BGE 103 IV 96
 
27. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. Januar 1977 i.S. K. und M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
 
Regeste
Art. 204 StGB.
 


BGE 103 IV 96 (96):

Aus den Erwägungen:
a) Die Vorinstanz hat der "Publitest-Studie" aus Gründen des kantonalen Prozessrechts die Beweiskraft abgesprochen. Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde kann aber weder die Verletzung kantonaler Prozessvorschriften noch die Beweiswürdigung gerügt werden (Art. 269 BStP). Insoweit kann daher auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.


BGE 103 IV 96 (97):

b) Bei der "Unzüchtigkeit" im Sinne von Art. 204 StGB handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der inhaltlicher Ausfüllung bedarf. Diese hat sich nach dem Sinn und Zweck der Norm und den durch die Rechtsordnung geschützten Werten zu richten (BGE 99 Ia 138, BGE 96 I 373). Es geht dabei um Gesetzesauslegung, also um die Beantwortung einer Rechtsfrage, die Sache des Richters ist (BGE 98 Ib 481). Müsste hiefür in jedem Fall eine Meinungsumfrage durchgeführt werden, an deren Ergebnis der Richter, wenn er es als beweiskräftig erachtet, gebunden wäre, so würde dadurch der richterliche Entscheid im wesentlichen vorweggenommen. Eine solche Folge wäre mit Art. 204 StGB nicht vereinbar.
Damit ist nicht gesagt, dass es dem Richter von Bundesrechts wegen versagt sei, sich der demoskopischen Umfrage zu bedienen, um rechtlich relevante Publikumsmeinungen zu ermitteln. Vorausgesetzt ist jedoch, dass solche Erhebungen nach kantonalem Prozessrecht zulässig sind, nach Art ihrer Durchführung als taugliches Beweismittel erscheinen und vom Richter wie andere Beweise frei gewürdigt werden (Art. 249 BStP).
c) Mit der eingereichten Studie soll das sittliche Empfinden des Durchschnittsbürgers ermittelt und damit dem Richter die Beantwortung der Frage ermöglicht werden, ob der zu beurteilende Film dieses Empfinden in nicht leicht zu nehmendem Masse verletze. Die Studie vermag hiefür den Anforderungen an ein taugliches Beweismittel nicht zu genügen. Sie ist schon im Ausgangspunkt unrichtig, indem die Einstellung zu "Sexfilmen" erkundet wurde. Diese Bezeichnung ist noch weniger eindeutig als der Begriff "unzüchtig". Reklame, Publikum und Kritik verstehen darunter alles mögliche, von leicht erotischen Komödien über wissenschaftliche Aufklärungsfilme und künstlerisch gestaltete "Edelporno" bis zu harter Pornographie. Je nachdem, an welche Kategorie von Sexfilmen der Befragte denkt, wird seine Antwort für die Grenzziehung im allgemeinen und für die Einordnung des "Schulmädchen-Reports 5. Teil" nach der einen oder anderen Richtung falsch oder jedenfalls nicht schlüssig sein. Noch weniger brauchbar sind die Angaben von Personen, die keinen oder keinen vergleichbaren Sexfilm gesehen haben. Sie urteilen zwangsläufig vom Hörensagen oder nach vorgefassten, meist extremen Meinungen. Lediglich auf die Aussagen von Sexfilmbesuchern

BGE 103 IV 96 (98):

abzustellen, verbietet sich aber ebenfalls, wenn die Reaktion des Durchschnittsbürgers erkundet werden soll. Wer wiederholt ins Kino geht, um Sexfilme der zu beurteilenden Art anzusehen, fühlt sich offenbar in seinen sittlichen Empfindungen auch im Grenzbereich des objektiv Unzüchtigen noch nicht verletzt. Seine laxere Einstellung ist ebensowenig Massstab für den Bevölkerungsdurchschnitt wie die Überempfindlichkeit puritanischer Bevölkerungskreise. Im übrigen wäre eine zuverlässige Meinungsforschung selbst dann kaum durchzuführen, wenn der inkriminierte Film einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung vorgeführt würde, da die Antworten wohl häufig nicht ganz ehrlich lauten, sondern auf Konventionen, etc. Rücksicht nehmen würden. Das gilt vermehrt für private Erhebungen, bei denen die Befragten keiner Wahrheitspflicht unterliegen.
d) Das Obergericht hat daher Bundesrecht nicht verletzt, wenn es nicht auf die eingereichte Studie abstellte, die beantragte Meinungsumfrage ablehnte und den Entscheid aufgrund selbständig wertender Rechtsfindung fällte.