BGE 146 II 376 |
29. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen Pro Natura, Schweizerischer Bund für Naturschutz und Pro Natura Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) |
1C_604/2018 vom 16. April 2020 |
Regeste |
Art. 78 Abs. 4 BV; Art. 18a Abs. 1 NHG; Art. 2, Art. 5, Art. 6, Art. 7 AlgV; Art. 24 lit. a, Art. 37a RPG; Art. 43, Art. 43a RPV; fehlende nachträgliche Baubewilligungsfähigkeit eines in der Landwirtschaftszone und in einem Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung gelegenen umgenutzten ehemaligen Kieswerks als Recycling-Umschlag- und Sammelstation. |
Sachverhalt |
A. Die A. GmbH betreibt an der X.strasse in Kloten auf den Parzellen Kat.-Nrn. 5577 und 5578 seit ca. 2002 ohne Bewilligung eine Recycling-Umschlag- und Sammelstation. Am 25. Juli 2016 reichte sie ein (unter Mitwirkung der Stadt Kloten und der zuständigen kantonalen Ämter überarbeitetes) Baugesuch betreffend Abbruch, Anbau, Umbau und Nutzungsänderung der gewerblich genutzten Bauten des in der Landwirtschaftszone gelegenen früheren Kieswerks ein. Mit Gesamtverfügung vom 29. Dezember 2016 erteilte die Baudirektion des Kantons Zürich die raumplanungsrechtliche und die naturschutzrechtliche Bewilligung unter diversen Nebenbestimmungen. Sie wurde der A. GmbH zusammen mit der Baubewilligung der Stadt Kloten vom 17. Januar 2017 eröffnet. |
Am 7. Dezember 2017 hiess das Baurekursgericht des Kantons Zürich den dagegen erhobenen Rekurs von Pro Natura - Schweizerischer Bund für Naturschutz (Schweiz) und der Pro Natura Zürich gut und wies die Sache an die Vorinstanzen zur Fortsetzung des Verfahrens im Sinne der Erwägungen zurück. Das Baurekursgericht war zum Schluss gekommen, das Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung im Bereich des ehemaligen Kieswerks sei ungenügend berücksichtigt worden. Die dagegen von der A. GmbH erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 4. Oktober 2018 ab, soweit es darauf eintrat. |
B. Mit Eingabe vom 13. November 2018 führt die A. GmbH Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid vom 4. Oktober 2018 sei aufzuheben. Bezüglich des Areals A., Kloten, sei mittels Urteil der Bestandesschutz der bestehenden Gebäude sowie der heutigen Nutzung als Recycling-Umschlag- und Sammelstation festzustellen. Eventualiter seien die baurechtlichen Bewilligungen vom 17. Januar 2017 und vom 29. Dezember 2016 des Stadtrats Kloten sowie der Baudirektion des Kantons Zürich zu bestätigen. Subeventualiter sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Vorinstanz sei anzuweisen, den Entscheid des Baurekursgerichts des Kantons Zürich vom 7. Dezember 2017 insofern aufzuheben, als damit dem Stadtrat sowie der Baudirektion in den Erwägungen 7.7 bis 7.9 konkrete Anweisungen für einen Entscheid in der Sache gegeben werden und der Pro Natura Schweiz eine Parteientschädigung zugesprochen werde. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab und hebt die Baubewilligung vom 29. Dezember 2016 auf.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
4.1 Das A. Areal liegt wie erwähnt in der Landwirtschaftszone. Betroffen sind mithin zonenfremde gewerbliche Bauten ausserhalb der Bauzone. Demzufolge fällt eine Bewilligung für eine zonenkonforme Anlage nach Art. 22 Abs. 2 RPG (SR 700) ausser Betracht. Für nicht zonenkonforme Vorhaben ist eine Ausnahmebewilligung nach Art. 24 f. RPG erforderlich. Art. 37a RPG und Art. 43 RPV (SR 700.1) enthalten spezielle Regelungen für den Besitzstandesschutz von altrechtlichen gewerblichen Bauten und Anlagen in der Landwirtschaftszone. Diese gehen in ihrem Anwendungsbereich den allgemeinen Bestimmungen nach Art. 24a RPG und Art. 42 RPV vor und sind deshalb vorab zu prüfen. |
Gemäss Art. 37a RPG regelt der Bundesrat, unter welchen Voraussetzungen Zweckänderungen gewerblich genutzter Bauten und Anlagen zulässig sind, die vor dem 1. Januar 1980 erstellt wurden oder seither als Folge von Änderungen der Nutzungspläne zonenwidrig geworden sind. Diesem Auftrag ist der Bundesrat in Art. 43 RPV nachgekommen. Art. 43 Abs. 1 RPV bestimmt, dass Zweckänderungen und Erweiterungen von zonenwidrig gewordenen gewerblichen Bauten und Anlagen bewilligt werden können, wenn die Baute oder Anlage rechtmässig erstellt oder geändert worden ist (lit. a), keine wesentlichen neuen Auswirkungen auf Raum und Umwelt entstehen (lit. b) und die neue Nutzung nach keinem anderen Bundeserlass unzulässig ist (lit. c). Weiter müssen die Anforderungen nach Art. 43a RPV, die als "gemeinsame Bestimmungen" auf alle im 6. Abschnitt geregelten Bauten und Anlagen ausserhalb der Bauzone Anwendung finden, kumulativ erfüllt sein. Insbesondere dürfen der nachgesuchten Änderung bzw. Erweiterung keine überwiegenden Interessen der Raumplanung entgegenstehen (Art. 43a lit. e RPV). Dies setzt eine Gesamtbetrachtung und eine umfassende Interessenabwägung voraus (vgl. Urteil 1C_655/2015 vom 16. November 2016 E. 3). Die in Art. 37a RPG und Art. 43 RPV vorgesehene erweiterte Besitzstandsgarantie steht mithin unter dem Vorbehalt, dass ihr keine wichtigen Anliegen der Raumplanung bzw. überwiegende Interessen entgegenstehen.
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4.3 Gemäss Art. 78 Abs. 4 BV ist der Bund zuständig für den Erlass von Vorschriften zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt und zur Erhaltung ihrer Lebensräume in der natürlichen Vielfalt. Er schützt bedrohte Arten vor dem Aussterben (vgl. Art. 18 ff. des Bundesgesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur- und Heimatschutz [NHG; SR 451]). Art. 18a Abs. 1 NHG hält fest, dass der Bundesrat nach Anhören der Kantone die Biotope von nationaler Bedeutung bezeichnet. Er bestimmt die Lage dieser Biotope und legt die Schutzziele fest. Mit Erlass des Bundesinventars IANB und der dazugehörigen AlgV ist der Bundesrat seiner diesbezüglichen gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen. |
Bestandteil der Amphibienlaichgebiete-Verordnung ist auch die Umschreibung der Objekte im IANB gemäss den Anhängen 1 und 2 (Art. 1 Abs. 3 AlgV). Dazu gehören insbesondere die ortsfesten Objekte. Diese umfassen das Laichgewässer und angrenzende natürliche und naturnahe Flächen (Bereich A) sowie weitere Landlebensräume und Wanderkorridore (Bereich B) der Amphibien (Art. 2 AlgV). Gemäss Art. 5 AlgV legen die Kantone nach Anhörung der Grundeigentümerschaft und der Nutzungsberechtigten den genauen Grenzverlauf der ortsfesten Objekte fest. Ist diese Abgrenzung noch nicht erfolgt, so trifft die kantonale Behörde auf Antrag eine Feststellungsverfügung über die Zugehörigkeit eines Grundstücks zu einem Objekt (Art. 5 Abs. 3 AlgV). Gemäss dem in Art. 6 AlgV verankerten Schutzziel sind die ortsfesten Objekte in ihrer Qualität und Eignung als Amphibienlaichgebiete sowie als Stützpunkte für das langfristige Überleben und die Wiederansiedlung gefährdeter Amphibienarten ungeschmälert zu erhalten. Art. 7 AlgV regelt die zulässigen Abweichungen vom Schutzziel. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 AlgV treffen die Kantone nach Anhören der Grundeigentümerschaft und der Nutzungsberechtigten die zur Erreichung des Schutzziels geeigneten Schutz- und Unterhaltsmassnahmen. Die Massnahmen nach den Art. 5 Abs. 1 und 2 sowie Art. 8 AlgV müssen innert sieben Jahren nach Aufnahme der Objekte in Anhang 1 oder 2 getroffen werden (Art. 9 AlgV). Solange die Kantone keine Schutz- und Unterhaltsmassnahmen getroffen haben, haben sie gemäss Art. 10 AlgV mit geeigneten Sofortmassnahmen dafür zu sorgen, dass sich der Zustand der ortsfesten Objekte nicht verschlechtert und die Funktionsfähigkeit der Wanderobjekte erhalten bleibt. Die Kantone haben dafür zu sorgen, dass bestehende Beeinträchtigungen von Objekten bei jeder sich bietenden Gelegenheit soweit möglich beseitigt werden. Bei Wanderobjekten werden dabei die Vereinbarungen nach Art. 5 Abs. 2 AlgV berücksichtigt (Art. 11 AlgV). |
4.5 Für das Bundesgericht besteht vorliegend kein Grund, von diesen überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des BAFU abzuweichen. Nicht gefolgt werden kann daher der Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach die Festlegung des Grenzverlaufs bereits mit der Aufnahme des Objekts in das kantonale Natur- und Landschaftsschutzinventar 1980 von überkommunaler Bedeutung erfolgt sei, welches den Perimeter des Naturschutzgebiets praktisch um den Betrieb herum auf die Parzelle Nr. 5576 festlege und die Gebäude auf den Parzellen Nr. 5577 und 5578 nicht innerhalb dieses Schutzgebiets liegen würden. Dem kantonalen Inventar kann zwar entnommen werden, dass das Werkgelände lediglich im Norden grössere Teile des Kiesbiotops beschlägt; dies ist aber vorliegend nicht ausschlaggebend. Stattdessen ist, wie vom BAFU zutreffend ausgeführt, auf das neuere Bundesinventar von 2001 abzustellen, wonach das Werkareal innerhalb des Bereichs A des Schutzgebiets liegt. Der anderslautenden Behauptung der Beschwerdeführerin kann insofern nicht gefolgt werden, zumal sie nicht vorbringt, der angefochtene Entscheid beruhe in diesem Punkt auf einer fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung. Ebenfalls unbehelflich ist auch ihr Einwand, die Erwägungen und Nebenbestimmungen der erstinstanzlichen Verfügung könnten als implizite Festlegung des Grenzverlaufs bzw. von Schutz- und Unterhaltsmassnahmen nach Art. 8 AlgV betrachtet werden. Dies trifft nach dem Gesagten nicht zu. |
Im Hinblick auf eine schutzzielgerechte Erhaltung des IANB-Objekts und die Verhinderung weiterer Beeinträchtigungen des Schutzobjekts, hat daher, trotz der noch fehlenden parzellenscharfen Abgrenzung, eine sofortige Überprüfung der Baubewilligungsfähigkeit der Recyclinganlage zu erfolgen. Eine Rückweisung der Sache zur vorgängigen detaillierten Abgrenzung des Schutzobjekts würde das Verfahren unnötig in die Länge ziehen und dem vordringlichen Handlungsbedarf bzw. dem Schutzgedanken zuwiderlaufen. In diesem Zusammenhang hat das BAFU im Übrigen berechtigterweise darauf hingewiesen, dass der den Kantonen bei der Abgrenzung der Objekte zur Verfügung stehende Spielraum ohnehin gering und ihre Aufgabe darauf beschränkt sei, den Perimeter des geschützten Gebiets parzellenscharf oder in anderer eindeutiger Weise festzulegen, wobei sie sich an die Vorgaben des Bundesinventars zu halten hätten. Schliesslich kann, um dem in Art. 10 AlgV statuierten Verschlechterungsverbot gerecht zu werden, bei der Prüfung von Baugesuchen, bis zur definitiven Festlegung des Schutzobjekts bzw. bis zur parzellenscharfen Abgrenzung, eine grosszügige Ausdehnung zugrunde gelegt werden, um so negative Präjudizien zu vermeiden sowie bauliche Massnahmen und Zweckänderungen zu unterbinden, welche die ausstehende Bezeichnung bzw. Abgrenzung des Schutzobjekts beeinflussen könnten (vgl. BGE 139 II 243 E. 10.7 S. 258 f. mit Hinweisen). |
Dies bedeutet indessen nicht, dass somit eine Abgrenzung durch den Kanton i.S.v. Art. 5 AlgV obsolet wird. Dieser ist nach wie vor verpflichtet, den Grenzverlauf festzulegen. Einzig zur Beantwortung der vorliegenden Streitfrage kann vorerst aufgrund der hohen Schutzbedürftigkeit des gemäss dem Objektblatt im Bereich A liegenden Areals und der bisherigen Verzögerung im Hinblick auf allfällige Schutzmassnahmen nicht länger zugewartet werden, bis eine parzellenscharfe Abgrenzung vorliegt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz und des Baurekursgerichts ist daher auf eine Rückweisung zu weiteren Abklärungen bzw. zur Festlegung des Grenzverlaufs des Objekts zu verzichten.
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