BGE 135 II 195
 
21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.G. und B.G. gegen Kantonale Steuerverwaltung Graubünden (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_255/2008 vom 16. Februar 2009
 
Regeste
Art. 22 Abs. 3, Art. 37, 38 DBG; Art. 7 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 und 3 StHG; Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 DBA-NL; Besteuerung von Kapitalzahlungen aus dem Rückkauf von Leibrentenversicherungen im Rahmen der ungebundenen Selbstvorsorge (Säule 3b).
Eine mit resolutiver Bedingung verknüpfte Leibrente kann faktisch zu einer Zeitrente werden. Angesichts des Alters des Beschwerdeführers bei Vertragsschluss ist vorliegend auf eine Leibrente (nicht Zeitrente) zu schliessen. Besteuerung der laufenden Rentenleistungen zu 40 Prozent zusammen mit dem übrigen Einkommen nach Art. 37 DBG (E. 7.1).
Steuerliche Behandlung von Kapitalleistungen aus einem Stammrechtsvertrag sowie einem Leibrentenvertrag: Besteuerung zu 40 Prozent mit der Jahressteuer nach Art. 38 DBG (E. 7.2).
Das Staatsvertragsrecht steht dieser Besteuerung nicht entgegen (E. 8).
Analoge Besteuerung von Kapitalabfindungen aus Leibrenten und Lebensversicherungen nach StHG (E. 9.1).
 
Sachverhalt


BGE 135 II 195 (196):

A.G. (Beschwerdeführer), Jahrgang 1942, hatte mit zwei niederländischen Gesellschaften folgende Stammrechts- bzw. Leibrentenverträge geschlossen:
(1) Bei der P. Holding B.V. begründete er am 30. Juni 1997 einen Stammrechtsvertrag ("Stamrechtovereenkomst") für ein sofort eingehendes Stammrecht ("direkt ingaand stamrecht") über Hfl. 630'000.- und für ein aufgeschobenes Stammrecht ("uitgesteld stamrecht") über Hfl. 945'000.-. In Frage steht hier v.a. das aufgeschobene Stammrecht. Dieses läuft seit 1. März 2004 und löste das sofort eingehende Stammrecht ab. Aus diesem

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Stammrechtsvertrag erhielt A.G. im Jahre 2004 eine Rente von EUR 5'000.- pro Monat ausbezahlt.
(2) Mit der A. B.V. schloss A.G. im Jahr 2000 einen Leibrentenvertrag ("Lijfrenteverzekering") ab, wonach ihm vom 1. März 2007 bis 1. März 2017 jährlich EUR 30'548.- auszuzahlen sind. Da die Unternehmung liquidiert wurde, erhielt er im Jahre 2004 an Stelle der am 1. März 2007 beginnenden Rente einen Betrag von EUR 228'306.- ausbezahlt.
(3) Aufgrund eines weiteren Stammrechtsvertrages mit der A. B.V. hatte A.G. überdies Anspruch auf eine lebenslängliche Rente von jährlich EUR 22'689.-. Mit der Liquidation der Gesellschaft wurde ihm im Jahre 2004 als Abgeltung für das Stammrecht ein Betrag von EUR 356'056.- ausbezahlt.
Im Rahmen der Steuerveranlagung 2004 für die Kantons- und Gemeindesteuern und die direkten Bundessteuern qualifizierte die Steuerverwaltung des Kantons Graubünden die Rentenzahlungen der P. Holding B.V. von EUR 60'000.- (12 x EUR 5'000.-) sowie die beiden Kapitalleistungen der A. B.V. als Einkünfte aus Leibrenten und besteuerte sie zusammen mit dem übrigen Einkommen zu 40 Prozent (Art. 22 Abs. 3 DBG [SR 642.11]). Die beiden Kapitalzahlungen berücksichtigte sie zum Satz, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistungen entsprechende jährliche Leistungen ausgerichtet würden (Rentensatz, vgl. Art. 37 DBG).
Mit Urteil vom 22. Januar 2008 bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden diese Veranlagung.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Steuerpflichtigen (Beschwerdeführer und B.G.) teilweise gut.
 
Aus den Erwägungen:
I. Direkte Bundessteuer
In Frage steht zum anderen die Besteuerung der Kapitalzahlungen der A. B.V. aus der Ablösung des Leibrentenvertrags und des

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Stammrechtsvertrags zu 40 Prozent zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Rentensatz gemäss Art. 22 Abs. 3 und Art. 37 DBG. Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, es handle sich um Kapitalleistungen aus Vorsorge, welche getrennt vom übrigen Einkommen mit der Jahressteuer zu einem Fünftel des ordentlichen Tarifs gemäss Art. 38 DBG zu erfassen seien.
 
Erwägung 6
Nach Ansicht der Vorinstanz, welche sich der Betrachtungsweise der kantonalen Steuerverwaltung und einer Empfehlung der Schweizerischen Steuerkonferenz vom 7. März 2006 angeschlossen hat, kann die Kapitalzahlung beim Rückkauf einer Leibrentenversicherung - im Unterschied zur Rückgewährleistung im Todesfall - nicht als Kapitalleistung aus Vorsorge qualifiziert werden, welche die Anwendung des Vorsorgetarifs gemäss Art. 38 DBG rechtfertigen würde. Kapitalabfindungen beim Rückkauf träten an die Stelle der periodisch geschuldeten Rentenleistungen und seien daher nach Art. 37 DGB zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Rentensatz zu erfassen.
6.2 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Wortlaut einer Bestimmung klar, erübrigt es sich, für die Bedeutung und Tragweite der Norm auf weitere Auslegungselemente zurückzugreifen. Ist der Text nicht ganz klar, so ist nach seiner wahren Tragweite zu suchen unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden,

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nämlich dann, wenn anzunehmen ist, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der Norm, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (BGE 133 III 257 E. 2.4, BGE 133 III 497 E. 4.1; BGE 133 V 593 E. 5; BGE 130 V 49 E. 3.2.1 S. 50 mit weiteren Hinweisen).
6.3 Der Wortlaut von Art. 38 DBG ist klar. Nach Absatz 1 werden gesondert besteuert (u.a.) die "Kapitalleistungen nach Artikel 22 (DBG)". Es handelt sich um die "Einkünfte aus Vorsorge" (vgl. Titel vor Art. 22 DBG), mithin Leistungen, die auf der Dreisäulenkonzeption beruhen (RICHNER/FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, 2003, N. 1 und 4 zu Art. 22 DBG). Die freie Selbstvorsorge (Säule 3b) ist teilweise - hinsichtlich der Leibrenten und Einkünfte aus Verpfründung - in Absatz 3 von Art. 22 DBG geregelt. Darunter fallen nach der Rechtsprechung nicht nur die wiederkehrenden Leistungen aus Leibrentenversprechen und Lebensversicherungen einschliesslich die Rückgewähr, wenn der Versicherte früher verstirbt, sondern auch die Kapitalleistungen aus dem Rückkauf solcher Verträge (Urteil 2A.40/1998 vom 10. August 1998, in: StE 1999 B 28 Nr. 6, zu Art. 21bis Abs. 3 BdBSt). Es findet auf diese Leistungen klarerweise Art. 38 DBG (und nicht Art. 37 DBG) Anwendung. Die Kapitalleistung aus Leibrente ist zu 40 Prozent zu versteuern, wobei die Steuer zu einem Fünftel der Tarife nach Art. 36 DBG berechnet wird. Das entspricht im Übrigen auch der herrschenden Meinung in der Lehre (AGNER/JUNG/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 1 zu Art. 38 DBG; AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Ergänzungsband, 2000, S. 141 N. 1b zu Art. 38 DBG; JUNGO/MAUTE, Lebensversicherungen und Steuern, Ein Leitfaden für den Praktiker, 2003, S. 69 [für Rückkauf während der Aufschubszeit]; GLADYS LAFFELY MAILLARD, in: Commentaire romand, Impôt fédéral direct, 2008, N. 3 zu Art. 38 DBG; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG [im Folgenden: Kommentar], 2001, N. 5 zu Art. 38 DBG; RICHNER/FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 8 zu Art. 38 DBG; LINDA PETER-SZERENYI, Der Begriff der Vorsorge im Steuerrecht, 2001, S. 337; a.M. AMSCHWAND-PILLOUD/JUNGO/MAUTE, Assurances-vie et impôts, Guide pratique, 2005, S. 65 f., 167).
6.4 Angesichts des klaren Wortlauts kann sich nur fragen, ob Gründe bestehen, davon abzuweichen. Solche Gründe können sich wie erwähnt aus dem Sinn und Zweck der Norm, der

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Gesetzessystematik oder auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm ergeben. Derartige Gründe macht die kantonale Steuerverwaltung geltend. Sie beruft sich auf die Materialien und die Gesetzessystematik und führt aus, es liege ein gesetzgeberisches Versehen vor.
Die Botschaft vom 25. Mai 1983 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden sowie über die direkte Bundessteuer (BBl 1983 III 1 ff.) behandelte - entsprechend der Dreisäulenkonzeption - die eidgenössische Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die berufliche Vorsorge sowie die gebundene und die nicht gebundene Selbstvorsorge einschliesslich die Leibrenten- und Verpfründungsverträge. In den Entwürfen zu den harmonisierten Steuergesetzen (E-DBG, E-StHG) stellte der Bundesrat die volle Besteuerung der Vorsorgeleistungen (Art. 8 Abs. 1 E-StHG, Art. 22 Abs. 1 E-DBG) der vollen Abzugsfähigkeit der Einlagen, Prämien und anderen Beiträge zum Erwerb von Ansprüchen aus Vorsorge (Art. 10 Abs. 2 lit. d E-StHG, Art. 33 Abs. 1 lit. d E-DBG) gegenüber (Botschaft, a.a.O., S. 35 Ziff. 143, S. 90 ad Art. 8 E-StHG, S. 165 ad Art. 22 E-DBG).
Für Kapitalleistungen nach Art. 22 E-DBG sah Art. 38 E-DBG (Art. 12 Abs. 4 E-StHG) eine vom übrigen Einkommen gesonderte Besteuerung (Jahressteuer) vor, wobei die Steuer zum Satz berechnet wird, der sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde. Es handelt sich um den sog. Rentensatz (Botschaft, a.a.O., S. 177 ad Art. 38 E-DBG, S. 98 ad Art. 12 Abs. 4 E-StHG). Die Jahressteuer nach Art. 38 E-DBG sollte auch die Kapitalabfindungen aus Leibrenten erfassen, wie aus der Botschaft über die Steuerharmonisierung hervorgeht (Botschaft, a.a.O., S. 165 ad Art. 22 E-DBG). Der Verweis in Art. 38 Abs. 1 auf Art. 22 Abs. 1 E-DBG war somit umfassend zu verstehen. Er erstreckte sich nach dem klaren Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 E-DBG auch auf "Einkünfte (...) aus Leibrenten- und Verpfründungsverträgen, mit Einschluss von Kapitalabfindungen und Rückzahlungen von Einlagen, Prämien und Beiträgen".
6.5 Die volle Besteuerung der Einkünfte aus Leibrenten- und Verpfründungsgeschäften unter gleichzeitiger voller Abzugsfähigkeit der geleisteten Prämien, Einlagen usw. wurde in Fachkreisen indessen nicht als sachgerecht betrachtet, weil bei den Leibrenten- und Verpfründungsgeschäften, wie sie namentlich in der Landwirtschaft und im Gewerbe bei der Abtretung oder Übertragung von Betrieben

BGE 135 II 195 (201):

geschlossen werden, einmalige Entschädigungen für den Einkauf der Vorsorgeleistungen selten voll vom Einkommen abgezogen werden können. Es wurde daher vorgeschlagen, für diesen Bereich der privaten Vorsorge die Rentenleistungen nur insoweit zu besteuern, als die dafür aufgewendeten Mittel steuerlich zum Abzug gelangten (ZUPPINGER/BÖCKLI/LOCHER/REICH, Steuerharmonisierung, 1984, S. 87).
In der Folge löste der Gesetzgeber die Einkünfte aus Leibrenten und Verpfründung aus Art. 22 Abs. 1 E-DBG und Art. 8 Abs. 1 E-StHG heraus und sah für diese je in einem neuen Absatz die reduzierte Besteuerung von (damals) 60 Prozent vor (vgl. AB 1986 S 133 und 178). Diese Lösung wurde von der Eidgenössischen Steuerverwaltung vorgeschlagen (AB 1986 S 179 Votum Binder, Berichterstatter).
Bezüglich der Besteuerung von Kapitalleistungen aus Vorsorge nach Art. 22 E-DBG hielt der Gesetzgeber an der vom Bundesrat vorgeschlagenen Jahressteuer (Art. 38 E-DBG, Art. 12 Abs. 4 E-StHG) jedoch fest. Er hielt lediglich den Rentensatz (Berechnung des satzbestimmenden Einkommens anhand der weggefallenen jährlichen Rentenleistung, Art. 38 Abs. 2 E-DBG und Art. 12 Abs. 4 E-StHG) wegen des Progressionsverlaufs bei der direkten Bundessteuer für die Jahressteuer als unangemessen (vgl. AB 1988 N 21, Votum Reichling, Berichterstatter; AB 1988 S 826, Voten Reichmuth, Berichterstatter, und Bundespräsident Stich) und setzte auf Antrag der Kommission stattdessen die Jahressteuer auf einen Fünftel des ordentlichen Tarifs fest (Art. 36 E-DBG). In Art. 12 Abs. 4 E-StHG wurde der Rentensatz ebenfalls aufgegeben.
Diese Regelung bezog sich aber weiterhin auf alle aus Vorsorge nach Art. 22 E-DBG fliessenden Kapitalabfindungen, mithin auch auf solche aus Leibrentenversprechen und Verpfründung. Art. 12 Abs. 4 E-StHG (jetzt Art. 11 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]) spricht zwar hinsichtlich der Jahressteuer für die kantonalen Steuern nur von den "Kapitalleistungen aus Vorsorgeeinrichtungen". Eine unterschiedliche Besteuerung der Säulen 3a und 3b bei der direkten Bundessteuer und den kantonalen Steuern war damit offensichtlich nicht bezweckt. Die Entwürfe des StHG zählen zur Vorsorge insbesondere auch die Leibrenten- und Verpfründungsverträge als Formen der nicht gebundenen Selbstvorsorge (Botschaft, a.a.O., S. 35 Ziff. 143).

BGE 135 II 195 (202):

Weder der Botschaft über die Steuerharmonisierung noch den parlamentarischen Beratungen (AB 1986 S 140 ad Art. 12 Abs. 3 und 4 E-StHG; AB 1989 N 41 ad Art. 12 Abs. 3 und 4 E-StHG) ist zu entnehmen, dass für die Besteuerung von Kapitalabfindungen aus Leibrenten gemäss dem DBG oder dem StHG eine unterschiedliche Ordnung gelten soll. So etwas liesse sich mit dem Harmonisierungsauftrag (Art. 129 BV) auch kaum vereinbaren.
Andererseits hat der Gesetzgeber die Periodisierung der Steuerberechnung (Rentensatz) gemäss Art. 38 Abs. 2 E-DBG zugunsten des auf einen Fünftel des ordentlichen Steuersatzes reduzierten Steuersatzes (Art. 38 Abs. 2 DBG) ersetzt, um der Progressionswirkung der Steuer Rechnung zu tragen, und am Rentensatz auch für die Jahressteuer für die kantonalen Steuern (Art. 12 Abs. 4 E-StHG) nicht festgehalten (jetzt Art. 11 Abs. 2 StHG).
Den beiden Massnahmen liegt somit je eine eigenständige Zwecksetzung zugrunde. Die erste Massnahme trägt der spezifischen Situation bei Leibrenten und Verpfründung Rechnung. Die zweite Massnahme zielt auf alle Kapitalabfindungen aus Vorsorge ab. Es ist kein Grund ersichtlich, Kapitalabfindungen aus Leibrente und Verpfründung hinsichtlich der Jahressteuer anders zu behandeln als Kapitalabfindungen aus anderen Formen der Vorsorge. Ein "Versehen" des Gesetzgebers, wie es die kantonale Steuerverwaltung geltend macht, ist nicht zu erkennen. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Besteuerung vermag zwar Über- oder Unterbesteuerungen nicht zu vermeiden. Sie ist jedoch vom Gesetzgeber klar gewollt und durch die Behörden anzuwenden. Es besteht kein Grund, vom an sich klaren Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 DBG abzuweichen.


BGE 135 II 195 (203):

7. Der Beschwerdeführer (Jahrgang 1942) hatte sowohl mit der P. Holding B.V. mit Sitz in D./NL wie auch mit der A. B.V. mit Sitz in A./NL Verträge mit Vorsorgecharakter abgeschlossen.
7.1.1 Der Beschwerdeführer war Inhaber einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die er im Jahre 1997 an die P. Holding B.V. veräusserte. Mit Anrechnung auf den Kaufpreis räumte die Käuferin dem Beschwerdeführer mit Stammrechtsvertrag ("Stamrechtovereenkomst") vom 30. Juni 1997 zwei Stammrechte ein: Für Hfl. 630'000.- ein sofort eingehendes Stammrecht ("direct ingaand stamrecht") mit jährlichen Auszahlung von Hfl. 50'000.-. Dieses war auf das Leben gestellt und lief bis längstens am 1. März 2004. Es steht hier nicht mehr in Frage. Für Hfl. 945'000.- wurde ein aufgeschobenes lebenslängliches Stammrecht ("uitgesteld levenslang stamrecht") begründet. Bezüglich diesem gilt, dass die Käuferin (Rentenschuldnerin) dem Beschwerdeführer ab 1. März 2004 zu Lasten des aufgebauten Kapitals jährlich maximal Hfl. 200'000.- auszahlt. Das aufgebaute Kapital wird um die Auszahlungen vermindert und weiterhin verzinst. Am 1. März 2004 wurde der Stammrechtsvertrag ergänzt und eine Auszahlung von monatlich EUR 5'000.- (jährlich EUR 60'000.-) vereinbart. Die Auszahlungen sollen mit dem Tod des Beschwerdeführers oder ausdrücklich auch dann enden, wenn das reservierte Kapital samt Zinsen aufgebraucht ist. Die P. Holding B.V. verbuchte jeweils den Stand der Stammrechtsverpflichtung, erhöhte diese um den Zins und zog die Auszahlungen von jährlich EUR 60'000.- ab, was per 31. Dezember 2004 einen Stand von EUR 278'122.- ergab. Nach der unwidersprochenen Schätzung des Beschwerdeführers dürfte das Kapital Ende 2010 aufgebraucht sein.
7.1.2 Diese Vereinbarung enthält alle Merkmale eines Leibrentenvertrages. Die Rentenverpflichtung endet, wenn der Beschwerdeführer stirbt oder wenn das Kapital aufgebraucht ist. Das Kapital fällt somit auch dann der Rentenschuldnerin zu, wenn es noch nicht aufgebraucht ist. Das Leibrentenversprechen ist notwendigerweise auf das Leben einer Person gestellt. Eine Befristung der Rente wäre mit dem aleatorischen Charakter der Leibrente unvereinbar. Hingegen ist es nicht ausgeschlossen, dass die Leibrente nebst der Lebenszeit eine zweite Begrenzung in Form einer resolutiven Bedingung erfährt (MARC SCHAETZLE, Berner Kommentar, 2. Aufl. 1978,

BGE 135 II 195 (204):

N. 48 zu Art. 516 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1945, N. 2 zu Art. 516 OR). Das ist auch in der Steuerrechtsdoktrin anerkannt. Insofern deckt sich der steuerrechtliche Begriff der Leibrente mit dem zivilrechtlichen (RICHNER/FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 13 und 46 zu Art. 22 DBG; AGNER/DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, a.a.O., N. 5a zu Art. 22 DBG S. 96). Die Rentenzahlungen sind sowohl nach dem Vertrag von 1997 wie auch gemäss der Vertragsergänzung 2004 auf das Leben des Beschwerdeführers gestellt. Dass die Ergänzung von 2004 als weitere auflösende Bedingung den Verbrauch des Kapitals erwähnt, ist zulässig. Die Rentenverpflichtung hört auf jeden Fall mit dem Tod des Beschwerdeführers auf, und das noch vorhandene Kapital verfällt.
Wie bereits erwähnt (vgl. nicht publ. E. 4.2) sind Zeitrenten periodisch wiederkehrende, zeitlich nicht beschränkte und nicht auf das Leben der Person gestellte Zahlungen (Urteil 2C_596/2007 vom 24. Juni 2008 E. 3.4, in: RDAF 2008 II S. 390). Auch sie werden durch den Versicherungsnehmer geäufnet. Es handelt sich um die periodische, ratenweise Rückzahlung eines Kapitals, welches verzinst wird. Zeitrenten stellen daher eine Sonderform von Kapitalzahlungen dar und sind nur mit ihrem Ertrags- oder Zinsanteil steuerbar (Art. 20 Abs. 1 lit. a DBG). Sie sind völlig steuerfrei, sofern es sich um rückkaufsfähige, der Vorsorge dienende Kapitalversicherungen handelt (Art. 24 lit. b DBG). Um von einer Zeitrente zu sprechen, muss aber das aleatorische Element der Lebenszeit gegenüber der resolutiven Bedingung deutlich in den Hintergrund treten.
Aufgrund der beiden Vereinbarungen von 1997 und 2004 ist das hier nicht der Fall. Gemäss der Vereinbarung von 1997 war das aufgeschobene Stammrecht damals einzig an die Lebenszeit geknüpft und begann die Rente erst am 1. März 2004 zu laufen. Zudem war

BGE 135 II 195 (205):

vorgesehen, dass bis zu diesem Zeitpunkt die auszuzahlenden Rentenbetreffnisse festgelegt werden. Deshalb musste die genannte Zusatzvereinbarung vom 1. März 2004 geschlossen werden. Darin wurden die monatlichen Renten auf "mindestens" EUR 5'000.- (EUR 60'000.- pro Jahr) festgelegt. In Anbetracht der Höhe dieser Rente war klar, dass sich die Rentenschuldnerin absichern musste. Daher wurde die Laufzeit der periodischen Zahlungen an die zweite Bedingung geknüpft, dass das Kapital einschliesslich der aufgezinsten Kapitalerträge noch nicht aufgebraucht sei. Mit Rücksicht auf das Alter des Beschwerdeführers kann diese Rente nicht als eine reine Überbrückungsrente bezeichnet werden. Das war sie weder vor noch nach der Zusatzvereinbarung vom 1. März 2004. Am 24. Februar 2004 hatte der Beschwerdeführer sein 62. Lebensjahr vollendet. Er wird Ende 2010 im 67. Altersjahr stehen. Dass in dieser Zeitspanne die Lebenszeit eine wesentliche Rolle spielt, ist unter diesen Umständen nicht ernsthaft zu bestreiten. Von einer "faktischen Zeitrente" kann folglich nicht die Rede sein.
7.2.2 Im kantonalen Verfahren machte der Beschwerdeführer noch geltend, dass es sich um "Zeitrenten" bzw. um "temporäre" oder "abgekürzte" Leibrenten gehandelt habe, welche lediglich der Kapitalanlage dienten und nur mit ihrem Ertrag steuerbar seien.

BGE 135 II 195 (206):

Diesen Standpunkt hat der Beschwerdeführer aufgegeben. Es ist nicht mehr bestritten, dass es sich bei diesen beiden Verträgen um Leibrentenverpflichtungen handelt. In der Tat lässt sich dem Finanzbericht 2004 der A. B.V., wo die beiden Leibrentenverpflichtungen ("Lijfrenteverzekering", "Stamrechtverpflichting") und auch die beiden Kapitalleistungen erwähnt sind, nichts entnehmen, wonach es lediglich darum ginge, ein Kapital samt Zins zurückzuzahlen. Es ist vielmehr auch hier von Leibrentenverträgen auszugehen.
Der Beschwerdeführer wendet aber ein, es handle sich um "Kapitalleistungen aus Vorsorge". Solche Leistungen seien nach Art. 38 DBG vom übrigen Einkommen gesondert und lediglich zu einem Fünftel der Tarife nach Art. 36 DBG zu besteuern.
7.2.3 Der Einwand ist begründet. Die Vorinstanz und die beteiligten Behörden gehen auch in diesem Fall davon aus, dass die beiden Versicherungen der Vorsorge (vergleichbar der Säule 3b) dienten und die Kapitalzahlungen im Sinne von Art. 22 Abs. 3 DBG zu 40 Prozent zu besteuern sind. Kapitalleistungen aus Vorsorge im Sinne von Art. 22 Abs. 3 DBG sind indessen nach Art. 38 DBG getrennt vom übrigen Einkommen zu einem Fünftel des Tarifs nach Art. 36 DBG zu besteuern, wie dargelegt worden ist (vgl. vorstehende E. 6.3 und 6.7). Die Veranlagungsbehörden und die Vorinstanz haben indessen die Kapitalleistungen zusammen mit dem übrigen Einkommen zum Satz besteuert, welcher sich ergäbe, wenn anstelle der einmaligen Leistung eine entsprechende jährliche Leistung ausgerichtet würde (Art. 37 DBG). Das verletzt Bundesrecht. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet und die Besteuerung gemäss Art. 22 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 38 DBG vorzunehmen.
8. Das Staatsvertragsrecht steht dieser Besteuerung nicht entgegen. Das Abkommen der Schweiz mit den Niederlanden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 12. November 1951 (SR 0.672. 963.61; im Folgenden: DBA-NL) enthält für die Besteuerung der Rentenzahlungen oder des Vermögensanfalls aus Leibrenten- und Personenversicherungsverträgen keine Bestimmung. Es wird von keiner Seite geltend gemacht, dass es sich bei den streitigen Einkünften um Ruhegehälter und ähnliche Vergütungen im Sinne von Art. 8 des Abkommens handle. Ein solches würde frühere unselbständige Arbeit voraussetzen, was hier nicht der Fall ist (vgl. PETER

BGE 135 II 195 (207):

LOCHER, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz [im Folgenden: Einführung], 3. Aufl. 2005, S. 451 f.).
Der Beschwerdeführer schloss den Rentenvertrag vielmehr bei der Veräusserung der ihm gehörenden Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Veräusserungsrente, vgl. LOCHER, Kommentar, N. 57 zu Art. 22 DBG). Art. 4 Abs. 1 DBA-NL sieht für Einkünfte aus Handels-, Industrie- und Gewerbebetrieben einschliesslich der bei ihrer Veräusserung erzielten Gewinne zwar vor, dass diese nur in dem Staat zu besteuern sind, in dessen Gebiet sich die Betriebsstätte befindet (hier die Niederlande). Beteiligungen in Form von Aktien, Anteilen an Genossenschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind jedoch von dieser Regelung ausdrücklich ausgenommen (Art. 4 Abs. 4 zweiter Halbsatz DBA-NL). Aus dem DBA-NL folgt auch nicht, dass Gewinne aus der Veräusserung von Beteiligungen an juristischen Personen von den schweizerischen Steuern zu befreien sind (s. auch LOCHER, Einführung, S. 384). Es gilt daher Art. 2 Abs. 1 DBA-NL, wonach das Einkommen, für welches das Abkommen keine besondere Bestimmung enthält, im Wohnsitzstaat zur Besteuerung gelangt.
II. Staats- und Gemeindesteuern
 
Erwägung 9
9.1 Das StHG enthält für die steuerliche Behandlung der Vorsorge im Rahmen der kantonalen direkten Steuern eine dem DBG ähnliche Regelung. Der Besteuerung unterliegen nach Art. 7 Abs. 1 StHG alle wiederkehrenden und einmaligen Einkünfte aus Vorsorgeeinrichtungen und Leibrenten (entsprechend Art. 22 Abs. 1 DBG). Nach Absatz 2 von Art. 7 StHG sind Leibrenten sowie Einkünfte aus Verpfründung zu 40 Prozent steuerbar (analog Art. 22 Abs. 3 DBG). Steuerfrei ist gemäss Art. 7 Abs. 4 lit. d StHG nur der Vermögensanfall aus rückkaufsfähiger privater Kapitalversicherung (analog Art. 24 lit. b DBG). Die Einlagen, Prämien und Beiträge an die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Säule 1), an Einrichtungen der beruflichen Vorsorge (Säule 2) und an anerkannte Formen der gebundenen Vorsorge (Säule 3a) sind gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. d und e StHG grundsätzlich abziehbar (Waadtländer-Modell, analog Art. 33 Abs. 1 lit. d und e DBG).
Hingegen können die Beiträge und Einlagen an Leibrenten und Lebensversicherungen der Säule 3b nur im Rahmen des allgemeinen Abzugs für Versicherungsprämien und Zinsen von

BGE 135 II 195 (208):

Sparkapitalien gemäss Art. 9 Abs. 2 lit. g StHG geltend gemacht werden. Es gelten mithin nach dem StHG weitgehend die gleichen Vorschriften wie für die direkte Bundessteuer. Es rechtfertigt sich nicht, Kapitalabfindungen aus Leibrentenversprechen und Lebensversicherungen der Säule 3b im Bereich der kantonalen direkten Steuern vom Einkommen anders zu behandeln.