BGE 93 IV 24 |
8. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. April 1967 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen M. und N. |
Regeste |
Art. 307 Abs. 1 und 3 StGB. Falsches Zeugnis. |
2. Wann bezieht sich eine Aussage auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind (Erw. II 1a und 2)? |
3. Art. 307 Abs. 1 StGB setzt nicht voraus, dass der Täter um die Erheblichkeit einer Aussage wisse und auf die Urteilsfindung einwirken wolle (Erw. II 1b). |
Sachverhalt |
Am 14. September, als sie allein zu Hause waren, versuchte Charles M. Ida B. zum Geschlechtsverkehr zu zwingen. M. wurde daraufhin wegen Notzuchtsversuchs verzeigt und in Untersuchung gezogen. In dieser hatte Willy N. am 16. September als Zeuge über seine Beziehungen zu Ida B. Auskunft zu geben. Er erklärte dabei unter anderem, dass er mit dem Mädchen ein Liebesverhältnis habe, dass sie miteinander aber noch nicht geschlechtlich verkehrt hätten und in getrennten Zimmern schliefen. In Wirklichkeit schliefen sie jedoch vom 12. September an im gleichen Zimmer, verbrachten die Nacht meistens auch im gleichen Bett, wobei es einmal zum Geschlechtsverkehr kam. N. sagte auf Veranlassung seiner Mutter falsch aus, die nicht nur ihn, sondern auch Ida B. ersuchte, in der Untersuchung nichts davon verlauten zu lassen, dass sie ein gemeinsames Schlafzimmer hatten. |
B.- Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte am 27. Oktober 1966 N. wegen falscher Zeugenaussage im Sinne von Art. 307 Abs. 3 StGB zu fünfzehn Tagen Haft, Frau M. wegen Anstiftung dazu zu einem Monat Gefängnis. Es schob den Vollzug der Strafen bedingt auf und setzte den Verurteilten zwei Jahre Probezeit.
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Das Obergericht nahm an, dass die falsche Aussage des N. zwar eine solche zur Sache gewesen sei (Art. 307 Abs. 1), sich aber auf Tatsachen bezogen habe, die für die richterliche Entscheidung unerheblich gewesen seien (Art. 307 Abs. 3 StGB).
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C.- Gegen dieses Urteil führen die Verurteilten und der Generalprokurator des Kantons Bern Nichtigkeitsbeschwerde. Jene verlangen, sie seien freizusprechen, dieser beantragt, die Angeklagten seien nach der schärferen Strafnorm von Art. 307 Abs. 1 StGB zu bestrafen.
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Die Verurteilten halten die Beschwerde des Generalprokurators und dieser die Beschwerde der Verurteilten für unbegründet.
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Aus den Erwägungen: |
I
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Die Verurteilten bestreiten, dass die falsche Auskunft des Zeugen eine Aussage zur Sache gewesen sei, wie Art. 307 StGB dies voraussetze.
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Ida B. und Charles M. machten zu Beginn der Untersuchung Angaben, die sich weitgehend widersprachen. So behauptete die Strafklägerin bereits in der Strafanzeige, sie habe in der Wohnung der Eheleute M. ein separates Zimmer gehabt. In ihrer ersten Einvernahme erklärte sie ferner, mit Willy N. keine intimen Beziehungen zu haben. Die Tat selber schilderte sie so, dass vieles auf einen groben Notzuchtsversuch hinzudeuten schien. M. hingegen behauptete in seiner ersten Einvernahme, Ida B. und sein Stiefsohn Willy hätten im gleichen Zimmer geschlafen. Die ihm zur Last gelegte Tat stellte er als blossen Annäherungsversuch hin, dem sich die Strafklägerin zunächst nicht widersetzt habe.
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Bei dieser Sachlage war eine nähere Abklärung der Wohnverhältnisse in der Familie M. nicht zu umgehen. Angesichts der Widersprüche der Parteien musste der Untersuchungsrichter sich darüber Rechenschaft geben, welche der beiden ihn über die Verhältnisse im gemeinsamen Haushalte täuschte oder zu täuschen versuchte. Das Ergebnis davon war nicht nur für die Glaubwürdigkeit der Parteien, sondern auch für die weitere Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung. Das galt insbesondere für den Hergang der Tat, die sich in verschiedenen Räumlichkeiten abgespielt hatte. Indem N. als Zeuge behauptete, er und Ida B. hätten in getrennten Zimmern geschlafen, hat er daher zur Sache falsch ausgesagt. Mit seinen intimen Beziehungen zur Strafklägerin verhält es sich nicht anders. Das Liebesverhältnis zwischen den beiden Jugendlichen ist Charles M. offensichtlich nicht entgangen, hat er doch, wie schon aus der Strafanzeige erhellt, dem Mädchen während der Tat erklärt, er könne ihm sexuell mehr bieten als sein Stiefsohn. Der Zusammenhang zwischen der falschen Zeugenaussage des N. und dem zu beurteilenden Sachverhalt ist daher auch in diesem Punkte gegeben. |
II
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a) Eine Aussage bezieht sich nach der Rechtsprechung (BGE 70 IV 83,BGE 75 IV 69) dann auf eine unerhebliche Tatsache, wenn sie ihrem Gegenstand nach nicht geeignet ist, den Ausgang des Prozesses irgendwie zu beeinflussen, also weder für eine rechtliche Schlussfolgerung noch für eine sich auf rechtlich erhebliche Tatsachen beziehende tatsächliche Schlussfolgerung in Betracht kommt. Dass das der Sinn von Art. 307 Abs. 3 ist, erhellt vor allem aus dem französischen Gesetzestext, der von Aussagen über Tatsachen spricht "qui ne peuvent exercer aucune influence sur la décision du juge". Diese Untauglichkeit kann einer Zeugenaussage schon von vorneherein anhaften. Das ist beispielsweise der Fall bei Fragen, die der Richter bloss stellt, um mit dem Zeugen ins Gespräch zu kommen oder ihn zu beruhigen.
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b) Eine andere Frage ist, wie Art. 307 Abs. 1 und 3 StGB sich zueinander verhalten. Es fragt sich insbesondere, ob aus der Beschränkung von Abs. 3 auf unerhebliche Äusserungen gefolgert werden dürfe, die Erheblichkeit der Aussage gehöre zum Tatbestand von Abs. 1 und der Vorsatz des Täters müsse sich daher auch auf dieses Merkmal beziehen. |
Gegen die Zulässigkeit einer solchen Folgerung spricht schon der Wortlaut von Abs. 1. Die Tatbestandsmerkmale sind in dieser Bestimmung abschliessend aufgezählt. Darnach muss die Aussage sich auf die Sache beziehen, die Gegenstand des Verfahrens ist; sie braucht aber für die richterliche Entscheidung nicht erheblich zu sein. Ist sie unerheblich, so hat das bloss zur Folge, dass nach Abs. 3 nicht über eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis hinausgegangen werden darf. Wäre nach Abs. 1 erforderlich, dass der Täter um die Erheblichkeit einer Aussage weiss und auf die Urteilsfindung einwirken will, so könnte bei Fehlen dieses Vorsatzes überhaupt nicht bestraft werden, da Abs. 3 ja nur das Strafmass betrifft. Als Ausweg verbliebe bloss die Annahme, die falsche Äusserung über eine unerhebliche Tatsache sei der Grundtatbestand, während die falsche Aussage über eine erhebliche Tatsache den qualifizierten Tatbestand darstelle. Damit würde jedoch die gesetzliche Regelung auf den Kopf gestellt. Nach dem Inhalt und Aufbau des Art. 307 ist Abs. 1 nicht ein qualifizierter Fall von Abs. 3, sondern dieser vielmehr ein privilegierter Sonderfall von Abs. 1.
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Die gegenteilige Auffassung wäre auch sachlich nicht gerechtfertigt. Ob eine Aussage für die richterliche Entscheidung erheblich sei oder nicht, kann ein Zeuge in der Regel gar nicht beurteilen, was dem Gesetzgeber übrigens nicht entgangen ist (s.BGE 70 IV 83und dort angeführte Gesetzesmaterialien). Es wäre daher von vorneherein verfehlt, die Strafe nach der Vorstellung des Täters abstufen zu wollen. Abs. 3 frägt denn auch nicht danach, sondern findet ohne Rücksicht darauf Anwendung, ob der Täter sich über die möglichen Auswirkungen seiner Aussage Rechenschaft gegeben habe oder nicht. Wieso es sich nach Abs. 1 anders verhalten sollte, ist daher nicht zu ersehen. Würde anders entschieden, so wäre missbräuchlichen Einreden der Weg geebnet, da die Behauptung des Zeugen, er habe sich über die Erheblichkeit seiner Aussage geirrt, oft schwer zu widerlegen sein dürfte.
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2. Die falsche Aussage des N. war nicht nur eine solche zur Sache, sondern war auch erheblich für die richterliche Entscheidung. Der Generalprokurator hält dem Obergericht mit Recht entgegen, dass das Zeugnis sowohl für die Würdigung der Parteiaussagen wie für die rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes von Bedeutung war. Die Tat wurde von niemandem wahrgenommen; ihre Beurteilung hing deshalb weitgehend von der Sachdarstellung der Parteien und deren Glaubwürdigkeit ab. Unter diesen Umständen war es für den Richter wichtig zu wissen, welche Partei mehr Glauben verdiene. Da die falsche Aussage des N. mit den Äusserungen der Strafklägerin übereinstimmte, war sie geeignet, nicht nur deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen, sondern auch die Beweislage und damit die zu entscheidenden Fragen (Qualifikation der Tat, Würdigung des Verschuldens, Höhe der Strafe) zu beeinflussen. Dass N. das Liebesverhältnis als solches nicht verschwiegen hat, hilft darüber nicht hinweg. Von Bedeutung war nicht, ob er mit Ida B. ein einfaches Liebesverhältnis unterhielt, sondern ob er mit ihr im gleichen Zimmer schlief und ob er schon geschlechtlich mit ihr verkehrt hatte. |
Stützt sich der angefochtene Entscheid somit zu Unrecht auf Art. 307 Abs. 3 StGB, so ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators gutzuheissen und das Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Das Obergericht hat in Anwendung von Art. 307 Abs. 1 StGB neu zu entscheiden. Die Strafe braucht dabei nicht notwendig höher auszufallen, da die Ermessensfreiheit, die dem kantonalen Richter in der Strafzumessung zusteht, durch die Rückweisung der Sache nicht berührt wird.
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Demnach erkennt der Kassationshof:
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1.- Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Willy N. und Regina M. wird abgewiesen.
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