BGE 143 III 473
 
62. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B.B. und C.B. (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_88/2017 vom 25. September 2017
 
Regeste
Art. 316 Abs. 1 ZGB; Pflegekinderbewilligung; Beschwerdelegitimation; kantonales Recht.
 
Sachverhalt


BGE 143 III 473 (474):

A.A. ist die Mutter der Kinder D.A. (geb. 2001) und E.A. (geb. 2007). Über die Kinder wurde eine Erziehungsbeistandschaft errichtet. In Bestätigung ihres superprovisorischen Entscheids entzog die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) A.A. mit Entscheid vom 25. November 2015 das Recht, den Aufenthaltsort der Kinder zu bestimmen, und platzierte diese bei C.B. Der Entscheid blieb unangefochten. Mit Eingaben vom 15. März 2016 und vom 18. Mai 2016 beantragte A.A. der KESB unter anderem, die Beiständin zu beauftragen, die Rückplatzierung der Kinder vorzubereiten und zu begleiten. Das Verfahren ist hängig.
Mit Verfügung vom 18. Oktober 2016 erteilte das Departement des Innern des Kantons Solothurn den Ehegatten B.B und C.B. die Bewilligung zur Aufnahme der Kinder D.A. und E.A. zur Pflege. Auf eine von A.A. dagegen erhobene Beschwerde trat das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mit Urteil vom 15. Dezember 2016 nicht ein.
A.A. (Beschwerdeführerin) gelangt an das Bundesgericht. Neben der Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts beantragt sie die Rückweisung der Sache zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz. Diesbezüglich weist das Bundesgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)
 


BGE 143 III 473 (475):

Aus den Erwägungen:
2.1 Das Verwaltungsgericht hat festgehalten, dass sich die Beschwerdelegitimation nach dem kantonalen Gesetz vom 15. November 1970 über den Rechtsschutz in Verwaltungssachen (Verwaltungsrechtspflegegesetz; BGS 124.11; nachfolgend: VRG/SO) richte. Nach § 12 Abs. 1 VRG/SO sei zur Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert, wer durch eine Verfügung oder einen Entscheid besonders berührt werde und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung habe. Die Bestimmung sei im Wesentlichen identisch mit der Regelung der Legitimation in Art. 48 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (Verwaltungsverfahrensgesetz, VwVG; SR 172.021) und in Art. 89 BGG. Entsprechend sei die Rechtsprechung zu diesen Bestimmungen auch für die Auslegung des kantonalen Rechts heranzuziehen. Demnach sei zur Anfechtung nur legitimiert, wer vom Entscheid stärker betroffen sei und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache stehe. Das erforderliche eigene Interesse bestehe im rechtlichen oder tatsächlichen Nutzen, den der Beschwerdeführer an der Änderung des angefochtenen Entscheides habe. Dieses Interesse müsse aktuell sein. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts sind diese Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben. Bei der Pflegekinderbewilligung handle es sich um eine Polizeibewilligung, welche nur festhalte, dass gewisse Voraussetzungen erfüllt seien und damit eine private Tätigkeit mit den gesetzlichen Vorschriften im Einklang stehe. Demgegenüber gehe es dabei gar nicht um die Frage, ob die Kinder sinnvollerweise dort zu platzieren seien. Ein aktuelles schutzwürdiges besonderes Interesse der Beschwerdeführerin an der Nichterteilung der Bewilligung sei nicht zu sehen. Es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin als Mutter der betroffenen Kinder Rechtsmittel gegen jenen Entscheid habe, mit dem die Kinder gegen den Willen der Mutter bei dieser Familie platziert bzw. belassen würden. Dieser Entscheid sei aber in einem anderen Verfahren zu fällen.


BGE 143 III 473 (476):

2.2 Im Nichteintreten auf ihre Beschwerde durch das Verwaltungsgericht erblickt die Beschwerdeführerin eine formelle Rechtsverweigerung gemäss Art. 29 Abs. 1 BV. Sie rügt eine Verletzung ihres verfassungsmässigen Anspruchs auf Rechtsschutz und macht geltend, soweit private Rechte und Rechtsverhältnisse im Bundesrecht begründet seien, müsse sich auch nach Bundesrecht entscheiden, ob und mit welchen Rechtsbehelfen der Rechtsschutz zu gewähren sei. Würde stattdessen die Bestimmung des Rechtsschutzanspruchs dem kantonalen Recht überlassen, bestünde die Gefahr, dass bundesrechtlich begründete materielle Rechte ohne Rechtsschutz blieben. Die Beschwerdeführerin wendet ein und führt näher aus, dass und inwiefern sie ein schutzwürdiges Interesse an der rechtlichen Überprüfung der Pflegekinderbewilligung für ihre Kinder habe, da ihre Kinder wie auch sie selbst dadurch direkt betroffen seien, und dass sie als sorgeberechtigte Mutter der beiden Kinder, für die die Pflegekinderbewilligungen ausgestellt worden seien, in höherem Masse als sonst ein Dritter berührt sei und eine nahe Beziehung zur Streitsache habe.
 
Erwägung 2.3
2.3.1 Unter den Bestimmungen über den Kindesschutz (Art. 307 ff. ZGB) sieht Art. 316 ZGB vor, dass einer Bewilligung der Kindesschutzbehörde oder einer andern vom kantonalen Recht bezeichneten Stelle seines Wohnsitzes bedarf und unter deren Aufsicht steht, wer Pflegekinder aufnimmt (Abs. 1), und dass der Bundesrat Ausführungsvorschriften erlässt (Abs. 2). Die Gesetzgebungszuständigkeit der Kantone erstreckt sich nach dem Wortlaut von Art. 316 Abs. 1 ZGB auf die Bezeichnung der Bewilligungs- und Aufsichtsbehörden (Urteil 5A.3/2003 vom 14. Juli 2003 E. 5.1, in: FamPra.ch 2003 S. 961; PERRIN, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 2 zu Art. 316 ZGB mit Hinweis auf Art. 52 Abs. 1 SchlT ZGB). Erklärt ein Kanton gestützt auf Art. 316 Abs. 1 ZGB eine andere Behörde als die Kindesschutzbehörde für zuständig, ist er auch in vollem Umfang zur Regelung des Verfahrens befugt (KLEY, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. II, 2015, N. 1, und D. PIOTET, in: Commentaire romand, Code civil, Bd. II, 2016, N. 4 zu Art. 52 SchlT ZGB). Die Zuständigkeitsordnung widerspiegelt Art. 27 der Pflegekinderverordnung vom 19. Oktober 1977 (PAVO; SR 211.222.338), wonach Verfügungen, welche die Kindesschutzbehörde gestützt auf diese Verordnung erlässt, der Beschwerde an das zuständige Gericht unterliegen (Art. 450 ZGB), sich die Weiterziehung der Verfügung hingegen nach kantonalem Recht richtet, wo andere Stellen mit

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den Befugnissen der Behörde betraut sind. Abweichendes könnte die Pflegekinderverordnung im Rahmen von "Ausführungsbestimmungen" auch nicht vorsehen (BGE 121 III 97 E. 2c; BGE 136 I 29 E. 3.3; BGE 141 II 169 E. 4.3.1). Der Kanton Solothurn hat seine Befugnis wahrgenommen und geregelt, dass nicht die Kindesschutzbehörde, sondern das Departement in der Pflegekinderaufsicht zuständig ist und die Aufnahme von Pflegekindern bewilligt (§ 92 Abs. 1 des Gesetzes vom 4. April 1954 über die Einführung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, BGS 211.1; nachfolgend: EGZGB/SO). Die Weiterziehung von Verfügungen des Departementes richtet sich nach den Bestimmungen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (§ 2 Abs. 2 EGZGB/SO).
2.3.2 Sinngemäss rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 1 BV), das in den Bestimmungen über das Kindesschutzverfahren das Beschwerderecht regelt und insbesondere auch die dem betroffenen Kind nahestehende Person zur Beschwerde berechtigt (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 450 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB; Urteil 5A_359/2017 vom 22. Mai 2017 E. 3). Die bundesgesetzliche Verfahrensordnung ist indes nicht abschliessend, regelt das Verfahren vor den Kindesschutzbehörden und den gerichtlichen Beschwerdeinstanzen nur in den Grundzügen und behält im Übrigen das kantonale Recht vor (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. Art. 450f ZGB). Die Rechtsprechung hat bereits wiederholt festgehalten, dass die Art. 450 bis 450e ZGB nicht anwendbar sind, wo die Gesetzgebungszuständigkeit für das Verfahren vollständig bei den Kantonen liegt (z.B. für kantonale Begründungsvorschriften im Verfahren vor einer zweiten kantonalen Beschwerdeinstanz: Urteile 5A_327/2013 vom 17. Juli 2013 E. 3.2; 5A_478/2014 vom 15. Juli 2014 E. 2.2; z.B. zur Möglichkeit abweichender kantonaler Vorschriften über die Legitimation im Verfahren vor einer zweiten kantonalen Beschwerdeinstanz: Urteil 5A_112/2015 von 7. Dezember 2015 E. 2.1). Der Vorrang des Bundesrechts wird durch die Regelung des Beschwerderechts, wie sie in der Zuständigkeit der Kantone liegt (E. 2.3.1 oben), deshalb nicht verletzt.
2.3.3 Obwohl die Pflegekinderaufsicht ihre grundsätzliche Regelung im Rahmen des Bundeszivilrechts erfahren hat, handelt es sich bei den einschlägigen Bestimmungen und den gestützt darauf ergangenen Ausführungsvorschriften in materieller Hinsicht um öffentliches Recht (BGE 116 II 238 E. 1b). In Frage steht insoweit ein

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öffentlich-rechtliches Bewilligungsverfahren hier betreffend die Familienpflege. Partei in diesem Verfahren sind die Pflegeeltern, die ein Pflegekind in ihren Haushalt aufnehmen wollen und dafür eine Bewilligung einholen müssen (Art. 4 ff. PAVO). Als Bewilligungsnehmer sind sie ohne weiteres befugt, gegen die Bewilligungsverweigerung oder gegen Auflagen und Bedingungen Beschwerde zu führen. Wer durch die Pflegekinderbewilligung hingegen direkt weder berechtigt noch verpflichtet wird, ist Dritter und selber zur Beschwerde nur legitimiert, wenn er (kumulativ) einerseits ein schutzwürdiges Interesse, das rechtlich oder auch bloss tatsächlich sein kann, an der Aufhebung oder Änderung der Bewilligung hat und andererseits in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht. Im Lichte dieser Legitimationsvoraussetzungen hat das Bundesgericht den Eltern, deren Kinder eine Krippe besuchen, als Dritten das Beschwerderecht im kantonalen Verfahren betreffend die Beschränkung der Kinderkrippenplätze (Art. 13 ff. PAVO) zuerkannt, weil sie in einem privatrechtlichen Verhältnis zur Kinderkrippe standen und weil die Beschränkung der Anzahl tagsüber zur Betreuung aufzunehmender Kinder für (einzelne) Eltern zum Verlust oder zur Verteuerung des Krippenplatzes hätte führen können (Urteil 5A.10/2001 vom 6. August 2001 E. 3c-e, erwähnt bei BREITSCHMID, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 2014, N. 10, und AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, Berner Kommentar, 2016, N. 54 zu Art. 316 ZGB).
Die Beschwerdeführerin als leibliche Mutter der Pflegekinder ist nicht Partei im öffentlich-rechtlichen Bewilligungsverfahren betreffend Familienpflege. Die Pflegekinderbewilligung schränkt ihre Rechte nicht ein und auferlegt ihr auch keine Pflichten. Gleichwohl hat sie insofern ein tatsächliches Interesse an der Anfechtung der Pflegekinderbewilligung, als bei deren Verweigerung die behördlich angeordnete Unterbringung der Kinder bei den Pflegeeltern nicht durchgesetzt und damit von der Beschwerdeführerin unterlaufen werden kann. Letztere Möglichkeit aber lässt ihr Interesse als nicht schutzwürdig erscheinen. Denn der Entscheid der KESB, mit dem der Beschwerdeführerin gemäss Art. 310 Abs. 1 ZGB das Recht, den Aufenthalt ihrer Kinder zu bestimmen, entzogen wird, umfasst zwingend die Regelung der Unterbringung und hat insbesondere zu bestimmen, wo das Kind untergebracht wird und ob der Pflegeplatz geeignet ist (AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, a.a.O., N. 18 f. zu Art. 310/314b ZGB; BREITSCHMID, a.a.O., N. 6 ff., und PH. MEIER, in:

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Commentaire romand, Code civil, Bd. I, 2010, N. 19 ff. zu Art. 310 ZGB). Diesen Entscheid der KESB, einschliesslich aller Fragen der Unterbringung, ist die Beschwerdeführerin als Kindesmutter über alle kantonalen Instanzen hinweg bis vor Bundesgericht anzufechten berechtigt, das Entscheide über Kindesschutzmassnahmen - von deren vorsorglicher Anordnung abgesehen - ohne Einschränkung der Beschwerdegründe (Art. 98 BGG) überprüfen kann (Art. 95 f. BGG; Urteile 5A_404/2015 vom 27. Juni 2016 E. 2.1; 5A_65/2017 vom 24. Mai 2017 E. 1.2). Ein schutzwürdiges Interesse, beurteilte Fragen der Unterbringung im Verfahren der Erteilung der Pflegekinderbewilligung, gleichsam unter anderem Titel, erneut aufzugreifen, wie es die Beschwerdeführerin beabsichtigt, kann nicht anerkannt werden.
Es kommt hinzu, dass das Verfahren der Erteilung der Pflegekinderbewilligung und das Kindesschutzverfahren betreffend Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und Unterbringung des Kindes je einen eigenen Streitgegenstand aufweisen, mögen sich dabei auch einzelne Fragen gleich stellen (vgl. Urteil 5A_444/2016 vom 18. Mai 2017 E. 4). Die Pflegekinderbewilligung stellt lediglich eine formelle Voraussetzung dafür dar, dass die Platzierung erfolgen darf, weshalb die Bewilligung vor Aufnahme des Kindes einzuholen ist (Art. 8 Abs. 1 PAVO), oder dass die Platzierung beibehalten werden darf, wenn sie - wie hier und im Kindesschutz häufig - dringlich und sofort vollzogen werden musste und die Pflegekinderbewilligung erst danach eingeholt wird (vgl. MAX HESS-HAEBERLI, Die Eidgenössische Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern, ZVW 33/1978 S. 81 ff., 88; AFFOLTER-FRINGELI/VOGEL, a.a.O., N. 34 zu Art. 316 ZGB). Der Entscheid über die Pflegekinderbewilligung hat keine, namentlich keine präjudizierenden Auswirkungen auf den Entscheid über Kindesschutzmassnahmen, hier insbesondere den Entscheid im hängigen Verfahren auf Abänderung von Kindesschutzmassnahmen.
Aus dem Verbot formeller Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) und aus der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) kann die Beschwerdeführerin folglich nichts zu ihren Gunsten ableiten. Ihr verfassungsmässiger Anspruch auf gerichtliche Beurteilung ist mit den ihr umfassend zustehenden Parteirechten im Kindesschutzverfahren ausreichend gewahrt.
2.4 Insgesamt hat das Verwaltungsgericht der Beschwerdeführerin zu Recht die Beschwerdelegitimation gegen die Verfügungen des in

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der Pflegekinderaufsicht zuständigen Departementes verweigert, das den Beschwerdegegnern die Pflegekinderbewilligungen für die beiden Kinder erteilte hatte. Die Beschwerde erweist sich somit in der Sache als nicht begründet. Entsprechend ist auf die Ausführungen, mit denen die Beschwerdeführerin darlegen will, warum die Pflegekinderbewilligung zu verweigern sei, nicht weiter einzutreten.