BGE 102 IV 128
 
32. Urteil des Kassationshofes vom 18. August 1976 i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen X., Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft und Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft.
 
Regeste
Art. 4, 38 LG.
Wer für einen Dritten mit dessen Name und Adresse versehene Abschnitte einer verbotenen Lotterie gegen Bezahlung des vorgeschriebenen Einsatzes bei einer Annahmestelle abgibt, vermittelt die Einlage und kann nicht als Einleger im Sinne von Art. 38 Abs. 2 LG gelten.
 
Sachverhalt


BGE 102 IV 128 (128):

A.- X. hatte anlässlich eines Grenzübertrittes von Deutschland nach der Schweiz sechs auf verschiedene seiner Kollegen lautende Quittungsabschnitte der deutschen "6 aus 49er" Wette sowie einundzwanzig leere Scheine dieser Wette auf sich.
B.- Das gegen X. wegen Widerhandlung gegen das BG betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten eingeleitete Strafverfahren stellte die Überweisungsbehörde des Kantons Basel-Landschaft mit Beschluss vom 5. Februar 1976 ein.


BGE 102 IV 128 (129):

Die von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen diese Einstellungsverfügung erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 4. Mai 1976 ab.
C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur Verurteilung des X. an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid damit, aus der Gegenüberstellung von strafbarer Durchführung einer Lotterie und straffreiem Einlegen in eine solche ergebe sich, dass Art. 38 des BG über die Lotterien und gewerbsmässigen Wetten (LG) klar zwischen Durchführungshandlungen von Organen des Lotterieunternehmens und anderen ihm dienenden Personen einerseits und aussenstehenden Drittpersonen anderseits unterscheide. Für diese Auslegung spreche auch die französische Fassung von Art. 4 LG. Personen, die gelegentlich gefälligkeitshalber Scheine ihrer Freunde einlegten, seien als blosse Einleger gemäss Art. 38 Abs. 2 LG zu betrachten, da ihnen als "Publikum" nicht am Gedeihen der Lotterie gelegen sei und sie nicht in die Verkaufsorganisation eingegliedert seien. Gemäss BGE 51 I 161 dienten nur Handlungen, die vom Veranstalter und seinen Hilfspersonen vorgenommen werden, um das erstrebte Ziel zu erreichen, im Sinne von Art. 4 LG dem Lotteriezweck, nicht aber gelegentliche vereinzelte Handlungen eines Privaten, der bereits placierte Lose später kaufe oder verkaufe.
Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, der klare Wortlaut von Art. 4 und 38 LG enthalte ebensowenig Anhaltspunkte für eine Unterscheidung zwischen Organen bzw. Hilfspersonen des Veranstalters und aussenstehenden Drittpersonen (Publikum) wie für den Schluss, zur Bestimmung der Straflosigkeit auf das Kriterium des Interesses an der Lotterieförderung abzustellen. Gegen eine solche Abgrenzung zwischen strafbarem und straffreiem Handeln sprächen auch die Gesetzesmaterialien. Als selbstverständlich erscheine, dass unter Einlegen in eine Lotterie gemäss Art. 38 Abs. 2 LG

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nur dasjenige für sich selber zu verstehen sei. Aus dem von der Vorinstanz angeführten bundesgerichtlichen Entscheid lasse sich, weil eine Förderung des Lotterieunternehmens nach dem dort zu beurteilenden Sachverhalt ausser Frage stand, nichts zugunsten der von ihr gegebenen Begründung ableiten. Wenn in BGE 53 I 414 die Übernahme einer Deckadresse für eine ausländische Lotterie als strafbare Durchführung einer solchen betrachtet worden sei, dann gelte dasselbe zweifellos auch für Handlungen desjenigen, der von Dritten ausgefüllte Teilnahmescheine einer ausländischen Lotterie über die Grenze bringe und dort einlege oder leere Scheine für Dritte in die Schweiz zurückbringe. Belanglos sei, ob dies nur gelegentlich, ohne Entgelt und auf Verlangen schweizerischer Teilnehmer erfolge.
2. Die Beschwerdeführerin hatte sich im kantonalen Verfahren lediglich darauf berufen, X. habe sich durch das Einlegen von Lottoscheinen für seine Kollegen strafbar gemacht. In der Nichtigkeitsbeschwerde bringt sie nun vor, X. habe nicht nur dadurch, sondern auch durch das Einführen von 21 Lottoscheinen den Straftatbestand des Art. 38 Abs. 1 LG erfüllt. Auf diese Rüge ist, obgleich sie im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht erhoben wurde, einzutreten, da sich die Vorinstanz nach dem kantonalen Prozessrecht (§ 111 Ziff. 2 des Gesetzes betreffend die Strafprozessordnung) und der telefonischen Auskunft des Obergerichtspräsidenten nicht auf die Prüfung der geltend gemachten Beschwerdegründe beschränken konnte (BGE 87 IV 101; nicht veröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 9.4.1976 i.S. Kaufmann).
Die Durchführung einer Lotterie umfasst gemäss Art. 4 LG die dem Lotteriezweck dienenden Handlungen, wie die Ankündigung oder Bekanntmachung einer Lotterie, die Ausgabe der Lose, die Empfehlung, das Feilbieten, die Vermittlung und den Verkauf von Losen, Coupons oder Ziehungslisten, die Losziehung, die Ausrichtung der Gewinne, die Verwendung des Ertrages.
Straffrei ist gemäss Art. 38 Abs. 2 LG das Einlegen in eine Lotterie, das an sich auch eine dem Lotteriezweck dienende Handlung im Sinne von Art. 4 LG darstellt und daher ohne diesen Vorbehalt unter die Strafbestimmung von Art. 38 Abs. 1 LG

BGE 102 IV 128 (131):

fallen würde (Sten.Bull. StR 1921, S. 82; STAEHELIN, Das BG betreffend die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten vom 8. Juni 1923 als Strafgesetz, S. 94).
a) Bei der deutschen "6 aus 49er" Wette handelt es sich um eine verbotene Lotterie. Sofern X. in anderer Weise als durch Einlegen an der Durchführung derselben mitgewirkt hat, ist er daher strafbar.
b) Mit Strafe bedroht sind entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht bloss Durchführungshandlungen der Organe des Lotterieunternehmens und anderer diesem dienender Personen, sondern auch solche aussenstehender Dritter. Das Gesetz trifft in dieser Hinsicht keine Unterscheidung, sondern erklärt unabhängig von der sie vornehmenden Person sämtliche dem Lotteriezweck dienenden Handlungen als verboten und strafbar, mit Ausnahme eben des ausdrücklich als straffrei bezeichneten Einlegens in eine Lotterie. Diese Strafbefreiung erfolgt nicht etwa, wie die Vorinstanz meint, weil dem Einleger "an der Förderung der Lotterie nicht gelegen sei, weil er, "Publikum" sei", sondern einzig, um seine eigenen Interessen zu schützen (STAEHELIN, a.a.O., S. 94; BLUMENSTEIN, Gutachten und Gesetzesentwurf betreffend bundesrechtliche Regelung des Lotteriewesens, S. 81/82; Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines BG betreffend die Lotterien und die lotterieähnlichen Unternehmungen, S. 12; Sten.Bull. NR 1922, S. 863). Dem Lotteriezweck, der darin besteht, dem Veranstalter Geldmittel zu verschaffen und sie nutzbringend zu verwenden (BGE 51 I 163), dienen nicht nur Handlungen, welche vom Veranstalter, seinen Hilfspersonen oder von für diese Handelnden (BGE 97 IV 250 E. 2) vorgenommen werden, sondern auch solche beliebiger Dritter, die unabhängig von diesen tätig werden (STAEHELIN, a.a.O., S. 94; Sten.Bull. StR 1921, S. 39/40). Sowenig die Handlung an ein bestimmtes Subjekt gebunden sein muss, sowenig kann es darauf ankommen, ob diese im Plan des Veranstalters vorgesehen ist (BGE 51 I 162) oder nicht (STAEHELIN, a.a.O., S. 95), umsomehr als der im französischen Gesetzestext für die Durchführung einer Lotterie verwendete Begriff "exploiter" in einem uneigentlichen Sinn gebraucht wird (BGE 51 I 162). Dem Lotteriezweck im Sinne von Art. 4 LG zu dienen, ist demnach jede tatsächlich diese Eigenschaft aufweisende Handlung geeignet (STAEHELIN, a.a.O., S. 95).


BGE 102 IV 128 (132):

Dass die Handlung von X., die darin bestand, von seinen Kollegen ausgefüllte, mit ihrem Namen und ihrer Adresse versehene Abschnitte der deutschen "6 aus 49er" Wette nach Deutschland mitzunehmen und sie dort bei einer der Abgabestellen gegen Bezahlung des verlangten Einsatzes zu hinterlegen, dem Lotteriezweck zu dienen geeignet war und ihm darüber hinausgehend auch diente, ist offensichtlich. X. ist daher für diese strafbar, sofern sie nicht als Einlegen zu betrachten ist.
c) Unter Einlegen im Sinne von Art. 38 Abs. 2 LG ist das Sichbeteiligen an einer verbotenen Lotterie zu verstehen (BLUMENSTEIN, a.a.O., S. 81; Sten. Bull. StR 1921, S. 82). Man beteiligt sich an einer solchen, indem man ein Los kauft oder sonstwie ein Rechtsgeschäft eingeht, das die Beteiligung zur Folge hat (Sten.Bull. StR 1921, S. 82; BGE 97 IV 50).
X. hat sich an der in Frage stehenden verbotenen Lotterie nicht beteiligt. Er füllte selber, wie den Akten entnommen werden kann, keinen Abschnitt aus und hinterlegte diesen auf seinen Namen bei einer der deutschen Annahmestellen gegen Entrichtung des verlangten Einsatzes. Was er tat, bestand darin, die von seinen Kollegen ausgestellten, auf ihren Namen lautenden und mit ihrer Adresse versehenen Abschnitte mit nach Deutschland zu nehmen und sie bei einer der dortigen Annahmestellen gegen Bezahlung des vorgeschriebenen Einsatzes abzugeben. Das stellt sich zwar für seine Kollegen, nicht aber für ihn als Einlegen in eine Lotterie dar; denn nicht er wurde durch das von ihm, aber direkt mit Wirkung für diese abgeschlossene Rechtsgeschäft an der Lotterie beteiligt, sondern diese. Er hat demzufolge nicht in die Lotterie eingelegt, sondern andern die Einlage vermittelt, und er kann daher nicht als Einleger im Sinne von Art. 38 Abs. 2 LG gelten.
Fraglich ist höchstens, ob Einlegen in der allgemeinen Umschreibung des Art. 38 Abs. 2 LG nicht in einem weiteren als dem oben beschriebenen Sinn zu verstehen sei, also auch derjenige als "Einleger" betrachtet werden müsste, der durch seine Handlung andere an der verbotenen Lotterie beteiligt. Dafür fehlen Anhaltspunkte. Die Durchführung einer verbotenen Lotterie umfasst gemäss Art. 4 LG "die dem Lotteriezweck dienenden Handlungen", von denen anschliessend einige, unter ihnen auch die Vermittlung von Losen, als Beispiele aufgezählt werden. Was also immer diesen Zweck zu

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erfüllen geeignet erscheint - und das wäre auch das Einlegen in eine verbotene Lotterie - ist mit nur gerade dieser Einschränkung untersagt und in Art. 38 Abs. 1 LG zudem mit Strafe bedroht. Das Gesetz strebt demnach einen umfassenden Schutz des Einzelnen vor den mit dem verbotenen Lotteriewesen verbundenen Gefahren an, und straft konsequenterweise einzig denjenigen nicht, dem dieser Schutz effektiv gilt (STAEHELIN, a.a.O., S. 94). Die Ausnahmebestimmung von Art. 38 Abs. 2 LG extensiv über den ihr zukommenden Sinn hinaus zu interpretieren und Handlungen straflos zu erklären, von denen gleichartige in Art. 4 LG ausdrücklich untersagt sind, wäre unter diesen Umständen nicht gerechtfertigt. Dass die Kollegen von X. an sich selber hätten einlegen können, ist, weil sie es in Wirklichkeit nicht taten, belanglos. Ebenso kommt auf das Motiv des Handelns von X. nichts an.
Hat X. demnach nicht in eine verbotene Lotterie eingelegt und diente sein Handeln anderseits dem Lotteriezweck, so ist er gemäss Art. 38 Abs. 1 LG strafbar, wenn er von Kollegen mit ihrem Namen und ihrer Adresse versehene Abschnitte der deutschen "6 aus 49er" Wette entgegennahm, um sie in Deutschland bei einer der dortigen Annahmestellen gegen Entrichtung des verlangten Einsatzes für sie abzugeben. Die Strafuntersuchung gegen ihn ist in diesem Punkte zu Unrecht eingestellt worden.
d) X. hat darüber hinaus 21 leere Abschnitte der "6 aus 49er" Wette in die Schweiz eingeführt. Zu welchem Zweck dies geschah, ist den Akten nicht zu entnehmen. Angesichts der grossen Zahl der Abschnitte erscheint es als wenig wahrscheinlich, dass er diese zu eigenem Einlegen zu verwenden beabsichtigte, sondern es liegt der Schluss nahe, er habe diese an Dritte weitergegeben, sie ihnen vermitteln wollen. Das wäre als ebenfalls dem Lotteriezweck dienende Handlung strafbar, während der Bezug von Abschnitten im andern Fall, weil blosse Vorbereitung eigenen Einlegens, als straflos betrachtet werden müsste. Die Vorinstanz wird abzuklären haben, wie es sich diesbezüglich verhält, und je nach dem Ergebnis der dahingehenden Abklärungen X. auch deswegen dem urteilenden Richter zu überweisen oder aber die Untersuchung in diesem Punkte aufzuheben haben.


BGE 102 IV 128 (134):

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.