BGE 109 IV 125 |
34. Urteil des Kassationshofes vom 17. Oktober 1983 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 229 StGB; Unfall in einer Baugrube. |
2. Das in Art. 14 und 19 der genannten Verordnung über Böschungsneigungen und Verspriessungen Ausgeführte gilt nicht nur für schmale Vertiefungen, sondern sinngemäss für alle Grabungen, auch für Baugruben grösseren Ausmasses. |
Sachverhalt |
A.- I. leitete am 19. Februar 1981 als Baupolier auf einem Grundstück in Z. den Aushub einer Grube zur Erweiterung des Kellers eines bestehenden Einfamilienhauses. Als eine Tiefe von 2,1 m und eine Grundfläche von 4,25 m x 3,7 m erreicht waren, stürzte eine Wand der nicht verspriessten Baugrube auf einer Länge von ca. 3,4 m und einer Breite von ca. 1 m ein und begrub den Arbeiter M. unter sich. Trotz sofortiger Befreiung konnte dieser nur noch tot geborgen werden. |
B.- a) Das Bezirksamt Bremgarten verurteilte I. mit Strafbefehl vom 26. Oktober 1981 wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 10 Tagen und zu einer Busse von Fr. 500.--.
|
b) Auf Einsprache des I. kam das Bezirksgericht Bremgarten mit Urteil vom 16. September 1982 zum Schluss, der Verzicht auf die Verspriessung habe unter den gegebenen Umständen nicht gegen Regeln der Baukunde verstossen und stelle keine Fahrlässigkeit dar.
|
c) Die gegen den Freispruch eingereichte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Obergericht des Kantons Aargau am 19. Mai 1983 gutgeheissen. I. wurde wegen fahrlässiger Gefährdung durch Verletzung der Regeln der Baukunde und wegen fahrlässiger Tötung (Art. 229 Abs. 2 und Art. 117 StGB) mit einer Busse von Fr. 400.-- bestraft.
|
C.- Gegen das Urteil des Obergerichts führt I. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückzuweisen.
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: |
1. Die angefochtene Verurteilung beruht auf dem Vorwurf, gemäss den in der Verordnung über die Unfallverhütung beim Graben- und Schachtbau sowie bei ähnlichen Arbeiten (vom 13. September 1963; SR 832.311.11) umschriebenen Regeln hätte im vorliegenden Fall die 2,1 m tiefe Grube verspriesst werden müssen, um der Gefahr eines Einsturzes zu begegnen. |
a) Diese bundesrätliche Verordnung unterscheidet bei den Grabarbeiten zwischen senkrecht abgeteuften Gräben und Schächten (Art. 13), welche bei einer Tiefe von über 1,5 m verspriesst werden müssen (Art. 19), und den nicht senkrecht ausgehobenen, nicht verspriessten Gräben und Schächten, welche mit einer der Standfestigkeit des Materials angepassten Neigung abzuböschen sind (Art. 14). Im vorliegenden Fall waren die Seitenwände der Grube senkrecht, sie wiesen keine dem Art. 14 der Verordnung entsprechende Böschungsneigung auf. Es waren keine Verspriessungen angebracht worden, weil der Beschwerdeführer und seine Mitarbeiter glaubten, angesichts der Festigkeit des Bodens sei dies nicht nötig. Dass eine sachgemässe Verspriessung den verhängnisvollen Unfall verhindert hätte, ist unbestritten.
|
b) Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird geltend gemacht, die erwähnte Unfallverhütungsverordnung sei nur auf eigentliche Gräben und Schächte sowie auf ähnliche schmale Verteufungen im Erdreich anwendbar, nicht aber auf gewöhnliche, nicht enge Baugruben, in welchen der Bauarbeiter vor abstürzendem Wandmaterial zurückweichen könne. Aus diesem Grunde (Ausweichmöglichkeit) drängten sich in der Regel beim Aushub gewöhnlicher Baugruben keine besonderen Sicherheitsmassnahmen im Sinne der bundesrätlichen Verordnung auf.
|
c) Sicher ist die spezifische Unfallgefahr bei engen Gräben und Schächten besonders gross, und die Bestimmungen der Verordnung befassen sich deshalb vor allem mit den Massnahmen beim Erstellen enger, tiefer Gräben. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, bei grösseren Baugruben sei der Sicherung der Wände und der Vermeidung der Einsturzgefahr nicht die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken, weil der Bauarbeiter herabstürzendem Material ausweichen könne. Ob das rechtzeitige Ausweichen gelingt, hängt von zufälligen Faktoren ab (Standort, Aufmerksamkeit, Beweglichkeit). Wie verhängnisvoll ein relativ geringer Einsturz sein kann, auch wenn Platz zum Ausweichen vorhanden ist, zeigt der vorliegende Fall.
|
Der Wortlaut der Verordnung stellt zwar die schmalen Vertiefungen (Gräben, Schächte, Schlitze) in den Vordergrund, doch enthält der Erlass keine Bestimmung, welche den Schluss zuliesse, bei Gruben von einem "genügenden" Ausmass (zum Ausweichen?) könne auf Massnahmen zur Sicherung der Wände verzichtet werden. Was in den Art. 14 und 19 der Verordnung über Böschungsneigungen und Verspriessungen festgelegt ist, gilt sinngemäss für alle Grabungen, auch für Baugruben grösseren Ausmasses. |
Dass die Einsturzgefahr im konkreten Fall grösser war, als man zunächst annehmen mochte, weil hinter einer abgebrochenen Mauer nicht gewachsener Boden, sondern aufgeschüttetes Terrain angeschnitten wurde, ist für die Frage der Strafbarkeit und das Mass des Verschuldens nicht entscheidend; denn die Fahrlässigkeit liegt darin, dass der Beschwerdeführer sich über die Unfallverhütungsvorschriften der erwähnten Verordnung hinwegsetzte. Ob er dabei das konkrete Risiko aus begreiflichen Gründen nicht richtig einschätzte, ist von untergeordneter Bedeutung. Die noch so gut vertretbare Meinung, ein Vorgehen sei nicht gefährlich, befreit nicht von der Pflicht zur Einhaltung der ohne Einschränkung geltenden Sicherheitsbestimmungen, welche ja gerade verhindern sollen, dass schwer erkennbare Risiken sich verwirklichen.
|
Das Obergericht hat daher keine Bestimmung des Bundesrechts verletzt, indem es die Nichtbeachtung der Richtlinien der Verordnung vom 13. September 1963 als Verletzung einer anerkannten Regel der Baukunde im Sinne von Art. 229 StGB qualifizierte. Durch Missachtung der Regel, dass eine Grabung von mehr als 1,5 m Tiefe bei senkrechten Wänden verspriesst (oder dann abgeböscht) werden muss, verursachte der Beschwerdeführer fahrlässig eine Gefährdung für die auf dieser Baustelle tätigen Mitarbeiter. Dass er die Frage einer Verspriessung mit seinen Untergebenen diskutiert hatte, vermag den Beschwerdeführer als verantwortlichen Polier strafrechtlich nicht zu entlasten, beweist aber, dass er sich das Risiko überlegte; das gefährliche Unterlassen der Spriessung war nicht selbstverständlich. In fehlerhafter Einschätzung der Lage und unter Missachtung der Vorschriften der Unfallverhütungsverordnung entschloss er sich zu dieser Vereinfachung der Arbeit.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|