BGE 113 II 397 - Ferrarikauf |
70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung |
vom 24. September 1987 |
i.S. L. AG gegen Compagnie D. |
(Berufung) |
Regeste |
Gutgläubigkeit des Empfängers einer abhanden gekommenen Sache (Art. 934 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 ZGB). |
Keinen Gutglaubensschutz geniesst der Empfänger einer abhanden gekommenen Sache, wenn er bei deren Erwerb jene Aufmerksamkeit missen liess, die von ihm nach den Umständen verlangt werden durfte. Diesfalls sind für den gutgläubigen Erwerber die Rechtsfolgen nicht anders als für den bösgläubigen; das heisst, die Sache ist entschädigungslos an den Berechtigten herauszugeben. Eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft den Erwerber von Sachen, bei denen erfahrungsgemäss häufig damit zu rechnen ist, dass sie einem Dritten gestohlen worden sind (E. 2). |
Besonders hoch sind die Anforderungen, die an die Sorgfaltspflicht des Händlers von Occasionsautomobilen der Luxusklasse gestellt werden (E. 3a). |
Sachverhalt |
Ende 1981 kaufte die Klägerin, die Handel mit Autos der Luxusklasse betreibt, vom Vertreter einer in Dänemark domizilierten Autohandelsfirma einen Personenwagen der Marke Ferrari mit der Chassis-Nr. 33747 zum Preis von Fr. 77'000.--. In der Folge stellte es sich heraus, dass es sich um ein in Paris gestohlenes Fahrzeug handelte. |
Eine französische Versicherungsgesellschaft hatte die Autoverleihfirma entschädigt, welcher das Fahrzeug abhanden gekommen war, und die Rechte daran waren auf sie übergegangen. Sie einigte sich mit der Klägerin vorerst darauf, dass der Wagen verkauft und der Erlös auf einem gemeinsamen Bankkonto hinterlegt werde. Nachdem darüber hinaus keine Einigung hatte erzielt werden können, stellte die Klägerin beim Bezirksgericht den Antrag, es sei ihr der hinterlegte Betrag (nebst Zins und Spesen) auszuzahlen. Die Versicherungsgesellschaft erhob Widerklage, indem sie ihrerseits die Auszahlung desselben Betrages verlangte.
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Das Bezirksgericht wies die Klage ab und hiess die Widerklage gut; im gleichen Sinn entschied das Obergericht. Gegen dessen Urteil hat die Klägerin und Widerbeklagte Berufung an das Bundesgericht erhoben.
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Auszug aus den Erwägungen |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 |
Wer unter den Voraussetzungen des Art. 934 Abs. 2 ZGB eine Sache erworben hat, gilt grundsätzlich als gutgläubig im Sinne von Art. 3 Abs. 1 ZGB. Er ist also -- ungeachtet Art. 8 ZGB -- bezüglich der Beweislastverteilung dadurch privilegiert, dass der Richter von seinem guten Glauben solange auszugehen hat, bis das Gegenteil bewiesen oder vom angeblich Gutgläubigen zugestanden wird (ALFRED KOLLER, Der gute und der böse Glaube im allgemeinen Schuldrecht, Freiburg 1985, S. 50; Kommentar JÄGGI, N. 117 f. zu Art. 3 ZGB; Kommentar EGGER, N. 11 f. zu Art. 3 ZGB). |
Der Gutglaubensschutz versagt indessen, wenn die Unkenntnis des gutgläubigen Erwerbers vom Rechtsmangel darauf zurückzuführen ist, dass er beim Erwerb der Sache jene Aufmerksamkeit missen liess, die von ihm nach den Umständen verlangt werden durfte (Art. 3 Abs. 2 ZGB). Diesfalls sind für den gutgläubigen Erwerber die Rechtsfolgen nicht anders als für den bösgläubigen (Kommentar JÄGGI, N. 106 zu Art. 3 ZGB); das heisst, die Sache ist entschädigungslos an den Berechtigten herauszugeben.
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Ist der Erwerb bestimmter Sachen für einen Geschäftszweig typisch, so richtet sich das Durchschnittsmass der gebotenen Aufmerksamkeit nach der in der Branche herrschenden Verkehrsübung, doch freilich nicht nach einer allenfalls üblichen Nachlässigkeit (Kommentar JÄGGI, N. 125 zu Art. 3 ZGB). Vorweg höhere Anforderungen sind daher an jene Erwerbszweige zu stellen, in denen erfahrungsgemäss häufig Gegenstände zum Kauf oder Tausch angeboten werden, die mit Rechtsmängeln behaftet sind. Das gilt ganz besonders dann, wenn damit zu rechnen ist, dass angebotene Sachen dem Berechtigten gegen seinen Willen -- so durch Diebstahl -- abhanden gekommen sind; denn in derartigen Fällen hat der Berechtigte nicht dafür einzustehen, dass ein falscher Rechtsschein entstanden ist, indem seine Sache in den Verkehr gelangte und durch den Gegeninteressenten erworben wurde. Auch wenn grundsätzlich die Regel zutrifft, dass Art. 3 Abs. 2 ZGB keine allgemeine Erkundigungspflicht statuiert und dass sich nur erkundigen muss, wer Grund zum Verdacht hat (BGE 83 II 133 E. 1, BGE 77 II 147, BGE 38 II 468 E. 2; Kommentar JÄGGI, N. 128 zu Art. 3 ZGB, mit weiteren Hinweisen), gilt dies deshalb nur beschränkt für jene Geschäftszweige, die dem Angebot von Waren zweifelhafter Herkunft und folglich mit Rechtsmängeln behafteter Sachen in besonderem Masse ausgesetzt sind, wie es beim Handel mit Gebrauchtwaren aller Art der Fall ist. |
Erwägung 3 |
3.- a) Die Klägerin handelt mit Occasionsautomobilen; sie kauft und verkauft nach eigenen Angaben jährlich zwei- bis dreihundert Fahrzeuge der Luxusklasse. Der Ankauf eines Personenwagens der Marke Ferrari, wie es in dem hier zu beurteilenden Fall geschehen ist, soll bei ihr ein mehr oder weniger alltäglicher Vorgang sein. Ihre Geschäftstätigkeit, die sich auch auf das Ausland erstreckt, unterscheidet sich also ganz erheblich vom landläufigen Handel mit Gebrauchtwagen, wie er von Hunderten von Einzelhändlern und Gesellschaften betrieben wird und meist Fahrzeuge gängiger Marken und Typen erfasst, die im Inland gehandelt werden. |
Das Bezirksgericht hat mit Billigung des Obergerichts festgestellt, es sei allgemein bekannt und bedürfe keines näheren Nachweises, dass gut organisierte internationale Banden sich gewerbsmässig mit dem Diebstahl und der Hehlerei von Luxusautos und deren Absatz im europäischen Raum befassten. Notorisch sei auch, dass bei den gestohlenen Fahrzeugen die Chassis Nummern gefälscht würden, um die Aufklärung der Diebstähle zu erschweren; vielfach würden die begehrten Fahrzeuge der Luxusklasse sogar auf Bestellung gestohlen. Dass ein Automobil der Marke Ferrari 512 BB zur Luxusklasse gehöre, unterliege keinem Zweifel, ebensowenig die Tatsache, dass die Klägerin professionell mit Fahrzeugen dieser Kategorie handle, habe sie doch im fraglichen Zeitpunkt die offizielle Vertretung für Wagen der Marke Lamborghini innegehabt. Zu Recht ficht die Klägerin diese zutreffenden, vornehmlich auf allgemeiner Lebenserfahrung beruhenden Feststellungen nicht an. Die Kenntnis dieser Vorgänge, die in den Medien starke Beachtung gefunden haben und die namentlich auch in der Gerichtsberichterstattung zeitweise breiten Raum einnahmen, gehört denn auch spätestens seit den siebziger Jahren zum Allgemeinwissen.
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Die kantonalen Gerichte haben aus ihren Feststellungen die Folgerung gezogen, es treffe die Klägerin wegen der Besonderheit des von ihr betriebenen Geschäftes -- jedenfalls soweit der Erwerb von Luxusautomobilen aus dem Ausland in Frage steht -- eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Das Obergericht hält dafür, dass ein Kaufmann, dem ein solches Fahrzeug angeboten wird, sowohl den Wagen als auch die dazugehörigen Papiere einer genauen Prüfung zu unterziehen habe. Es bejaht damit eine besondere Prüfungspflicht bei Geschäften dieser Art, die sich (zunächst) auf das Fahrzeug und die mitgelieferten Wagenpapiere beschränkt.
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