BGE 141 III 195 |
29. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern und A. (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_490/2014 vom 27. April 2015 |
Regeste |
Art. 699 Abs. 1 ZGB; Betreten von Wald und Weide; richterliches Verbot. |
Bewirtschaftungsweg, der zuerst über eine Weide (Dauerwiese) und danach über eine extensiv genutzte Wiese (Ökowiese) führt, bevor er in den Wald einmündet. Den Zutritt zum Bewirtschaftungsweg nur deshalb zu verbieten, weil das angrenzende Land auf einem kurzen Wegabschnitt eine extensiv genutzte Wiese ist, widerspricht Sinn und Zweck von Art. 699 Abs. 1 ZGB. Das richterliche Verbot, welches das Betreten des Bewirtschaftungswegs untersagt, verstösst daher gegen Art. 699 Abs. 1 ZGB (E. 2.3-2.8). |
Sachverhalt |
A. A. ist Eigentümer des Grundstücks Nr. x in B. Dieses besteht aus Wald und einer Grasfläche, über welche ein Bewirtschaftungsweg zunächst parallel zum Waldrand verläuft und dann durch den Wald zum Fluss C. hinunterführt. Der obere Teil der Grasfläche ist eine sog. Dauerwiese, während der untere Teil als extensiv genutzte Wiese (Ökowiese) mit Nebennutzung des Weidenlassens dient. Der Amtsgerichtspräsident von Entlebuch erliess am 21. August 2008 auf Verlangen von A. ein allgemeines Verbot, wonach das Betreten des Grundstücks ausserhalb der Strasse D. für Unberechtigte unzulässig ist. Die entsprechende Verbotstafel steht beim mit einem Gatter verschlossenen Zugang zum erwähnten Bewirtschaftungsweg. |
X. bietet als Geschäftsführer der E. GmbH Goldwaschkurse rund um das Napfgebiet an. Am 18. Mai 2011 betrat er mit seinen Kursteilnehmern in Missachtung des richterlichen Verbots das Grundstück von A., um sich über den Bewirtschaftungsweg zum Kursort an der C. zu begeben. Den Zugang zum Grundstück verschaffte er sich, indem er beim Zaun neben dem Gatter zwei Zaunisolatoren aus dem Holzpfosten abmontierte und den Zaundraht mit einem Hammer durchtrennte.
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B.
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B.a Die Staatsanwaltschaft Sursee verurteilte X. mit Strafbefehl vom 15. Dezember 2011 wegen geringfügiger Sachbeschädigung zu einer Busse von Fr. 150.-. Die Strafuntersuchung wegen Übertretung eines allgemeinen Verbots stellte sie mit Verfügung vom 22. März 2012 ein. Das Kantonsgericht Luzern hiess am 11. Oktober 2012 die Beschwerde von A. gegen den Einstellungsentscheid gut und wies die Strafsache an die Staatsanwaltschaft zurück. Auf eine dagegen gerichtete Beschwerde von X. trat das Bundesgericht mit Urteil 1B_721/2012 vom 4. Dezember 2012 nicht ein. |
B.b Die Staatsanwaltschaft sprach X. am 22. Januar 2013 der Übertretung eines allgemeinen Verbots (§ 20 des Übertretungsstrafgesetzes vom 14. September 1976 [UeStG/LU; SRL 300)und der geringfügigen Sachbeschädigung (Art. 144 Abs. 1 i.V.m. Art. 172ter StGB) schuldig und büsste ihn mit Fr. 200.-. X. erhob gegen den Strafbefehl Einsprache. Das Bezirksgericht Willisau sprach ihn daraufhin am 28. Mai 2013 in Bezug auf das Betreten des oberen, durch die Dauerwiese verlaufenden Teils des Weges vom Vorwurf der Übertretung eines allgemeinen Verbots frei. Es erklärte ihn der geringfügigen Sachbeschädigung und, in Bezug auf das Betreten des unteren, durch die extensiv genutzte Wiese verlaufenden Teils des Weges, der Übertretung eines allgemeinen Verbots schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Busse von Fr. 200.- und zur Bezahlung von Fr. 455.45 Schadenersatz an A. Auf Berufung von X. bestätigte das Kantonsgericht Luzern am 26. März 2014 das erstinstanzliche Urteil.
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C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, ihn von den Vorwürfen der Übertretung eines allgemeinen Verbots sowie der geringfügigen Sachbeschädigung freizusprechen und die Zivilforderung vollumfänglich abzuweisen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz bzw. an das Bezirksgericht Willisau zurückzuweisen.
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D. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern verzichtete auf eine Stellungnahme. Das Kantonsgericht und A. beantragen die Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe Art. 699 Abs. 1 ZGB zu Unrecht nicht auf die extensiv genutzte Wiese angewandt. Er habe einen Bewirtschaftungsweg benutzt, der durchgehend von der Strasse her in den Wald führe. Dem Beschwerdegegner 2 sei kein Schaden erwachsen. Der Bewirtschaftungsweg sei auf der extensiv genutzten Wiese genau gleich beschaffen gewesen wie auf der Weide. Der vor über hundert Jahren formulierte Art. 699 ZGB dürfe nicht grammatikalisch eng ausgelegt werden, da es damals noch keine landwirtschaftlichen Subventionen und damit auch keine ökologischen Ausgleichsflächen gegeben habe. |
2.4 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 140 III 206 E. 3.5.4; BGE 140 IV 1 E. 3.1; je mit Hinweisen). |
2.7 Der Beschwerdeführer betrat gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen einen Bewirtschaftungsweg, der über eine Weide (Dauerwiese) und im unteren Teil vor der Einmündung in den Wald über eine sog. extensiv genutzte Wiese führt. Letztere ist eine ökologische Ausgleichsfläche (sog. Biodiversitätsförderfläche), die Anrecht auf landwirtschaftliche Direktzahlungen (Biodiversitätsbeiträge) verschafft (vgl. Art. 55 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 23. Oktober 2013 über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft [DZV; SR 910.13]; Art. 40 Abs. 1 lit. a der Verordnung vom 7. Dezember 1998 über die Direktzahlungen an die Landwirtschaft [aDZV]). Die Vorinstanz legt dar, dass die extensiv genutzte Wiese nur nebenbei als Viehweide dient. Zulässig ist lediglich eine schonende Herbstweide (vgl. DZV, Anhang 4 Ziff. A 1.1.3; Art. 45 Abs. 3 aDZV; Bundesamt für Landwirtschaft, Überblick: Direktzahlungen an Schweizer Ganzjahresbetriebe, März 2014, S. 12). Die extensiv genutzte Wiese war im Tatzeitpunkt (Mai) nicht gemäht. Nicht zu beanstanden ist daher, wenn die Vorinstanz diese - jedenfalls für den zu beurteilenden Zeitpunkt - vom Anwendungsbereich von Art. 699 Abs. 1 ZGB ausnimmt. |
Das richterliche Verbot bezieht sich allerdings nicht nur auf die Wiese, sondern auch den Weg, der über die Wiese führt. Die für den Weg bestimmte Fläche dient nicht als extensiv genutzte Wiese. Den Zutritt zum Weg nur deshalb zu verbieten, weil das angrenzende Land auf einem kurzen Wegabschnitt eine extensiv genutzte Wiese ist, widerspricht Sinn und Zweck von Art. 699 Abs. 1 ZGB, selbst wenn man mit der Vorinstanz von einer restriktiven Auslegung dieser Bestimmung ausgeht. Das richterliche Verbot verstösst gegen Art. 699 Abs. 1 ZGB, soweit es auch den Bewirtschaftungsweg vom Betretungsrecht ausnimmt. Entsprechend kann dem Beschwerdeführer nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er dieses missachtete. Der Schuldspruch wegen Übertretung eines allgemeinen Verbots verletzt Bundesrecht. Nicht weiter einzugehen ist damit auf die Rügen des Beschwerdeführers betreffend die Beweiswürdigung.
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2.8 Zutreffend ist zwar, dass Art. 699 Abs. 1 ZGB die Eigentümer andersartiger Grundstücke nicht verpflichtet, Zugang zu angrenzenden Wald- oder Weidegrundstücken zu ermöglichen (REY/STREBEL, a.a.O., N. 5 zu Art. 699 ZGB; angefochtenes Urteil mit Hinweis auf Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2002 I Nr. 21). Diese Frage stellt sich vorliegend jedoch nicht. Zu beurteilen ist, ob das Betreten eines gemäss Art. 699 Abs. 1 ZGB grundsätzlich zugänglichen Weges deshalb untersagt ist, weil dieser über eine Parzelle führt bzw. an eine Fläche angrenzt, die aus ökologischen Gründen nur beschränkt als Viehweide dient. Dies ist wie dargelegt zu verneinen. |