BGE 147 III 326 |
32. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum (IGE) gegen Swiss Re Ltd (Beschwerde in Zivilsachen) |
4A_361/2020 vom 8. März 2021 |
Regeste |
Art. 2 lit. c, Art. 30 Abs. 2 lit. c, Art. 47 und 49 MSchG; irreführende Zeichen; Herkunftsangaben für Dienstleistungen. |
Die Praxis des IGE, sämtliche Dienstleistungsmarken mit Herkunftshinweis vorsorglich und prüfungslos einzig für Dienstleistungen entsprechender Herkunft im Markenregister einzutragen, hält vor Bundesrecht nicht stand. Sind die Voraussetzungen von Art. 49 MSchG erfüllt, ist die Herkunftsangabe einer Dienstleistung zutreffend und nicht irreführend im Sinne von Art. 2 lit. c sowie Art. 47 Abs. 3 MSchG. Sie ist ohne geografische Einschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses einzutragen (E. 5-7). |
Sachverhalt |
A. Mit Eingabe vom 19. April 2017 ersuchte die Swiss Re Ltd (Beschwerdegegnerin) das Eidgenössische Institut für Geistiges Eigentum (IGE; Beschwerdeführer) um Eintragung des Zeichens "SWISS RE - WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT" in das schweizerische Markenregister, und zwar für folgende Dienstleistungen der Klasse 36: "Geldgeschäfte; Immobilienwesen; Finanzwesen; Versicherungswesen" (Markeneintragungsgesuch Nr. 54931/2017). |
Mit Schreiben vom 24. Mai 2017 beanstandete das IGE das angemeldete Zeichen, unter anderem mit der Begründung, es wecke Herkunftserwartungen und sei aus diesem Grund irreführend. Eine Eintragung sei nur möglich, wenn das Dienstleistungsverzeichnis auf Dienstleistungen Schweizer Herkunft eingeschränkt werde (konkret mit dem Zusatz: "alle vorgenannten Dienstleistungen schweizerischer Herkunft"). Die Swiss Re Ltd bestritt eine Irreführungsgefahr.
|
Mit Verfügung vom 29. Juni 2018 wies das IGE das Markeneintragungsgesuch zurück.
|
B. Diese Verfügung focht die Swiss Re Ltd beim Bundesverwaltungsgericht an. Dieses hiess die Beschwerde mit Urteil vom 25. Mai 2020 gut und wies das IGE an, das Zeichen "SWISS RE - WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT" mit dem Vermerk "SWISS RE: teilweise durchgesetzte Marke" für "Geldgeschäfte; Immobilienwesen; Finanzwesen; Versicherungswesen" in Klasse 36 "ohne Einschränkung der genannten Dienstleistungen auf Schweizer Herkunft" zur Eintragung im Markenregister zuzulassen.
|
C. Das IGE verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und das Markeneintragungsgesuch sei zurückzuweisen.
|
Mit Präsidialverfügung vom 1. Oktober 2020 wurde der Beschwerde mangels Opposition die aufschiebende Wirkung erteilt.
|
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
|
Aus den Erwägungen: |
Nicht als Herkunftsangabe in diesem Sinne gelten geografische Namen und Zeichen, die von den massgebenden Verkehrskreisen nicht als Hinweis auf eine bestimmte Herkunft der Waren oder Dienstleistungen verstanden werden (Art. 47 Abs. 2 MSchG). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die geografische Angabe den inländischen Markenadressaten unbekannt ist, erkennbar Fantasiecharakter hat, offensichtlich nicht als Produktions-, Fabrikations- oder Handelsort in Frage kommt, als Typen- oder Gattungsbezeichnung erkannt wird oder sich im Verkehr als Kennzeichen für ein bestimmtes Unternehmen durchgesetzt hat ( BGE 135 III 416 E. 2.6.1-2.6.6; BGE 128 III 454 E. 2.1.1-2.1.6).
|
Art. 47 Abs. 3 MSchG verbietet insbesondere den Gebrauch von unzutreffenden Herkunftsangaben (lit. a) und von Marken im Zusammenhang mit Waren oder Dienstleistungen fremder Herkunft, wenn sich daraus eine Täuschungsgefahr ergibt (lit. c). Nach der Rechtsprechung sind derartige unzutreffende beziehungsweise täuschende Herkunftshinweise grundsätzlich geeignet, die Gefahr einer Irreführung im Sinne von Art. 2 lit. c MSchG zu schaffen ( BGE 135 III 416 E. 2.2 und 2.4 am Ende; Urteil 4A_357/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 4.2). |
Einerseits in Bezug auf die "Zweifelsfallregel": Da die Schutzunfähigkeit einer registrierten Marke im Zivilprozess widerklage- oder einredeweise geltend gemacht werden kann, hat das IGE in Zweifelsfällen eine Marke grundsätzlich einzutragen und die endgültige Entscheidung dem Zivilrichter zu überlassen (etwa BGE 140 III 297 E. 5.1 S. 306; BGE 135 III 359 E. 2.5.3). Diese Regel findet angesichts der in Frage stehenden öffentlichen Interessen - wie Schutz des Publikums vor Täuschung - keine Anwendung bei der Beurteilung der Irreführungsgefahr nach Art. 2 lit. c MSchG ( BGE 136 III 474 E. 6.5).
|
Andererseits wird auch die Richtigkeit von Herkunftshinweisen praxisgemäss strenger geprüft als andere Irreführungstatbestände nach Art. 2 lit. c MSchG. Insbesondere schliesst der Umstand allein, dass eine Herkunftsangabe in zutreffender Weise benutzt werden kann , die Gefahr der Täuschung nicht aus (siehe Urteil 4A_508/2008 vom 10. März 2009 E. 4.3; vgl. ferner BGE 135 III 416 E. 2.4; EUGEN MARBACH, Markenrecht, in: SIWR Bd. III/1, 2. Aufl. 2009, S. 182 Rz. 593; STÄDELI/BRAUCHBAR BIRKHÄUSER, in: Basler Kommentar, Markenschutzgesetz, 3. Aufl. 2017, N. 286 und 324 zu Art. 2 MSchG und auch die Richtlinien des IGE in Markensachen, Ausgabe vom 1. Januar 2019, angepasst per 1. Januar 2021 [nachfolgend: "Richtlinien"], Ziff. 5.1 S. 164). Im Gegenteil ist nach der Rechtsprechung ein Zeichen mit geografischem Herkunftshinweis bereits dann vom Markenschutz ausgeschlossen, wenn es geeignet ist, die Abnehmer - in Bezug auf die beanspruchten Waren (vorangehende E. 2.1) - in die Irre zu führen; eine abstrakte Täuschungsgefahr genügt (insofern sind die französisch- und italienischsprachigen Gesetzesfassungen ["les signes propres à induire en erreur"; "i segni che possono indurre in errore"] präziser als die deutschsprachige Version ["irreführende Zeichen"]). Damit greift der absolute Ausschlussgrund von Art. 2 lit. c MSchG, sobald die Möglichkeit besteht, dass eine Herkunftsangabe für Produkte verwendet wird, die von einem anderen Ort stammen (vgl. Art. 47 Abs. 3 MSchG; zum Ganzen Urteil 4A_357/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 4.2). |
(...)
|
Erwägung 5 |
Diese Einschränkung des Warenverzeichnisses hat zwei Folgen: Einerseits hat sie einen präventiven Effekt, indem die Täuschungsgefahr de facto minimiert wird. Andererseits beeinflusst sie direkt den Schutzumfang der Marke, da dieser von den beanspruchten Waren abhängt (vgl. Art. 11 Abs. 1 MSchG); ein Gebrauch des Zeichens mit Waren anderer Herkunft stellt keinen rechtserhaltenden Gebrauch dar und führt gemäss Art. 12 Abs. 1 MSchG zum Verlust des Markenrechts (Urteil 4A_357/2015 vom 4. Dezember 2015 E. 4.2; siehe ferner BGE 132 III 770 E. 3.2). |
6. Per 1. Januar 2017 trat die "Swissness"-Vorlage in Kraft. Diese beinhaltete unter anderem präzisere Kriterien in den Art. 48 ff. MSchG zur Bestimmung der Herkunft von Waren und Dienstleistungen. Damit sollte der Schutz der Bezeichnung "Schweiz" verstärkt, die Transparenz gefördert und die Rechtssicherheit erhöht werden (Botschaft vom 18. November 2009 zur Änderung des Markenschutzgesetzes und zu einem Bundesgesetz über den Schutz des Schweizerwappens und anderer öffentlicher Zeichen ["Swissness"-Vorlage; nachfolgend: Botschaft Swissness], BBl 2009 8535 und 8558 Ziff. 1.4.1). In den parlamentarischen Beratungen wies Bundesrätin Sommaruga in zwei Voten (AB 2012 N 505; AB 2012 S 1148) ausdrücklich auf das Anliegen hin, dass "wichtige Dienstleistungserbringer wie zum Beispiel [...] die Swiss Re [...] als Schweizer Unternehmen auftreten" könnten. |
Im Zuge dieser Revision änderte der Bundesrat unter anderem die Markenschutzverordnung. So konkretisierte er in Art. 52o der Verordnung vom 23. Dezember 1992 über den Schutz von Marken und Herkunftsangaben (MSchV; SR 232.111) den Begriff des "Orts der tatsächlichen Verwaltung", der nach Art. 49 Abs. 1 lit. b MSchG zur Bestimmung der Herkunft einer Dienstleistung von Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang - nämlich im Erläuternden Bericht zum "Swissness"-Ausführungsrecht vom 2. September 2015 (S. 22 f.) - gab das IGE eine "Anpassung der Markenprüfungspraxis" bekannt. Bei einer Markeneintragung sei die Waren- und Dienstleistungsliste "künftig" auf Dienstleistungen aus dem entsprechenden Herkunftsort einzuschränken, gemäss der bisherigen, vom Bundesgericht gutgeheissenen Praxis zu Warenmarken. In der Folge passte es seine Richtlinien in diesem Sinne an (Ziff. 8.6.1 S. 192; Ziff. 8.6.5.1 S. 194 f.). Im in der Zeitschrift sic! 2/2017 S. 79 ff. erschienenen Beitrag "Les nouvelles Directives en matière de marques de l'Institut Fédéral de la Propriété Intellectuelle" bekräftigte es - beziehungsweise sein Vizedirektor ERIC MEIER - diese Änderung (S. 84).
|
Erwägung 7 |
Mit der Einschränkung des Warenverzeichnisses auf Produkte Schweizer Herkunft soll die - wenn auch nur abstrakte - Gefahr der Irreführung über die geografische Herkunft gebannt werden (vorangehende E. 5.1). Besteht aber von vornherein keine Täuschungsgefahr, gibt es keinen Anlass für eine Einschränkung des Waren- oder Dienstleistungsverzeichnisses. Dies ist hier der Fall: Wie das Bundesverwaltungsgericht verbindlich feststellte und auch das IGE nicht ernsthaft bestreitet, erfüllt das im Streit stehende Zeichen - beziehungsweise der (nach Auffassung des IGE) darin enthaltene Hinweis auf eine schweizerische Herkunft - die Voraussetzungen von Art. 49 Abs. 1 MSchG: Der Geschäftssitz der Beschwerdegegnerin befindet sich unbestrittenermassen in der Schweiz, ebenso ein Ort der tatsächlichen Verwaltung. Die von ihr angebotenen Dienstleistungen stammen damit markenrechtlich aus der Schweiz; der Herkunftshinweis ist qua Definition in Art. 49 Abs. 1 MSchG zutreffend. Das Zeichen "SWISS RE - WE MAKE THE WORLD MORE RESILIENT" ist folglich - selbst wenn es als Herkunftsangabe aufzufassen wäre - zulässig im Sinne von Art. 2 lit. c sowie Art. 47 Abs. 3 MSchG und im Markenregister einzutragen. |
Dass die Marke zu einem zukünftigen Zeitpunkt (an eine Person, welche die Voraussetzungen von Art. 49 MSchG allenfalls nicht erfüllt) übertragen oder lizenziert werden kann, wie das IGE einwendet, ändert daran mit dem Bundesverwaltungsgericht nichts, zumal dem IGE ohnehin keine Möglichkeit offen steht, auf den Gebrauch einer einmal eingetragenen Marke einzuwirken (vgl. bereits BGE 132 III 770 E. 3.2 S. 775 sowie vorangehende E. 2.4 zur Berücksichtigung künftiger Entwicklungen). Von selbst versteht sich sodann, dass die Eintragung einer Herkunftsangabe als Marke nichts daran ändert, dass sie nicht in unzutreffender Weise verwendet werden darf; unzulässig ist insbesondere der Gebrauch einer Marke im Zusammenhang mit Waren oder Dienstleistungen fremder Herkunft, wenn sich daraus eine Täuschungsgefahr ergibt (Art. 47 Abs. 3 lit. a und c MSchG; solche Handlungen sind im Übrigen strafbewehrt: Art. 64 MSchG). |
Das Bundesverwaltungsgericht erwog dagegen, dass der Prüfungsaufwand im Hinblick auf die mit der "Swissness"-Reform präzisierten Kriterien nicht grundsätzlich grösser erscheine als unter altem Recht. Stehe fest, dass die Kriterien in Art. 49 Abs. 1 MSchG erfüllt seien, müsse das Zeichen jedenfalls eingetragen werden. Im Zweifelsfall sei eine Einschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses vorzunehmen, was insbesondere für ausländische Herkunftsangaben gelte. Ob - so schliesst die Vorinstanz unter Hinweis auf die Botschaft Swissness, BBl 2009 8599 Ziff. 2.1.2.3 - im konkreten Fall eine genügende tatsächliche Verwaltungstätigkeit in der Schweiz vorliege, sei im Streitfall vom Gericht zu entscheiden.
|
Damit hat das Bundesverwaltungsgericht einen gangbaren Weg aufgezeigt. Die Haltung des IGE, die Eintragung sämtlicher Dienstleistungsmarken mit Herkunftshinweis vorsorglich und prüfungslos von einer geografischen Einschränkung des Dienstleistungsverzeichnisses abhängig zu machen, selbst wenn die Herkunftsangabe zutrifft und keine relevante Gefahr einer Irreführung besteht, ist zu undifferenziert. Sie kann auch nicht mit dem Anliegen, übermässigen Prüfungsaufwand zu vermeiden, gerechtfertigt werden. |
Zwar befürchtet das IGE ein "uneinheitliche[s] Register", wenn "bei Marken mit Herkunftsangaben die Dienstleistungen nicht stets, sondern nur in einzelnen Fällen geografisch eingeschränkt" würden. Dieser Umstand ist Konsequenz davon, dass gewisse Zeichen - wie das vorliegende - nicht täuschend, da zutreffend sind, während bei anderen der Irreführungsgefahr mit Bezug auf die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nur mit einer Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses begegnet werden kann. Inwiefern dies "Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit" tangieren soll, ist entgegen dem IGE nicht erkennbar.
|