BGE 107 II 216 |
29. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1981 i.S. A. Locher Maschinen, Einzelfirma, und Maloc A. Locher AG gegen Sicar s.n.c., Officine Meccaniche e Fonderie (Berufung) |
Regeste |
Teilnichtigkeit (Art. 20 Abs. 2 OR). |
Sachverhalt |
Alfred Locher ist Fachmann für maschinelle Holzbearbeitung. Er begann als Inhaber der Einzelfirma A. Locher, Maschinen, ab 1974 mit dem Aufbau einer Organisation für den Handel mit Holzbearbeitungsmaschinen in den COMECON-Staaten. Im März 1976 wurde die Einzelfirma in die Maloc A. Locher AG umgewandelt; sie stellte im gleichen Jahr ihre Tätigkeit in der Schweiz ein und konzentrierte sich auf den Handel mit Osteuropa. |
Die Kollektivgesellschaft Sicar s.n.c., Officine Meccaniche e Fonderie, in Carpi, Italien, stellt unter anderem Maschinen für die Holzbearbeitung her und beschäftigt sich auch mit deren Verkauf. Sie schloss am 10. Januar 1975 mit der Firma A. Locher einen Vertrag, mit dem sie dieser die Generalvertretung und das Alleinverkaufsrecht für ihre Produkte in der DDR, der CSSR, Polen, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien und der UdSSR übertrug. Ziffer 7 des Vertrags lautet: "La durata di validità di questo contratto è di due anni, e sarà tacitamente prorogato, se non sarà disdetto sei mesi prima della scadenza. Il contratto non può essere disdetto se la ditta Locher potrà dare la prova di intensi sforzi per la vendita. ... Il diritto di vendita esclusivo non potrà essere tolto alla ditta Locher, se questa potrà provare che sta lavorando intensamente per la clientela nei paesi già menzionati. ..."
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Aus den Erwägungen: |
Das Handelsgericht ist gegenteiliger Meinung. Es führt aus, bei Nichtigkeit der vertraglichen Kündigungsregelung liege ein Dauerschuldverhältnis vor, dem die notwendige Bestimmung über seine Beendigung fehle. Diese Lücke müsse wie allgemein bei unvollständigen Verträgen durch das dispositive Gesetzesrecht geschlossen werden, das für den Alleinverkaufsvertrag als Innominatkontrakt fehle, weshalb die Regelungen des Agenturvertrags (Art. 418q Abs. 1 OR) und der einfachen Gesellschaft (Art. 546 Abs. 1 OR) entsprechend heranzuziehen seien. Die Unkündbarkeit während den ersten zwei Jahren lasse sich in Berücksichtigung des Parteiwillens aufrecht erhalten. Das Handelsgericht prüft darauf, ob die Kläger den Vertrag auch eingegangen wären, wenn sie gewusst hätten, dass sich die Beklagte nach zwei Jahren aus dem Vertrag würde lösen können, was es verneint. |
a) Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 93 II 192, BGE 80 II 336) Art. 20 Abs. 2 OR nicht nur zur Anwendung kommt, wenn Nebenpunkte eines Vertrages nichtig sind, sondern auch dann, wenn die Nichtigkeit einen Hauptpunkt betrifft. Diese Frage wird aber vom Handelsgericht gar nicht aufgeworfen, denn es ist der Auffassung, Art. 20 Abs. 2 OR gestatte dem Richter nicht, eine in bezug auf die Dauer übermässige Vertragsbindung auf das erlaubte Mass zu beschränken, da die Nichtigkeit einer Vertragsklausel nicht zum Ersatz durch etwas anderes als das dispositive Recht führen könne. Während die Lehre überwiegend gegenteiliger Ansicht ist (GUHL/MERZ/KUMMER, OR, 7. Aufl., S. 43; BUCHER, OR, S. 236; VON TUHR/PETER, S. 227/8; PIOTET, ZSR 76 (1957) I S. 107 ff.; SPIRO, ZBJV 88 (1952) S. 461 ff.), hat das Bundesgericht in seiner veröffentlichten Rechtsprechung die Beschränkung einer sittenwidrigen oder widerrechtlichen Verpflichtung auf das erlaubte Mass teils vorgenommen (BGE 47 II 464, BGE 57 II 593 /4, BGE 62 II 32 Nr. 10: nicht publizierte E. 6; 93 II 192), teils stillschweigend oder ausdrücklich abgelehnt (BGE 67 II 224 f.; 80 II 336). Im diesbezüglich letzten Entscheid BGE 96 II 133 sprach sich das Bundesgericht dagegen aus, die durch die Nichtigkeit einer Vertragsklausel entstandene Lücke nach dem mutmasslichen Parteiwillen auszufüllen. In jenem Fall, der einen Mietvertrag betraf, bestand jedoch für die Vertragsbeendigung eine Regelung des dispositiven Gesetzesrechts, die für die vorliegende Vertragsart des Alleinverkaufsvertrags fehlt. Die analoge Anwendung von Art. 418q Abs. 1 OR oder Art. 546 Abs. 1 OR, wie sie das Handelsgericht vertritt, vermag für das hier in Frage stehende Rechtsverhältnis nicht zu befriedigen. Abgesehen davon, dass das Zurückgreifen auf zwei verschiedene Vertragstypen schon an sich gegen diese Lösung spricht, würde eine solche Regelung ohne erkennbaren Grund die Interessen der Parteien ungleich gewichten. Es ist deshalb zu untersuchen, welche Vertragsdauer die Parteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Nichtigkeit der Vereinbarung unter Ziffer 7 des Vertrags bekannt gewesen wäre.
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b) Die Bestimmung des mutmasslichen Parteiwillens ist vom Bundesgericht zu entscheidende Rechtsfrage; gebunden ist es dagegen an Feststellungen der Vorinstanz über Tatsachen, die bei Ermittlung dieses Willens als Anhaltspunkte in Betracht kommen (BGE 76 II 15). Da die tatsächlichen Umstände beim Vertragsschluss feststehen, braucht die Sache nicht zur Abklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückgewiesen zu werden, sondern kann das Bundesgericht sofort über die Frage entscheiden. Somit ist vorerst zu untersuchen, auf welche Dauer die Beklagte sich verpflichtet hätte, wenn sie sich bewusst gewesen wäre, dass die vertragliche Regelung eine unzulässige Bindung beinhaltet. Sodann wird zu beurteilen sein, ob die Kläger den Vertrag auch bei dieser Geltungsdauer geschlossen hätten. Dabei muss der Umstand ausser Betracht bleiben, dass der Vertrag eine feste Dauer von zwei Jahren vorsah, denn es liegt auf der Hand, dass diese Bestimmung keine selbständige Bedeutung hatte, solange die Kläger ihre Verpflichtung erfüllten und damit eine Kündigung verunmöglichten. |
Die Kläger waren ohne Zweifel an einer längeren Vertragsdauer interessiert. Das geht nicht nur aus der Tatsache hervor, dass sie einen "ewigen" Vertrag suchten, bei dem sie allein entscheiden konnten, wann er beendet werden sollte, sondern auch aus der Art des Vertrages selbst. Die Beklagte ihrerseits war sich darüber klar, dass die Kläger wesentliche Investitionen und Vorarbeiten leisten mussten, damit die Zusammenarbeit gewinnbringend werde. Sowohl die Darstellung der Kläger, es brauche mindestens drei Jahre, bis die Geschäfte anlaufen, wie ihre Behauptung, sie wären nie im Stande gewesen, die getätigten Investitionen innerhalb einer Frist von fünf Jahren wieder einzubringen, sind durchaus glaubwürdig; ob aber eine zehnjährige vertragliche Bindung Voraussetzung des Vertragsabschlusses gewesen wäre, wie sie ebenfalls geltend machen, erscheint dagegen fraglich. Wenn die Anlaufszeit mit drei Jahren berechnet wird, so dürften weitere fünf Jahre ausreichen, um die investierten Kapitalien und Vorarbeiten wettzumachen. Es ist auszuschliessen, dass die Kläger den vorliegenden teilweise nichtigen Vertrag eingegangen wären, wenn er erst nach zehn Jahren Gewinn für sie abgeworfen hätte. Daher ist anzunehmen, dass beide Parteien bei Kenntnis der Teilnichtigkeit des Vertrags die nichtige Klausel durch die Vereinbarung einer festen Vertragsdauer von acht Jahren ersetzt hätten. Dass die Beklagte damit einverstanden gewesen wäre, kann angesichts ihrer Zustimmung zur Regelung von Ziffer 7 des Vertrags, welche die Kündigungsmöglichkeit einseitig in die Hand der Kläger legt, nicht zweifelhaft sein. Sollte sie in die "ewige" Dauer des Vertrags mit der Absicht eingewilligt haben, sich unter Berufung auf die Nichtigkeit ihrer Verpflichtungen zu entziehen, sobald die Kläger die Vorarbeiten abgeschlossen hatten und der Weg in die Ostblockstaaten offen stand, so wäre ihre Einrede missbräuchlich erhoben und damit unbeachtlich. |
4. Der am 10. Januar 1975 geschlossene Alleinverkaufsvertrag endet bei einer festen Vertragsdauer von acht Jahren am 10. Januar 1983. Das Rechtsbegehren Ziffer 1 ist demnach gutzuheissen und festzustellen, dass der Vertrag nach wie vor besteht. Für die Kündigung des Vertrags auf den 10. Januar 1983 wäre entsprechend Art. 546 Abs. 1 OR eine Frist von sechs Monaten einzuhalten. Eine dieser Bestimmung entsprechende Regelung gälte auch im Fall, dass die Parteien das Vertragsverhältnis nach Ablauf der acht Jahre auf unbestimmte Zeit verlängern, ohne für dessen Beendigung eine Vereinbarung zu treffen. Der Rückgriff auf das Gesellschaftsrecht ist hier nicht nur darum gerechtfertigt, weil in der Lehre eine solche Lösung befürwortet wird (SCHLUEP, in Schweiz. Privatrecht, Bd. VII/2, S. 846), sondern vor allem weil die Zusammenarbeit der Parteien einem Gesellschaftsverhältnis sehr nahe kommt.
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