BGE 131 III 559
 
72. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. (Berufung)
 
5C.74/2004 vom 14. März 2005
 
Regeste
Güterrechtliche Auseinandersetzung; Ersatzforderung zwischen Errungenschaft und Eigengut (Art. 209 Abs. 3 ZGB).
 
Sachverhalt


BGE 131 III 559 (560):

X. und Y. schlossen am 13./22. Juni 2001 eine als "Vergleich im Eheschutzverfahren" bezeichnete Vereinbarung, mit der sie den gemeinsamen Haushalt aufhoben und die Folgen des Getrenntlebens regelten: Unter anderem verpflichtete sich Y. zur grundsätzlichen Leistung von Unterhaltsbeiträgen an die Ehefrau und wurde mit Wirkung ab 1. Januar 2001 der Übergang zum Güterstand der Gütertrennung festgelegt, wobei der Vollzug später vorzunehmen sei.
Am 3. Juni 2002 klagte X. (im Folgenden: Klägerin) beim Gerichtskreis L. gegen Y. (im Folgenden: Beklagten) auf Durchführung der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Die Parteien schlossen am 15./21. Juli 2003 eine Teilvereinbarung, worin sie sich mit Ausnahme der Aufteilung des Verkaufserlöses der Aktien der S. AG über die güterrechtliche Auseinandersetzung einigten.
Mit Urteil vom 13. November 2003 sprach der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises L. der Klägerin aus Güterrecht den Betrag von Fr. 1'018'447.90 zu.
Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte Appellation und die Klägerin in der Folge Anschlussappellation. Am 5. März 2004 erkannte das Obergericht des Kantons Bern (I. Zivilkammer des Appellationshofes), dass die Klage abgewiesen werde.
Das Bundesgericht weist die von der Klägerin eingereichte Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.1 Anlass zur vorliegenden Berufung gibt einzig die güterrechtliche Beurteilung der durch den Verkauf der Aktien der S. AG realisierten Wertsteigerung. Im Übrigen haben sich die Parteien güterrechtlich geeinigt. Die genannten Aktien, die sich, abgesehen von zweien davon, alle im Eigentum des Beklagten befunden hatten, wurden zum Preis von brutto 3 Mio. Franken an die T. AG in U. verkauft. Beide kantonalen Instanzen gelangten zum Schluss, dass der Wertzuwachs, der sich zwischen der Übernahme der Aktien

BGE 131 III 559 (561):

durch den Beklagten und der Veräusserung ergeben habe, netto Fr. 2'036'895.75 betrage. Neben einem Übernahmewert der Aktien von Fr. 98'000.- und dem Betrag, der den Anteilen der beiden anderen Aktionäre entspricht, haben sie vom Verkaufserlös verschiedene Verbindlichkeiten abgezogen, die ebenfalls aus diesem zu begleichen gewesen seien. Die Parteien stellen die Höhe des ermittelten Wertzuwachses nicht in Frage.
2.2 Zu Recht wird von den Parteien ebenfalls nicht bestritten, dass die Aktien Eigengut des Beklagten waren, da dieser sie während der Ehe unentgeltlich erworben hat. Deren Veräusserung bewirkte einen Wertersatz, und der (Netto-)Erlös fiel von Gesetzes wegen ebenfalls dem Eigengut zu (Art. 198 Ziff. 4 ZGB; vgl. auch BGE 121 III 201 E. 4a S. 203 f.; HEINZ HAUSHEER/RUTH REUSSER/THOMAS GEISER, Berner Kommentar, N. 53 zu Art. 198 ZGB; ELISABETH LÜTHE, Eigengut und Errungenschaft im neuen ordentlichen Güterstand, Diss. Freiburg 1981, S. 124 ff.). Aus güterrechtlicher Sicht von Bedeutung ist weiter, dass es sich bei den veräusserten Aktien um diejenigen des Unternehmens handelte, in welchem der Beklagte beruflich tätig war. In diesem Zusammenhang kann der Vorinstanz nicht gefolgt werden, wenn sie mit der Begründung, die Wertsteigerung der Aktien gehe auf den beruflichen Einsatz des Ehemannes zurück, diese gestützt auf Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB kurzerhand zum Bestandteil seiner Errungenschaft erklärt.
Wie ein landwirtschaftliches Gewerbe oder eine Arztpraxis (dazu BGE 121 III 152 ff. und BGE 125 III 1 ff.) ist auch das Unternehmen, das mehrheitlich vom Beklagten beherrscht war, als rechtlich finanzielle Einheit und damit als Vermögensgegenstand im Sinne des ehelichen Güterrechts zu behandeln. Unter den dargelegten Umständen drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit der Beklagte durch seinen persönlichen Arbeitseinsatz einen Beitrag zum Gedeihen des Unternehmens geleistet hat (dazu ELISABETH ESCHER, Wertveränderung und eheliches Güterrecht, Diss. Bern 1989, S. 70), mit andern Worten, ob der beim Verkauf der Unternehmensaktien realisierte Mehrwert auf eine wertschöpfende Tätigkeit des Beklagten zurückzuführen ist. Gegebenenfalls ist weiter zu prüfen, ob der Beklagte für seinen persönlichen Einsatz durch - zu seiner Errungenschaft zu zählende (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 und 4 ZGB) - Bezüge aus dem Unternehmen hinreichend entschädigt worden ist oder ob noch Lohnansprüche bestehen, die als solche ebenfalls der Errungenschaft des Beklagten angehören.


BGE 131 III 559 (562):

2.3 Haben in der dargelegten Weise Mittel der einen Vermögensmasse zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung von Gegenständen der anderen Vermögensmasse beigetragen und ist ein Mehr- oder Minderwert eingetreten, besteht nach Art. 209 Abs. 3 ZGB eine Ersatzforderung, die dem Anteil des Beitrags entspricht und nach dem Wert der Vermögensgegenstände im Zeitpunkt der Auseinandersetzung oder der Veräusserung berechnet wird. Sie gehört in die Gütermasse, die den Beitrag geleistet hat (ROLAND MÜLLER, Der Mehrwertanteil im neuen Ehegüterrecht, Diss. Basel 1992, S. 79 mit Hinweisen auf die massgebende Lehre). Das Zusammenwirken zweier Gütermassen führt somit nur bei Vorliegen eines Beitragstatbestandes zur Teilhabe an der Wertveränderung (dazu HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 47 zu Art. 209 ZGB; FLORIAN STEFAN JÖRG, Wertveränderungen einer Aktiengesellschaft bei Auflösung des ordentlichen Güterstandes, Diss. St. Gallen 1997, S. 171). Dies geschieht nach dem Willen des Gesetzgebers durch die Schaffung einer variablen Ersatzforderung, und nicht durch die proportionale Beteiligung der Gütermassen. Mit dieser Lösung sollte die beim Güterstand der Güterverbindung geführte Diskussion über das Auseinanderfallen von Güterrecht und Sachenrecht ein für alle Mal beendet werden. In diesem Zusammenhang wurde allerdings übersehen, dass sich eine derartige Konstellation im Vermögen des gleichen Ehegatten gar nicht stellen kann. Zudem wurde nicht bedacht, dass die Lösung über die Ersatzforderung immer auch eine vorgängige güterrechtliche Zuordnung eines Vermögenswertes zu einer Masse erfordert (zu den Materialien und der abweichenden Lehre: ESCHER, a.a.O., S. 51-60).
 
Erwägung 3
3.1 Unter Hinweis auf die Erwägungen der ersten Instanz ist das Obergericht davon ausgegangen, dass der in Frage stehende Mehrwert sich nicht ohne jedes Zutun ergeben habe oder auf blosser Vermögensverwaltung beruhe und daher nicht ein konjunktureller Mehrwert vorliege. Wohl habe die S. AG wie andere Unternehmen von einer günstigen Konjunkturlage, insbesondere vom Boom in der Baubranche, profitiert. Trotz günstiger Rahmenbedingungen habe sich der Erfolg jedoch nicht ohne Zutun des Beklagten eingestellt. Dieser sei aktiv in seinem Unternehmen tätig gewesen und habe mit seinem Arbeitseinsatz massgeblich zum Erfolg beigetragen. Seine Tätigkeit habe sich auch nicht auf blosse Vermögensverwaltung beschränkt, sondern die gesamte Geschäftsleitung

BGE 131 III 559 (563):

der S. AG umfasst. Der gesamte entstandene Mehrwert der Aktien sei somit industrieller Natur und falle daher grundsätzlich in die Errungenschaft.
3.3 Bei der Würdigung der vom Beklagten bezogenen Saläre weist das Obergericht darauf hin, dass dessen Nachfolger als Geschäftsführer ein jährliches Bruttoeinkommen von Fr. 119'000.- erziele. Seine Aufgaben deckten sich mit den seinerzeitigen des Beklagten, wobei der Nachfolger insgesamt weniger arbeite und die Endverantwortung bei der T. AG liege, der er Rechenschaft abzulegen habe. Beim Verkauf der Aktien sei im Übrigen vorgesehen gewesen, dass der Beklagte weiterhin für beschränkte Zeit als Geschäftsführer tätig sein würde, wozu es jedoch dann allerdings nicht gekommen sei. Für diese Tätigkeit sei ein Bruttojahresgehalt von Fr. 180'000.- vereinbart gewesen. Zu beachten sei ausserdem, dass der Beklagte vor der Veräusserung der Aktien nicht nur Geschäftsführer gewesen sei, sondern auch Inhaber von 98 % davon, womit er auch die gesamte wirtschaftliche Verantwortung getragen habe. Seine damalige Stellung lasse sich daher nicht ohne weiteres mit derjenigen des heutigen Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft im Konzern oder mit seiner eigenen nach dem Verkauf vergleichen.
Zu Recht ist die Vorinstanz ferner davon ausgegangen, dass jedenfalls dann, wenn konkrete Vergleichszahlen vorlägen, es nicht auf die Höhe der Bezüge ankomme, die die Steuerverwaltung als angemessen erachte, und dass auch die Frage einer verdeckten Gewinnausschüttung ohne Belang sei. Gerade bei der Mitarbeit im eigenen Unternehmen ist die Entschädigung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen festzulegen, was eine Beteiligung am Mehrwert bereits

BGE 131 III 559 (564):

ausschliesst (JÖRG, a.a.O., S. 179). Dies gilt zumindest dann, wenn die Entlöhnung derjenigen eines Dritten entspricht und marktgerecht ist (vgl. HAUSHEER/REUSSER/GEISER, a.a.O., N. 25 zu Art. 206 ZGB in Verbindung mit N. 51 zu Art. 209 ZGB; ESCHER, a.a.O., S. 70).
In ihre Betrachtungen zur Entlöhnung des Beklagten einbezogen hat die Vorinstanz sodann auch die finanzielle Lage des Unternehmens, das nicht von Anfang an einen Wert von 3 Mio. Franken gehabt, sondern nach den Angaben der Klägerin im Jahre 1987 nahezu im Konkurs gestanden habe. Im Jahre 1999 sei ein Reingewinn von Fr. 275'671.- ausgewiesen worden, wovon Fr. 150'000.- den freien Reserven zugegangen seien. Im Jahre 2000 sei vom Reingewinn von Fr. 248'963.- der Betrag von Fr. 200'000.- an die freien Reserven gegangen. Der vorsichtige Geschäftsmann habe bei der Entnahme von finanziellen Mitteln auch allfälligen Schwankungen, die speziell das Baugewerbe betreffen könnten, Rechnung zu tragen und durch die Speisung der Reserven für die Liquidität und damit das Gedeihen der Unternehmung zu sorgen.
Die Vorinstanz hält abschliessend dafür, die vom Beklagten bezogene (Arbeits-)Entschädigung entspreche dem, was das Unternehmen vernünftigerweise jeweils habe tragen können und ein Dritter auch hätte bekommen können.


BGE 131 III 559 (565):

In einem Fall der vorliegenden Art bleibt nach HAUSHEER/REUSSER/ GEISER (a.a.O., N. 41 zu Art. 197 ZGB) für die Annahme eines Mehrwerts, d.h. für eine entsprechende (zusätzliche) Ersatzforderung der Errungenschaft gegenüber dem Eigengut, dann kein Raum, wenn der aus dem eigenen Unternehmen bezogene Lohn mit der Entschädigung der entsprechenden Arbeitsleistung durch einen Dritten vergleichbar ist und auch die Wertsteigerung des Unternehmervermögens im Rahmen dessen bleibt, was auf eine entsprechende von einem Dritten gegen Entschädigung zu leistende Tätigkeit zurückzuführen wäre. Dieser Auffassung ist beizupflichten.
Geht man wie die Vorinstanz davon aus, dass der Beklagte sich für seine Unternehmung mit Erfolg eingesetzt und dafür ein angemessenes Gehalt bezogen hat und dass sogar Dividenden ausgeschüttet wurden, was alles in die Errungenschaft fiel (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 und 4 ZGB), so kann nicht mehr von einem Sondereinsatz gesprochen werden. Damit fehlen die Voraussetzungen für die Annahme eines Beitrags im Sinne von Art. 209 Abs. 3 ZGB. Dies bedeutet, dass der Errungenschaft des Beklagten keine Ersatzforderung zusteht, an der der Klägerin im Rahmen der Vorschlagsteilung die Hälfte zukäme (Art. 210 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 215 Abs. 1 ZGB).