BGE 103 IV 251 |
69. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1977 i.S. J. gegen Generalprokurator des Kantons Bern |
Regeste |
Art. 212 StGB; Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Bilder. |
Sachverhalt |
A.- J. ist Chefredaktor der vom Schweizerischen Zwinglibund herausgegebenen Zeitschrift "Spot", die sich vorwiegend an junge Leute von 15 bis 24 Jahren richtet. In der Ausgabe vom Juni 1976 erschien unter dem Titel "Unaufgeklärter als ihr Ruf ..." ein von ihm mitverfasster Artikel über Jugendsexualität, der mit von ihm ausgewählten Abbildungen aus "Zeig mal", einem in Deutschland erschienenen Bilderbuch für Kinder und Eltern, illustriert war. Eine davon zeigt den cunnilinguus, eine andere die fellatio. |
B.- Das Obergericht des Kantons Bern sprach J. am 16. August 1977 der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig und verurteilte ihn zu Fr. 100.-- Busse.
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C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragte J. Aufhebung dieses Urteils und Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung.
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Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Gemäss Art. 212 StGB macht sich der Gefährdung Jugendlicher durch unsittliche Schriften und Bilder schuldig, wer Schriften oder Bilder, die geeignet sind, die sittliche oder gesundheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls zu gefährden, Personen unter achtzehn Jahren anbietet, verkauft oder ausleiht. |
Diese Bestimmung überschneidet sich mit Art. 204 Ziff. 2 StGB, der denjenigen mit Gefängnis oder Busse bedroht, welcher unzüchtige Gegenstände einer Person unter 18 Jahren übergibt oder vorzeigt. Art. 212 StGB ergänzt Art. 204 Ziff. 2 StGB u.a. insoweit, als er schon unsittliche und nicht erst unzüchtige Schriften und Bilder im engern Sinne erfasst. Nicht nötig ist also, dass die unter Art. 212 StGB fallenden Bilder das geschlechtliche Anstandsgefühl auch normal empfindender Erwachsener in nicht leicht zu nehmender Weise verletzen. Abzustellen ist vielmehr auf die Wirkung, welche die Schriften oder Bilder auf Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben können: Sie müssen geeignet sein, diese durch Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls in ihrer sittlichen oder gesundheitlichen Entwicklung zu gefährden. Blosse Eignung genügt. Dass ein Kind oder ein Jugendlicher die Schriften oder Bilder tatsächlich wahrgenommen und deswegen, infolge Überreizung oder Irreleitung des Geschlechtsgefühls, in seiner gesundheitlichen Entwicklung Schaden genommen hat, ist nicht erforderlich (BGE 103 IV 173; ferner BGE 99 Ib 69 und BGE 100 Ib 368 f.).
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Die Einwände des Beschwerdeführers dringen nicht durch. Sowenig es bei Art. 204 StGB darauf ankommt, ob eine Veröffentlichung der eigentlichen sexuellen Schmutz- und Schundliteratur zuzurechnen ist, sofern sie sich nur als unzüchtig erweist, sowenig kann das bei der diese Vorschrift ergänzenden Jugendschutzbestimmung von Art. 212 StGB der Fall sein, nach welcher zur Tatbestandsvollendung die objektive Eignung der Schrift oder eines Bildes zur Gefährdung der sittlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen genügt. Ist einzig diese objektive Eignung zur Gefährdung entscheidend, so bleibt die vom Verfasser oder Herausgeber mit einer solchen Veröffentlichung verfolgte Absicht, sei es auch jene wohlgemeinter Sexualerziehung, unbeachtlich. Dass sich der Behauptung des Beschwerdeführers entsprechend Kinder und Jugendliche durch sexuelle Darstellungen generell viel weniger schockieren lassen, als dies von Erwachsenen gemeinhin angenommen werde, ist, falls überhaupt zutreffend, deshalb unerheblich, weil nicht einzig, was schockiert, die sittliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu gefährden objektiv geeignet ist. Text und Illustration einer Veröffentlichung sind zwar, auch wenn sie auseinanderfallen, grundsätzlich in ihrer Gesamtwirkung zu beurteilen, aber nur, sofern nicht bestimmte Teile des Textes oder der Illustration durch die Intensität ihrer Wirkung selbständige Bedeutung erlangen und daher für sich allein den Straftatbestand objektiv erfüllen (unveröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 7. Mai 1975 in Sachen S.). Das ist vorliegend hinsichtlich der beiden in Frage stehenden Abbildungen der Fall. Sie gehen trotz der an sich nicht zu beanstandenden Darstellungsweise in ihrem Gehalt und in ihrer Wirkung auf den jugendlichen Betrachter über jene der übrigen Abbildungen deutlich hinaus und stehen zu diesen in keinem erkennbaren Zusammenhang. Ohne erkennbaren Bezug zum vorwiegend behandelten Thema der Empfängnisverhütung in einer für Jugendliche bestimmten Zeitschrift vorgezeigt, sind solche Abbildungen von oral-genitalen Praktiken selbständig geeignet, unreife Jugendliche in ihrer sittlichen Entwicklung zu gefährden. |
Der Beschwerdeführer ging nach seinen eigenen Anbringen nicht von einer irrigen Vorstellung über den Sachverhalt aus, sondern nahm irrtümlich an, sein Verhalten sei nicht strafbar. Einzig Rechts-, nicht auch Sachverhaltsirrtum kann daher in Frage stehen. Wenn nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) der Beschwerdeführer indessen der Sache selber nicht recht traute, von Anfang an unsicher war, ob überhaupt und allenfalls welche Abbildungen aus "Zeig mal" abgedruckt werden sollten, aber nichts zur Beseitigung seiner Unsicherheit vorkehrte, sondern im blinden Vertrauen darauf, seine Bedenken seien unbegründet und er werde daher nichts Unrechtes tun, die fraglichen Abbildungen veröffentlichen liess, so handelte er keineswegs aus zureichenden Gründen, wie sie Art. 20 StGB für die Annahme von Rechtsirrtum verlangt. Soweit bei ihm überhaupt ein Irrtum hinsichtlich der Rechtswidrigkeit seines Tuns vorlag, so wäre dieser durch die unter solchen Umständen gebotene Erkundigung an zuständiger Stelle (vgl. BGE 92 IV 73, 82 IV 17, 81 IV 196) ohne weiteres vermeidbar gewesen. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde aufgestellte Behauptung, die Dokumentationsstelle zur Bekämpfung von jugend- und volksschädigenden Druckerzeugnissen und das kantonale Jugendamt hätten keine Auskunft erteilt, ist als neues Sachvorbringen unbeachtlich (Art. 273 Abs. 1 Bst. b BStP). |
Demnach erkennt das Bundesgericht:
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