BGE 98 IV 86
 
17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Juli 1972 i.S. G. gegen Z.
 
Regeste
Art. 173 Ziff. 1 StGB.
2. Die Art. 173 ff. StGB sind auf ehrverletzende Äusserungen, die in einem Verfahren vor einem kantonalen Gericht vorgebracht werden, auch dann anwendbar, wenn das kantonale Recht sie als Übertretung kantonaler Prozessvorschriften mit Disziplinarmassnahmen bedroht (Erw. 3).
 
Sachverhalt


BGE 98 IV 86 (87):

A.- Frau G. heiratete im Jahre 1967 den verwitweten H. und wurde von diesem mit Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 25. Februar 1969 wieder geschieden. Im Scheidungsverfahren führte ihr Anwalt an der Hauptverhandlung unter anderem folgendes aus:
"Sehr bald merkte die Beklagte (Frau G.) auch, dass der Kläger (H.) sie mit andern Frauen betrog. Eine dieser Freundinnen ist eine Frau Z., die im gleichen Haus, nämlich genau in der Wohnung obendran wohnt. Mit dieser Frau verkehrte der Kläger durch Klopfzeichen. Auf Grund dieser Beobachtungen nimmt die Beklagte an, dass diese Frau dem Kläger mitteilte, ob die Gelegenheit für ein Stelldichein günstig oder ungünstig sei. Bei dieser Frau Z., einer verheirateten Frau, war der Kläger auch schon während seiner ersten Ehe ein- und ausgegangen."
Z. erhielt durch H. von diesen Ausführungen Kenntnis und erhob gegen Frau G. Anklage wegen Verleumdung, eventuell Beschimpfung oder übler Nachrede.
B.- Am 26. November 1971 sprach das Bezirksgericht Zürich Frau G. der üblen Nachrede im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig und verfällte sie in eine Busse von Fr. 100.--. Auf Berufung der Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich diesen Entscheid.


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C.- Frau G. führt Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
2. Fehl geht die von der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf einzelne Beispiele der neueren Literatur aufgestellte Behauptung, heutzutage nehme niemand mehr Anstoss an ehebrecherischen Beziehungen, weshalb der Vorwurf des Ehebruchs nicht ehrenrührig sei. Die Pflege intimer Beziehungen zwischen einem Dritten und einer verheirateten Person wird nach wie vor als Verstoss gegen die guten Sitten angesehen. Das geht schon daraus hervor, dass das Strafgesetzbuch den Ehebruch unter gewissen Voraussetzungen mit einer Gefängnisstrafe bedroht. Wirft daher jemand seinem Ehegatten vor, er habe nicht nur früher, sondern auch in neuester Zeit Ehebruch begangen, so gibt er ein Urteil nicht nur über den Ehepartner, sondern auch über den Dritten ab, das geeignet ist, die Betroffenen in ihrer Ehre herabzusetzen und ihren Charakter in ein ungünstiges Licht zu rücken. Die eingeklagte Äusserung berührt somit die Geltung der Klägerin als ehrbarer Frau und ist folglich ehrverletzend im Sinne von Art. 173 ff. StGB.
Es ist belanglos, dass der Anwalt der Beschwerdeführerin den eingeklagten Vorwurf zunächst zu Papier gebracht und danach in der Bezirksgerichtsverhandlung für seine Klientin vorgetragen hat. Entscheidend ist einzig, dass nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz die betreffende Äusserung auf Angaben der Beschwerdeführerin beruhte und von dieser vor der Einreichung beim Gericht gelesen und bestätigt wurde. Somit hat die Angeklagte für die ehrverletzende Behauptung einzustehen.
3. Unter Berufung auf Art. 32 StGB macht die Beschwerdeführerin geltend, eine Prozesspartei sei gesetzlich verpflichtet, möglichst genaue Angaben zur Verdeutlichung ihres Rechtsstandpunktes zu machen. Deshalb müsse ihr das Recht zugestanden werden, alle zur Wahrung ihrer Rechte nötigen und zweckdienlichen Behauptungen aufstellen zu können, ohne dafür nachträglich in einem Ehrverletzungsprozess den Wahrheitsbeweis erbringen zu müssen. Andernfalls würden die

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Parteirechte auf unerträgliche Weise eingeschränkt und die Wahrung der Parteiinteressen in Frage gestellt. §§ 98 und 134 der zürcherischen Zivilprozessordnung verpflichteten die Parteien, die nötigen Behauptungen tatsächlicher Art aufzustellen; die sich daraus ergebende Freiheit zur Äusserung im Prozess finde ihre Schranken in § 90 des genannten Gesetzes, der den Parteien die Anwendung unerlaubter Mittel verbiete. Da böswillige oder mutwillige Prozessführung von Amtes wegen disziplinarisch geahndet werde, bleibe kein Raum für die in Art. 173 ff. StGB vorgesehenen Strafen als Folge von im Prozess durch eine Partei begangenen Ehrverletzungen. Daraus schliesst die Beschwerdeführerin, dass sie zur Wahrung ihrer Interessen nicht bloss allgemein habe vorbringen können, ihr Ehemann betrüge sie mit andern Frauen; vielmehr sei sie verpflichtet gewesen, Ehebruch des H. mit Frau Z. konkret zu behaupten.
Der von der Beschwerdeführerin angerufene § 90 der Zürcher ZPO regelt das Verhalten der Prozessparteien, indem er demjenigen, der sich unerlaubter Mittel bedient, disziplinarische Massnahmen androht. Wer vor Gericht ehrenrührige Behauptungen aufstellt, verschärft den Rechtsstreit und lässt es gleichzeitig an der Achtung vor dem Gericht fehlen; er stört somit das Verfahren. Das will jedoch nicht heissen, dass die in einem Prozess begangenen Ehrverletzungen daneben nicht auch von Art. 173 ff. StGB erfasst werden. Denn wenn sie die Rechtspflege stören, so verletzen sie überdies auch die persönlichen Interessen derer, gegen die sie sich richten. Die disziplinarischen Massnahmen, so wie sie die Zürcher ZPO vorsieht, stellen in erster Linie prozessuale Zwangsmittel dar und gewährleisten den ungestörten Gang der Rechtspflege, nicht aber auch den Schutz der Ehre des Individuums. Disziplinarstrafrecht und gemeines Strafrecht sind, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, also unabhängig voneinander. Das kommt z.B. darin zum Ausdruck, dass der Grundsatz "ne bis in idem" im Verhältnis zwischen ihnen nicht gilt (BGE 97 I 835 /836; E. MARTIN-ACHARD: La discipline des professions libérales, ZSR 1951, S. 246 a, 247 a). Die disziplinarische Ahndung eines bestimmten prozessualen Verhaltens schliesst eine strafrechtliche Verfolgung somit nicht aus. Der Umstand, dass die Zürcher ZPO dem Richter die Möglichkeit gibt, eine Partei wegen ehrverletzender Behauptungen und Aussagen disziplinarisch zur

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Rechenschaft zu ziehen, hebt darum die gleichzeitige Anwendbarkeit allfällig zutreffender Strafnormen (Art. 173 ff. StGB) auf solche Verstösse nicht auf.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin gehen die Vorschriften in §§ 90, 98 und 134 der Zürcher ZPO den Bestimmungen von Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 und 173 ff. StGB auch nicht etwa vor. Die Ehre aller Personen, von denen im Prozess die Rede sein kann, seien es Parteien oder Dritte, bleibt auch durch die Normen des eidgenössischen Strafrechts geschützt. Ehrverletzungen sind deshalb, auch wenn sie im Prozess erfolgen, auf Grund von Art. 173 ff. StGB zu beurteilen.
Die Beschwerdeführerin kann ihr Verhalten auch nicht unter Berufung auf Art. 32 StGB rechtfertigen. Wer in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht Behauptungen vor Gericht aufstellt, welche jemanden in seiner Ehre verletzen, bleibt dafür straflos nur, wenn diese Behauptungen nicht einen der Straftatbestände der Art. 173 ff. StGB erfüllen. Mit andern Worten: im Prozess von einer Partei aufgestellte ehrverletzende Behauptungen geniessen Straffreiheit bloss dann, wenn diese sich im Sinne von Art. 173 Ziff. 2 StGB dafür zu exkulpieren vermag. Andernfalls würde die Ehre der Betroffenen im Prozess ihres strafrechtlichen Schutzes beraubt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.