BGE 146 III 47 |
6. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_191/2019 vom 5. November 2019 |
Regeste |
Art. 200 Abs. 1 ZPO; sachliche Zuständigkeit; Nichteintretensentscheid. |
Sachverhalt |
Mit "Mietvertrag Mobilheimplatz 'C.' U." vermietete B. (Vermieter, Beschwerdegegner) A. per 1. Januar 2014 die "Parzelle Nr. x" mit einer Fläche von 143 m2 zu einem Jahresmietzins von Fr. 2'431.-. Am 21. Juni 2018 beklagte sich A. zusammen mit anderen Mietern über den in Rechnung gestellten Strompreis. Mit Schreiben vom 25. Juni 2018 kündigte B. den Mietvertrag per 31. Dezember 2018. |
B. A. focht die Kündigung bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht Thal-Gäu an. Mit Beschluss vom 6. Juli 2018 trat die Schlichtungsbehörde mangels Zuständigkeit darauf nicht ein. Sie hielt dafür, es handle sich nicht um eine Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen.
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Am 16. November 2018 reichte A. - erneut bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht Thal-Gäu - eine "Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Kündigung" ein. Er machte geltend, B. habe ihm nicht mit einem Formular nach Art. 266l Abs. 2 OR gekündigt. Die Kündigung sei daher gemäss Art. 266o OR nichtig. Mit Beschluss vom 20. November 2018 trat die Schlichtungsbehörde auch auf diese Klage mangels Zuständigkeit nicht ein, wiederum mit der Begründung, es handle sich nicht um eine Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen.
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Gegen diesen Beschluss erhob A. Beschwerde an das Obergericht des Kantons Solothurn. Dieses wies die Beschwerde mit Urteil vom 13. März 2019 ab. (...)
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Das Bundesgericht weist die von A. erhobene Beschwerde in Zivilsachen ab.
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(Auszug)
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3 |
Art. 200 Abs. 1 ZPO ersetzte aArt. 274a OR, der eine paritätisch zusammengesetzte Schlichtungsbehörde bei der Miete unbeweglicher Sachen vorsah (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [nachfolgend: Botschaft ZPO], BBl 2006 7330 zu Art. 197; siehe zum aus aArt. 274a ff. OR abgeleiteten Obligatorium, in allen "Streitigkeiten aus der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen" ein Schlichtungsverfahren durchzuführen: BGE 118 II 307 E. 3; vgl. auch BGE 133 III 645 E. 5.1 mit Hinweisen). Die paritätische Schlichtungsbehörde ist - aufgrund ihrer besonderen Zusammensetzung und ihrer Spezialisierung - in besonderem Masse in der Lage, die Parteien bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen zu beraten und zu versöhnen (siehe Art. 201 ZPO; Urteil 4A_356/2007 vom 13. Dezember 2007 E. 2; DOLGE/INFANGER, Schlichtungsverfahren, nach Schweizerischer Zivilprozessordnung, 2012, S. 31; PETER HIGI, Zürcher Kommentar, 4. Aufl. 1996, N. 17 f. zu Art. 274a OR). Dieser Umstand verlangt, dass es gerade die paritätische Schlichtungsbehörde ist, die versucht, Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen zu schlichten, und er schliesst deren Zuständigkeit bei anderen Streitigkeiten umgekehrt aus. Dies zeigen auch verschiedene, auf die paritätische Schlichtungsbehörde zugeschnittene Verfahrensbestimmungen (so Art. 202 Abs. 4, Art. 203 Abs. 2 Satz 2 und Art. 203 Abs. 3 Satz 2 ZPO; vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7331 zu Art. 199-204). |
3.2.1 Ein Teil der Lehre und der kantonalen Rechtsprechung vertritt die Ansicht, der Schlichtungsbehörde sei es grundsätzlich verwehrt, das Verfahren durch einen Nichteintretensentscheid zu beenden (etwa GLOOR/UMBRICHT LUKAS, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 202 ZPO; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. II, 2. Aufl. 2010, S. 208 Rz. 115; JEAN-MARC REYMOND, Les conditions de recevabilité, la litispendance et les preuves, in: Le Projet de Code de procédure civile fédérale, 2008, S. 27; CLAUDE SCHRANK, Das Schlichtungsverfahren nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], 2015, S. 121-125 Rz. 211-216; sodann allgemein TANJA DOMEJ, in: ZPO, Oberhammer/Domej/Haas [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 10 zu Art. 59 ZPO; BENEDIKT SEILER, Die Berufung nach ZPO, 2013, S. 158 Rz. 375a; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2013, S. 374 f. § 20 Rz. 43a; THOMAS SUTTER-SOMM, Das Schlichtungsverfahren der ZPO: ausgewählte Problempunkte, SZZP 2012 S. 77 Fn. 10; SUTTER-SOMM/LÖTSCHER, Der Erbrechtsprozess unter der Schweizerischen ZPO und seine Stolpersteine für die Praxis, successio 2013 S. 363; aus der kantonalen Rechtsprechung: Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 400 17 308 vom 8. Mai 2018 E. 2.6; Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 18. Mai 2016, in: St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis [GVP] 2016 Nr. 41 E. 2; Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau ZVE.2011.7 vom 16. November 2011 E. 3.2.1; vgl. auch das im Urteil 4A_592/2013 vom 4. März 2014 E. 3.1 zitierte Urteil des Handelsgerichts des Kantons Aargau, dem das Bundesgericht - allerdings nur, wie aus E. 3.2 erhellt - im Ergebnis zustimmte). Diese Auffassung teilt auch der Beschwerdeführer. |
3.2.3 Nach einer dritten Auffassung hat ein Nichteintretensentscheid nur, aber immerhin bei offensichtlicher Unzuständigkeit zu ergehen (etwa BAUMGARTNER UND ANDERE, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 10. Aufl. 2018, S. 316 Kap. 11 Rz. 33; FRANÇOIS BOHNET, in: Commentaire romand, Code de procédure civile, 2. Aufl. 2019, N. 17 zu Art. 60 ZPO; derselbe, Les défenses en procédure civile suisse, ZSR 128/2009 II S. 216; URS EGLI, in: Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Kommentar, Brunner/Gasser/Schwander [Hrsg.],Bd. II, 2. Aufl. 2016, N. 14 f. zu Art. 202 ZPO; JACQUES HALDY, Procédure civile suisse, 2014, S. 130 Rz. 426; FRANCESCO TREZZINI, in: Commentario pratico al Codice di diritto processuale civile svizzero [CPC], Trezzini und andere [Hrsg.], Bd. II, 2. Aufl. 2017, N. 15zu Art. 202 ZPO; ALEXANDER ZÜRCHER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 6b zu Art. 59 ZPO; siehesodann JÖRG HONEGGER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger[Hrsg.], 3. Aufl. 2016, N. 19 zu Art. 202 ZPO, der den Entscheid aberins Ermessen der Schlichtungsbehörde stellen will; aus der kantonalen Rechtsprechung: Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern ZK 18 604 vom 8. April 2019 E. III.9; Urteil des Kantonsgerichts Freiburg 101 2018 142 vom 28. Januar 2019 E. 2.2.1; Urteil des Kantonsgerichts Waadt PT16.016938-170204 216 vom 6. Juni 2017 E. 3.2.2; Urteil des Kantonsgerichts Graubünden ZK1 16 42 vom 3. Mai 2016 E. 2d f.; Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 24. März 2016 E. 6.3.2.1, in: Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2016 I Nr. 8; Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich LU130001 vom 30. April 2013 E. 3.2; je mit Hinweisen). Dieser Meinung schloss sich die Vorinstanz an. |
Erwägung 4 |
Die Frage, ob die paritätische Schlichtungsbehörde das Verfahren mangels sachlicher Zuständigkeit durch Nichteintretensentscheid beenden darf, stellt sich daher grundsätzlich nur, wenn sich bereits aus den tatsächlichen Behauptungen der klagenden Partei ergibt, dass keine Streitigkeit aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen vorliegt. |
4.2.2 Sodann ist der Nichteintretensentscheid in den Bestimmungen über den Schlichtungsversuch zwar nicht ausdrücklich genannt (anders als in Art. 236 Abs. 1 ZPO), was für die Unzulässigkeit eines Nichteintretensentscheids sprechen könnte. Andererseits wird dagegen zu Recht eingewendet, dass das Schlichtungsverfahren in anderen Fällen mit einem Nichteintretensentscheid abgeschlossen werden könne (ein grosser Teil der Lehre bejaht dies etwa dann, wenn der Vorschuss nicht geleistet wurde [etwa HONEGGER, a.a.O., N. 19 zu Art. 202 ZPO; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., S. 374 f. § 20 Rz. 43a; a.A. SEILER, a.a.O., Rz. 375a] oder das Schlichtungsgesuch trotz Möglichkeit zur nachträglichen Verbesserung den formellen Anforderungen nicht genügt [BOHNET, a.a.O., N. 17 zu Art. 60 ZPO; STAEHELIN/STAEHELIN/GROLIMUND, a.a.O., S. 375 § 20 Rz. 43a; ZINGG, a.a.O., N. 31 zu Art. 60 ZPO; ZÜRCHER, a.a.O., N. 6c zu Art. 59 ZPO]). |
Anders muss es sich hingegen bei offensichtlicher sachlicher Unzuständigkeit verhalten, die geradezu Nichtigkeit bewirken würde. Die Vornahme nichtiger Amtshandlungen kann nicht gewollt sein. Eine sachlich offensichtlich unzuständige Schlichtungsbehörde soll nicht dazu gezwungen werden, eine ungültige Klagebewilligung zu erteilen, die im gerichtlichen Verfahren im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen ohnehin unbeachtlich bliebe (siehe BGE 139 III 273 E. 2.1 und 2.2; siehe oben E. 3.3). Vielmehr ist es angebracht, die Nichteintretenskompetenz der Schlichtungsbehörde in Einklang zu bringen mit der Kompetenz des Gerichts, das Vorliegen einer gültigen (nicht von einer sachlich offensichtlich unzuständigen Schlichtungsbehörde ausgestellten) Klagebewilligung als Prozessvoraussetzung zu prüfen. Soweit die paritätische Schlichtungsbehörde die sachliche Unzuständigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht verlässlich feststellen kann, ohne den Eigenheiten des Schlichtungsverfahrens widersprechende aufwändige Abklärungen zu tätigen, kann es ihr nicht verwehrt sein, einen Nichteintretensentscheid zu fällen. Für ein solches Vorgehen braucht es auch nicht "die Zustimmung des Gesuchstellers", wie der Beschwerdeführer unter Hinweis auf den Anspruch auf rechtliches Gehör und die Rechtsweggarantie postuliert, denn daraus folgt nicht das Recht, "selbst zu entscheiden, ob das Schlichtungsverfahren trotz einer möglichen Unzuständigkeit durchgeführt werden soll". Die sachliche Zuständigkeit ist der Disposition der Parteien entzogen (siehe E. 3.1).
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Für die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit der paritätischen Schlichtungsbehörde im Sinne von Art. 200 Abs. 1 ZPO ist im reinen Schlichtungsverfahren grundsätzlich von den tatsächlichen Behauptungen der klagenden Partei auszugehen. Ergibt sich, dass die paritätische Schlichtungsbehörde sachlich offensichtlich nicht zuständig ist, darf sie das Verfahren durch Nichteintretensentscheid beenden.
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