Ausländerin, die zwar in der Schweiz wohnt und arbeitet, deren Eltern aber im Ausland leben, so ist dem Kind an demjenigen Ort in der Schweiz ein Beistand zu bestellen, wo die Mutter zur Zeit der Geburt tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte und nur deshalb noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig war (Erw. 6).
4. Klagt das Kind an seinem durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde bestimmten Wohnsitz, so wird dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage der Mutter festgelegt und umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs; Erw. 6 Abs. 3).
5. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannte, hiefür nach den konkreten Umständen örtlich zuständig war (Erw. 6, letzter Absatz).
6. Die vor einem schweizerischen Gericht erhobene Klage eines österreichischen Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz gegen einen Österreicher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Osterreich beurteilt sich nach schweizerischem Recht (Art. 1 und 2 des Haager Übereinkommens vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht; Erw. 7).
 
Sachverhalt


BGE 94 II 220 (222):

Die Österreicherin Frl. Salcher, geb. 17. April 1947, die in Schönenwerd (Kanton Solothurn) wohnt und dort in einer Fabrik arbeitet und deren Eltern in Österreich leben, gebar am 31. Dezember 1965 in Schönenwerd ein Mädchen. Die Vormundschaftsbehörde Schönenwerd ernannte am 13. Januar 1966 auf Grund von Art. 311 ZGB Notar Meier in Schönenwerd zum Beistand des Kindes. Dieser reichte namens des Kindes am 29. September 1966 gegen den Österreicher Weisseisen, der bis Mitte 1965 in der Schweiz gearbeitet hatte und seither in Klagenfurt (Österreich) wohnt, beim Amtsgericht Olten-

BGE 94 II 220 (223):

Gösgen Vaterschaftsklage auf Leistung von Unterhaltsbeiträgen ein.
Der Beklagte bestritt die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
Mit Entscheid vom 18. April/10. Mai 1967 verwarf das Amtsgericht diese Einrede. Das Obergericht des Kantons Solothurn, an das der Beklagte appellierte, hiess sie dagegen mit Entscheid vom 6. März 1968 gut.
Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Klägerin die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, ihn aufzuheben und die Unzuständigkeitseinrede abzulehnen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Es besteht kein internationaler Vertrag, der mit Wirkung für die Schweiz und für Österreich bestimmen würde, in welchem Lande eine Vaterschaftsklage anzubringen ist, die für ein in der Schweiz geborenes und hier lebendes aussereheliches Kind einer Österreicherin gegen einen in Österreich wohnenden Österreicher eingeleitet werden soll. Das Haager Übereinkommen vom 24. Oktober 1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (AS 1964 S. 1279 ff.), dem die Schweiz und Österreich beigetreten sind, enthält keine Bestimmungen über die Zuständigkeit der Gerichte. Das Haager Übereinkommen vom 15. April 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (AS 1964 S. 1283 ff.), dem die Schweiz und Österreich angehören, stellt ebenfalls keine Zuständigkeitsvorschriften auf, die den internen Gerichtsstandsvorschriften der Vertragsstaaten vorgingen, sondern behandelt die Zuständigkeit nur insoweit, als sie eine Bedingung der Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils in einem andern Vertragsstaat ist (BGE 92 II 84 ff., bes. 86). Auch die auf die Gerichtsbarkeit bezüglichen Bestimmungen des schweizerisch-österreichischen Vertrags vom 16. Dezember 1960 über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (AS 1962 S. 265 ff.) haben nur diese beschränkte Bedeutung (vgl. BGE 92 II 85 Erw. 2).
Wird die internationale Zuständigkeit nicht durch einen Staatsvertrag geregelt, so ist sie vom angerufenen schweizerischen

BGE 94 II 220 (224):

Gericht nach den Konfliktsregeln des eigenen Rechts zu beurteilen.
3. Die schweizerische Gesetzgebung enthält keine besondere Bestimmung über die internationale Zuständigkeit für die Beurteilung von nur auf Vermögensleistungen gerichteten Vaterschaftsklagen gegen im Ausland wohnende Ausländer. Insbesondere ist das Bundesgesetz über die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufenthalter von 1891 (NAG) auf solche Klagen nicht anwendbar (BGE 77 II 120, letzter Absatz von Erw. 1, und BGE 79 II 347). Mangels einer Sondervorschrift wendet die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts den Art. 312 Abs. 1 ZGB auch auf Fälle der genannten Art an. Sie lässt demgemäss zu, dass schweizerische oder ausländische Kläger einen im Ausland wohnenden Ausländer am schweizerischen Wohnsitz der klagenden Partei zur Zeit der Geburt auf Vermögensleistungen belangen (BGE 89 II 115 ff. Erw. 2 mit Hinweisen; BGE 92 II 86). Ob das schweizerische Urteil im Ausland anerkannt werde, ist dabei unerheblich (BGE 92 II 87 d mit Hinweisen). Im übrigen ist nicht zu erwarten, dass dem Sachurteil im vorliegenden Prozess die Anerkennung in Österreich wegen Unzuständigkeit der schweizerischen Gerichte verweigert werde. Nach Art. 3 Ziff. 2 des Haager Übereinkommens vom 15. April 1958 sind nämlich im Sinne dieses - die Zuständigkeit nach Erwägung 2 hievor nur als eine Voraussetzung der Anerkennung und Vollstreckung behandelnden - Abkommens für den Erlass von Unterhaltsentscheiden u.a. die Behörden des Staates zuständig, in dessen Gebiet der Unterhaltsberechtigte im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und dieser Staat ist für die Klägerin die Schweiz.
Die Frage, ob die klagende Partei im Sinne von Art. 312 ZGB zur Zeit der Geburt des Kindes in der Schweiz Wohnsitz hatte und wo sich gegebenenfalls dieser Wohnsitz befand, beurteilt sich nach schweizerischem Recht (BGE 85 II 320 Erw. 1, BGE 89 II 114).
4. Ein aussereheliches Kind steht nur dann unter der elterlichen Gewalt der Mutter oder allenfalls des Vaters, wenn die Vormundschaftsbehörde es gemäss Art. 324 Abs. 3 oder 325 Abs. 3 ZGB unter diese Gewalt gestellt hat (BGE 49 II 151, BGE 50 I 390), worauf nach dem ZGB weder die Mutter noch der Vater einen Anspruch haben (BGE 87 I 212). Solange die

BGE 94 II 220 (225):

Vormundschaftsbehörde, wie es im vorliegenden Falle zutrifft, eine solche Anordnung nicht getroffen hat, ist also die in Art. 25 Abs. 1 ZGB enthaltene Vorschrift, wonach der Wohnsitz von Vater und Mutter als Wohnsitz der unter ihrer Gewalt stehenden Kinder gilt, auf ein aussereheliches Kind nicht anwendbar (BGE 50 I 391, BGE 56 II 5, BGE 69 II 340 unten). Gleichwohl hat die Staatsrechtliche Abteilung des Bundesgerichts in BGE 44 I 64 Erw. 2 entschieden, das aussereheliche Kind teile den Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt, weil unter der Vormundschaftsbehörde, der durch Art. 311 und 324 Abs. 3 ZGB gewisse Pflichten und Rechte gegenüber dem Kinde übertragen werden, nur die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes der Mutter verstanden werden könne, sofern sie einen solchen in der Schweiz habe; die Vormundschaftsbehörde habe unter Umständen schon vor der Geburt des Kindes Anordnungen zu treffen, in einem Zeitpunkt, wo von einem selbständigen Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Kindes von vornherein nicht die Rede sein könne; wenn die vormundschaftliche Fürsorge erst nach der Geburt eintrete, werde sie mit Rücksicht darauf, dass das Kind zunächst der Mutter zur Pflege und Hut angehöre, richtigerweise der für die Mutter zuständigen Vormundschaftsbehörde ihres Wohnsitzes übertragen; dabei bleibe es auch, wenn am - davon verschiedenen - Ort der Geburt ein Beistand bestellt wurde; denn die Beistandschaft - auch jene nach Art. 311 ZGB - begründe im Gegensatz zur Vormundschaft keinen gesetzlichen Wohnsitz. In Abweichung von diesem Entscheide lehnte die Staatsrechtliche Abteilung in BGE 50 I 391 Erw. 3 die Anknüpfung an den Wohnsitz der Mutter ab und nahm an, der Wohnsitz des ausserehelichen Kindes befinde sich entweder an seinem jeweiligen Aufenthaltsort oder - eher - am Sitz der nach den konkreten Umständen zur Fürsorge berufenen Vormundschaftsbehörde (was im Zweifel die Behörde des Aufenthaltsorts des Kindes sei). Die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts, an welche die Befugnis zur Beurteilung von bundesrechtlich geregelten Fragen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit in Familienrechtssachen im Jahre 1929 wenigstens zum Teil und am 1. Januar 1945 mit dem Inkrafttreten des geltenden OG ganz überging (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 173 ff.), folgte indessen der ursprünglichen Auffassung der Staatsrechtlichen Abteilung, wonach der Wohnsitz der Mutter zur

BGE 94 II 220 (226):

Zeit der Geburt als erster Wohnsitz des Kindes gilt (BGE 56 II 4 Erw. 3, BGE 61 II 146, BGE 67 II 82, BGE 69 II 340 Erw. 3, BGE 89 II 116 unten).
Im Schrifttum sind die Meinungen geteilt. In ihren Kommentaren zum Personenrecht erklären HAFTER (2. Aufl. 1919, N. 13 zu Art. 25 ZGB) und EGGER (2. Aufl. 1930, N. 5 zu Art. 25 ZGB), der Wohnsitz der Mutter gelte erst nach Unterstellung des ausserehelichen Kindes unter ihre elterliche Gewalt als Wohnsitz des Kindes. KAUFMANN (2. Aufl. 1924, N. 11 zu Art. 396 ZGB) hält dafür, als Wohnsitz des Kindes, nach dem sich im Falle der Beistandsbestellung nach der Geburt die Zuständigkeit zur Anordnung dieser Massnahme richte, müsse gemäss Art. 24 Abs. 2 ZGB der Aufenthaltsort des Kindes gelten. Diese Auffassung teilt SILBERNAGEL (2. Aufl. 1927, N. 43 zu Art. 311 ZGB). In seinem Familienrechtskommentar (2. Aufl., 2. Abt., 1943) sagt EGGER in Zustimmung zu den (1930 ergangenen) Entscheiden BGE 56 II 4 und BGE 56 I 142f., zur Bestellung eines Beistands für ein aussereheliches Kind sei die Vormundschaftsbehörde am Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt zuständig (N. 5 zu Art. 311 ZGB). Unter Bezugnahme hierauf bemerkt er bei Behandlung des Art. 312 ZGB (N. 7), der Wohnsitz des Kindes zur Zeit der Geburt befinde sich dort, wo seine Mutter wohnte. Auch SPECKER (Der Wohnsitz des ausserehelichen Kindes, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1947 S. 1 ff.) schliesst sich der herrschenden Rechtsprechung an. Das gleiche dürfte (wenigstens de lege lata) für HEGNAUER und LALIVE gelten (ZSR 1965 II S. 54 mit Fussnote 6, S. 108 ff., S. 746 mit Fussnote 550).
Folgt man vorbehaltlos der dargestellten neuern Rechtsprechung und Lehre und den Entscheiden, wonach nicht bei ihren Eltern lebende erwerbstätige Minderjährige bei Arbeit in unselbständiger Stellung (BGE 67 II 83, BGE 69 II 340 Erw. 2, BGE 76 I 302, BGE 80 I 187 Erw. 2 im Gegensatz zu BGE 45 II 244 Erw. 2), ja sogar bei Erwerbstätigkeit in selbständiger Stellung (BGE 85 III 164 Erw. 2) gemäss Art. 25 Abs. 1 ZGB den Wohnsitz ihrer Eltern teilen, so ist der Vorinstanz darin beizustimmen, dass die Klägerin zur Zeit der Geburt mit ihrer damals noch minderjährigen Mutter bei deren Eltern in Österreich Wohnsitz hatte und daher nicht im Kanton Solothurn, wo die Mutter als Fabrikarbeiterin lebte, klagen konnte.
Das Amtsgericht, das zum gegenteiligen Schluss gelangt war, hatte nicht in Zweifel gezogen, dass die Klägerin den Wohnsitz

BGE 94 II 220 (227):

ihrer Mutter teile, aber angenommen, bei einer minderjährigen Ausländerin, die wie die Mutter der Klägerin ferne von ihren im Ausland wohnenden Eltern in der Schweiz arbeitet und hier zu bleiben gedenkt, lasse sich die Fiktion, ihr Wohnsitz befinde sich bei ihren Eltern, nicht aufrechterhalten; vielmehr sei einer solchen Ausländerin ein selbständiger Wohnsitz in der Schweiz zuzuerkennen. Ob und allenfalls unter welchen Voraussetzungen erwerbstätige Minderjährige entgegen der herrschenden Rechtsprechung einen selbständigen Wohnsitz begründen können (vgl. die kritische Besprechung des Entscheides BGE 67 II 80ff. durch DESCHENAUX in JdT 1941 I 594ff.; im Sinne der herrschenden Praxis SPECKER, Zeitschrift für Vormundschaftswesen 1948 S. 1 ff., HEGNAUER N. 70 zu Art. 273, N. 83 zu Art. 295 und N. 54 zu Art. 296 ZGB, sowie GROSSEN, Schweiz. Privatrecht II S. 348), braucht indessen im vorliegenden Falle nicht geprüft zu werden, wenn sich ergibt, dass der Klägerin ein vom Wohnsitz ihrer Mutter unabhängiger Wohnsitz in der Schweiz zuzugestehen ist.
5. Da das aussereheliche Kind unstreitig nicht schon mit der Geburt unter die elterliche Gewalt seiner Mutter gelangt und die Mutter auf die Einräumung dieser Gewalt keinen Anspruch hat und sie auch nicht etwa regelmässig erhält (vgl. HEGNAUER, ZSR 1965 II 141 f. mit Fussnote 31), lässt sich, wie schon bemerkt, aus Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht ableiten, dass der Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt als erster Wohnsitz des Kindes zu gelten habe. Es waren denn auch mehr praktische Gründe, welche die Rechtsprechung zu diesem Schlusse führten. Der Umstand, dass die aussereheliche Mutter gemäss Art. 324 Abs. 2 ZGB für ihr Kind zu sorgen hat wie für ein eheliches, reicht nicht aus, um die entsprechende Anwendung der in Art. 25 Abs. 1 ZGB enthaltenen Regel, wonach der Wohnsitz von Vater und Mutter als Wohnsitz der unter ihrer Gewalt stehenden Kinder gilt, zu rechtfertigen. (Im vorliegenden Fall hat übrigens die Mutter gemäss einem Schreiben des Beistandes der Klägerin an den österreichischen Anwalt des Beklagten vom 5. Dezember 1966 unmittelbar nach der Geburt auf ihr Kind "verzichtet", worauf es durch ein schweizerisches Fürsorgewerk einem kinderlosen Ehepaar anvertraut wurde.)
Der Sitz der Vormundschaftsbehörde gilt nach Art. 25 Abs. 1 ZGB nur als Wohnsitz der bevormundeten Person. Die verbeiständeten Personen werden in Art. 25 Abs. 1 ZGB nicht

BGE 94 II 220 (228):

erwähnt. Die Errichtung einer Beistandschaft (oder Beiratschaft) hat daher grundsätzlich keinen Einfluss auf den Wohnsitz der betroffenen Person (BGE 42 I 374/75, BGE 44 I 65). Die Beistandschaft für ein aussereheliches Kind nach Art. 311 ZGB ist jedoch, was in BGE 44 I 65 zu wenig gewürdigt wurde, eine Beistandschaft besonderer Art. Sie beschränkt sich nicht wie die Vertretungsbeistandschaft nach Art. 392 ZGB auf die Vertretung in bestimmten Angelegenheiten oder wie die Verwaltungsbeistandschaft im Sinne von Art. 393 und die Beiratschaft im Sinne von Art. 395 ZGB auf den Schutz wirtschaftlicher Interessen, sondern der Beistand eines ausserehelichen Kindes hat nach Art. 311 ZGB dessen Interessen ganz allgemein zu wahren. Er hat nicht nur die Rechte des Kindes gegenüber dem Vater durchzusetzen, sondern u.a. auch die Pflege des Kindes zu überwachen (SILBERNAGEL, 2. Aufl., N. 21, und EGGER, 2. Aufl., N. 9 zu Art. 311 ZGB). Er hat also wie der Vormund (Art. 367 Abs. 1, 405/406 ZGB) auch Aufgaben auf dem Gebiet der persönlichen Fürsorge. Die Beistandschaft nach Art. 311 ZGB kann, da die Regelung der Vaterschaftsangelegenheit nicht selten mehrere Jahre beansprucht, längere Zeit dauern. Sie gleicht also weitgehend einer Vormundschaft. Es rechtfertigt sich daher, das nach Art. 311 ZGB verbeiständete Kind unter dem Gesichtspunkte von Art. 25 Abs. 1 ZGB einer bevormundeten Person gleichzustellen und in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung den Sitz der Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannt hat, als ersten Wohnsitz des Kindes zu betrachten (vgl. HAFTER N. 13 zu Art. 25 ZGB, wo bemerkt wird, die Beistandschaft im Sinne von Art. 311 hätte in Art. 25 Abs. 1 genannt werden sollen; in analoger Rechtsanwendung habe zunächst der Wohnsitz der Vormundschaftsbehörde als Wohnsitz des Kindes, dem ein Beistand bestellt wurde, zu gelten).
6. Falls die Mutter zur Zeit der Geburt unzweifelhaft in der Schweiz Wohnsitz hatte, führt diese Lösung in der Regel praktisch zum gleichen Ergebnis wie die Auffassung, der erste Wohnsitz des ausserehelichen Kindes richte sich nach dem Wohnsitz der Mutter zur Zeit der Geburt; denn für das Kind einer Frau, die in diesem Zeitpunkt klarerweise in der Schweiz Wohnsitz hatte, wird die Beistandschaft richtigerweise von der Vormundschaftsbehörde des betreffenden Ortes errichtet. Auf dieser Annahme beruht Art. 125 Abs. 1 ZStV, der unter Hinweis auf Art. 368 und 311 ZGB bestimmt, von der Geburt eines

BGE 94 II 220 (229):

ausserehelichen Kindes mache der Zivilstandsbeamte des Geburtsortes Mitteilung an die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes der Mutter (und an die kantonale vormundschaftliche Aufsichtsbehörde des Heimatkantons der Mutter).
Handelt es sich dagegen wie im vorliegenden Falle um das Kind einer Ausländerin, die zur Zeit der Geburt zwar in der Schweiz wohnte und arbeitete, aber wegen ihrer Minderjährigkeit jedenfalls nach der herrschenden Rechtsprechung keinen selbständigen Wohnsitz hatte, sondern den Wohnsitz ihrer im Ausland wohnenden Eltern teilte, so ist der Vorteil, den Art. 312 ZGB der klagenden Partei mit der Einräumung des Gerichtsstands ihres schweizerischen Wohnsitzes zur Zeit der Geburt bieten will, dem Kinde nur dann zuverlässig und in zweckentsprechender Weise gewährleistet, wenn angenommen wird, dem Kinde sei auch in einem solchen Falle ein Beistand in der Schweiz zu ernennen und der erste Wohnsitz des Kindes befinde sich unabhängig vom Wohnsitz der Mutter am Sitz der den Beistand bestellenden Vormundschaftsbehörde. Schon in BGE 44 I 65 war denn auch erklärt worden, die Regel, wonach die Vormundschaftsbehörde des Wohnsitzes der Mutter für die Massnahmen nach Art. 311 und 324 Abs. 3 ZGB zuständig ist, gelte, "sofern sie (die Mutter) wenigstens einen solchen in der Schweiz besitzt", und in BGE 56 II 7, wo die II. Zivilabteilung in Übereinstimmung mit BGE 44 I 65f. dem Kinde den Wohnsitz der - in der Schweiz wohnenden - Mutter zur Zeit der Geburt zuerkannte und die Zuständigkeit zur Fürsorge für das Kind der Vormundschaftsbehörde dieses Ortes zuwies, wurde ausgeführt: "Der Umstand, dass diese Lösung ausnahmsweise versagt, wenn nämlich die Mutter zur Zeit der Geburt keinen Wohnsitz in der Schweiz hat, rechtfertigt nicht, sie auch im Regelfall abzulehnen, für den sie als die zutreffendste erscheint, sondern gebietet nur, für jenen Ausnahmefall eine andere, den international-privatrechtlichen Beziehungen gerecht werdende Lösung zu suchen." Im Sinne dieser Vorbehalte ist dem Kinde in Fällen wie dem vorliegenden an demjenigen Ort in der Schweiz ein Beistand zu bestellen und die Anbringung der Vaterschaftsklage zu gestatten, wo die Mutter zur Zeit der Geburt tatsächlich den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte und nur deshalb noch keinen Wohnsitz besass, weil sie noch minderjährig war. Diese Lösung steht im Einklang mit dem (für Österreich freilich nicht geltenden) Haager Übereinkommen

BGE 94 II 220 (230):

zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige (BS 11 S. 800 ff.), das zwar grundsätzlich das Gesetz des Heimatstaates als massgebend erklärt, in Art. 7 aber den Ortsbehörden erlaubt, in dringenden Fällen die zum Schutz der Person und der Interessen eines minderjährigen Ausländers erforderlichen Massregeln zu treffen (vgl. BGE 61 II 146, BGE 65 I 16 Erw. 3). Sie entspricht ferner der im internationalen Privatrecht immer mehr zur Geltung kommenden Tendenz, u.a. bei der Regelung der Zuständigkeit der Behörden an den gewöhnlichen Aufenthalt einer Person anzuknüpfen (vgl. z.B. BGE 89 I 314 mit Hinweisen, sowie Art. 1 des noch nicht in Kraft stehenden Haager Übereinkommens vom 5. Oktober 1961 über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen, BBl 1966 I 362).
Der Annahme, das aussereheliche Kind könne einen vom Wohnsitz der Mutter unabhängigen und von diesem verschiedenen Wohnsitz am Sitz der den Beistand ernennenden Vormundschaftsbehörde haben, lässt sich nicht entgegenhalten, hiedurch werde die wünschbare Einheit des Gerichtsstandes für die Klagen von Mutter und Kind gefährdet; denn wenn das Kind an seinem durch den Sitz der Vormundschaftsbehörde bestimmten Wohnsitz klagt, wird dadurch auch der Gerichtsstand für die Klage der Mutter festgelegt und umgekehrt (Gerichtsstand des Sachzusammenhangs; vgl. BGE 50 I 394 Erw. 4 und EGGER N. 9 zu Art. 312 ZGB).
Für die Klägerin, deren Beistand von der Vormundschaftsbehörde Schönenwerd ernannt wurde und deren Mutter nicht geklagt hat, konnte die Klage daher beim Amtsgericht Olten-Gösgen, in dessen Amtskreis Schönenwerd liegt, angebracht werden.
Ob die Vormundschaftsbehörde, an deren Sitz der Beistand klagt, nach den konkreten Umständen des Falles für die Anordnung der Beistandschaft örtlich zuständig war, ist in dem vom Beistand eingeleiteten Prozesse nicht zu prüfen, sondern die Beistandsbestellung ist für die Gerichte verbindlich, solange sie nicht von den vormundschaftlichen Organen selbst aufgehoben wird (BGE 55 II 325 Erw. 2, BGE 58 I 290 Erw. 5). Für die Bejahung der Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Vormundschaftsbehörde, die den Beistand ernannt hat, muss genügen, dass es grundsätzlich möglich ist, dass das Kind an diesem Orte seinen Wohnsitz hat. - Im vorliegenden Falle steht im übrigen

BGE 94 II 220 (231):

ausser Zweifel, dass die Vormundschaftsbehörde Schönenwerd zur Anordnung der Beistandschaft örtlich zuständig war.
7. Es mag beigefügt werden, dass die vorliegende Klage nach Art. 1 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht materiell nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist, da das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hat. Abweichend von Art. 1 das eigene Recht für anwendbar zu erklären, ist einem Vertragsstaate nach Art. 2 des Übereinkommens nur gestattet, wenn die drei hier genannten Voraussetzungen zusammentreffen, d.h., wenn der Unterhaltsanspruch vor einer Behörde dieses Staates erhoben wird, die auf Unterhalt belangte Person und das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzen und die auf Unterhalt belangte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat (Botschaft des Bundesrates, BBl 1964 I 504). Die erste dieser Voraussetzungen ist im vorliegenden Falle mit Bezug auf Österreich nicht erfüllt. Der Vorbehalt im Sinne von Art. 2 des Übereinkommens, den Österreich wie die Schweiz ausgesprochen hat (vgl. MÜLLER-FREIENFELS, Zum räumlich-persönlichen Geltungsbereich Haager IPR Übereinkommen..., in Festschrift für Hans G. Fricker, 1967, S. 291 Fussnote 11), kommt daher im vorliegenden Falle nicht zur Geltung.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Berufung wird das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 6. März 1968 aufgehoben und werden die solothurnischen Gerichte als zur Beurteilung der Klage örtlich zuständig erklärt.