BGE 97 II 25
 
4. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Februar 1971 i.S. Kanton Aargau gegen Kanton Zug.
 
Regeste
Ersitzung einer an einem öffentlichen Gewässer bestehenden Fischenz. ZGB Art. 655 Ziffer 2, 662 und 781.
2. Ausserordentliche Ersitzung gegenüber einem früher Berechtigten, insbesondere gegenüber einem vor über 100 Jahren säkularisierten Kloster (Erw. 3-5).
3. Das Auskündungsverfahren gemäss Art. 662 Abs. 3 ZGB kann unterbleiben, wenn zum vornherein genau feststeht, wer als Berechtigter in Frage kommt, und dieser im ordentlichen Prozess um das Eigentum selber Partei ist (Erw. 6).
 
Sachverhalt


BGE 97 II 25 (26):

A.- Dem im Jahre 1841 vom Kanton Aargau säkularisierten Kloster Muri stand seit Jahrhunderten auf der ganzen Breite der Reuss von einem Punkt 1000 m unterhalb der Brücke in Mühlau bis zur Einmündung des Stampfenbachs (der die Grenze zwischen den Kantonen Aargau und Zürich bildet) ein als Fischenz bezeichnetes Fischereirecht zu. Da die Reussmitte im Abschnitt bis zur Einmündung der Lorze die Grenze zwischen den Kantonen Aargau und Zug bildet, bezog sich diese Fischenz auf einer Länge von ca. 1,5 km auch auf die zugerische Reusshälfte. Zusammen mit dem übrigen Klostervermögen eignete sich der Kanton Aargau durch die Säkularisation auch die in Frage stehende Fischenz an und übte sie seither durch Verpachtung aus.
B.- Im Zusammenhang mit der Einführung des eidgenössischen Grundbuchs im Kanton Zug, der eine Bereinigung der dinglichen Rechte vorauszugehen hat, machte das Grundbuchamt den Kanton Aargau darauf aufmerksam, dass er das Recht habe, die Fischenz als Dienstbarkeit zu Lasten der Reussparzelle GB Nr. 1 zur Eintragung anzumelden. Der Kanton Aargau machte von dieser Möglichkeit Gebrauch. In der Folge bestritt jedoch der Kanton Zug als Eigentümer der belasteten Reusshälfte den Anspruch des Kantons Aargau mit der Begründung, der Beschluss des Grossen Rates des Kantons Aargau vom 13. und 20. Januar 1841 auf Aufhebung des Klosters Muri habe sich nur auf das Kirchengut auf aargauischem Territorium beziehen können, nicht auch auf dasjenige im Kanton Zug.


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Dieser könne deshalb für sein Hoheitsgebiet dem Kanton Aargau das Recht, Kirchengut einzuziehen, nicht zubilligen und die Säkularisation nicht als Rechtstitel für das angemeldete Fischereirecht anerkennen.
Da eine Einigung zwischen den beiden Kantonen nicht zustande kam, setzte das Grundbuchamt Zug dem Kanton Aargau mit Schreiben vom 20. Januar 1970 Frist zur gerichtlichen Geltendmachung der beanspruchten Fischenz an.
C.- Am 19. Februar 1970 erhob der Kanton Aargau beim Bundesgericht Klage gegen den Kanton Zug und stellte folgendes Rechtsbegehren:
"Es sei gerichtlich festzustellen, dass der Kanton Aargau Eigentümer der Reuss-Fischenz von 1000 m unterhalb der Brücke Mühlau bis zur Lorzemündung auf der Zugerseite der Reuss (G.B. Parzelle Nr. 1, Hünenberg) ist, und es sei demgemäss das Grundbuchamt des Kantons Zug anzuweisen, das Fischenz-Recht des Kantons Aargau als selbständiges und dauerndes Recht zu Lasten der G.B. Parzelle Nr. 1 im Gemeindebann Hünenberg ins Grundbuch aufzunehmen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge."
Zur Begründung machte der Kläger geltend, selbst wenn der Übergang der Fischenz auf ihn zufolge der Säkularisation des Klosters Muri nicht rechtsgültig gewesen sein sollte, habe er das seit über 128 Jahren unangefochten ausgeübte Recht durch Ersitzung erworben.
Der Kanton Zug beantragt Abweisung der Klage.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. a) Der vorliegende Prozess wurde durch die Einführung des eidgenössischen Grundbuches im Kanton Zug ausgelöst. Der Anlage des Grundbuches hat die gemeindeweise Bereinigung der dinglichen Rechte vorauszugehen. § 24 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Zug über die Bereinigung der dinglichen Rechte und die Anlage des Grundbuches vom 29. Juni 1940 bestimmt, falls im Bereinigungsverfahren zwischen den Beteiligten keine gütliche Einigung über Bestand, Inhalt, Umfang und Rang eines Rechts erzielt werden könne, sei - nach einem Einigungsversuch des Grundbuchverwalters - die rechtliche Erledigung herbeizuführen. Gestützt auf diese Bestimmungen wurde dem Kanton Aargau Frist angesetzt, die von ihm gegenüber dem Kanton Zug als Eigentümer der

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zugerischen Reusshälfte beanspruchte, von diesem jedoch bestrittene Fischenz gerichtlich geltend zu machen. Innert der angesetzten Frist hat der Kanton Aargau die Klage beim Bundesgericht anhängig gemacht.
b) Gegenstand des Rechtsstreites ist die Frage, ob dem Kanton Aargau an der dem Kanton Zug gehörenden rechten Hälfte der Reuss im Abschnitt, der von einem Punkt 1000 m unterhalb der Reussbrücke in Mühlau bis zur Lorzeeinmündung reicht, eine Fischenz zustehe und ob diese als selbständiges und dauerndes Recht in das Grundbuch aufzunehmen sei. Der Kanton Zug bestreitet nicht, dass dem im Jahre 1841 vom Kanton Aargau säkularisierten Kloster Muri ein solches Recht zustand (über die Fischenz des Klosters Muri an der Reuss vgl. P. LEUTHARD, Die Fischereirechte im Freiamt und in Mellingen, Diss. Zürich 1928 S. 33 ff). Er macht jedoch geltend, der Kanton Aargau habe dieses Recht durch die entschädigungslose Verstaatlichung des Klostervermögens, wie sie mit der Säkularisation erfolgt sei, nicht rechtsgültig erwerben können. Die Fischenz sei in der Folge untergegangen, weil das Kloster Muri sie nicht mehr ausgeübt habe; eventuell sei sie aufgrund der vom 9. Januar 1969 datierten Abtretungserklärung des Abtes des Klosters Muri-Gries in Bozen, das als Rechtsnachfolger des säkularisierten Klosters Muri zu betrachten sei, auf den Kanton Zug übergegangen. Im vorliegenden Prozess ist daher sowohl über den Bestand des Fischereirechts als auch darüber zu entscheiden, ob dieses Recht dem Kanton Aargau oder dem Kanton Zug als Eigentümer des belasteten Grundstücks selber zusteht.
c) Bei der streitigen Fischenz handelt es sich, wie noch näher auszuführen sein wird, um ein wohlerworbenes Privatrecht. Der Rechtsstreit stellt sich damit als eine zivilrechtliche Streitigkeit zwischen zwei Kantonen dar, die nach Art. 41 lit. a OG vom Bundesgericht als einziger Instanz zu beurteilen ist...
2. a) Unter einer Fischenz (auch Fischez, Fischereigerechtigkeit, Fischereigerechtsame oder emfach Fischereirecht genannt) ist das meist unter einer früheren Rechtsordnung entstandene, ausschliessliche, zeitlich und inhaltlich unbeschränkte Recht zu verstehen, sich die Fische in einem örtlich begrenzten Teil eines Gewässers unentgeltlich anzueignen (MEIER-HAYOZ, 3. Aufl., N. 53 zu Art. 655 ZGB, und R. BÜHLER, Die Fischereiberechtigung im Kanton Zürich, Diss. Zürich 1969, S. 120 mit

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zahlreichen Literaturhinweisen). Die Fischenz wird heute mehrheitlich als ein dingliches Privatrecht aufgefasst, das gemäss Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB als selbständiges und dauerndes Recht in das Grundbuch aufgenommen werden kann, sofern sie nicht an ein herrschendes Grundstück oder an eine bestimmte Person gebunden ist (vgl. die bereits genannten Autoren und das dort zitierte Schrifttum sowie ferner MAX GMÜR, Rechtsame und Gerechtigkeiten, Festgabe für Philipp Lotmar, S. 11 ff, insbes. S. 26 f, und THEO GUHL, Die Verselbständigung der dinglichen Rechte im schweiz. ZGB, Berner Festgabe für Eugen Huber, S. 90 ff). Auch das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung die privatrechtliche Natur der aus der Zeit vor Einführung des staatlichen Fischereiregals stammenden Fischereirechte anerkannt (vgl.BGE 35 II 520ff. undBGE 46 II 300f mit Hinweisen).
b) Bei der streitigen Fischenz handelt es sich nun aber um eine solche an einem öffentlichen Gewässer, denn die Reuss ist nach § 86 Abs. 1 des Einführungsgesetzes des Kantons Zug zum ZGB eine öffentliche Sache. Gemäss Art. 664 Abs. 1 ZGB stehen die öffentlichen Sachen unter der Hoheit des Staates, in dessen Gebiet sie sich befinden. Die Rechtsverhältnisse an diesen Sachen sind daher grundsätzlich nach kantonalem Recht zu beurteilen (BGE 89 II 294 E. 2). Ob private Rechte an öffentlichen Sachen überhaupt bestehen können, richtet sich somit nach dem massgebenden kantonalen Recht, ebenso die Frage, ob und in welchem Umfang die öffentlichen Sachen den Regeln des Privatrechts unterstellt sind (MEIER-HAYOZ N. 82 zu Art. 664 ZGB).
Das zugerische Recht lässt wohlerworbene Privatrechte an öffentlichen Gewässern ausdrücklich zu. Schon § 1 der ursprünglichen Vollziehungsbestimmungen des Kantons Zug zum Bundesgesetz betreffend die Fischerei vom 28. Oktober 1891 lautete folgendermassen:
"Das Recht der Fischerei in den öffentlichen Gewässern steht - wohlerworbene Privatrechte vorbehalten - dem Staate zu."
(Vgl. dazu auch die Freiburger Dissertationen von A. Iten, Die ehemaligen Fischerei-Rechte der Stadt Zug im Zugersee, 1920, S. 113 ff, und E. Zumbach, Die Fischereirechte des Aegerisees, 1922, S. 72 ff).
Das heute geltende Gesetz über die Fischerei im Kanton Zug vom 25. Mai 1961 bestimmt in § 1 Abs. 1:


BGE 97 II 25 (30):

"Dieses Gesetz gilt, soweit nicht wohlerworbene Privatrechte entgegenstehen, für die Fischerei in den öffentlichen oder in den dem Kanton gehörenden Gewässern."
Und § 4 Abs. 1 des gleichen Gesetzes lautet:
"Die Fischerei in den öffentlichen Gewässern ist mit Ausnahme der Privatfischenzen Staatsregal."
In § 8 ist sodann vorgesehen, dass Privatfischenzen in öffentlichen Gewässern durch den Kanton mit Zustimmung des Kantonsrates enteignet werden können.
Nach § 86 Abs. 2 des zugerischen Einführungsgesetzes zum ZGB vom 17. August 1911 bedürfen "besondere Privatberechtigungen an den öffentlichen Sachen" allerdings der "ausdrücklichen staatlichen oder gemeindlichen Konzession". Damit soll aber wohl bloss gesagt werden, dass Privatrechte an öffentlichen Sachen neu nur noch mit Bewilligung des Staates oder der Gemeinde begründet werden können (was implizite auch eine Ersitzung vom Gemeinwesen ohne dessen Zustimmung bzw. nachträgliche Genehmigung ausschliesst). Hingegen kann diese Bestimmung nicht den Sinn haben, dass bereits bestehende, wohlerworbene Privatrechte untergehen, falls um eine Konzession dafür nicht nachgesucht oder eine solche nicht erteilt wird. Eine andere Auffassung wäre mit der Eigentumsgarantie kaum vereinbar. Die Konzession könnte nämlich für Fischenzen, die den Charakter wohlerworbener Rechte haben, ohne Verletzung der Eigentumsgarantie gar nicht verweigert werden. Aufgrund des zugerischen Rechts ist somit davon auszugehen, dass von alters her bestehende private Fischenzen an öffentlichen Gewässern unabhängig davon anerkannt werden, ob hiefür eine Konzession erteilt worden ist oder nicht.
Lässt das Recht des Kantons Zug aber wohlerworbene Privatrechte an öffentlichen Gewässern zu, so ist auf diese Rechte grundsätzlich das Bundesprivatrecht anwendbar (MEIER-HAYOZ N. 82 ff, insbes. N. 83 zu Art. 664 ZGB; ITEN S. 113; ZUMBACH S. 74 ff; BÜHLER S. 123; BGE 88 II 502 /03). Die Anwendung der Regeln des ZGB auf Rechte, die aus einer früheren Rechtsordnung stammen, kann zwar, wie in BGE 88 II 503 hervorgehoben wird, zu gewissen Schwierigkeiten führen. Diese sind jedoch im Falle der Fischenzen nicht unüberwindlich. Eine Fischenz wie die streitige kann als übertragbares und vererbliches dingliches Nutzungsrecht aufgefasst werden, das der

BGE 97 II 25 (31):

Kategorie der irregulären Personaldienstbarkeiten im Sinne von Art. 781 ZGB zuzuordnen ist und als selbständiges und dauerndes Recht in das Grundbuch aufgenommen werden kann (ITEN S. 115 f, ZUMBACH S. 75 ff, BÜHLER S. 124). Diese Betrachtungsweise wird der liegenschaftenähnlichen Behandlung der Fischenzen im alten zugerischen Recht am ehesten gerecht (vgl. dazu ZUMBACH S. 72 ff) und entspricht übrigens auch der im Kanton Zug geübten grundbuchamtlichen Praxis (derselbe S. 79 Anm. 17).
Gemäss Art. 19 Abs. 1 der Anwendungs- und Einführungsbestimmungen zum ZGB richtet sich die Ersitzung vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an nach dem neuen Recht. Der Kanton Aargau macht nun allerdings geltend, die streitige Fischenz schon unter der Herrschaft des früheren Rechts ersessen zu haben. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, falls sich ergibt, dass die Ersitzung jedenfalls seit Inkrafttreten des ZGB eingetreten ist. Das setzt aber voraus, dass die Fischenz nicht schon vorher zufolge Nichtausübung durch das Kloster Muri untergegangen ist, wie der Kanton Zug geltend macht, der annimmt, das Kloster habe auf dieses Recht stillschweigend verzichtet.
b) Es ist unbestritten, dass das Kloster Muri die Ausübung des Fischereirechts durch den Kanton Aargau von der Säkularisation des Klostervermögens an geduldet hat, ohne sich je dagegen zur Wehr zu setzen. Nur so ist es übrigens erklärlich, dass der Kanton Zug als Eigentümer der rechten Reusshälfte erst im Zusammenhang mit der Grundbuchbereinigung inne wurde, dass der Kanton Aargau das fragliche Recht seit mehr als 100 Jahren anstelle des Klosters Muri ausgeübt hat. Wenn aus dem passiven Verhalten des Klosters Muri rechtlich überhaupt etwas abgeleitet werden könnte, so noch eher eine stillschweigende

BGE 97 II 25 (32):

Anerkennung des Übergangs des Fischereirechts an den Kanton Aargau als ein Verzicht des Klosters auf die Fischenz gegenüber dem Kanton Zug. Denn wer es ohne weiteres geschehen lässt, dass ein anderer sein auf fremdem Staatsgebiet gelegenes Recht an sich zieht, gibt dieses Recht höchstens zugunsten dieses andern auf und nicht zugunsten des Belasteten. Kann der Auffassung des Kantons Zug, die Fischenz sei durch stillschweigenden Verzicht des Klosters Muri untergegangen, bereits aus diesem Grunde nicht gefolgt werden, so muss nicht näher geprüft werden, ob ein wohlerworbenes Recht durch Nichtausübung überhaupt untergehen kann.
4. Aufgrund des Zivilgesetzbuches ist somit zu prüfen, ob der Kanton Aargau die von ihm beanspruchte Fischenz in der Zeit seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ersessen hat. Der Anwendung der Bestimmungen des ZGB über die Ersitzung steht § 86 Abs. 2 des zugerischen EG zum ZGB nicht entgegen, wie der Kanton Zug fälschlicherweise annimmt. Wie schon vorn, Ziffer 2 lit. b, ausgeführt wurde, kann der Weiterbestand eines wohlerworbenen Privatrechts nicht von der in dieser Vorschrift vorgesehenen Konzession abhängen. Sowenig aber die Nichterteilung der Konzession zum Untergang eines solchen Rechts führen kann, sowenig vermag sie dessen Ersitzung im Verhältnis zu einem früheren Inhaber (wohl aber zum Eigentümer der öffentlichen Sache selber) zu hindern. Ob eine Ersitzung eingetreten ist, beurteilt sich vielmehr ausschliesslich nach Bundesrecht.
Insoweit jedoch der Kanton Zug mit seinem Hinweis auf § 86 Abs. 2 EG/ZGB geltend machen will, die Ersitzung eines privaten Rechts an einem öffentlichen Gewässer sei gar nicht möglich, geht er von einer falschen Voraussetzung aus. Es trifft an sich zwar zu, dass nach überwiegender Auffassung die Ersitzung dinglicher Rechte an öffentlichen Sachen nicht möglich ist (MEIER-HAYOZ N. 145 zu Art. 664 ZGB; HAAB N. 6 und 19 zu Art. 661 - 663 ZGB; ITEN S. 118;BGE 52 II 120/21. Anderer Meinung LIVER, N. 121 ff. zu Art. 731 ZGB). Es mag auch richtig sein, dass das zugerische Recht im besondern die Ersitzung solcher Rechte an öffentlichen Sachen nicht zulässt. Hier geht es jedoch um die Frage, ob ein unbestrittenermassen seit alters an einer öffentlichen Sache bestehendes Privatrecht durch Ersitzung auf einen neuen Inhaber übergehen konnte. Bei selbständigen und dauernden Rechten wie der streitigen

BGE 97 II 25 (33):

Fischenz ist, wie schon mehrfach angetönt wurde, zwischen der Entstehung des Rechts durch Ersitzung gegenüber dem Eigentümer der belasteten Sache und der Ersitzung des bereits bestehenden Rechts im Verhältnis zum bisherigen Inhaber zu unterscheiden (MEIER-HAYOZ N. 9 zu Art. 661 und Haab N. 7 zu Art. 661 - 663 ZGB). Es wäre in keiner Weise gerechtfertigt, den Übergang eines an einer öffentlichen Sache bestehenden selbständigen und dauernden Rechts auf einen neuen Inhaber zufolge Ersitzung mit Rücksicht darauf auszuschliessen, dass dieses Recht eine öffentliche Sache belastet. Denn die Gründe, die einer Ersitzung von Rechten an öffentlichen Sachen entgegenstehen, treffen auf das Verhältnis zweier Ansprecher untereinander nicht zu (in diesem Sinne ausdrücklich RUDOLF GMÜR, Die Abgrenzung des Fischereiregals von den privaten Fischenzen im Kanton Bern, Diss. Bern 1949, S. 103 Anm. 2).
5. a) Die Ersitzung der streitigen Fischenz im Verhältnis zum Kloster Muri als früherem Inhaber richtet sich nach den Bestimmungen des ZGB über die Ersitzung von Grundstücken und nicht nach jenen über die Ersitzung von Dienstbarkeiten, da es sich um ein selbständiges und dauerndes Recht handelt, das rechtlich wie ein Grundstück zu behandeln ist (MEIER-HAYOZ N. 9 zu Art. 661 und N. 10 zu Art. 662 ZGB). Und zwar kommt nur eine ausserordentliche Ersitzung im Sinne von Art. 662 ZGB in Frage, weil die betreffende Fischenz noch nicht in das Grundbuch aufgenommen ist. Eine solche Ersitzung setzt aber voraus, dass überhaupt eine Pflicht zur Aufnahme in das Grundbuch besteht (MEIER-HAYOZ N. 4 zu Art. 662 ZGB). Das trifft hier zu: Bei der streitigen Fischenz handelt es sich um ein privates Recht an einer öffentlichen Sache, das mit Rücksicht auf seinen selbständigen und dauernden Charakter rechtlich wie ein privates Grundstück behandelt wird. Em solches Recht muss gemäss Art. 943 Abs. 1 Ziffer 2 ZGB ins Grundbuch aufgenommen werden (was wiederum bedingt, dass zuvor die damit belastete öffentliche Sache selber Aufnahme ins Grundbuch findet, weil dingliche Rechte daran zur Eintragung gelangen - vgl. Art. 944 Abs. 1 ZGB -; dafür ist jedoch im Kanton Zug wegen der gemäss § 155 EG/ZGB bestehenden allgemeinen Aufnahmepflicht für öffentliche Grundstücke bereits gesorgt).
b) Die ausserordentliche Ersitzung von Grundstücken setzt ferner gemäss Art. 662 ZGB voraus, dass der Ersitzungsprätendent

BGE 97 II 25 (34):

das Grundstück ununterbrochen und unangefochten während dreissig Jahren als sein Eigentum besessen hat. Die Ersitzungsfrist beginnt dabei unabhängig vom Zeitpunkt der Einführung des Grundbuches mit dem Inkrafttreten des ZGB, also am 1. Januar 1912, zu laufen (Art. 19 SchlT/ZGB; MEIER-HAYOZ N. 16 zu Art. 662 ZGB;BGE 52 II 21E. 4 undBGE 56 II 182E. 3). Diese Frist ist im vorliegenden Fall am 1. Januar 1942 abgelaufen, also lange bevor der Kanton Zug im Zusammenhang mit der Einführung des eidgenössischen Grundbuches vom Anspruch des Kantons Aargau auf die streitige Fischenz Kenntnis erhielt. Es kann nicht bestritten werden, dass der Kanton Aargau die Fischenz während dieser dreissig Jahre als sein Eigentum besessen hat und insoweit die Voraussetzungen für die Ersitzung erfüllte. Der gute Glaube ist - im Gegensatz zur ordentlichen Ersitzung - nicht erforderlich, und auf den Erwerbsgrund kommt ebenfalls nichts an (MEIER-HAYOZ N. 18 zu Art. 662).
Zur Ersitzung tauglich ist der Besitz nach der Lehre aber dann nicht, wenn er durch Gewalt erworben wurde (MEIER-HAYOZ N. 14 zu Art. 662 und N. 18 zu Art. 661 ZGB mit Hinweisen). Nun verstiess zwar die (weitgehend entschädigungslose) Säkularisation des Klosters Muri und damit die Inbesitznahme der umstrittenen Fischereirechte durch den Kanton Aargau im Jahre 1841 offensichtlich gegen Art. 12 des Bundesvertrages von 1815, der den Fortbestand der Klöster und die Sicherheit ihres Eigentums garantierte (vgl. dazu HIS, Geschichte des neueren Schweizerischen Staatsrechts, Basel 1929, Band II S. 117 f und 632 ff; BÖLSTERLI, Die rechtliche Stellung der Klöster in der Schweiz, 1913, S. 25 ff, 32 ff, 51-59; HEUBERGER, Die aargauischen Pfrundgüter, Diss. Zürich 1908, S. 44 ff; BURCKHARDT, Kommentar zur schweizerischen Bundesverfassung, 3. A., S. 484); doch wurde das Vorgehen des Kantons Aargau von der Tagsatzung schliesslich indirekt gebilligt, indem diese, nachdem sie sich mehrmals damit befasst und erfolglos versucht hatte, den Kanton Aargau zur Rückgängigmachung seines Schrittes zu veranlassen, am 31. August 1843 mit knapper Mehrheit beschloss, die ganze Klosterfrage endgültig aus Abschied und Traktanden fallen zu lassen. Eine Art stillschweigender Anerkennung erfuhr die Säkularisation dann auch durch die Gründung des Bundesstaates und die Bundesverfassung von 1848, in die keine dem Art. 12 des Bundesvertrages

BGE 97 II 25 (35):

entsprechende Bestimmung aufgenommen wurde, so dass es fortan den Kantonen freistand, Klöster aufzuheben und das Klostergut zu säkularisieren (BURCKHARDT, a.a.O., S. 437, 484 und 487; vgl. dazu auch BGE IX, 1883, S. 341 Erw. 5, wo das Bundesgericht die Rechtmässigkeit eines vom solothurnischen Volke genehmigten Dekrets vom 18.9.1874 über die Säkularisierung eines Klosters anerkannte indem es feststellte, über das Schicksal des Vermögens sei "in staatsrechtlich gültiger Weise" verfügt worden). Nachdem also die Aufhebung des Klosters Muri von der Tagsatzung und später von der Verfassung des neu gegründeten Bundesstaates praktisch sanktioniert wurde, kann heute der Richter dem Kanton Aargau nicht die Ersitzungsfähigkeit an der Fischenz absprechen mit der Begründung, er habe diese gewaltsam erworben. Der Kanton Zug macht denn auch - bei aller Bestreitung der Rechtmässigkeit der Säkularisation - selber zu Recht nicht geltend, der Kläger habe den Besitz seinerzeit gewaltsam erlangt.
Hingegen bestreitet der Beklagte, dass der Besitz unangefochten gewesen sei, und führt an, das Kloster Muri habe gegen die Säkularisation seines Vermögens protestiert und das ihm zugefügte Unrecht auch später nie anerkannt. Darin kann jedoch keine Anfechtung im Sinne von Art. 662 ZGB erblickt werden, denn hiezu hätte es der Klageerhebung bedurft (MEIER-HAYOZ N. 23 zu Art. 661 in Verbindung mit N. 17 zu Art. 662 ZGB; HAAB N. 10 zu Art. 661-663 ZGB). Eine solche ist unbestrittenermassen nie erfolgt. Entgegen der Auffassung des Kantons Zug kann es im übrigen für die Bestimmung des Begriffs der Unangefochtenheit des Besitzes nicht auf das zugerische Recht ankommen, gegen dessen ordre public eine Ersitzung an säkularisiertem Gut verstossen soll. Die Voraussetzungen der Ersitzung sind vielmehr ausschliesslich aufgrund des ZGB zu beurteilen. Nach diesem hat der Kanton Aargau die streitige Fischenz während mehr als dreissig Jahren ununterbrochen und unangefochten als sein Eigentum besessen.
6. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Voraussetzungen für die ausserordentliche Ersitzung der streitigen Fischenz durch den Kanton Aargau erfüllt sind und dieser somit das Eigentum an der rechtlich wie ein Grundstück zu behandelnden Fischenz jedenfalls auf diesem Wege erworben hat. Gemäss Art. 662 Abs. 3 ZGB darf die Eintragung des Ersitzenden als Eigentümer im Grundbuch jedoch nur auf

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richterliche Anordnung erfolgen, nachdem binnen einer durch amtliche Auskündung angesetzten Frist kein Einspruch erhoben oder der erfolgte Einspruch abgewiesen worden ist (vgl. über dieses Auskündungsverfahren MEIER-HAYOZ N. 19 und 20 zu Art. 662 ZGB sowie HAAB N. 22 zu Art. 661-663 ZGB). Eine solche Auskündung ist hier nicht erfolgt. Es fragt sich daher, ob der Kanton Aargau trotzdem als Eigentümer im Grundbuch eingetragen werden kann.
LIVER weist im Zusammenhang mit seiner Besprechung von BGE 82 II 388 in ZBJV 94 (1958) S. 28 mit Recht darauf hin, dass es Fälle gibt, in denen das Auskündungsverfahren und die damit verbundene richterliche Eintragungsanordnung völlig überflüssig sind (eine Auffassung, die von MEIER-HAYOZ geteilt wird, vgl. N. 21 zu Art. 662 ZGB). Der Zweck der Auskündung besteht, wie LIVER zutreffend bemerkt, einzig und allein darin, den Berechtigten Gelegenheit zu geben, gegen das Begehren des Ersitzungsprätendenten um Eintragung Einspruch zu erheben und gerichtlich feststellen zu lassen, dass die Voraussetzungen der Ersitzung nicht gegeben sind. Wo jedoch zum vornherein genau festeht, wer als Berechtigter in Frage kommt, und der Betreffende im ordentlichen Prozess um das Eigentum selber Partei ist, wäre es völlig sinnlos, auf der Durchführung eines speziellen Auskündungsverfahrens bestehen zu wollen. Das ist hier der Fall. Zwar ist das einzig als Berechtigter in Frage kommende Kloster Muri-Gries selber nicht am Prozess beteiligt. An seiner Stelle ist jedoch der Kanton Zug getreten, der sich auf eine Abtretung der Fischenz durch den Abt dieses Klosters stützt und im vorliegenden Prozess als Beklagter auftritt. Ob das Kloster Muri-Gries in Bozen zivilrechtlich wirklich als Rechtsnachfolger des säkularisierten Klosters Muri betrachtet werden kann, mag offenbleiben. Verneinendenfalls wäre nämlich davon auszugehen, dass das durch die Säkularisation aufgehobene Kloster Muri entweder untergegangen ist, ohne einen Rechtsnachfolger zu hinterlassen, oder dass als Rechtsnachfolger der Kanton Aargau zu gelten hat, der im gegenwärtigen Prozess ebenfalls Parteistellung einnimmt.
Erweist sich somit ein Auskündungsverfahren als überflüssig, ist der Kanton Aargau, da sämtliche Voraussetzungen der Ersitzung erfüllt sind, in Gutheissung der Klage als Eigentümer der Fischenz im Grundbuch einzutragen. Die Voraussetzungen zur Aufnahme des Rechts als Grundstück sind gemäss Art. 7

BGE 97 II 25 (37):

Abs. 2 der Grundbuchverordnung gegeben. Unter diesen Umständen muss nicht näher geprüft werden, ob der Kanton Aargau die Fischenz allenfalls bereits im Zusammenhang mit der Säkularisation des Klosters Muri rechtsgültig erworben hat, was der Kanton Zug bestreitet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
In Gutheissung der Klage wird festgestellt, dass dem Kanton Aargau an der unter der Hoheit des Kantons Zug stehenden Reusshälfte (Grundbuchparzelle Nr. 1, Hünenberg) im Abschnitt, der von einem Punkt 1000 m unterhalb der Reussbrücke in Mühlau bis zur Lorzemündung reicht, eine Fischenz zusteht. Diese ist als Dienstbarkeit zulasten der Parzelle Nr. 1, Hünenberg, im Grundbuch einzutragen und sodann im Sinne von Art. 655 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB als Grundstück ins Grundbuch aufzunehmen.