BGE 90 IV 24
 
6. Urteil des Kassationshofes vom 28. Januar 1964 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
 
Regeste
Art. 216, 253 Abs. 1 StGB.
 
Sachverhalt


BGE 90 IV 24 (24):

A.- Frau S. liess sich im Jahre 1956 von ihrem ersten Manne scheiden. Am 18. Januar 1957 gebar sie das Kind M., das durch Urteil des Amtsgerichtes Signau vom 30. Januar 1958 ausserehelich erklärt wurde.


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Am 7. Februar 1958 erklärten Frau S. und ihr damaliger Ehemann W. dem Zivilstandsbeamten von O. wider besseres Wissen, dass M. ihr gemeinsames voreheliches Kind sei. Da sie einander bereits am 2. März 1957 geheiratet hatten, bewirkten sie damit, dass M. als ihr eheliches Kind in das Zivilstandsregister eingetragen wurde.
B.- Frau S. und W. wurden der Fälschung des Personenstandes (Art. 216 StGB), eventuell der Erschleichung einer falschen Beurkundung (Art. 253 StGB) angeklagt.
Das Geschworenengericht des Kantons Aargau sprach sie am 12. September 1963 der Erschleichung einer falschen Beurkundung schuldig und verurteilte Frau S. zu vier Monaten, W. wegen dieser und anderer Straftaten zu zehn Monaten Gefängnis. Das Gericht erachtete auch den Tatbestand der Fälschung des Personenstandes als erfüllt, stellte jedoch das Verfahren insoweit wegen Verjährung ein, da von einem schweren Fall nicht die Rede sein könne.
C.- Frau S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Geschworenengericht habe zu Unrecht angenommen, dass sie durch ihre Handlungsweise, ausser dem Tatbestand des Art. 216, auch denjenigen des Art. 253 StGB erfüllt habe. Die beiden Bestimmungen ständen zueinander im Verhältnis unechter Gesetzeskonkurrenz, da schon die erstere das strafbare Verhalten der Beschwerdeführerin nach jeder Richtung erfasse.
Die Beschwerdeführerin übersieht, dass das unrichtige Beurkundenlassen nicht zum Tatbestand des Art. 216 gehört. Schon das zeigt, dass ihre Handlungsweise von dieser Bestimmung nicht nach allen Seiten erfasst wird,

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von unechter Gesetzeskonkurrenz im Verhältnis zu Art. 253 folglich keine Rede sein kann. Dass die Straftat des Art. 216 meistens mit dem Erschleichen eines wahrheitswidrigen Eintrages in das Zivilstandsregister verbunden ist, hilft darüber nicht hinweg. Es sind durchaus Fälle von Unterdrückung oder Fälschung des Personenstandes eines andern möglich, wo der Täter Art. 216 erfüllt, ohne sich zugleich auch nach Art. 253 zu vergehen. Das trifft z.B. zu, wenn Zivilstandsbeamte, ihre Stellvertreter oder Hilfspersonen Eintragungen im Zivilstandsregister fälschen oder unterlassen, ferner wenn Registerauszüge gefälscht, verfälscht oder unterdrückt werden. Ob alsdann neben Art. 216 auch die Art. 251, 254 und allenfalls Art. 317 StGB Anwendung finden, kann dahingestellt bleiben. Hiezu kommen die Fälle, in denen z.B. ein Kind namenlos ausgesetzt wird, einem angeblichen Vater, der es nicht gezeugt, oder einer angeblichen Mutter, die es nicht geboren hat, unterschoben wird, der Täter sich also gemäss Art. 216 strafbar macht, ohne dass er irgendwelche Urkunden betreffend den Personenstand eines andern verfälscht oder unterdrückt. Dass solche Fälle heute eher selten sind, vermag am Anwendungsbereich der Bestimmung nichts zu ändern.
Indem Frau S. den Zivilstandsbeamten über die väterliche Abstammung ihres Kindes täuschte, um der Anmeldung den Schein der Rechtsmässigkeit zu geben und den Beamten zur Beurkundung ihrer Erklärung zu veranlassen, die er hätte verweigern müssen, wenn er den Sachverhalt gekannt hätte, verging sie sich schwerer als durch eine blosse Unterdrückung des Personenstandes. Es ging ihr nicht bloss darum, eine den Personenstand des Kindes verfälschende Erklärung abzugeben, sondern vor allem darum, gestützt darauf die Ehelicherklärung des Kindes zu erwirken und diese in das Zivilstandsregister eintragen zu lassen. Auch daraus erhellt, dass Art. 216 StGB das Verhalten der Beschwerdeführerin nicht allseits erfasst und die Tat nicht in vollem Umfang abzugelten vermag. Ihr Verhalten ist nur dann allseits erfasst und abgegolten, wenn neben

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dieser Bestimmung auch Art. 253 StGB Anwendung findet. Diese Folgerung deckt sich mit der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung, dass der Täter sich durch dieselbe Handlung sowohl der Unterdrückung oder Fälschung des Personenstandes als auch der Erschleichung einer falschen Beurkundung schuldig machen kann (HAFTER, Bes. Teil II 432/3; Komm. THORMANN/VON OVERBECK, Art. 216 N. 9; Komm. LOGOZ, Art. 216 N. 2 am Ende; PETRZILKA, Zürcher Erläuterungen zum StGB S. 286/7; anderer Meinung: GAUTIER, Prot. 2. Exp.Kom. Bd. 4 S. 269, und ZÜRCHER, Erläuterungen zum VE von 1908 S. 328).
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz lernte die Beschwerdeführerin ihren zweiten Ehemann im Herbst 1956, als sie bereits im siebten Monat schwanger war, kennen. Sie wusste deshalb, dass ihr Kind M. nicht von W. gezeugt sein konnte. Sie war sich auch klar darüber, was mit der falschen Anmeldung beim Zivilstandsamt bezweckt wurde. Indem sie dennoch bewusst und gewollt darauf ausging, den Zivilstandsbeamten über die väterliche Abstammung ihres Kindes zu täuschen und ihn zu einem falschen Eintrag in das Zivilstandsregister zu veranlassen, hat sie den Tatbestand der Erschleichung einer falschen Beurkundung auch subjektiv erfüllt. Sie ist deshalb zu Recht nach Art. 253 StGB bestraft worden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.