BGE 105 IV 111
 
30. Urteil des Kassationshofes vom 22. Mai 1979 i.S. C. gegen A. (Nichtigkeitsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 173 StGB. Begriff der Ehre.
 
Sachverhalt


BGE 105 IV 111 (111):

A.- Frau A. richtete am 10. Juni 1976 an ihren Bruder B. ein Schreiben, in dem auf einen Familienstreit Bezug genommen wurde.


BGE 105 IV 111 (112):

Der Brief enthielt u.a. eine Stelle, die den Bruder C., Dr. med. dent., betraf und folgenden Wortlaut hat:
"Bärbeli hat unter der C.-Angelegenheit schon genug gelitten (der Zustand
seines Gebisses - Stellung der Zähne - ist katastrophal und wird sich
wohl nie mehr ganz in Ordnung bringen lassen; nach Ansicht unseres jetzigen
Zahnarztes hätte dies vor 2 bis 3 Jahren gemacht werden sollen, doch haben
wir leider auf C. vertraut)."
B.- C., der vom erwähnten Passus Kenntnis erhielt, reichte gegen die Verfasserin des Briefes Klage wegen übler Nachrede ein.
Das Landgericht Uri erklärte in einem Vorentscheid, der Tatbestand der üblen Nachrede sei erfüllt, die Beklagte sei zum Wahrheitsbeweis zuzulassen.
Das Obergericht Uri hob am 18. Oktober 1978 in Gutheissung der Berufung der Beklagten den Vorentscheid auf, weil es fand, die eingeklagte Äusserung sei nicht ehrverletzend im Sinne des Art. 173 Ziff. 1 StGB.
C.- C. beantragt mit Nichtigkeitsbeschwerde, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung der Beklagten wegen übler Nachrede an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2. Der Beschwerdeführer geht davon aus, die Beschwerdegegnerin befasse sich in ihrem Brief zur Hauptsache mit dem Familienstreit und habe keinen andern Zweck verfolgt, als den Empfänger des Briefes auf ihre Seite zu ziehen. Dieser habe daher auch die eingeklagte Briefstelle als Äusserung im Familienstreit auffassen müssen und sie nicht bloss als Kritik an den beruflichen Fähigkeiten, sondern als Angriff auf die Zuverlässigkeit

BGE 105 IV 111 (113):

seines Bruders verstehen müssen. Diese Betrachtungsweise widerspricht der Rechtsprechung. Massgebend ist nicht, wie die Briefstelle vom Briefempfänger verstanden wurde; entscheidend ist einzig, welchen Sinn ihr ein unbefangener Dritter nach den Umständen beilegen musste (BGE 92 IV 96 /97).
3. Die Beschwerdegegnerin wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe es unterlassen, die äusserst schlechte Stellung der Zähne ihres Kindes rechtzeitig zu korrigieren, so dass dieser Mangel wohl nie mehr ganz behoben werden könne. Sie begründet ihre Befürchtung ausdrücklich mit der Meinungsäusserung eines anderen Zahnarztes, der die Ansicht vertrat, Massnahmen zur Änderung der Zahnstellung hätten schon 2 bis 3 Jahre früher ergriffen werden müssen. Die Frage des richtigen Zeitpunktes der Behandlung ist eine solche rein fachtechnischer Natur. Wenn daher die Beschwerdegegnerin gestützt auf die Meinung eines anderen Fachmannes beanstandet, der Beschwerdeführer habe nichts vorgekehrt, um mit der Behandlung rechtzeitig zu beginnen, so bezieht sich dieser Vorwurf nur auf das fachliche Können des Beschwerdeführers, schmälert also lediglich sein berufliches Ansehen als Zahnarzt, ohne ihn dadurch in seiner persönlichen Ehre zu treffen. Weder kann der Briefstelle entnommen noch aus ihrem Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Briefes abgeleitet werden, der Beschwerdeführer werde allgemein eines Mangels an Pflichtgefühl, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit oder sonst einer Eigenschaft bezichtigt, die geeignet wäre, ihn als Mensch verächtlich zu machen oder seinen Charakter in ein ungünstiges Licht zu rücken. Der Umstand allein, dass die Verfasserin des Briefes Ärztin ist, verleiht ihrer Rüge keinen anderen Sinn als den einer fachlichen Kritik. Auch die Bemerkung, man habe leider auf den Beschwerdeführer vertraut, hat keine darüber hinausgehende Bedeutung. Dass die Beschwerdegegnerin wegen der nach ihrer Meinung ungenügenden Leistung ihres Bruders sich in ihren Erwartungen getäuscht sah und bedauerte, ihm ihr Kind anvertraut zu haben, entspricht einer normalen Reaktion, welche die Geltung des Beschwerdeführers als ehrbarer Mensch nicht berührt. Ein Patient, der einem Arzt wegen beruflichen Ungenügens das Vertrauen entzieht und seiner Enttäuschung Ausdruck gibt, ohne den Betroffenen persönlich herabzuwürdigen, handelt nicht ehrverletzend.


BGE 105 IV 111 (114):

Demnach erkennt des Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.