BGE 69 IV 75 - Zuckerbetrug |
16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes |
vom 21. Mai 1943 i.S. Elsasser gegen Generalprokurator des Kantons Bern. |
Regeste: |
1. Art. 148 Abs. 1 StGB. Betrug, begangen dadurch, dass der Irrende zum Abschluss eines widerrechtlichen Geschäftes und zur Vorleistung bestimmt wird (Erw. 3). |
2. Art. 18 Abs. 2 StGB. Eventualvorsatz (Erw. 4 und 5). |
3. Eventuelle Bereicherungsabsicht beim Betrug (Erw. 8). |
Sachverhalt: |
A. |
Das eidgenössische Kriegsernährungsamt teilte Ernst Hertig vom Juli 1941 bis Februar 1942 zur Herstellung chemischer Produkte 10,294 kg. Zucker zu, der auf Böden von Lagerhäusern und Bahnwagen zusammengewischt wurde. Hertig verkaufte einen Teil des Zuckers in Verletzung der Zuteilungsbedingungen an Bäcker weiter. Er suchte in der Folge Käufer für wesentlich mehr Ware, als er besass oder an weiteren Zuteilungen durch das Kriegsernährungsamt erwarten konnte. Werner Elsasser war ihm dabei behilflich. Im November oder Dezember 1941 bot Elsasser dem A. und dem B. fünf Tonnen Zucker an und verlangte Vorauszahlung des Preises von Fr. 11,500.-. Beide Interessenten lehnten das Angebot ab. Im März 1942 führte Elsasser die Bäckermeister C. und D. mit Hertig zusammen. Dem erstgenannten offerierten Elsasser und Hertig gegen Vorauszahlung eine Tonne Zucker für Fr. 2500.-. C. lehnte ab. D. kaufte Hertig zwei Tonnen Zucker ab und leistete Fr. 3500.- zum voraus. Die Ware erhielt er nicht. Elsasser verkaufte ferner Bäckermeister F. am 18. März 1942 fünf Tonnen Zucker und versprach Lieferung für die folgende Woche. Hertig hatte ihm gesagt, die Zuckerzuteilungen kämen nun am laufenden Band, er solle Interessenten suchen. F. bezahlte Elsasser den Kaufpreis von Fr. 12,500.- zum voraus. Den Zucker erhielt er nicht. Am 27. März 1942 wurden Elsasser und Hertig verhaftet. Ersterer besass von dem von F. erhaltenen Gelde noch Fr. 7714.20, während er Fr. 4785.80 zur Bezahlung von Schulden und für persönliche Bedürfnisse verwendet hatte. |
B. |
In Bestätigung des Urteils des Amtsgerichts von Bern erklärte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern am 15. Januar 1943 Elsasser des Betrugs zum Nachteil des F., des Betrugsversuchs zum Nachteil des A., des B. und des C. und der Gehülfenschaft bei Betrug zum Nachteil des D. schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren Gefängnis und zu zweijähriger Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit.
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C. |
Der Verurteilte erklärte die Nichtigkeitsbeschwerde.
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Er beantragt Aufhebung des Urteils und Rückweisung der Sache zur Freisprechung. Er macht geltend, im Zusammenhang mit widerrechtlichen Rechtsgeschäften sei ein Betrug nicht möglich, weil der Zahlende weder Anspruch auf die Gegenleistung noch auf Rückleistung der Zahlung habe. Ein rechtlich erheblicher Schaden liege nicht vor, und wenn er vorläge, wäre er mit der Irreführung nicht kausal. Ferner hält der Beschwerdeführer dafür, die Vorinstanz habe zu Unrecht den Vorsatz bejaht. Gestützt auf die Zusicherungen des Hertig und eines gewissen Kohler sei er guten Glaubens gewesen, den Zucker liefern zu können.
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D. |
Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde, indem er auf die Begründung des angefochtenen Urteils verweist.
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Erwägungen: |
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
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Erwägung 3 |
Auch am Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Irrtum fehlt es nicht, denn nicht weil weder die Gegenleistung gefordert noch die eigene Leistung zurückgefordert werden kann, ist der Irrende geschädigt, sondern weil er geleistet hat. Eher wäre daran zu denken, den Irrtum zu verneinen, mit der Begründung, der Leistende habe gewusst, dass er keinen rechtlichen Anspruch auf die Gegenleistung erhalte, noch seine eigene Leistung zurückfordern könne. Aber auch diese Überlegung wäre falsch, denn geleistet wird nicht im Vertrauen darauf, nötigenfalls auf dem Rechtsweg den Ausgleich herbeiführen zu können, sondern im Vertrauen darauf, dass die Gegenpartei tatsächlich in der Lage und trotz Widerrechtlichkeit des Geschäftes gewillt sei, zu leisten. In diesem Vertrauen sieht sich der Irrende getäuscht, und dieser Irrtum ist für die Hingabe der eigenen Leistung bestimmend. |
Ein Widerspruch zwischen Zivil- und Verwaltungsrecht einerseits und Strafrecht anderseits entsteht nicht. Bestraft wird nicht, weil der Betrüger sein zivilrechtlich nicht einklagbares Versprechen nicht hält und seine vom Verwaltungsrecht verbotene Gegenleistung nicht erfüllt, sondern weil er in der Absicht, sich unrechtmässig zu bereichern, den Betrogenen arglistig zu einer Leistung veranlasst, auf welche er nicht Anspruch hat. Dass das Zivilrecht die Mittel nicht an die Hand gibt, den betrügerischen Erfolg rückgängig zu machen, heisst nicht, dass das Strafrecht auch von Strafe absehen müsse. Es bestraft nicht um des Geschädigten, sondern um der öffentlichen Ordnung willen. Die Bereicherung, die sich der Betrüger arglistig verschafft, ist unrechtmässig auch dann, wenn der Betrogene sie nicht zurückfordern kann.
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Erwägung 4 |
Das Amtsgericht sprach ihm diesen guten Glauben ab und nahm vorsätzliche Täuschung der Käufer an. Das Obergericht bezeichnet die Auffassung der ersten Instanz angesichts des Vorgehens des Beschwerdeführers gegen F. als vertretbar, legt sich aber selber nicht darauf fest, sondern erklärt bloss, dass jedenfalls dolus eventualis vorliege. Die Akten sprechen in der Tat gegen die Annahme, Elsasser sei sich bewusst gewesen, dass er nicht liefern könne.
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Erwägung 5 |
5. Wenn man die Täuschung im Versprechen einer nicht lieferbaren Ware erblickt, kommt somit nur Eventualvorsatz in Frage. Er ist in der Literatur und Rechtsprechung bisher allgemein dem direkten Vorsatz gleich gestellt worden, unter der Herrschaft des Bundesstrafrechts namentlich auch vom Bundesgericht (z.B. BGE 53 I 335, 61 I 415). |
Für das zu vereinheitlichende schweizerische Strafrecht wies bereits der Vorentwurf Stoos von 1893, Art. 12, die heutige Definition des Vorsatzes auf: "Vorsätzlich handelt, wer ein Verbrechen mit Wissen und Willen begeht." Ob damit auch der eventuelle Vorsatz getroffen sei, war zunächst umstritten. STOOSS, der die Frage in den Motiven zum Vorentwurf von 1893, S. 26, noch bejaht hatte, gelangte in den Motiven zum Vorentwurf von 1894, S. 151, zum gegenteiligen Schluss, und nach ihm auch ZÜRCHER in den Erläuterungen zum Vorentwurf von 1908, S. 48 f. und in der zweiten Expertenkommission, Protokolle 1 149, sowie GAUTIER, ebenda S. 146. Die entscheidende Wendung kam erst in der Beratung der eidgenössischen Räte. In der nationalrätlichen Kommission wurde beantragt, es sei über den Eventualvorsatz eine besondere Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen. Dies wurde abgelehnt. In der Beratung des Nationalrates stellten sich die Berichterstatter mit einlässlicher Begründung auf den Standpunkt, der Begriff des Vorsatzes, wie er formuliert sei, umfasse auch den Eventualvorsatz. Auf dieser Grundlage nahm der Nationalrat die Bestimmung ohne weitere Diskussion an (Sten. Bull. 1928 87 f.). Gleich ging es im Ständerat, dessen Kommission sich der Auffassung der nationalrätlichen Berichterstatter angeschlossen hatte (Sten. Bull. 1931 140).
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Angesichts dieses Ergebnisses der parlamentarischen Beratung muss als Vorsatz im Sinne des Art. 18 StGB auch der Eventualvorsatz gelten, vorausgesetzt dass der Wortlaut der Bestimmung diese Auslegung nicht geradezu ausschliesst.
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Dies ist nicht der Fall. Das Gesetz verlangt, dass die Tat mit Wissen und Willen ausgeführt werde. Das heisst, dass der Täter die Tatbestandsmerkmale, insbesondere auch den Erfolg kennen und wollen muss. Das Wissen ist nicht nur dann vorhanden, wenn der Täter sicher ist, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale gegeben sind, sondern auch dann, wenn er bloss weiss, dass ihre Verwirklichung ernsthaft möglich ist. Solches Wissen ist nicht notwendigerweise auch mit dem Wollen verbunden. Bei der bewussten Fahrlässigkeit kennt der Täter die Möglichkeit, dass der objektive Tatbestand der strafbaren Handlung sich verwirkliche, ebenfalls. Er verhält sich ihr gegenüber jedoch ablehnend, vertraut darauf, dass der Erfolg nicht eintrete. Wer dagegen mit Eventualvorsatz handelt, ist mit dem als möglich vorausgesehenen Erfolg einverstanden, will ihn für den Fall, dass er eintreten sollte. Ob der Täter so gewollt habe, ist eine Frage des Beweises, der nicht leichthin als erbracht erachtet werden darf, wenn das Wissen um die Möglichkeit des Erfolges das einzige Indiz für das Wollen ist. Dies hiesse, sich in Wirklichkeit mit dem Wissen als einzigem subjektivem Merkmal begnügen. Vielmehr kann das Wissen als einziges Indiz für das Wollen nur dann ausreichen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolges als so wahrscheinlich aufdrängte, dass sein Handeln vernünftigerweise nicht anders denn als Billigung dieses Erfolges ausgelegt werden kann. Aber selbst in solchen Fällen können Gegenindizien diesen Schluss entkräften, denn wer frivol auf Nichteintritt selbst eines für wahrscheinlich gehaltenen Erfolges vertraut, handelt nicht mit Eventualvorsatz. |
Erwägung 8 |
Die Vorinstanz folgert die Bereicherungsabsicht des Beschwerdeführers aus seiner Betätigung im Schwarzhandel, denn wer in solchem Handel zu stark übersetzten Preisen verkaufe, tue es einzig in der Absicht, sich zu bereichern. Das ist richtig in bezug auf den Schwarzhandelsgewinn, lässt aber nicht schon den Schluss zu, dass sich Elsasser daneben auch noch auf betrügerische Weise an den Käufern bereichern wollte. Es kommt vielmehr darauf an, ob er sich der eventuellen Unmöglichkeit, den Zucker zu liefern, von Anfang an bewusst war und sich für diesen Fall vornahm, das Vorausbezahlte trotzdem zu behalten. Dieser Wille dürfte daraus abgeleitet werden können, dass Elsasser von dem von F. erhaltenen Gelde binnen wenigen Tagen mehrere tausend Franken für sich persönlich verwendete, obschon er wusste, dass er nicht imstande war, es zu ersetzen. |