BGE 140 II 194 |
19. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberzolldirektion (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
2C_201/2013 vom 24. Januar 2014 |
Regeste |
Art. 19 Abs. 1 SV; Art. 5 Abs. 2 BV; Einfuhr von Fleisch zum (privilegierten) Kontingentszollansatz (KZA) oder zum (prohibitiven) Ausserkontingentszollansatz (AKZA); Verhältnismässigkeit; Präzisierung der Rechtsprechung. |
Sachverhalt |
A.a Am 25. Februar 2005 teilte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) X. aufgrund der Versteigerung "4/2005 Schlachttiere und Fleisch" gegen den Betrag von Fr. 31'100.- ein Zollkontingent für die Einfuhr von 2'000 kg Nierstücke/High-Quality-Beef zu. In der Verfügung wurde festgehalten, für jeden einzeln zugeteilten Zollkontingentsanteil sei die Einfuhr zum Kontingentszollansatz (KZA) erst zulässig, wenn der gesamte Zuschlagspreis für diesen Kontingentsanteil bezahlt worden sei. Jede Einfuhr vor der Bezahlung des Zuschlagspreises stelle eine Einfuhr ausserhalb des Zollkontingents dar und müsse deshalb zum Ausserkontingentszollansatz (AKZA) verzollt werden.
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A.b Am 17. März 2005 stellte das BLW fest, dass am 7. März 2005 mit der Generaleinfuhrbewilligung (nachfolgend: GEB) von X. 1'699 kg Nierstücke zum KZA eingeführt worden waren, obschon der Zuschlagspreis noch nicht bezahlt worden war. Im Rahmen der hierauf eingeleiteten Untersuchung kam die Zollkreisdirektion Basel (nachfolgend: Zollkreisdirektion) zum Ergebnis, X. habe der Gesellschaft S. AG für die Einfuhr vom 7. März 2005 einen Verzollungsauftrag zum KZA erteilt, obwohl die Zuschlagsgebühren erst am 24. März 2005 beim BLW eingegangen seien. Die fragliche Einfuhr hätte daher zum AKZA verzollt werden müssen.
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B. Am 2. Februar 2009 auferlegte die Zollkreisdirektion X. die Differenz zwischen dem KZA und dem AKZA zur Bezahlung.
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Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Oberzolldirektion am 15. Dezember 2011 ab. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid auf Beschwerde hin mit Urteil vom 24. Januar 2013.
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C. X. erhebt am 26. Februar 2013 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil sowie die Entscheide der Oberzolldirektion und der Zollkreisdirektion vollumfänglich aufzuheben; eventuell sei festzustellen, dass er vorliegend keinerlei Einfuhrabgaben schulde. |
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Oberzolldirektion schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
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Die II. öffentlich-rechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat die Angelegenheit am 24. Januar 2014 an einer öffentlichen Sitzung beraten.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
5.2 Einfuhren von Agrarprodukten können innerhalb oder ausserhalb eines Zollkontingents erfolgen. Einfuhren innerhalb des Kontingents werden zum privilegierten Satz (KZA) verzollt, während ausserhalb des Kontingents der reguläre Zolltarif (AKZA), welcher nach der Absicht des Gesetzgebers prohibitive Wirkung hat, anwendbar ist (BGE 129 II 160 E. 2.1). Obwohl der Zolltarif (Anhang zum Zolltarifgesetz vom 9. Oktober 1986 [ZTG; SR 632.10]) in Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Publikationsverordnung vom 17. November 2004 (PublV; SR 170.512.1) nicht mehr in der Systematischen Sammlung publiziert wird, hat er Gesetzesrang und ist gemäss Art. 190 BV für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgeblich. |
In rechtlicher Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, die nachträgliche Verzollung zum AKZA bzw. die Auferlegung der Differenz zwischen KZA und AKZA entbehre einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Es fehle an einem öffentlichen Interesse für diese Sanktion; die Massnahme sei zudem unverhältnismässig und verletze die Wirtschaftsfreiheit. Auch sei er - der Beschwerdeführer - von den Behörden nie auf die massiven wirtschaftlichen und rechtlichen Folgen aufmerksam gemacht worden.
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5.6 Der Beschwerdeführer verkennt, dass die Vorinstanz hinsichtlich des Eingangs der Zahlung den Sachverhalt überprüft und insofern ergänzt hat, als sie das genaue Zahlungsdatum gestützt auf die Akten ermittelte und dieses Ergebnis ihrem Urteil zugrunde legte. Damit ist die Vorinstanz ihrer Aufgabe, den Sachverhalt vollumfänglich zu prüfen, nachgekommen. Eine willkürliche Feststellung des Sachverhalts ist nicht erkennbar. |
Nach den verbindlichen (und vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen) Feststellungen der Vorinstanz wurde die Zahlung am 24. März 2005 ausgeführt; der Beschwerdeführer hat sich denn auch gleichentags für die Verspätung entschuldigt. Dass die Einfuhr am 7. März 2005 erfolgt war, ist ebenfalls unbestritten. Die Voraussetzungen für die Verzollung der Einfuhr zum KZA waren gemäss dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 1 SV nicht erfüllt.
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5.8 Das Bundesgericht kann unselbstständige Bundesratsverordnungen auf ihre Verfassungsmässigkeit überprüfen, sofern die beanstandete Regelung nicht bereits eine im Bundesgesetz angelegte Verfassungswidrigkeit übernimmt. Dies gilt nicht nur für die abstrakte, sondern auch für die konkrete Normenkontrolle, um die es hier geht. Wird dem Bundesrat ein sehr weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ist dieser für das Bundesgericht verbindlich. Es darf in diesem Fall nicht sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern hat sich auf die Kontrolle zu beschränken, ob dessen Regelung den Rahmen der ihm im Gesetz delegierten Kompetenzen offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist. Dabei kann es namentlich prüfen, ob sich eine Verordnungsbestimmung auf ernsthafte Gründe stützt oder Art. 9 BV widerspricht, weil sie sinn- oder zwecklos ist, rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen fehlt, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten getroffen werden sollen. Für die Zweckmässigkeit der angeordneten Massnahme trägt der Bundesrat die Verantwortung; es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, sich zu deren wirtschaftlicher oder politischer Sachgerechtigkeit zu äussern (BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348; 131 II 13 E. 6.1 S. 25; 130 I 26 E. 2.2.1 S. 32; je mit Hinweisen). Die Bundesratsverordnungen unterliegen also in keinem Fall einer Angemessenheitskontrolle. Hingegen kann das Bundesgericht einer Verordnungsbestimmung im konkreten Fall die Anwendung versagen, wenn sie im Widerspruch zum Verhältnismässigkeitsprinzip gemäss Art. 5 Abs. 2 BV steht. |
Der Gesetzgeber hat die Regelung des Einfuhrverfahrens dem Bundesrat überlassen. Deswegen steht Art. 190 BV - nach allenfalls festgestellter Verfassungswidrigkeit - einer Nichtanwendung der betreffenden Bestimmungen der SV und der aAEV nicht entgegen.
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5.8.1 Vorab ist auf die Rüge einzugehen, die Pflicht zur Nachzahlung beruhe nicht auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage. Angesichts des klaren Wortlauts von Art. 19 Abs. 1 SV ist jedenfalls das Erfordernis der genügenden Bestimmtheit (vgl. zu diesem Aspekt des Legalitätsprinzips BGE 139 I 280 E. 5.1; BGE 136 I 87 E. 3.1 S. 90) erfüllt. Der Beschwerdeführer stellt auch nicht in Abrede, dass sich die Bestimmung innerhalb des Rahmens der einschlägigen Delegationsnormen der Landwirtschafts- und Zollgesetzgebung befindet. Der Argumentation, wonach weder die aAEV noch die SV eine "konkrete Sanktionsnorm" enthielten, kann mit Blick auf Art. 19 Abs. 1 SV nicht gefolgt werden, zumal die Nachforderung einer Zollschuld gerade keine Sanktion darstellt (Urteil 2A.65/2003 vom 29. Juli 2003 E. 4; EICKER/FRANK/ACHERMANN, Verwaltungsstrafrecht und Verwaltungsstrafverfahrensrecht, 2012, S. 91).
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5.8.2 Das Verhältnismässigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 2 BV gebietet, dass eine staatliche Massnahme geeignet, notwendig und für die betroffene Person zumutbar sein muss, um das angestrebte Ziel zu erreichen (BGE 139 I 218 E. 4.3 S. 224; vgl. auch TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 152 ff.). Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist kein verfassungsmässiges Recht, sondern lediglich ein Verfassungsgrundsatz (BGE 135 V 172 E. 7.3.2 S. 182). Dessen Einhaltung kann das Bundesgericht im Rahmen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten auch ausserhalb eines Grundrechtseingriffs als Verletzung von Bundesrecht prüfen (BGE 134 I 153 E. 4.1 S. 156; YVO HANGARTNER, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 2 zu Art. 5 BV). Die Prüfung der Verhältnismässigkeit des angefochtenen Akts durch das Bundesgericht erfolgt mit freier Kognition, sofern - wie hier - die Zulässigkeit der Anwendung von Bundesverwaltungsrecht in Frage steht (BGE 134 I 153 E. 4.2 S. 157). |
Der ebenfalls angerufene Grundsatz des öffentlichen Interesses nach Art. 5 Abs. 2 BV ist inhaltlich schwer vom Verhältnismässigkeitsprinzip zu trennen (vgl. HANGARTNER, a.a.O., N. 36 zu Art. 5 BV). Eine selbstständige Anrufung dieses Verfassungsprinzips erübrigt sich indessen, da es unter dem Aspekt der Zumutbarkeit in die Verhältnismässigkeitsprüfung einfliesst. Das öffentliche Interesse kann auch als ein erster Orientierungspunkt bei der Verhältnismässigkeitsprüfung betrachtet werden (MARKUS MÜLLER, Verhältnismässigkeit, Gedanken zu einem Zauberwürfel, 2013, S. 14 f.; vgl. auch die Formulierung in BGE 117 Ia 472 E. 3g S. 483, wonach unter diesem Gesichtspunkt verlangt wird, dass die vom Gesetzgeber gewählte Massnahme zur Verwirklichung des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und tauglich ist).
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Das Bundesgericht hat in BGE 129 II 160 E. 2.3 die analoge Regelung zu Art. 19 Abs. 1 SV für die Einfuhr von Weisswein als gesetzmässig beurteilt. Zur Verhältnismässigkeit äusserte sich das Bundesgericht in jenem Urteil nicht explizit, da keine entsprechende Rüge vorgebracht wurde. Es hielt fest, das Gericht müsse sich darauf beschränken zu prüfen, ob die streitige Bestimmung geeignet sei, den angestrebten Gesetzeszweck zu erreichen, ungeachtet der Frage, ob diese das am besten geeignete Mittel darstelle. Diese Prüfung verschmelze praktisch mit einer Willkürprüfung. Die betreffende Verordnung beruhe auf einer genügenden gesetzlichen Grundlage, weshalb das Legalitätsprinzip nicht verletzt sei. Das Bundesgericht hat somit nur indirekt - durch die erwähnte Konstruktion - erwogen, das Verhältnismässigkeitsprinzip sei eingehalten. Mit Blick auf den hier zu beurteilenden Fall ist eine Präzisierung dieser Rechtsprechung angezeigt.
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Das erste Regelungsziel von Art. 19 Abs. 1 SV ist landwirtschaftsrechtlicher Art: Der Sinn und Zweck der Zollkontingente für landwirtschaftliche Erzeugnisse besteht im Schutz der einheimischen Produktion. Dies geht aus Art. 17 des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 1998 (LwG; SR 910.1) hervor, welcher bei der Festsetzung der Einfuhrzölle u.a. die Berücksichtigung der Absatzmöglichkeiten für gleichartige inländische Erzeugnisse verlangt. Zum Schutz der inländischen Produktion werden Einfuhrkontingente festgelegt (vgl. Art. 21 LwG) und sodann versteigert (vgl. Art. 22 Abs. 2 lit. a LwG). Im Rahmen der ersteigerten Kontingente kann Fleisch zum KZA importiert werden. Darüber hinausgehende Importe werden mit dem prohibitiven AKZA belastet; dieser beträgt ein Vielfaches des KZA. Um das Ziel der Regelung zu erreichen, muss verhindert werden, dass mehr Fleisch importiert wird, als Kontingente bestehen, andernfalls würde das System ausgehebelt. Es ist daher evident, dass die Differenz zum AKZA nachgefordert werden muss, wenn Fleisch eingeführt worden ist, für welches keine Kontingente bestehen. Die abschreckende Wirkung der Regel zielt demnach in erster Linie auf Importeure, die kein Einfuhrkontingent besitzen. Der Beschwerdeführer verfügte jedoch über ein Kontingent für die eingeführte Fleischmenge. Die Nachforderung des Differenzbetrags der Zollschuld zum AKZA führt am Ziel der Regelung von Art. 19 Abs. 1 SV vorbei: Sie ist nicht geeignet, das angestrebte Regelungsziel, welches in der Verhinderung von Importen ausserhalb der zugeteilten Kontingente besteht, zu erreichen. Auch die Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Massnahme ist zu verneinen, weil der Zweck der Regelung durch die verspätete Bezahlung des Zuschlagspreises nicht vereitelt worden ist. |
Zweitens kommt Art. 19 Abs. 1 SV eine Sicherstellungsfunktion zu: Mit der Vorschrift, wonach die Einfuhr zum KZA erst nach Bezahlung des Zuschlagspreises zulässig ist, soll sichergestellt werden, dass der Kontingentsersteigerer den Zuschlagspreis effektiv bezahlt. Dieses Regelungsziel ergibt sich auch aus Art. 20 Abs. 1 SV, wonach von der Vorschrift von Art. 19 Abs. 1 SV befreit ist, wer die Zahlung vor der Einfuhr zum KZA (oder zum Nullzoll) sicherstellt. Der Normzweck entfällt, wenn der Betrag - wie hier - bezahlt ist. Es geht bei Art. 19 Abs. 1 SV nicht darum, dass materiellrechtlich für die Einfuhr der AKZA geschuldet ist, sondern nur darum, dass der Zuschlagspreis effektiv bezahlt wird. Die Nachforderung des Differenzbetrags der Zollschuld zum AKZA erweist sich daher auch in Bezug auf dieses Regelungsziel nicht als geeignet, notwendig und zumutbar.
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5.8.4 Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass es unverhältnismässig ist, dem Beschwerdeführer die Einfuhr zum KZA zu verwehren mit der Begründung, er habe den Zuschlagspreis 17 Tage zu spät bezahlt. Denn materiell betrachtet waren die Voraussetzungen für die Anwendung des KZA nach Entrichtung der Zahlung erfüllt. |
Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass dem Beschwerdeführer die Voraussetzung der vorgängigen Bezahlung bekannt sein musste (vgl. Urteil 2A.65/2003 vom 29. Juli 2003 E. 3.5): Die Folgen, welche sich aus der Missachtung dieser Regel ergeben, müssen dennoch verhältnismässig sein. Ferner ist auch ein praktisches Bedürfnis im Zusammenhang mit der Zollabfertigung an der Grenze zu verneinen, da die Abfertigung zum KZA erfolgt ist und erst später festgestellt wurde, dass die Zahlung im Zeitpunkt der Einfuhr noch nicht eingegangen war.
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