22. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. Juni 1980 i.S. R. gegen R. (Berufung)
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Regeste
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Scheidungsprozess, Berufung ans Bundesgericht.
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Das gilt auch für den Scheidungsgrund des Ehebruchs (Änderung der Rechtsprechung).
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Sachverhalt
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BGE 106 II 117 (117):
Am 13. Juli 1978 hob Pierina R. eine Trennungsklage an, die sie auf Art. 142 ZGB stützte. Im Laufe des Instruktionsverfahrens vor dem Bezirksgericht schlossen die Parteien eine Konvention, in der sie dem Gericht beantragten, ihre Ehe wegen tiefer und unheilbarer Zerrüttung zu trennen, und sie die Nebenfolgen der Trennung regelten. An Schranken verlangte die Klägerin, die Ehe sei "auf beidseitiges Begehren gemäss Art. 142 ZGB bzw. Art. 137 ZGB auf unbestimmte Zeit zu trennen". Mit Urteil vom 22. März 1979 trennte das Bezirksgericht die Ehe der Parteien in Anwendung von Art. 142 Abs. 1 und 146 ZGB auf unbestimmte Zeit und regelte die Nebenfolgen der Trennung. Das Begehren der Klägerin, die Trennung auch gestützt auf Art. 137 ZGB auszusprechen, wies es ab, weil BGE 106 II 117 (118):
das gemeinsame Trennungsbegehren in der Trennungskonvention einen Verzicht auf die Anrufung eines von Art. 142 ZGB verschiedenen Trennungsgrundes impliziere und weil die Klägerin gar kein Interesse daran habe, gesondert feststellen zu lassen, dass auch die Voraussetzungen von Art. 137 ZGB gegeben seien.
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Gegen dieses Urteil erklärte die Klägerin die Berufung an das Kantonsgericht St. Gallen, wobei sie unter anderem an ihrem Antrag festhielt, die Ehe sei auch in Anwendung von Art. 137 ZGB zu trennen. In diesem Punkt wies das Kantonsgericht die Berufung mit Urteil vom 19. Dezember 1979 ab, mit der Begründung, der in der Trennungskonvention enthaltene Verzicht auf die Anrufung des Art. 137 ZGB sei zulässig.
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Mit der vorliegenden Berufung ans Bundesgericht beantragt die Klägerin, die Ehe der Parteien sei in Anwendung von Art. 137 und 142 ZGB auf unbestimmte Zeit gerichtlich zu trennen. Das Bundesgericht tritt auf die Berufung nicht ein.
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Aus den Erwägungen:
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Nach Rechtsprechung und Lehre bildet der Scheidungs- bzw. Trennungsgrund nicht Bestandteil des Urteilsdispositivs, sondern er gehört zu den Urteilsmotiven (BGE 69 II 350, BGE 68 II 338, BÜHLER, N. 54 der Einleitung zu Art. 137 ff. ZGB; HINDERLING, Das schweizerische Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 209; STRÄULI/MESSMER, N. 11 zu § 202 ZPO/ZH). Nach Art. 143 ZGB geht die Klage auf Scheidung oder Trennung schlechthin; es gibt somit nicht für jeden Scheidungsgrund eine besondere Scheidungsklage, d.h. einen besonderen Scheidungsanspruch, sondern eine einzige Scheidungs- bzw. Trennungsklage, die allerdings verschiedener Begründung fähig ist (BÜHLER, N. 51 der Einleitung). Da aber die Urteilsmotive an der Rechtskraft des Urteils nicht teilhaben, ist eine Berufung, die sich bloss gegen die Begründung eines Entscheids richtet, mangels Beschwerung des Berufungsklägers nicht zulässig BGE 106 II 117 (119):
(BGE 103 II 159 /160, BGE 102 II 127, BGE 86 II 383, BGE 74 II 177, BGE 56 II 136 /137, 40 II 574; BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 75). Dies gilt auch dann, wenn die Motive (zu Unrecht) formell ins Dispositiv aufgenommen worden sind; dadurch wird ihr Charakter nicht geändert und der Berufungskläger nicht beschwert (BGE 40 II 574 : Unzulässigkeit einer Berufung gegen die im Dispositiv enthaltene, materiell aber zur Begründung gehörende Feststellung, dass der Berufungskläger an der Zerrüttung der Ehe vorwiegend schuldig sei). Das Bundesgericht tritt deshalb grundsätzlich nicht auf Berufungen ein, mit denen einzig bezweckt wird, einem Scheidungsurteil einen andern bzw. einen zusätzlichen Scheidungsgrund zugrundezulegen (BGE 69 II 350 /351, BGE 68 II 338). Die Berufung gegen den Scheidungsgrund wird jedoch entgegen diesem Grundsatz ausnahmsweise zugelassen, wenn es sich um den Scheidungsgrund des Ehebruchs handelt (BGE 69 II 350, 68 II 338/339, BGE 47 II 249 /250). Diese Ausnahme wird in den zitierten Entscheiden damit begründet, dass die Nebenfolgen der Scheidung, insbesondere die dem schuldigen Ehegatten gemäss Art. 150 Abs. 1 ZGB aufzuerlegende Wartefrist, bei einer Scheidung wegen Ehebruchs nicht gleich seien wie bei einer solchen wegen tiefer Zerrüttung und dass abgesehen davon der Ehebruch eine so schwere Verletzung der ehelichen Pflichten darstelle, dass dem verletzten Ehegatten das Recht auf dessen Feststellung durch den Ehescheidungsrichter in allen Fällen gewahrt bleiben müsse. Nach der bisherigen Rechtsprechung wäre die Berufung der Klägerin, mit der sie feststellen lassen will, das die Trennung auch gestützt auf Art. 137 ZGB ausgesprochen werde, somit als zulässig zu betrachten.
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a) Was zunächst den Einfluss des Scheidungsgrundes auf die Scheidungsfolgen anbetrifft, so hat das Bundesgericht schon in BGE 69 II 351 festgehalten, dass diese von der Berufungsinstanz auch ohne formelle Abänderung des Urteilsdispositivs im Scheidungspunkt sachgerecht geordnet werden können (vgl. auch BÜHLER, Einleitung N. 53; HINDERLING, a.a.O. S. 215). Insbesondere ist das Bundesgericht in der Beurteilung der Schuldfrage frei, auch wenn der Scheidungspunkt nicht mehr streitig ist. Es kann z.B. einem Ehegatten eine Rente gemäss Art. 151 ZGB zusprechen, die grundsätzlich Schuldlosigkeit BGE 106 II 117 (120):
voraussetzt, obwohl die Ehe vom kantonalen Richter aus einem Grund geschieden wurde, der ein Verschulden des betreffenden Gatten impliziert (HINDERLING, a.a.O. S. 216/217). Dass die Entscheidung im Scheidungspunkt derart jener hinsichtlich der Nebenfolgen widersprechen kann, ist die notwendige Folge des Grundsatzes, dass die Entscheidungsgründe an der Rechtskraft des Urteils nicht teilhaben (LEUCH, Die ZPO für den Kanton Bern, 3. Aufl., S. 313; E. HÄGI, Die Beschwer als Rechtsmittelvoraussetzung im schweizerischen und im deutschen Zivilprozessrecht, Diss. Zürich 1974, S. 202).
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b) Das Eheverbot, das der Richter nach Art. 150 Abs. 1 ZGB dem schuldigen Ehegatten aufzuerlegen hat, hat den Charakter einer Strafe, die von Amtes wegen zu verhängen ist, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, nicht jedoch denjenigen einer Genugtuung für den verletzten Ehegatten (BGE 69 II 353, 68 II 149; BÜHLER, N. 1 zu Art. 150 ZGB). Dieser hat keinen Anspruch auf Aussprechung des Eheverbots gegenüber dem schuldigen Gatten und kann deshalb mangels Beschwerung auch kein Rechtsmittel einlegen, wenn der Richter keines auferlegt hat (BÜHLER, N. 32 zu Art. 150 ZGB; HINDERLING, a.a.O. S. 116/117; HÄGI, a.a.O. S. 142/143, 386/387). Kann aber der verletzte Ehegatte die Frage des Eheverbots für sich allein nicht zum Gegenstand einer Berufung machen, so besteht auch kein Grund, ihm zu gestatten, im Berufungsverfahren nur wegen des damit verbundenen Eheverbots den Scheidungsgrund des Ehebruchs feststellen zu lassen (HINDERLING, a.a.O. S. 215; HÄGI, a.a.O. S. 200).
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Wird die Ehe wie im vorliegenden Fall nur getrennt, so kommt der Frage der Wartefrist im übrigen keine Bedeutung zu. Sollte eine der Parteien nach Ablauf einer Trennungszeit von drei Jahren gestützt auf Art. 148 ZGB die Scheidung verlangen, so kann, da die Dauer einer vorausgegangenen gerichtlichen Trennung nach Art. 150 Abs. 2 ZGB in die Wartefrist einzurechnen ist und diese höchstens drei Jahre betragen darf, ein Eheverbot nicht ausgesprochen werden. Abgesehen davon wird der Scheidungsrichter das Verhalten der Parteien frei würdigen können, ohne an die Beurteilung des Trennungsrichters gebunden zu sein (BGE 100 II 243; BÜHLER, N. 51 zu Art. 147/148 ZGB; HÄGI, a.a.O. S. 372).
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c) Dass der Ehebruch dem verletzten Ehegatten deswegen Anspruch auf Feststellung durch den Berufungsrichter geben BGE 106 II 117 (121):
soll, weil er eine besonders schwere Verletzung der ehelichen Pflichten darstellt, vermag nicht zu überzeugen. Es gibt auch andere Scheidungsgründe, die auf ebenso schweren Pflichtverletzungen beruhen, z.B. die Nachstellung nach dem Leben (Art. 138 ZGB). In diesen Fällen lässt die Rechtsprechung aber die Berufung gegen den Scheidungsgrund nicht zu. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Scheidungsgrund des Ehebruchs diesbezüglich eine Sonderbehandlung verdienen soll (HINDERLING, a.a.O. S. 215). Aus dem materiellen Scheidungsrecht, das nach dem bereits Gesagten nur eine Klage auf Scheidung oder Trennung schlechthin kennt, lässt sich eine solche jedenfalls nicht ableiten. Der Scheidungsspruch als solcher hat nicht die Funktion, dem Kläger Genugtuung zu verschaffen. Fühlt sich ein Ehegatte durch die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, in seinen persönlichen Verhältnissen schwer verletzt, so kann er nach Art. 151 Abs. 2 ZGB eine Summe Geldes als Genugtuung verlangen. Würde man einen im Berufungsverfahren durchsetzbaren Anspruch auf Aufnahme des Scheidungsgrundes des Ehebruchs ins Urteilsdispositiv mit der Begründung anerkennen, es handle sich dabei um eine besonders schwere Pflichtverletzung, so liefe dies auf eine andere Art der Genugtuung heraus, für die das Gesetz keine Grundlage bietet.
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d) In der Lehre wird die Sonderbehandlung des Scheidungsgrundes des Ehebruchs dadurch gerechtfertigt, dass die strafrechtliche Erfassung des Ehebruchs gemäss Art. 214 StGB dessen Feststellung im Scheidungsurteil voraussetze (BÜHLER, N. 52 der Einleitung; HINDERLING, a.a.O. S. 215/216; HÄGI, a.a.O. S. 387 ff.). Auf diesen strafrechtlichen Gesichtspunkt kann es jedoch nicht ankommen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Straftatbestand des Ehebruchs in der Praxis eine ausserordentlich geringfügige Rolle spielt. So wurden in den Jahren 1969 bis 1978 im Jahresdurchschnitt 1634 Ehen in Anwendung von Art. 137 ZGB geschieden (Statistisches Jahrbuch der Schweiz, 1979 S. 44), aber nur 4,2 Strafurteile wegen Ehebruchs ausgesprochen (Die Strafurteile in der Schweiz, herausgegeben vom Bundesamt für Statistik, 1969-1978). Die Scheidung wegen Ehebruchs führt also nur in den seltensten Fällen zur Bestrafung des Ehebrechers. Diesem Umstand ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Berufung gegen den Scheidungsgrund im Falle des Ehebruchs wegen Art. 214 StGB ausnahmsweise zugelassen werden müsse, Rechnung zu tragen. Auch im BGE 106 II 117 (122):
vorliegenden Fall macht die Klägerin übrigens nicht geltend, sie gedenke gegen den Beklagten Strafantrag wegen Ehebruchs zu stellen. Sodann gewährt der Umstand, dass es sich bei Art. 214 StGB um ein Antragsdelikt handelt, dem beleidigten Ehegatten entgegen der sinngemäss von HÄGI (a.a.O. S. 389) vertretenen Ansicht kein subjektives Recht auf Bestrafung des Ehebrechers, das er allenfalls verlieren würde, wenn er die Feststellung des Ehebruchs als Scheidungsgrund im Scheidungsurteil nicht durchsetzen könnte. Auch bei den Antragsdelikten steht der Strafanspruch grundsätzlich ausschliesslich dem Staat zu (BGE 72 I 293). Wenn der Gesetzgeber in gewissen Fällen die Strafverfolgung von einem Antrag des Verletzten abhängig macht, so will er diesem damit nicht ein Mittel in die Hand geben, sein Interesse an der Strafverfolgung des Täters wirksam durchsetzen zu können. Er stellt das Erfordernis des Strafantrags vielmehr deswegen auf, weil er in diesen Fällen keinen genügenden Anlass sieht, den staatlichen Strafanspruch gegen den Willen des Verletzten geltend zu machen (BGE 79 IV 103; REHBERG, Der Strafantrag, ZStrR 85/1969, S. 272). Dementsprechend hat der Antragsteller, obwohl er nach Art. 270 Abs. 1 BStP zur Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof legitimiert ist, von Bundesrechts wegen keinen Anspruch darauf, im kantonalen Strafverfahren Parteirechte auszuüben (BGE 84 IV 131). Auch ist er nicht befugt, gegen einen Einstellungsbeschluss oder ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche Beschwerde zu führen (BGE 72 I 292 ff.). Kann aber der verletzte Ehegatte sein Interesse an der Bestrafung des Ehebrechers im Strafprozess - abgesehen von der Möglichkeit der Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde - nicht selbständig zur Geltung bringen, so ist nicht einzusehen, weshalb es ihm im Zivilprozess gestattet sein sollte, zur Wahrung dieses Interesses ein ihm sonst nicht zustehendes Rechtsmittel zu ergreifen und von der Berufungsinstanz den Scheidungsgrund des Ehebruchs feststellen zu lassen.
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Auf die Berufung kann daher nicht eingetreten werden.
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