BGE 111 IV 151 |
38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Juli 1985 i.S. S. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde) |
Regeste |
Art. 259 Abs. 1 und 2 StGB. Art. 10 EMRK. |
2. Frage der verfassungskonformen und Art. 10 EMRK entsprechenden Auslegung (E. 6). |
Sachverhalt |
A.- Am 9. Dezember 1982, 00.30 Uhr, wurde S. am Predigerplatz in Zürich von Beamten der Stadtpolizei angetroffen, als er im Begriffe war, das Plakat "Abbruchstop am Tessinerplatz!!!" auf eine Strassensignalisationstafel zu kleben. Er hatte 15 weitere gleichartige Plakate auf sich, die bereits mit Fischkleister behandelt und somit zum Aufkleben vorbereitet waren. |
Der Plakattext lautete (auszugsweise):
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"ES WEIHNACHTET IN DER STADT ... und so haben die aktionen der
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letzten zeit - brand anschläge, scherben, buttersäure, drohungen, etc.
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- in zusammenhang mit dem abbruch am TESSINERPLATZ erste erfolge
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gezeigt. die geschäftlimacher der innenstadt (CITY-VEREINIGUNG), die
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fürchten, dass ihr weihnachtsbusiness zum (stink-) bombengeschäft wird,
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haben sich für einen abbruchstop am TESSINERPLATZ eingesetzt - bis zum
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24. dezember, so wollen sie unser stillhalten erschwindeln."
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ist unsere chance. LASST WEITERHIN EURE FANTASIE WALTEN!"
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"AUTONOME (GEHIRN-) ZELLEN AN DIE ARBEIT!"
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B.- Am 6. April 1984 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich S. wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen und Gewalttätigkeit (Art. 259 Abs. 1 und 2 StGB) sowie wegen eines weiteren Deliktes zu sechs Monaten Gefängnis, abzüglich ein Tag Untersuchungshaft, als Zusatzstrafe zu einem eigenen Urteil vom 26. April 1983.
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C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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D.- Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: |
a) Der in Art. 259 Abs. 1 und 2 StGB verwendete Begriff der "Aufforderung" ist kein anderer als der im verwandten Tatbestand der Aufforderung und Verleitung zur Verletzung militärischer Dienstpflicht (Art. 276 StGB) enthaltene. Wie das Bundesgericht in Auslegung dieser letzteren Bestimmung entschieden hat, bedarf es zur Annahme einer Aufforderung einer Äusserung von einer gewissen Eindringlichkeit, die nach Form und Inhalt geeignet ist, den Willen der Adressaten zu beeinflussen (BGE 99 IV 94, BGE 97 IV 105). Ein solcher Appell muss jedoch das Delikt, zu dessen Begehung aufgerufen wird, nicht explizit, d.h. mit Namen nennen (Hafter, BT I S. 452; Logoz, BT II S. 559; offenbar anderer Meinung Stratenwerth, 3. Aufl., BT II S. 201). Es genügt, wenn für den unbefangenen Leser aus dem Text des Aufrufs erkennbar ist, auf was für ein Verbrechen oder Vergehen der Täter abzielt. Das aber kann sich aus dem Gesamtzusammenhang jenes Appells ergeben. Entsprechend hat denn auch der Kassationshof in einem den Art. 276 StGB betreffenden Anwendungsfall auf den gesamten Zusammenhang des Textes abgestellt und selbst eine in Frageform gehaltene Äusserung als Aufforderung zur Verweigerung der Militärdienstpflicht genügen lassen (nicht veröffentlichtes Urteil vom 14. Dezember 1973 i.S. F. und Kons.). Es besteht kein Grund, Art. 259 Abs. 1 und 2 StGB insoweit enger zu fassen. |
b) Geht man vom Text des Flugblatts aus, das der Beschwerdeführer am 9. Dezember 1982 am Predigerplatz in Zürich auf eine Signalisationstafel geklebt hat, so kann kein Zweifel bestehen, dass damit namentlich zur Begehung von Brandanschlägen, Sachbeschädigungen usw., d.h. zu "Aktionen" aufgerufen wurde, wie sie nach dem ausdrücklichen Hinweis im Plakattext in "der letzten Zeit" durchgeführt wurden, um den "Geschäftemachern der Innenstadt", den "Bonzen" Angst einzujagen. Mit dem Appell an die "Autonomen (Gehirn-)Zellen", sich an die "Arbeit" zu machen, wurden die Leser eindringlich aufgerufen, erneut in gleicher oder ähnlicher Art vorzugehen, um jenen "Geschäftemachern" keine Ruhe zu lassen. Das war für den unbefangenen Leser des Textes ohne weiteres erkennbar. Dieser wurde damit - wie die Vorinstanz zutreffend annahm - zu Verbrechen bzw. zu Vergehen mit Gewalttätigkeiten zumindest gegen Sachen aufgerufen, und es wurde nicht bloss eine Billigung solcher Aktionen zum Ausdruck gebracht. Dass unter den bereits durchgeführten Aktionen auch die Verwendung stinkender Buttersäure erwähnt wurde, ändert am Gesagten nichts. Auch wenn in der Verwendung eines solchen Mittels keine Gewalttätigkeit im Sinne des Gesetzes liegen sollte, bleibt jedenfalls die Tatsache bestehen, dass der Aufruf Brandanschläge und Sachbeschädigungen einschloss, die zweifellos Delikte darstellen, zu deren Begehung nach Art. 259 StGB nicht ungestraft öffentlich aufgefordert werden darf.
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2. Die Aufforderung war zudem eine öffentliche, hat doch der Beschwerdeführer das Plakat in Zürich auf dem Predigerplatz auf eine dortige Strassensignalisationstafel aufgeklebt, wo es von einem unbestimmten Personenkreis gesehen und gelesen werden konnte. Dass - wie S. meint - der Auffordernde die "Frechheit" haben müsse, selber öffentlich aufzutreten, verlangt Art. 259 StGB nicht. Das Gesetz spricht einzig von der öffentlichen Aufforderung, nicht auch davon, dass der Auffordernde sich bei seinem Appell persönlich einem unbestimmten Kreis von Personen zeigen müsse. |
6. Der Einwand des Beschwerdeführers schliesslich, die Auslegung des Art. 259 StGB durch das Obergericht verletze das verfassungsmässige Recht der Meinungsäusserungsfreiheit und den Art. 10 EMRK, ist unbegründet. Die vorinstanzliche Interpretation des Art. 259 StGB entspricht Sinn und Zweck dieser Norm, und es ist nicht ersichtlich, inwiefern sie nicht verfassungskonform sein sollte. Der Beschwerdeführer übersieht zudem, dass die Meinungsäusserungsfreiheit grundsätzlich nur im Rahmen der jeweiligen Gesetzgebung gewährleistet ist (s. BGE 107 IV 210 E. 2a) und dass im Rahmen der eng umschriebenen Tatbestände des StGB für eine über die teleologische Auslegung der Norm selber hinausreichende Interpretation nach der Verfassung praktisch kein Raum bleibt. Im übrigen enthält auch Art. 10 Ziff. 2 EMRK einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten der in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der öffentlichen Sicherheit usw. gesetzlich vorgesehenen Strafdrohungen.
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