BGE 147 III 218 |
24. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. GmbH gegen B. AG (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_571/2020 vom 23. März 2021 |
Regeste |
Art. 259g OR; Hinterlegung des Mietzinses; Erfüllungswirkung. |
Sachverhalt |
A.a Mit Mietvertrag vom 19. September 2017 mietete die A. GmbH (Mieterin, Beschwerdeführerin) von der B. AG (Vermieterin, Beschwerdegegnerin) einen Lagerraum im 2. Untergeschoss an der U.strasse in V. Der Nettomietzins von Fr. 425.- und die Nebenkosten in der Höhe von Fr. 25.- waren jeweils im Voraus auf den 1. des Monats zahlbar.
|
A.b Am 25. September 2018 setzte die Mieterin der Vermieterin eine Frist zur Behebung von Mängeln am Mietobjekt und drohte ihr an, künftige Mietzinse bis zur Mängelbehebung bei der Schlichtungsstelle zu hinterlegen. Die Mängel wurden in der Folge nicht behoben.
|
A.c Am 2. November 2018 mahnte die Vermieterin die Mieterin zur Bezahlung der Mietzinse der Monate Oktober und November 2018 und setzte ihr unter Androhung der Kündigung wegen Zahlungsverzugs eine Frist von 30 Tagen zur Zahlung der ausstehenden Mietzinse.
|
A.d Am 5. und 8. November 2018 hinterlegte die Mieterin die Mietzinse für die Monate Oktober und November 2018 bei der Schlichtungsstelle. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 kündigte die Vermieterin den Mietvertrag wegen Zahlungsrückstands per 31. Januar 2019. Am 31. Januar 2019 ersuchte die Vermieterin beim Zivilgericht Basel-Stadt um Rechtsschutz in klaren Fällen und beantragte, die Mieterin sei zu verurteilen, den gemieteten Lagerraum sofort zu verlassen. Mit Entscheid vom 27. Februar 2019 wies das Zivilgericht die Mieterin an, den Lagerraum bis spätestens am 15. März 2019 zu räumen. Auf Berufung der Mieterin hin hob das Appellationsgericht Basel-Stadt den Entscheid auf, da die Rechtslage nicht klar sei. |
B.
|
B.a Nachdem das Schlichtungsverfahren keine Einigung gebracht hatte, gelangte die Vermieterin am 14. November 2019 an das Zivilgericht Basel-Stadt und beantragte, die Mieterin sei zu verurteilen, den Lagerraum sofort, eventualiter innert einer gerichtlich festzusetzenden Frist, zu räumen. Sollte die Mieterin den Lagerraum nicht fristgerecht verlassen, sei die Vermieterin zu ermächtigen, die amtliche Räumung zu verlangen.
|
Mit Entscheid vom 14. Mai 2020 wies das Zivilgericht die Mieterin an, den Lagerraum bis spätestens am 25. Mai 2020 um 11.30 Uhr zu räumen, widrigenfalls der Vermieterin auf Antrag hin die Ermächtigung zur Räumung erteilt werde.
|
B.b Gegen diesen Entscheid erhob die Mieterin am 12. Juli 2020 Berufung beim Appellationsgericht Basel-Stadt und verlangte die Aufhebung des Entscheids des Zivilgerichts und die Abweisung der Klage. Am 24. September 2020 wies das Appellationsgericht die Berufung ab. Es erwog, die Mieterin habe den Mietzins innerhalb der angesetzten Zahlungsfrist weder bezahlt noch mit befreiender Wirkung hinterlegt. Das Zufallen nicht gültig hinterlegter Mietzinse an die Vermieterin gemäss Art. 259h Abs. 1 OR könne nicht mit einer Zahlung gleichgesetzt werden, die eine Zahlungsverzugskündigung ausschliessen würde.
|
C. Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. November 2020 beantragt die Beschwerdeführerin, den Entscheid des Appellationsgerichts kostenfällig aufzuheben und die Klage der Beschwerdegegnerin abzuweisen. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
|
Aus den Erwägungen: |
Erwägung 3.3 |
Ein Teil der Lehre und der Rechtsprechung spricht sich - zumindest für jenen Fall, da sich der Mieter mit den Mietzinsen im Zahlungsrückstand befindet und ihm der Vermieter eine Zahlungsfrist nach Art. 257d Abs. 1 OR angesetzt hat - demgegenüber dafür aus, dass der Mietzins bei Hinterlegung innert der Zahlungsfrist von Art. 257d Abs. 1 OR als bezahlt gelte, was eine ausserordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs ausschliesse. Begründet wird dies damit, dass kein Grund ersichtlich sei, den Mieter, der den Mietzins verspätet hinterlege, anders zu behandeln als denjenigen, der den Mietzins zu spät (aber noch innert der Zahlungsfrist von Art. 257d Abs. 1 OR) bezahle (Urteil der Cour de Justice des Kantons Genf vom 10. Mai 2004, in: mp 2005 S. 279; HIGI/WILDISEN, a.a.O., N. 58 zu Art. 259g OR). |
Das Bundesgericht hat sich mit dieser Frage bisher zwar noch nicht näher auseinandergesetzt, äusserte sich indes trotzdem verschiedentlich dazu - und zwar uneinheitlich: Im Urteil 4A_368/2007 vom 7. November 2007 E. 2.4 hielt es fest, dass sich aus dem klar umschriebenen Zweck der Hinterlegung ergebe, dass mit dieser keine Tilgung bereits fällig gewordener Mietzinse erreicht werden könne, sondern nur künftig fälliger. Demgegenüber erwog es im Urteil 4A_140/2014 vom 6. August 2014 E. 5.2, in: SJ 2015 I S. 1, unter Verweis auf DAVID LACHAT, Le bail à loyer, 2008, S. 668 f., dass der Mieter nach Erhalt der Kündigungsandrohung die Auflösung des Mietvertrags durch Zahlung des geschuldeten (fälligen) Mietzinses oder durch dessen Hinterlegung abwenden könne. Nachfolgend gilt es zu klären, welche Ansicht vorzuziehen ist.
|
3.3.2.1 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen (sprachlich-grammatikalisches Element). Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss das Gericht unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente nach der wahren Tragweite der Norm suchen. Dabei hat es insbesondere den Willen des Gesetzgebers zu berücksichtigen, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historisches Auslegungselement). Weiter hat das Gericht nach dem Zweck und den dem Text zu Grunde liegenden Wertungen zu forschen, namentlich nach dem durch die Norm geschützten Interesse (teleologisches Element). Zu berücksichtigen ist ferner die systematische Stellung der Norm im Kontext und das Verhältnis, in welchem sie zu anderen Gesetzesvorschriften steht (systematisches Element). Das Bundesgericht befolgt bei der Auslegung von Gesetzesnormen einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es ab, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen ( BGE 146 III 217 E. 5 S. 218 f.; BGE 145 III 324 E. 6.6 S. 334; BGE 144 III 29 E. 4.4.1 S. 34 f.; BGE 131 III 314 E. 2.2 S. 315 f.; BGE 121 III 460 E. 4a/bb S. 465; je mit Hinweisen).
|
3.3.2.2 Der Wortlaut von Art. 259g Abs. 2 OR beantwortet nicht eindeutig, ob auch die Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse schuldtilgend wirkt. Eine Hinterlegung ist auch in diesem Fall möglich. Allerdings genügt sie diesfalls nicht den Voraussetzungen von Art. 259g Abs. 1 OR, dessen klarem Wortlaut zufolge die Hinterlegung nur für "Mietzinse[,] die künftig fällig werden"zulässig ist (siehe auch Botschaft vom 27. März 1985 zur Revision des Miet- und Pachtrechts, BBl 1985 I 1415 Ziff. 412.1 und 1437 Ziff. 421.106). Betrachtet man den Wortlaut des gesamten Art. 259g OR, spricht dieser eher dafür, dass die Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse nicht schuldtilgend ist. |
3.3.2.3 Gemäss der Botschaft des Bundesrates im Hinblick auf den Erlass von Art. 259g OR (und weiterer Bestimmungen) sollte mit der Einführung des Rechts zur Hinterlegung künftig fällig werdender Mietzinse bei Mangelhaftigkeit der Mietsache ein Dreifaches erreicht werden: Erstens werde dem Mieter damit "ein Druckmittel" in die Hand gegeben, "um vom Vermieter die Beseitigung des Mangels zu verlangen"; zweitens werde damit vermieden, "dass illiquide, schikanös handelnde Mieter dieses Recht einsetzen können"; und drittens werde damit "das Gespräch zwischen Mieter und Vermieter gefördert" (BBl 1985 I 1416 Ziff. 412.1). Der zweitgenannte Zweck bezieht sich dabei offenkundig auf die den zitierten Passagen in der Botschaft vorangegangene Aufzählung der Voraussetzungen der Zulässigkeit der Hinterlegung (schriftliche Benachrichtigung des Vermieters, Ausschluss der Hinterlegbarkeit bereits fälliger Mietzinse sowie Anrufung der Schlichtungsbehörde innert 30 Tagen; vgl. BBl 1985 I 1415 f. Ziff. 412.1). Während sowohl dem ersten (Druckmittel) als auch dem dritten Zweck (Förderung der Gesprächsbereitschaft) auch dann Genüge getan werden könnte, wenn die Erfüllungswirkung durch die Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse eintreten würde, würde diese der zweiterwähnten Zweckbestimmung zumindest dann entgegenstehen, wenn der Mieter den Mietzins lediglich hinterlegt, um den Vermieter zu schikanieren. In der Botschaft wird weiter mehrfach ausdrücklich erwähnt, dass die Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse ausgeschlossen sein soll (siehe BBl 1985 I 1415 Ziff. 412.1, 1437 Ziff. 421.106). Des Weiteren erklärt die Botschaft, Abs. 2 von Art. 259g OR präzisiere , dass hinterlegte Mietzinse als bezahlt gelten (BBl 1985 I 1437 Ziff. 421.106). Indem der Bundesrat von einer Präzisierung sprach, wird deutlich, dass er Art. 259g Abs. 2 OR als auf Art. 259g Abs. 1 OR aufbauend betrachtete. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte demzufolge die Hinterlegung lediglich dann befreiend wirken, wenn die Voraussetzungen von Art. 259g Abs. 1 OR, zu welchen - wie erwähnt - auch die fehlende Fälligkeit zählt, gegeben sind. |
3.3.2.4 Zu demselben Ergebnis gelangt man bei Berücksichtigung der Gesetzessystematik : Während in Art. 259g Abs. 1 OR die Voraussetzungen der Hinterlegung aufgezählt werden, regelt der zweite Absatz, welche Wirkung die Hinterlegung zeitigt, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. Letztere Bestimmung ist systematisch lediglich eine Weiterführung von Abs. 1, weshalb sie in Berücksichtigung der in Abs. 1 statuierten Voraussetzungen zu lesen ist.
|
3.3.2.5 Die Einführung des Hinterlegungsrechts war eine Mittellösung zwischen dem weitergehenden Vorschlag der Expertenkommission, der dem Mieter das Recht einräumen wollte, ohne Weiteres den Mietzins herabzusetzen, und dem damals geltenden Recht, das dem Mieter weder den einen noch den anderen Rechtsbehelf einräumte (Bl 1985 I 1437 Ziff. 421.106). Das Hinterlegungsrecht bezweckt damit zum einen, das Inkassorisiko von Mieter und Vermieter zu reduzieren - sei es weil Ersterem ein Anspruch auf teilweise Rückerstattung des Mietzinses zusteht oder Letzterem ein Anspruch auf Bezahlung eines reduzierten Mietzinses. Andererseits verleiht die Möglichkeit der Hinterlegung dem Mieter ein - im Vergleich zur direkten Anrufung des Gerichts - leicht verfügbares Druckmittel, um den Vermieter zum Tätigwerden zu bewegen. Indem Art. 259g Abs. 2 OR die Erfüllungswirkung vorsieht, wird gleichzeitig verhindert, dass der untätige Vermieter den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs kündigen könnte. Würde die Erfüllungswirkung auch bei Hinterlegung bereits fällig gewordener Mietzinse bejaht, führte dies zwar zu einer Schlechterstellung des Vermieters, doch widerspräche eine derartige Auslegung nicht dem Zweckge danken des Instituts der (mietrechtlichen) Hinterlegung.
|
3.3.2.6 Die Auslegung hat gezeigt, dass das sprachlich-grammatikalische Element keinen eindeutigen Aufschluss darüber gibt, ob die Erfüllungswirkung von Art. 259g Abs. 2 OR auch bei der Hinterlegung bereits fälliger Mietzinse eintritt. Das teleologische Auslegungselement führt zwar zu keiner positiven Erkenntnis, doch wäre eine weite Auslegung von Art. 259g Abs. 2 OR unter Einschluss bereits fälliger Mietzinse jedenfalls mit dem Zweck der Hinterlegung vereinbar. Demgegenüber spricht sowohl das historische als auch das systematische Element gegen eine derartige Annahme. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass der Eintritt der Erfüllungswirkung nach Art. 259g Abs. 2 OR verlangt, dass die Voraussetzungen von Art. 259g Abs. 1 OR erfüllt sind. Hinterlegt ein Mieter im Zeitpunkt der Hinterlegung bereits fällige Mietzinse, vermag die Hinterlegung keine Tilgung der Mietzinsschuld zu bewirken. |
3.3.5 Vorliegend hinterlegte die Beschwerdeführerin bereits fällig gewordene Mietzinse. Damit genügte sie den vorstehend aufgezählten Voraussetzungen für den Eintritt der Erfüllungswirkung nach Art. 259g Abs. 2 OR nicht. Da eine solche nach Art. 259h Abs. 1 OR nicht eintreten konnte und - entsprechend den ungerügt gebliebenen vorinstanzlichen Feststellungen - weder eine Weiterleitung der hinterlegten Beträge an die Beschwerdegegnerin noch eine anderweitige direkte Zahlung an diese innert der 30-tägigen Zahlungsfrist stattfand, ist der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden. |