BGE 94 III 4
 
2. Entscheid vom 31. Januar 1968 i.S. Kneubühl.
 
Regeste
Lohnpfändung (Art. 93 SchKG); Beitragspflicht der Ehefrau (Art. 192 Abs. 2, 246 Abs. 1 ZGB).
2. Befugnis der Betreibungsbehörden, vorfrageweise über die Beitragspflicht der Ehefrau zu befinden. Gültiger Verzicht des Ehemanns auf Beiträge der Ehefrau?
3. Bemessung der Beiträge. Massgebende Umstände. Ermessen der Betreibungsbehörden.
 
Sachverhalt


BGE 94 III 4 (5):

In der Betreibung, die Gempeler für eine Forderung von Fr. 863.15 gegen Kneubühl führt, vollzog das Betreibungsamt Bern 2 am 21. November 1967 eine Lohnpfändung von monatlich Fr. 200.--. Bei der Berechnung des Einkommens des Schuldners nahm es u.a. an, die Ehefrau des Schuldners, mit der dieser nach seinen Angaben vor der am 19. Mai 1967 erfolgten Heirat Gütertrennung vereinbart hat, habe aus ihrem Arbeitsverdienst von Fr. 750.-- einen Beitrag an die ehelichen Lasten von monatlich Fr. 200.-- zu leisten.
Die Beschwerde, mit welcher der Schuldner Aufhebung oder Herabsetzung der Lohnpfändung beantragte, wurde am 7. Dezember 1967 von der untern und am 27. Dezember 1967 auch von der obern kantonalen Aufsichtsbehörde abgewiesen.
Mit seinem Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Schuldner seinen Beschwerdeantrag. Er macht geltend, die Annahme einer Beitragspflicht seiner Ehefrau sei gesetzwidrig. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer weist den Rekurs ab.
 
Erwägungen:
Die Leistungen, auf die der Ehemann nach diesen Bestimmungen

BGE 94 III 4 (6):

Anspruch hat, sind beim Vollzug einer Lohnpfändung gegen ihn als Einkünfte zu berücksichtigen, da sich im Umfang dieser Leistungen der aus seinem Lohn zu deckende Aufwand für den Unterhalt der Familie vermindert, und zwar gilt dieser Grundsatz unabhängig davon, welcher Art die in Betreibung gesetzte Forderung ist (BGE 63 III 108ff.,BGE 79 I 116Erw. 3,BGE 79 III 152/153, BGE 80 III 32, BGE 82 III 29 Erw. 2, BGE 85 I 5 /6). Die vom Rekurrenten angerufenen Art. 243 und 245 ZGB, wonach bei der Gütertrennung für voreheliche Schulden eines Ehegatten nur dieser selbst haftet und der Erwerb dem Ehegatten gehört, von dessen Arbeit er herrührt, werden durch diese Praxis nicht verletzt; denn sie macht die Ehefrau nicht für die Schulden des Mannes haftbar und stellt ihr Eigentum an ihrem Arbeitserwerb nicht in Frage, sondern beschränkt sich darauf, beim Entscheid darüber, ob und in welchem Umfang der Lohn des Ehemannes nach Art. 93 SchKG pfändbar sei, die nach Art. 192 und 246 ZGB von der Ehefrau zu erbringenden Leistungen zu seinem Einkommen zu rechnen.
Das Betreibungsamt war also grundsätzlich befugt, bei der Lohnpfändung gegen den Rekurrenten die Beitragspflicht der Ehefrau zu berücksichtigen, obwohl die Betreibung eine voreheliche Schuld des Rekurrenten betrifft.
2. Im Falle der Lohnpfändung haben die Betreibungsbehörden als Vorfrage zu entscheiden, ob und wieweit die Ehefrau des Schuldners nach Art. 192 und 246 ZGB beitragspflichtig ist, sofern nicht etwa schon die zuständige Behörde im Sinne des Art. 246 Abs. 2 ZGB hierüber geurteilt hat (BGE 63 III 110,BGE 65 III 27,BGE 73 III 129oben,BGE 78 III 123, BGE 80 III 139 oben, BGE 82 III 29 Erw. 2). Einen Verzicht des Ehemannes auf zukünftige Beiträge haben die Betreibungsbehörden zu beachten, wenn die Beitragspflicht durch Ehevertrag, zumal schon unter Brautleuten, wegbedungen wurde; eine solche Klausel ist für diese Behörden jedoch dann nicht verbindlich, wenn der Ehemann ohne einen Beitrag der Frau sog. privilegierte Unterhaltsforderungen, für die er betrieben ist, nicht zu erfüllen vermag; in einem solchen Falle verstösst die Berufung auf den Verzicht gegen die guten Sitten (BGE 79 III 153/154). Im übrigen bleibt den Gläubigern, die infolge des ehevertraglichen Verzichts auf Beiträge zu Verlust kommen, höchstens die Anfechtungsklage im Sinne von Art. 285 ff. SchKG vorbehalten (für Zulassung dieser KlageBGE 79 III 153in Übereinstimmung mit GMÜR,

BGE 94 III 4 (7):

2. Aufl., N. 6 a, und EGGER, 2. Aufl., N. 3/4 zu Art. 246 ZGB; anderer Meinung namentlich LEMP N. 13 zu Art. 246 ZGB). Ein formloser Verzicht des Ehemannes auf zukünftige Beiträge ist dagegen auf jeden Fall dann unbeachtlich, wenn er eigens zur Vereitelung einer bevorstehenden Lohnpfändung ausgesprochen wurde (BGE 79 III 153,BGE 60 III 57). Die blosse Tatsache, dass der Ehemann Beiträge bisher nicht verlangt und die Ehefrau solche auch nicht geleistet hat, kann einer Nachforderung von Beiträgen für die Vergangenheit entgegenstehen (BGE 39 I 262= Sep. ausg. 16 S. 73, wo § 1427 [aufgehoben durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957] statt § 1247 des deutschen BGB zitiert sein sollte; GMÜR N. 5, EGGER N. 4, LEMP N. 9 in Verbindung mit N. 10 zu Art. 246 ZGB). Ein Verzicht für die Zukunft ist jedoch aus dieser Tatsache nicht abzuleiten.
Im vorliegenden Falle wurde der Beitrag, den die Ehefrau des Rekurrenten aus ihrem Arbeitserwerb an die Kosten des Haushalts zu leisten hat, nicht bereits durch die zuständige Behörde im Sinne von Art. 246 Abs. 2 ZGB festgesetzt. Anderseits wurde die Beitragspflicht der Ehefrau im Ehevertrag, durch den der Rekurrent und seine Frau vor der Heirat Gütertrennung vereinbarten, nach dem Zugeständnis des Rekurrenten nicht ausdrücklich wegbedungen. Die in der Rekursschrift an das Bundesgericht aufgestellte Behauptung, der Ehevertrag sei u.a. gerade deswegen geschlossen worden, damit die Ehefrau in keiner Weise durch die vorehelichen Schulden des Rekurrenten berührt werde, und es habe dem Willen der Vertragschliessenden entsprochen, ihre Beitragspflicht auszuschliessen, ist neu. Sie ist nicht zu hören, da der Rekurrent schon im kantonalen Verfahren Gelegenheit hatte, sie vorzubringen (Art. 79 Abs. 1 Satz 2 OG). Im übrigen ist sie unbewiesen und überhaupt unerheblich; denn falls sie nachgewiesen wäre, hätte man es, da der Ehevertrag in diesem Punkte schweigt, nicht mit einem ehevertraglichen Ausschluss der Beitragspflicht zu tun, sondern mit einem unbeachtlichen formlosen Verzicht auf Beiträge zwecks Verhinderung künftiger Lohnpfändungen. - Neu und unerheblich ist auch die weitere Behauptung des Rekurrenten, er habe Beiträge bisher nicht verlangt.
Das Betreibungsamt war demnach befugt, vorfrageweise über die Beitragspflicht der Ehefrau des Rekurrenten zu befinden.


BGE 94 III 4 (8):

3. Bei der Festsetzung des Beitrags der Ehefrau sind die gegenwärtigen Lebensbedürfnisse der Familie (BGE 63 III 112oben), die Mittel und die Verpflichtungen des Mannes und der Frau (BGE 82 III 30,BGE 63 III 111,BGE 61 III 15ff.) und die sonstigen Leistungen der Ehefrau für die eheliche Gemeinschaft, insbesondere für den Haushalt (BGE 65 III 27/28,BGE 78 III 125unten) zu berücksichtigen (LEMP N. 20 ff. zu Art. 246 ZGB). Der Beitrag der Frau kann unter Umständen auf die Hälfte oder sogar auf zwei Drittel ihres Verdienstes festgesetzt werden, selbst wenn nicht eine Betreibung für Unterhaltsbeiträge (vgl. hiezuBGE 78 III 121ff.) in Frage steht (BGE 65 III 28,BGE 73 II 101, BGE 82 III 30).
Der eigene Verdienst des - überschuldeten - Rekurrenten deckt nur ungefähr den Notbedarf der Familie im weitern Sinne (Notbedarf des Rekurrenten und seiner Ehefrau; Unterhaltsleistungen für die geschiedene Frau des Rekurrenten und für seinen Sohn aus erster Ehe). Die Ehefrau verdient unstreitig Fr. 750.-- pro Monat, wovon sie Fr. 245.-- für die Abzahlung von Möbeln verwendet, die sie gekauft hat. Bei dieser Sachlage ist der von den kantonalen Behörden festgesetzte Beitrag von Fr. 200.-- pro Monat nicht übersetzt, selbst wenn die Ehefrau für eine von der Krankenkasse nur teilweise bezahlte Heilbehandlung gewisse Aufwendungen zu machen hat, wie das der Rekurrent im kantonalen Verfahren behauptet hat, ohne diese Auslagen zu beziffern. Die vom Rekurrenten erwähnte Möglichkeit, dass die Ehefrau ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder die monatlichen Abzahlungen erhöhen könnte, ist nicht zu berücksichtigen, weil das Betreibungsamt bei der Festsetzung des pfändbaren Lohnbetrags auf die Verhältnisse zur Zeit des Pfändungsvollzugs abzustellen hat (BGE 77 III 162/163).
Der kantonale Entscheid (der nur hinsichtlich des Beitrags der Ehefrau angefochten wurde) ist daher zu bestätigen. Die kantonalen Behörden haben das ihnen zustehende Ermessen bei der Würdigung der nach Bundesrecht zu beachtenden Umstände nicht überschritten.