BGE 143 III 113 |
18. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.A. (Beschwerde in Zivilsachen) |
5A_295/2016 vom 23. Februar 2017 |
Regeste |
Art. 129 und 170 ZGB; Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO; Auskunftsgesuch des geschiedenen Ehegatten im Abänderungsprozess. |
Sachverhalt |
B. Am 6. Oktober 2015 beantragte B.A. beim Familiengericht Baden, A.A. aufzufordern, "umfassend Auskunft über ihre Einkommen (inklusive Renten) ab dem 01. Januar 2014 bis heute zu erteilen". Das Gerichtspräsidium Baden verurteilte A.A., "ihr Einkommen (inklusive Renten) seit dem 01.04.2014 zu belegen" (Entscheid vom 22. Januar 2016).
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C. A.A. erhob Berufung beim Obergericht des Kantons Aargau. Dieses hiess das Rechtsmittel im Kostenpunkt teilweise gut. Im Streit um die Auskunftspflicht wies es die Berufung ab. Abgewiesen wurde auch die Beschwerde, welche die Frau gegen die erstinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege erhoben hatte.
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D. Mit Beschwerde vom 21. April 2016 wendet sich A.A. (Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. In der Sache beantragt sie, das Gesuch um Auskunftserteilung abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Weitere Anträge betreffen die oberinstanzlichen Prozesskosten und die unentgeltliche Rechtspflege. Das Obergericht verzichtete auf eine Vernehmlassung. B.A. (Beschwerdegegner) beantragte, die Beschwerde abzuweisen (Eingabe vom 21. November 2016). Die Beschwerdeführerin hielt in einer Stellungnahme vom 5. Dezember 2016 an ihrem Standpunkt fest.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist das Auskunftsgesuch des Beschwerdegegners ab.
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(Zusammenfassung)
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Aus den Erwägungen: |
4.3.1 Nach Art. 170 Abs. 1 ZGB kann jeder Ehegatte vom andern Auskunft über dessen Einkommen, Vermögen und Schulden verlangen. Der Richter kann den andern Ehegatten oder Dritte auf Begehren verpflichten, die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die notwendigen Urkunden vorzulegen (Art. 170 Abs. 2 ZGB). Der Auskunftsanspruch kann in einem unabhängigen Verfahren oder vorfrageweise in einem eherechtlichen Verfahren geltend gemacht werden (Urteil 5A_9/2015 vom 10. August 2015 E. 3.1). Der richterliche Entscheid darüber ergeht nach einer umfassenden Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht und entfaltet materielle Rechtskraft (Urteil 5A_421/2013 vom 19. August 2013 E. 1.2.1 mit Hinweis). Hier stellt sich die Frage, ob die Auskunftspflicht nach Art. 170 ZGB über die Auflösung der Ehe hinaus im Hinblick auf ein Verfahren zur Abänderung des nachehelichen Unterhalts (nach-) wirkt. |
Demgegenüber erklärte das Bundesgericht in E. 7.4.1 seines Urteils 5A_562/2011 vom 21. Februar 2012 und unter Hinweis auf das Urteil 5A_81/2011 vom 23. September 2011 E. 6.1.3, obwohl Art. 170 ZGB zu den Bestimmungen über die allgemeinen Wirkungen der Ehe gehöre, sei diese Norm nicht nur im Scheidungsverfahren, sondern auch in Verfahren betreffend die Abänderung von Scheidungsurteilen anwendbar. Von der Sache her ging es in diesen beiden Urteilen freilich nicht unmittelbar um die Anwendung von Art. 170 ZGB im Abänderungsprozess, sondern um die Frage, ob der Exmann im Streit um seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und mit Blick auf seine fehlende Mitwirkung bei der Feststellung des Sachverhalts das Beweisergebnis der kantonalen Instanz als willkürlich auszuweisen vermochte (Urteile 5A_562/2011 vom 21. Februar 2012 E. 7.4.2 und 5A_81/2011 vom 23. September 2011 a.a.O.). Insofern war die zitierte Erwägung für das Bundesgericht nicht entscheidrelevant. |
4.3.4 Art. 170 ZGB ist im fünften Titel über "Die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen" des zweiten Teils des Zivilgesetzbuches eingereiht. Soweit sich offene Rechtsansprüche unmittelbar aus der Auflösung der Ehe durch Scheidung ergeben, erscheint es unter systematischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, auch die Auskunftspflicht als (Nach-)Wirkung der Ehe über die Auflösung der Ehe hinaus bis zur abschliessenden Beurteilung dieser Rechtsansprüche bestehen zu lassen, insbesondere im erwähnten Fall, da die Scheidung in Rechtskraft erwachsen ist und die Beurteilung güterrechtlicher Ansprüche in ein Separatverfahren verwiesen wurden. Davon zu unterscheiden ist die Abänderung des nachehelichen Unterhalts, die das Gesetz in Art. 129 ZGB als eine der Scheidungsfolgen im dritten Abschnitt des vierten Titels über "Die Ehescheidung und die Ehetrennung" regelt. Von seinem Tatbestand her setzt der gesetzliche Abänderungsanspruch voraus, dass bereits eine Scheidungsrente festgesetzt wurde. Anders als bei der erstmaligen Festsetzung des nachehelichen Unterhalts, die ein Ehegatte (bei gegebenen Voraussetzungen) als direkte Folge der Auflösung der Ehe durchsetzen kann, spielt die nacheheliche Solidarität, auf welcher der Scheidungsunterhalt beruht (vgl. BGE 134 III 145 E. 4 S. 147 mit Hinweis), im Abänderungsverfahren allenfalls noch indirekt als (Nach-)Wirkung der Ehe eine Rolle. Unmittelbarer Anlass und Grund für eine Abänderung der Scheidungsrente ist nicht die Auflösung der Ehe oder die nacheheliche Solidarität, sondern die in Art. 129 Abs. 1 ZGB vorausgesetzte erhebliche und dauernde Veränderung der Verhältnisse. Dieses Tatbestandsmerkmal hat weder mit den Wirkungen noch mit der Auflösung der Ehe etwas zu tun. Es bezieht sich ausschliesslich auf Umstände, die erst nach dem Zeitpunkt eingetreten oder verfügbar geworden sind, in welchem im früheren, durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahren letztmals neue Angriffs- und Verteidungsmittel vorgebracht werden konnten (s. BGE 143 III 42 E. 5.2 mit Hinweisen). Die Unterscheidung zwischen der erstmaligen Festsetzung und der Abänderung des nachehelichen Unterhalts widerspiegelt sich auch in der Art und Weise, wie das Gesetz die Parteien bezeichnet: Während es im ersten Fall die Voraussetzungen umschreibt, unter denen der eine "Ehegatte" vom andern Unterhalt beanspruchen kann (Art. 125 Abs. 1 ZGB), spricht es mit Blick auf die Abänderung von der "berechtigten" und der "verpflichteten" Person (Art. 129 Abs. 1 und 2 ZGB). |
4.3.5 Nach dem Gesagten wirkt der in Art. 170 ZGB verankerte materiellrechtliche Auskunftsanspruch der Ehegatten nicht derart über die Auflösung der Ehe hinaus, dass er auch noch im Zusammenhang mit einem Abänderungsverfahren nach Art. 129 ZGB oder im Hinblick darauf als gesetzliche Grundlage für ein Auskunftsbegehren angerufen werden könnte. Diese Erkenntnis lässt sich auch nicht mit der "Sonderverbindung" zwischen den geschiedenen Eheleuten entkräften, auf die das Bezirksgericht verweist, um gestützt auf die nacheheliche Solidarität bzw. auf Art. 2 ZGB eine Auskunftspflicht zu konstruieren. Denn wie dargelegt, steht bei einer Abänderung nach Art. 129 ZGB gerade nicht die nacheheliche Solidarität im Vordergrund, sondern eine Veränderung von Umständen, die sich erst nach der Auflösung der Ehe ergeben hat. |
Gegenstand des Verfahrens der vorsorglichen Beweisführung ist nicht die abschliessende materiellrechtliche Beurteilung der streitigen Rechte oder Pflichten, sondern ausschliesslich eine Beweisabnahme im Hinblick auf die Feststellung oder Würdigung eines bestimmten Sachverhalts. Mit Blick auf diesen Zweck sind alle in Art. 168 ff. ZPO vorgesehenen Beweismittel einer vorsorglichen Beweisführung zugänglich. Eine vorsorgliche Beweisführung ausserhalb des Prozesses schliesst nicht aus, dass die Parteien im Hauptprozess die erneute Abnahme des bereits vorsorglich abgenommen Beweises beantragen (BGE 142 III 40 E. 3.1.2 f. S. 44 f.). Weil im Stadium einer vorsorglichen Beweisführung vor Einleitung des Hauptprozesses das Prozessthema aber noch nicht abschliessend herausgeschält ist, trifft im Verfahren der vorsorglichen Beweisführung primär die gesuchstellende Partei die Verantwortung dafür, dem Gericht die erforderlichen Angaben zum Sachverhalt zu machen und den Umfang der beantragten Beweisführung zu bestimmen (BGE 140 III 16 E. 2.2.3 S. 20). An die Zulässigkeit einer Beweisabnahme im Verfahren nach Art. 158 ZPO dürfen keine geringeren Anforderungen gestellt werden als an eine solche im Hauptprozess. Die vorsorgliche Beweisführung unterscheidet sich nämlich von der ordentlichen nur dadurch, dass sie zeitlich vorgelagert ist (WALTER FELLMANN, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 31b zu Art. 158 ZPO). Dementsprechend muss die gesuchstellende Partei einen Beweisantrag stellen, der sich unmittelbar auf die zu beweisende Tatsache bezieht. Sowohl für den Richter als auch für die Gegenpartei muss eindeutig ersichtlich sein, welche Beweismittel zu welchen Tatsachenbehauptungen angerufen werden. Zudem ist der Beweisantrag zu spezifizieren (vgl. Art. 221 Abs. 1 lit. e ZPO). So ist im Falle eines beantragten Urkundenbeweises (Art. 177 ff. ZPO) das zu edierende Schriftstück nach Art und Inhalt der Urkunde genau zu bezeichnen (TARKAN GÖKSU, Wieviel Einkommen, welches Vermögen - Auskunfts- und Editionspflichten von Ehegatten und Dritten, in: Der neue Familienprozess, Rumo-Jungo und andere [Hrsg.], 2012, S. 127; ERIC PAHUD, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], Art. 197-408, 2. Aufl. 2016, N. 16 ff. zu Art. 221 ZPO; FRANZ HASENBÖHLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 15 zu Art. 152 ZPO). |
4.4.2 In Anbetracht der geschilderten Vorgaben für eine vorsorgliche Beweisführung ist der Beschwerdeführerin beizupflichten, wenn sie die Anwendung von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO für nicht nachvollziehbar hält und sich dagegen wehrt, dem Beschwerdegegner gestützt auf diese Norm Auskunft über ihre Einkommenssituation erteilen zu müssen. Den vorinstanzlichen Feststellungen zufolge begnügte sich der Beschwerdegegner in seinem Gesuch vom 6. Oktober 2015 mit dem Begehren, die Beschwerdeführerin aufzufordern, "umfassend Auskunft über ihr Einkommen (inklusive Renten) ab dem 01. Januar 2014 bis heute zu erteilen" (s. Sachverhalt Bst. B). Wie die Beschwerdeführerin zutreffend bemerkt, formulierte der Beschwerdegegner sein Auskunftsbegehren damit als Hauptbegehren. Er bezeichnet kein konkretes Beweismittel, dessen Abnahme das Gericht (vorsorglich) anordnen soll. Auch der erstinstanzliche Urteilsspruch, den das Bezirksgericht noch vor dem Hintergrund einer materiellen Auskunftspflicht formuliert hatte, erschöpft sich im an die Beschwerdeführerin gerichteten Befehl, "ihr Einkommen (inklusive Renten) seit dem 01.04.2014 zu belegen" (s. Sachverhalt Bst. B). Das Obergericht bestätigt diesen Entscheid gestützt auf Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO, indem es erklärt, die Berufung werde "im Übrigen", also im Hauptpunkt "abgewiesen". Mithin ergibt sich weder aus dem ursprünglichen Gesuch des Beschwerdegegners noch aus den kantonalen Richtersprüchen, welche Beweismittel im Sinne von Art. 168 Abs. 1 lit. a-f ZPO nun im Rahmen einer vorsorglichen Beweisführung abgenommen werden sollen. Schützt die Vorinstanz das Auskunftsbegehren trotzdem unter dem Titel von Art. 158 Abs. 1 lit. b ZPO, so verkennt sie offensichtlich die gesetzlichen Voraussetzungen einer vorsorglichen Beweisführung. Der angefochtene Entscheid läuft dem Bundesrecht zuwider. Nachdem es den Anforderungen an ein Gesuch um vorsorgliche Beweisführung nicht genügt, ist das Gesuch des Beschwerdegegners vom 6. Oktober 2015 vollumfänglich abzuweisen. (...) |