25. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichtes vom 23. April 1971 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen A. und J. Frauenknecht.
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Regeste
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Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG, Art. 273 Abs. 2 und 3 StGB; Verletzung militärischer Geheimnisse und wirtschaftlicher Nachrichtendienst.
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2. Verletzung militärischer Geheimnisse durch Preisgabe der Fabrikationsunterlagen für das Mirage-Triebwerk an einen fremden Staat (Erw. 3).
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3. Verhältnis zwischen Art. 86 MStG einerseits und Art. 106 MStG, Art. 274 und 301 StGB anderseits (Erw. 4).
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4. Wirtschaftlicher Nachrichtendienst durch Verrat von Fabrikationsunterlagen, die nicht bloss aus militärischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen geheimgehalten werden. Schwerer Fall (Erw. 5).
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Sachverhalt
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BGE 97 IV 111 (112):
A.- 1. In den Jahren 1958/1960 hatte sich der Bundesrat mit der Wahl und Beschaffung eines neuen Kampfflugzeuges zu befassen. Er entschied sich für das französische Flugzeug Mirage III S, das mit dem Triebwerk ATAR 09C ausgerüstet ist. Das Flugzeug sollte von schweizerischen Unternehmen in Lizenz hergestellt werden, wobei für den Bau des Triebwerkes die Firma Sulzer in Winterthur, die bereits vom Lizenzbau der Venom-Düsentriebwerke her über Erfahrungen und Einrichtungen verfügte, in Aussicht genommen wurde.
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Durch Vertrag vom 27. Juli 1961 sicherte sich die Kriegstechnische Abteilung (KTA) von der Société Nationale d'Etude et de Construction de Moteurs d'Aviation (SNECMA) in Paris das Recht, das von dieser Firma in 15jähriger Entwicklung geschaffene Triebwerk ATAR 09C von schweizerischen Unternehmen herstellen zu lassen. Die KTA übernahm die Pflicht, die ihr von der SNECMA überlassenen Unterlagen nur den mit dem Bau des Triebwerkes beauftragten Unternehmen zugänglich zu machen und diese ihrerseits zur Geheimhaltung zu verpflichten.
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Am 17. Oktober 1961 erteilte die KTA als Lizenznehmerin und Bestellerin der Firma Sulzer den Auftrag, eine bestimmte Zahl Düsentriebwerke ATAR 09C herzustellen und zu liefern. Die KTA hatte ihr dafür alle notwendigen Lizenzunterlagen und Auskünfte zugänglich zu machen, welche die Firma Sulzer aber nur für den erteilten Auftrag verwenden und einzig an schweizerische Unterlieferanten weitergeben durfte. Eine ähnliche Verpflichtung zur Geheimhaltung hatte die Firma Sulzer für sich und ihr Personal bereits am 1. März 1961 eingehen müssen, wobei sie insbesondere darauf aufmerksam gemacht wurde, dass keinerlei Lizenzunterlagen ohne ausdrückliche Bewilligung der KTA ins Ausland gelangen durften.
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Die Firma Sulzer setzte ihre Angestellten, die in der Abteilung "Düsentriebwerke" beschäftigt wurden oder sonst Einsicht in die Lizenzunterlagen erhalten konnten, über diese Geheimhaltungspflichten namentlich durch Mitteilungen vom 27. März und 30. Oktober/13. November 1961 in Kenntnis. Die Mitteilungen wurden 1963 und 1964 durch Weisungen, insbesondere über das Aufbewahren und den Versand von Lizenzunterlagen, BGE 97 IV 111 (113):
sowie durch Richtlinien ergänzt, um eine wirkungsvolle Geheimhaltung zu gewährleisten.
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2. In den Jahren 1966/1968 organisierte die SNECMA in Paris vier Arbeitstagungen, um mit den Staaten, welche Mirage-Kampfflugzeuge gekauft hatten oder in Lizenz herstellten, Erfahrungen mit ATAR-Triebwerken auszutauschen. Alfred Frauenknecht, der seit 1952 als Maschinentechniker in der Abteilung "Düsentriebwerke" der Firma Sulzer tätig und seit 1962 technischer Leiter dieser Abteilung war, gehörte jeweils zur Abordnung der Firma Sulzer. Er lernte an den Tagungen verschiedene Vertreter der israelischen Luftwaffe und Flugzeugwerke, insbesondere Oberst Shoham und Ingenieur Segal kennen. Die israelischen Flugzeugwerke hatten bereits nach dem Waffen- und Flugzeugembargo Frankreichs gegen Israel vom 7. Juni 1967 unter Hinweis auf eine mögliche Zusammenarbeit versucht, mit der Firma Sulzer ins Gespräch zu kommen und von ihr oder ihren Unterlieferanten ATAR-Ersatzteile zu erhalten. Am 14. Februar 1968 erkundigte sich Segal von Paris aus bei der Firma nach der Möglichkeit einer Werkbesichtigung durch Oberst Shoham und Oberstleutnant Simon. In einem Brief vom folgenden Tage führte die israelische Einkaufsmission von Paris dazu aus, die Besucher möchten sich im Hinblick auf allfällige Käufe u.a. über die Herstellung von Rohrleitungen, Wärmebehandlungs- und Schweissmethoden unterrichten lassen. Die Bundesbehörden hatten gegen den geplanten Besuch, der am 20./21. Mai 1968 unter der Führung von Alfred Frauenknecht stattfinden sollte, nichts einzuwenden.
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Am 24. April 1968 schaltete sich Oberst Kain ein, der damals israelischer Militärattaché in der Schweiz war und der israelischen Einkaufsmission von Rom angehörte. In einem Telephongespräch berief er sich auf den vorgesehenen Besuch Shohams bei der Firma Sulzer und ersuchte deren Direktor Schmid um eine Besprechung. Schmid beauftragte Alfred Frauenknecht, der noch am gleichen Tage in Zürich mit Kain zusammentraf. Dieser erschien zusammen mit Schwimmer, dem Generaldirektor der israelischen Flugzeugwerke, und dessen Assistenten Ariat. Frauenknecht erkannte bald, dass es den Israeli nicht um den Besuch von Shoham und Simon ging, sondern dass sie von der Firma Sulzer ATAR-Triebwerke 09C, zumindest Ersatzteile und Werkzeuge oder die Pläne dafür erhalten wollten. Frauenknecht vermittelte den beiden Israeli eine Besprechung BGE 97 IV 111 (114):
mit Direktor Schmid, liess aber auf eine Frage hin durchblicken, dass er zu einem weitern Treffen bereit sei, falls Direktor Schmid auf ihre Begehren nicht eingehen sollte. Seinem Vorgesetzten teilte er mit, dass die Israeli sich für Dieselmotoren und Pumpen interessierten und bat ihn, nach Zürich zu kommen. Direktor Schmid entsprach diesem Wunsch. Als Kain ihm dann nach einigen Umschweifen eingestand, dass es Israel vor allem um ATAR-Ersatzteile aus der Schweiz gehe, wurde Schmid unwillig; gleichwohl sicherte er Kain zu, sich bei den zuständigen Amtsstellen in Bern zu erkundigen, ob solche Geschäfte überhaupt möglich wären. Die Bundesbehörden verneinten dies, was Kain am 29. April 1968 mitgeteilt wurde.
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Am 29. oder 30. April 1968 liess Alfred Frauenknecht sich von Kain zu einer weitern Besprechung in Zürich bewegen, an der auch Oberstleutnant Yehuda Giladi, stellvertretender Leiter der israelischen Einkaufsmission von Rom, teilnahm. Frauenknecht wusste, dass Kain von Schmid eine endgültige Absage erhalten hatte. Er hatte sich die Sache inzwischen indes selber überlegt und sagte sich, dass er den Israeli die Lizenzunterlagen liefern und ihnen damit zum Bau des ATAR-Triebwerkes 09C verhelfen könnte. Er hatte auch schon darüber nachgedacht, wie er die Unterlagen unter dem Vorwand, sie in die Verbrennungsanstalt zu bringen, von seinem Arbeitsort wegschaffen, mit fingierten Akten vertauschen und dann den Israeli zuhalten könnte. Er erörterte seinen Gesprächspartnern das Vorgehen, legte mit ihnen die Reihenfolge der Übergabe fest und gab seine Entschädigung, welche er bloss als Risikodeckung beansprucht haben will, mit 200 000 Dollar oder 860 000 Franken an.
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3. Etwa zwei Wochen später, vermutlich am 13. Mai 1968, kam Alfred Frauenknecht in Kloten mit Kain zusammen, der ihm einen israelischen Agenten mit dem Decknamen Oskar vorstellte. Frauenknecht brachte zu diesem Treffen ein umfassendes Stückverzeichnis der SNECMA mit, das insbesondere über die Nummer, die Benennung, Materialspezifikation, Anzahl und Zeichnungen der einzelnen Triebwerkbestandteile Auskunft gab. Frauenknecht übergab es Oberst Kain und erhielt von ihm bereits Fr. 55 000.--. Den Rest seiner Entschädigung sollte er in Raten, bei weiteren Lieferungen von Dokumenten bekommen.
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Für die nächsten Treffen war die Übergabe der Triebwerkzeichnungen vorgesehen. Frauenknecht liess sich dafür unter dem Vorwand, diese Pläne für Studien zu benötigen, einen Satz BGE 97 IV 111 (115):
aller Zeichnungen, welche über die einzelnen Triebwerkteile vorhanden waren, anfertigen. Bei fünfzehn bis dreissig Treffen, die vom 5. Juni 1968 bis 4. März 1969 in Zürich oder Umgebung stattfanden, händigte er diese Zeichnungen Giladi, Kain oder anderen israelischen Agenten aus, die sie kopierten und dann zurückgaben. Es handelte sich nach seinen eigenen Angaben um etwa 2500 Dokumente, welche alle wesentlichen Teile des Triebwerkes betrafen.
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Die übrigen Lizenzunterlagen bestanden namentlich aus 45 000 Werkzeugzeichnungen sowie aus schriftlichen Arbeitsanweisungen oder "Operationsplänen", die etwa 120 000 Blätter vom Format A4 umfassten. Dazu kamen viele tausend überholte Modifikationen, Pläne und Zeichnungen aller Art. Sie wogen zusammen über 2300 kg. Für ihre Auslieferung an die Israeli nützte Alfred Frauenknecht den Umstand aus, dass diese Dokumente nach der Beendigung der Lizenzfabrikation im Frühjahr 1968 unter seiner Leitung eingezogen, nach Nummern geordnet und, nachdem ihr Inhalt auf Mikrofilm aufgenommen worden war, in der Kehrrichtverbrennungsanstalt von Winterthur vernichtet werden sollten. Von Ende September 1968 an liess er die Zeichnungen in Rollen, die Pläne in Schachteln verpacken und in Abständen von etwa zwei Monaten eine Ladung bereitstellen, um sie, wie er vorgab, der Verbrennungsanstalt abzuliefern.
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Für die Lieferungen zog Alfred Frauenknecht seinen Vetter Josef Frauenknecht bei. Er stellte ihm einen neuen Fiat-Kastenwagen zur Verfügung. Josef Frauenknecht sollte damit die Pakete jeweils bei der Firma Sulzer abholen und sie in eine Garage an der Bollstrasse in Winterthur bringen, wo sie mit einer in Gewicht und Aussehen ungefähr gleichen Ladung vertauscht wurden. Die fingierten Pakete musste Josef Frauenknecht herstellen. Er hatte dafür wenn immer möglich Planpapier zu verwenden, den Packungen oben und unten überflüssige ATAR-Zeichnungen beizulegen oder sie mit überholten ATAR-Plänen zu umhüllen. Er benötigte im ganzen etwa 3000 kg Papier und 500 Schachteln.
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Die von ihm selbst hergestellten Pakete brachte Josef Frauenknecht zwischen dem 30. September 1968 und dem 17. September 1969 in sieben Malen mit dem Kastenwagen in die Verbrennungsanstalt, wo sie gewogen und unter der Aufsicht von Alfred Frauenknecht in den Ofen geworfen wurden. Die Schachteln BGE 97 IV 111 (116):
und Rollen mit den ATAR-Dokumenten dagegen musste Josef Frauenknecht, nachdem sein Vetter sie in Kisten verpackt hatte, von der Garage an der Bollstrasse mit dem Kastenwagen nach Rheinfelden bringen. Er fuhr insgesamt siebenmal, immer an einem Samstag; das erste Mal am 5. Oktober 1968, das letzte Mal am 20. September 1969. In Rheinfelden musste er das Fahrzeug jeweils seinem Vetter überlassen und auf dessen Rückkehr warten. Alfred Frauenknecht fuhr mit dem Wagen nach Möhlin oder Kaiseraugst weiter, wo er die Kisten dem Agenten Hans Strecker ablieferte, der die Dokumente nach Deutschland schaffte. Von dort gelangten sie - mit Ausnahme von vier Kisten, deren Inhalt in Kaiseraugst sichergestellt werden konnte - nach Israel.
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B.- Alfred Frauenknecht wurde der fortgesetzten Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne von Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG sowie des fortgesetzten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 273 Abs. 2 und 3 StGB angeklagt.
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Das Bundesstrafgericht fand ihn im Sinne der Anklage schuldig.
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Aus den Erwägungen:
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Das Strafgesetzbuch und das Militärstrafgesetz kennen keinen einheitlichen Geheimnisbegriff. Dieser kann je nach den Tatbeständen, in denen Geheimnisverletzungen mit Strafe bedroht sind, mehr oder weniger weit sein (vgl.BGE 65 I 49Erw. 1 und 333 Erw. a). Die Auslegung des Begriffes hängt insbesondere vom geschützten Rechtsgut und den Wertungen ab, die den Strafbestimmungen zugrunde liegen. In Fällen nach Art. 86 MStG wird er eher weit ausgelegt, weil das, was als geheim zu gelten hat, von Fall zu Fall grosse Unterschiede aufweisen, insbesondere der Kreis der Mitwisser sehr ungleich und die verschiedensten Tatsachen militärisches Geheimnis sein können. Zur militärischen Geheimsphäre gehören nach der Lehre und BGE 97 IV 111 (117):
Rechtsprechung nicht nur Tatsachen, die bloss einem kleinen Kreis eingeweihter Personen bekannt sind und verborgen werden können (z.B. Einsatzbefehle, unterirdische Anlagen, in Vorbereitung befindliche Waffen), sondern auch Gegenstände, die von einem weitern Personenkreis wahrgenommen werden können (z.B. oberirdische Befestigungswerke, in der Armee benützte Waffen), welche aber dem Ausland gegenüber geheimgehalten werden und deshalb fremden Staaten nur durch besondere Vorkehren oder durch Zufall zur Kenntnis gelangen oder zugänglich sind. Auch können Tatsachen, an deren Geheimhaltung in Friedenszeiten kein Interesse besteht, in Zeiten des Aktivdienstes oder in Kriegszeiten militärisches Geheimnis werden (COMTESSE, Das Schweizerische Militärstrafgesetz, N. 1 und 3 zu Art. 86; LOHNER, ZStR S. 55/56 und dort angeführte Entscheide des Militärkassationsgerichtes [MKGE]).
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Zum Geheimnisbegriff im Sinne von Art. 86 MStG gehört stets, dass die fragliche Tatsache nicht offenkundig oder allgemein bekannt ist und dass an ihrer Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse besteht. Dieses Interesse an der Geheimhaltung muss zudem "mit Rücksicht auf die Landesverteidigung" bestehen. Das ist dann anzunehmen, wenn die Eidgenossenschaft als Herr oder Mitinhaber des Geheimnisses auftritt und aus militärischen Gründen an der Geheimhaltung einer Tatsache interessiert ist. Ob die Behörden den Geheimhaltungswillen formell bekunden und eine Tatsache z.B. als "geheim" oder "vertraulich" bezeichnen, ist hingegen nicht entscheidend für den Geheimnisbegriff (vgl. MKGE 4 Nr. 102, 7 Nr. 49). Tatsachen, die für die Landesverteidigung nicht von Bedeutung sind und an deren Geheimhaltung folglich kein schützenswertes Interesse besteht, erfüllen den Geheimnisbegriff selbst dann nicht, wenn die Behörden sie geheimhalten wollen, als "geheim" klassifizieren oder mit einer andern Bezeichnung der militärischen Geheimsphäre zurechnen. Ob eine Tatsache als geheim zu gelten hat, beurteilt sich vielmehr nach der Natur der Sache und dem militärischen Interesse, sie der Kenntnis des Auslandes zu entziehen (MKGE 7 Nr. 34 S. 60). Dabei ist der in der Klassifizierung zum Ausdruck kommende Geheimhaltungswille freilich ein wichtiges Indiz dafür, dass an der Geheimhaltung der Tatsache ein schutzwürdiges Interesse besteht. Trifft dies zu -- was meistens der Fall sein dürfte -, so entspricht der tatsächliche Geheimhaltungswille dem gesetzlich vermuteten, der BGE 97 IV 111 (118):
sich mit dem Geheimhaltungsinteresse deckt (vgl. NOLL, Das ärztliche Berufsgeheimnis, in Schweizerische Beiträge zum fünften internationalen Kongress für Rechtsvergleichung, Zürich 1958, S. 239).
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Dagegen ist nach Art. 86 Ziff. 1 MStG nicht erforderlich, dass der schweizerischen Landesverteidigung aus dem Verrat eines militärischen Geheimnisses ein Schaden entstehe oder drohe. Dies lässt sich entgegen der Annahme der Verteidigung insbesondere nicht der gesetzlichen Einschränkung entnehmen, dass die Tatsachen, Vorkehren usw. "mit Rücksicht auf die Landesverteidigung" ("dans l'intérêt de la défense nationale", "nell'interesse della difesa nazionale") geheimgehalten werden. Diese Wendung will bloss klarmachen, worin das Geheimhaltungsinteresse bestehen muss, nicht aber den Straftatbestand zu einem konkreten Gefährdungs- oder gar zu einem Erfolgsdelikt machen. Art. 86 MStG fragt auch nicht danach, wem das Geheimnis preisgegeben wird; nach dem Wortlaut der Bestimmung genügt sogar, dass der Täter das Geheimnis der Öffentlichkeit bekannt macht. Der Gefährdung und Störung der Landesverteidigung durch Verrat in Aktivdienst- oder Kriegszeiten trägt das Gesetz dadurch Rechnung, dass es in Art. 86 Ziff. 2 MStG für solche Zeiten schärfere Strafen vorsieht. Daraus erhellt, dass nachteilige Auswirkungen einer Geheimnisverletzung nicht zum Tatbestand von Ziff. 1 gehören, sondern bloss für die Strafzumessung von Bedeutung sind.
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a) Dem ist vorweg entgegenzuhalten, dass das Kampfflugzeug Mirage III S nicht bloss nach seiner Bewaffnung und Ausrüstung, BGE 97 IV 111 (119):
sondern auch nach der Rolle und den Aufgaben, die ihm im Rahmen der Landesverteidigung zukommen, zu den wichtigsten und modernsten Waffen der Armee gehört. Schon deshalb versteht sich, dass Einzelheiten über seine Herstellung mit Rücksicht auf seine Bedeutung für die Landesverteidigung geheimzuhaltende Tatsachen im Sinne von Art. 86 MStG sind, folglich unter den Begriff des militärischen Geheimnisses fallen. Das gilt insbesondere auch von seinem Triebwerk, das zu den technisch fortgeschrittensten zählt und aus über 20 000 mit höchster Präzision hergestellten Teilen besteht.
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Dass das ATAR-Triebwerk in Frankreich entwickelt worden ist, mehrere Staaten mit ATAR-Triebwerken ausgerüstete Mirage-Flugzeuge gekauft haben und andere es in Lizenz herstellen durften, steht einem selbständigen Interesse der Schweiz, das Herstellungsverfahren aus militärischen Gründen geheimzuhalten, nicht entgegen. Die Eidgenossenschaft ist - ganz abgesehen von der im Interesse der Landesverteidigung übernommenen Vertragspflicht, die Lizenzunterlagen geheimzuhalten und nur für sich zu verwenden - selber in hohem Masse daran interessiert, dass der Kreis der Staaten, welche über die Herstellung des ATAR-Triebwerkes Bescheid wissen, klein gehalten wird. Dieses Interesse wird dadurch, dass es nicht um schweizerische, sondern um französische Fabrikationsgeheimnisse geht, die der Eidgenossenschaft aber von der Entwicklungsfirma anvertraut worden sind, nicht aufgehoben. Es genügt, dass das Herstellungsverfahren in der Schweiz mit Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten wird, hier folglich nicht jedermann zugänglich ist und nicht ohne besondere Mühe in Erfahrung gebracht werden kann, mag es auch weiteren Staaten, die übrigens selber Geheimhaltung üben, bekannt sein (vgl. MKGE 7 Nr. 34 S. 62 und dort angeführte Urteile).
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Freilich kann die Eidgenossenschaft nicht verhindern, dass die SNECMA weiteren Staaten Lizenzrechte einräumt. Umfassende Lizenzen zur Herstellung von ATAR-Triebwerken gewährte die SNECMA indes, wie der Hauptangeklagte wusste, einzig Australien und der Schweiz. Israel und Belgien erhielten Unterlagen für die Herstellung von Ersatzteilen, d.h. Teillizenzen. Das gesamte Herstellungsverfahren ist somit nur drei Staaten bekannt, in weitesten Bereichen der Welt, insbesondere auch in Europa, folglich noch ein Geheimnis. Dass dieses durch den Verkauf von Mirage-Flugzeugen an insgesamt zwölf BGE 97 IV 111 (120):
Staaten, zu denen auch Israel gehört, zerstört worden sei, lässt sich entgegen der Annahme der Verteidigung nicht sagen. Wie das Beweisverfahren ergeben hat, ist es praktisch unmöglich, ein ATAR-Triebwerk anhand eines vorhandenen nachzubauen, weil wichtige Einzelheiten sehr schwer zu erfassen sind. Ein derartiger Versuch wäre ein äusserst kostspieliges und zudem ein fast aussichtsloses Unternehmen. Nach den Schätzungen von Alfred Frauenknecht hätten die israelischen Flugzeugwerke allein für die Vorbereitungen und Anlagen einer solchen Eigenproduktion 700 bis 800 Millionen Franken aufwenden müssen, wobei dahingestellt bleiben mag, ob Israel vor dem Waffenembargo Frankreichs vom Juni 1957 noch mit ATAR 09C-Triebwerken ausgerüstete Mirage-Flugzeuge einführen konnte. Wie sehr das Geheimnis der Herstellung trotz Verkauf des Flugzeuges an ein Dutzend Staaten gewahrt blieb und welche Bedeutung ihm die israelischen Fachleute selber beimassen, zeigt sich gerade darin, dass sie mit allen Mitteln darauf ausgingen, sämtliche Pläne für die Herstellung des Triebwerkes in die Hände zu bekommen. Die Verteidigung wagte in der Hauptverhandlung sogar zu behaupten, die Fabrikationsunterlagen seien den Israeli 100 Millionen Dollar wert gewesen.
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Am schweizerischen Interesse, das Herstellungsverfahren aus militärischen Gründen geheimzuhalten, ändert schliesslich auch nichts, dass die Eidgenossenschaft der SNECMA über eigene technische Verbesserungen, soweit sie auf Lizenzunterlagen zurückgingen, Auskunft geben musste. Die Lizenzgeberin verpflichtete sich gemäss Art. 19 des Vertrages, technische Auskünfte über die Herstellung des Triebwerkes in der Schweiz vertraulich zu behandeln. Das schliesst eine beliebige Weitergabe an Dritte aus. Nach Vertrag vorbehalten blieben lediglich technische Auskünfte über den Einsatz und die Wartung von ATAR-Triebwerken (les renseignements techniques relatifs à l'emploi et à l'entretien des turboréacteurs ATAR), da Auskünfte dieser Art nach bestehender Übung allen Triebwerkhaltern mitgeteilt wurden.
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b) Alfred Frauenknecht wusste, dass die Lizenzunterlagen nicht nur nach den Verträgen, welche die Eidgenossenschaft mit der SNECMA und der Firma Sulzer geschlossen hatte, sondern auch nach zahlreichen Vorschriften und Weisungen seiner Arbeitgeberin geheimzuhalten waren. Er war sich nach seinen eigenen Aussagen in der Hauptverhandlung auch im BGE 97 IV 111 (121):
klaren, dass die Geheimhaltung einen doppelten Sinn hatte: einen kommerziellen gegenüber der Lizenzgeberin und einen militärischen gegenüber der Eidgenossenschaft. Gleichwohl entschloss er sich zur Tat. Er verschaffte sich die Lizenzunterlagen, welche die israelischen Flugzeugwerke seines Erachtens zur Herstellung des Triebwerkes benötigten, und machte sie in Kenntnis der Tatsache, dass sie militärische Geheimnisse enthielten, Agenten Israels zugänglich. Alfred Frauenknecht hat somit den Tatbestand des Geheimnisverrates im Sinne von Art. 86 Ziff. 1 Abs. 2 MStG auch in subjektiver Hinsicht erfüllt. Er hat auf Grund eines einheitlichen Willensentschlusses gehandelt, weshalb ein fortgesetztes Verbrechen vorliegt (BGE 72 IV 184,BGE 78 IV 154).
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Ob der Angeklagte angenommen hat, der Eidgenossenschaft werde aus der Preisgabe der Lizenzunterlagen kein Schaden entstehen, ist unerheblich. Da weder die tatsächliche Schädigung noch die konkrete Gefährdung Tatbestandsmerkmale des Art. 86 Ziff. 1 MStG sind, braucht auch der Vorsatz nicht auf eine solche Schädigung oder Gefährdung gerichtet zu sein. Wenn der Täter weiss, dass ein Herstellungsverfahren aus militärischen Gründen geheimgehalten wird, und er es trotzdem gewollt einem fremden Staat oder dessen Agenten preisgibt, handelt er vorsätzlich. Dieses Wissen und Wollen hat aber Alfred Frauenknecht nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens gehabt. Nach dem Brief an seine Studienkollegen hat er übrigens eine Benachteiligung der Eidgenossenschaft nur ausgeschlossen, "wenn es im stillen möglich ist".
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4. Art. 106 MStG, der durch Bundesgesetz vom 5. Oktober 1967 ergänzt worden ist, setzt nicht voraus, dass der Täter das militärische Geheimnis einem fremden Staat, dessen Agenten oder der Öffentlichkeit bekannt oder zugänglich macht; es genügt, dass er den Kreis der Geheimnisträger in unbefugter Weise erweitert. Art. 106 MStG erfasst zudem die Preisgabe von Akten usw., die "auf Grund vertraglicher Abmachungen geheimgehalten werden", ferner das widerrechtliche Aneignen, Abbilden und Vervielfältigen solcher Akten. Diese Bestimmung geht also in verschiedener Hinsicht viel weiter als Art. 86 MStG und ist vor allem als dessen Ergänzung von Bedeutung (vgl. Botschaft des Bundesrates zur Novelle, BBl 1967 I S. 593 f.). Sie ist daher nicht anwendbar, wenn wie hier die besonderen Tatbestandsmerkmale des Art. 86 MStG gegeben sind.
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BGE 97 IV 111 (122):
Auch Art. 274 StGB, der den gegen die Schweiz gerichteten militärischen Nachrichtendienst mit Strafe bedroht, ergänzt den enger gefassten Art. 86 MStG und ist dieser Bestimmung gegenüber die allgemeine. Er unterscheidet sich von Art. 86 MStG vor allem dadurch, dass die strafbare Handlung sich nicht auf militärische Geheimnisse zu beziehen braucht; es genügt, dass der Nachrichtendienst militärischer Natur ist (BGE 61 I 412; MKGE 4 Nr. 38 Erw. D'Nr. 85 Erw. A). Dieses Tatbestandsmerkmal ist in der verräterischen Verletzung militärischer Geheimnisse jedoch notwendig mitenthalten. Ob es Fälle gibt, in denen der besondere Tatbestand den allgemeinen nicht in allen Teilen in sich schliesst, kann offen blieben. Im vorliegenden Fall ist der militärische Nachrichtendienst im Sinne von Art. 274 StGB schon wertmässig, dem Verschulden und dem Unrecht nach (BGE 91 IV 213), im Tatbestand des Art. 86 MStG enthalten. Es besteht daher kein Anlass, neben dieser Bestimmung auch Art. 274 StGB anzuwenden (vgl. MKGE 7 Nr. 34 Erw. III).
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Art. 301 StGB will verhüten, dass im Gebiete der Schweiz zugunsten eines fremden Staates gegen einen andern fremden Staat militärischer Nachrichtendienst betrieben und dadurch die Beziehungen der Schweiz zu diesem letzteren Staate gestört werden. Die Bestimmung setzt voraus, dass der Nachrichtendienst sich auf militärische Verhältnisse dieses Staates bezieht und der Täter sich dessen bewusst ist (vgl. BGE 89 IV 207 unten; Urteil des Bundesstrafgerichts vom 5. November 1953 i.S. Roessler und Schnieper). Alfred Frauenknecht hat Fabrikationsunterlagen preisgegeben, die zwar einer französischen Firma gehörten, aber die Herstellung eines schweizerischen Kampfflugzeuges, also militärische Verhältnisse der Schweiz betrafen. Ob bei dieser Sachlage noch Raum bleibt für die Anwendung von Art. 301 StGB, braucht nicht geprüft zu werden, da es jedenfalls an einem ausreichenden Beweis dafür, dass Alfred Frauenknecht vorsätzlich gegen einen fremden Staat militärischen Nachrichtendienst betrieben habe, fehlt.
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BGE 97 IV 111 (123):
Dass die Fabrikationsunterlagen, welche Alfred Frauenknecht den israelischen Agenten zugänglich gemacht hat, Geheimnisse im Sinne von Art. 273 StGB enthielten, liegt auf der Hand und ist von der Verteidigung denn auch nicht bestritten worden. Fragen kann sich nur, ob eine Bestrafung nach Art. 86 MStG auch eine Tat gemäss Art. 273 StGB allseits erfasst und in vollem Umfang abgilt, wenn eine Handlung zugleich die Tatbestände beider Bestimmungen erfüllt. Das ist zu verneinen. Wirtschaftlicher Nachrichtendienst berührt nicht notwendig militärische Belange, die verräterische Verletzung eines militärischen Geheimnisses nicht notwendig geheimzuhaltende Tatsachen des Wirtschaftslebens. Art. 86 MStG und Art. 273 StGB schützen zudem verschiedene Rechtsgüter und Interessen. Wer wie Alfred Frauenknecht zugleich militärische und industrielle Geheimnisse verletzt, macht aber sowohl unter dem Gesichtspunkt des Erfolges als auch unter dem der Schuld mehr als jemand, der nur entweder das eine oder das andere preisgibt; er ist daher nach beiden Bestimmungen strafbar (vgl.BGE 77 IV 92Erw. 2).
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Alfred Frauenknecht war sich bewusst, dass die Fabrikationsunterlagen nicht bloss aus militärischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf die kommerziellen und industriellen Interessen der Lizenzgeberin, geheimzuhalten waren und nur zur Herstellung der von der KTA bestellten Triebwerke verwendet werden durften. Er wusste auch, dass er mit Agenten eines fremden Staates zu tun und dieser sich umsonst bemüht hatte, die Pläne zur Herstellung des Triebwerkes ATAR 09C auf rechtmässigem Wege zu erhalten. Gleichwohl entschloss der Angeklagte sich ein für allemal, den israelischen Flugzeugwerken zu diesen Plänen zu verhelfen und sie ihnen durch Agenten zukommen zu lassen. Alfred Frauenknecht ist daher auch des fortgesetzten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes im Sinne von Art. 273 Abs. 2 StGB schuldig zu sprechen.
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Ob ein schwerer Fall im Sinne von Abs. 3 dieser Bestimmung vorliegt, hängt von den Tatumständen ab, welche bei der Abwägung des Verschuldens zu berücksichtigen sind. Der dem Hauptangeklagten zur Last gelegte wirtschaftliche Nachrichtendienst wiegt sowohl nach dem objektiven wie nach dem subjektiven Sachverhalt schwer und lässt sich entgegen den Versuchen der Verteidigung schlechterdings nicht verharmlosen. Alfred BGE 97 IV 111 (124):
Frauenknecht hat seine leitende Stellung in der Firma und das Vertrauen seiner Vorgesetzten und seiner Arbeitgeberin während siebzehn Monaten bedenkenlos ausgenützt, sich unbekümmert um Vorschriften und Weisungen über die Pflicht zur Geheimhaltung hinweggesetzt, um Israel die begehrten Fabrikationsunterlagen zu verschaffen. Die Schwere des Falles erhellt ferner aus der Bedeutung, dem industriellen Wert und dem Umfang der Unterlagen. Diese bezogen sich auf ein technisch hochentwickeltes Triebwerk, hatten nach den eigenen Schätzungen des Angeklagten einen Zeichnerwert von ungefähr 50 Millionen Franken und umfassten rund 200 000 Dokumente.
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