BGE 141 IV 145 |
17. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_154/2015 vom 11. Mai 2015 |
Regeste |
Verfolgungsverjährung und Vollstreckungsverjährung bei Wiederaufnahme des Verfahrens; Beweisergänzungen im wieder aufgenommenen Verfahren (Art. 70 ff. aStGB, Art. 97 ff. StGB; Art. 397 aStGB, Art. 385 StGB; Art. 410 ff. und 414 StPO). |
Die Vollstreckungsverjährung, die mit der Vollstreckbarkeit des Urteils begann, läuft während des Wiederaufnahmeverfahrens und des wieder aufgenommenen Verfahrens weiter. Auch nach dem Eintritt der Vollstreckungsverjährung im wieder aufgenommenen Verfahren ist über die gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe zu entscheiden (E. 3). |
Im wieder aufgenommenen Verfahren können, genauso wie im ersten Verfahren, Beweisanträge gestellt werden (E. 6). |
Sachverhalt |
A. Die Genossenschaft A., Kiel, liess am 15. November 1994 über die B. Bank den Betrag von 63 Mio. Deutsche Mark (DM) auf ein Konto der C. AG beziehungsweise der D. Ltd. bei der Bank E. in Tel Aviv überweisen. Als Zahlungszweck wurde in der Bankanweisung vom 13. November 1994 "Festgeldbelegung bei einer Bank" angegeben. Am 22. November 1994 wurde der A. eine von X. und Y. namens der D. Ltd. unterzeichnete "Termingeldbestätigung" über eine vom 28. Oktober 1994 bis 23. Dezember 1994 laufende Festgeldanlage zugestellt. Darin wurde bestätigt, die Anlage werde zu 4,85 % p.a. verzinst. Mit Schreiben vom 24. November 1994 bestätigte die A. der D. Ltd. die Überweisung des Betrags von 63 Mio. DM. Die C. AG/D. Ltd. liess am 19. Dezember 1994 der A. eine von X. und Z. unterzeichnete Kontostandsanzeige zukommen, in welcher die Entgegennahme des Betrags von 63 Mio. DM als Festgeldanlage vom 28. Oktober 1994 bis 23. Dezember 1994 zu einem Zinssatz von 4,85 % p.a. bestätigt wurde. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1994 bestätigten X. und Z. im Namen der C. AG/D. Ltd. die Prolongation der Festgeldanlage für die Periode vom 23. Dezember 1994 bis 27. Januar 1995. Am 23. Dezember 1994 liess die C. AG/D. Ltd. der A. eine weitere Kontostandsanzeige zukommen, worin ein Betrag von DM 475'300.- als fällige Zinszahlung zur Festgeldanlage deklariert wurde. |
In einem Schreiben der Gesellschaft F., München, vom 7. November 1994 an die C. AG bestätigte die F., dass die C. AG für sie ein Depot für Sparkassen- und Sparbriefe in der Höhe von 3,7 Mrd. DM hielt. Mit Schreiben vom 10. November 1994 teilte G. von der F. dem Y. von der C. AG mit, der Betrag von 63 Mio. DM sei eine Provision der F. an die C. AG für die von dieser erbrachten Dienstleistungen. Im Brief wurde auch darum gebeten, 20 Mio. DM an H. und 3 Mio. DM an I., Mitinhaber der F., weiterzuleiten, was in der Folge auch geschah.
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B.a Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sprach X. am 26. Februar 2002 in weitgehender Bestätigung des Entscheids des Bezirksgerichts Zürich, 9. Abteilung, vom 28. November 2000 der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 aStGB), begangen im November 1994 zum Nachteil der A., sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (im Sinne von Art. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG) schuldig und verurteilte ihn zu 25 Monaten Gefängnis als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 28. August 2001.
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X. wird vorgeworfen, er habe als Mitarbeiter der C. AG an der unrechtmässigen Verwendung der als Festgeldanlage zu qualifizierenden Überweisung von 63 Mio. DM durch die A. bei der C. AG mitgewirkt.
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Auf eine von X. dagegen erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde trat das Bundesgericht mit Urteil 6S.199/2002 vom 6. Januar 2004 nicht ein mit der Begründung, dass die Beschwerde den Begründungsanforderungen nicht genügte und sich auf appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung beschränkte.
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B.b X. stellte am 11. Juli 2005 ein Revisionsgesuch. Die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich wies dieses mit Beschluss vom 7. November 2005 ab, soweit sie darauf eintrat. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hiess die von X. gegen den Beschluss der Revisionskammer erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde am 12. Oktober 2006 gut und wies die Sache zur neuen Entscheidung an die Revisionskammer zurück. Die Revisionskammer des Obergerichts des Kantons Zürich erachtete es in der Folge in ihrem Beschluss vom 19. Dezember 2006 für rechtsgenügend erstellt, dass der Belastungszeuge K. vorsätzlich falsch ausgesagt und dadurch den Tatbestand des falschen Zeugnisses (Art. 307 StGB) erfüllt hatte. Die Revisionskammer hiess daher das Revisionsgesuch gegen das Urteil der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. Februar 2002 gestützt auf § 449 Ziff. 1 aStPO/ZH gut und wies die Sache an das Bezirksgericht Zürich zurück mit der Anweisung, die Verhandlung soweit erforderlich zu wiederholen und ein neues Urteil zu fällen.
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C.
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C.a Das Bezirksgericht Zürich sprach X. am 13. Dezember 2007 erneut - diesmal nach revidiertem, da milderem Vermögensstrafrecht - der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (Art. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG) schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 26 ½ Monaten, welche es im Umfang von 14 ½ Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren bedingt aufschob und im Umfang von 12 Monaten unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 204 Tagen für vollziehbar erklärte. |
C.b X. erhob Berufung.
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Mit Eingabe vom 22. April 2009 beantragte X., es sei vorab die Frage der Verfolgungsverjährung zu entscheiden. Mit Vorbeschluss vom 4. Dezember 2009 erkannte die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, dass die inkriminierten Taten nicht verjährt waren. Dagegen erhob X. Beschwerde in Strafsachen. Darauf trat das Bundesgericht mit Urteil 6B_200/2010 vom 29. April 2010 nicht ein mit der Begründung, es seien nicht sämtliche Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG zur Anfechtung eines Vorentscheids erfüllt.
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D. Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X. mit Urteil vom 7. Januar 2015 der Gehilfenschaft zu Veruntreuung (Art. 25 in Verbindung mit Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen das Bankengesetz (aArt. 46 Abs. 1 lit. a und d BankG) schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 17 ½ Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 25. April 2003, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, unter Anrechnung von 204 Tagen Untersuchungshaft.
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E. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Januar 2015 sei aufzuheben. Er sei freizusprechen, eventualiter sei das Strafverfahren gegen ihn einzustellen, subeventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm eine angemessene Genugtuung auszurichten und die am 15. Februar 1996 geleistete Fluchtkaution im Betrag von Fr. 25'000.- herauszugeben.
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F. Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 2 |
2.1 Der Beschwerdeführer machte im kantonalen Verfahren geltend, die inkriminierten Handlungen seien verjährt. Die Vorinstanz verneint dies. Zur Begründung verweist sie vollumfänglich auf ihre Beschlüsse vom 4. Dezember 2009 und vom 4. März 2013. |
Der Beschwerdeführer soll die inkriminierten Handlungen im November/Dezember 1994 und damit vor dem Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Oktober 2002 begangen haben. Das neue Recht findet im vorliegenden Fall keine Anwendung, da es nicht milder als das alte ist. Nach dem neuen Recht hört die Verfolgungsverjährung in jedem Falle mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen auf. Demgegenüber kann die Verfolgungsverjährung nach dem alten Recht je nach den Umständen im Rechtsmittelverfahren beziehungsweise nach Gutheissung eines Rechtsmittels weiterlaufen.
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2.3 Das alte Recht enthielt keine Bestimmung betreffend das Ende der Verfolgungsverjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts hörte die Verjährung mit der Ausfällung eines in Rechtskraft erwachsenden Entscheids insoweit zu laufen auf, als der Beschuldigte dadurch verurteilt wurde. Soweit der Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, lief die Verjährung weiter. Ob die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen oder erst mit der Ausfällung des oberinstanzlichen verurteilenden kantonalen Erkenntnisses zu laufen aufhörte, hing gemäss der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht von der mitunter nicht einfach zu beantwortenden Frage ab, ob nach dem massgebenden kantonalen Prozessrecht das Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid als ein den Eintritt der Rechtskraft hemmendes ordentliches (Berufung, Appellation) oder als ein den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmendes ausserordentliches (Nichtigkeitsbeschwerde, Kassationsbeschwerde) Rechtsmittel ausgestaltet war. Im letztgenannten Fall endete die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der Beschuldigte verurteilt wurde. Im erstgenannten Fall hingegen lief die Verjährung während des Berufungs- beziehungsweise Appellationsverfahrens weiter, obschon der Beschuldigte durch den erstinstanzlichen Entscheid verurteilt worden war, und konnte somit während des Berufungs- respektive Appellationsverfahrens die Verjährung eintreten. Die Verjährung lief auch im Falle eines Freispruchs durch die Berufungs- beziehungsweise Appellationsinstanz weiter und konnte daher während eines bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gegen das freisprechende letztinstanzliche kantonale Urteil eintreten, was zur Folge hatte, dass das Bundesgericht auf die Beschwerde nicht eintrat. Wurde hingegen der Beschuldigte durch den Entscheid der Appellations- beziehungsweise Berufungsinstanz verurteilt, so hörte die Verfolgungsverjährung mit dem Eintritt der Rechtskraft des Entscheids zu laufen auf. Wenn das verurteilende Erkenntnis vom Bundesgericht in Gutheissung einer Beschwerde aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wurde, nahm die Verfolgungsverjährung ihren Fortgang und lief der im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch verbliebene Rest der Verjährung ab Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils weiter (BGE 139 IV 62 E. 1.5.3 mit Hinweisen). |
Erwägung 3 |
(...)
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Die Vorinstanz teilt im angefochtenen Urteil diese Auffassung. Es bestehe kein Anspruch auf erneute Überprüfung aller bestrittenen Tatsachen. Dies schliesse ein komplett neues Beweisverfahren und vor allem das nachgeschobene Geltendmachen längst bekannter Beweisofferten aus. Die Vorinstanz erwägt unter Hinweis auf eine Meinungsäusserung in der Lehre, auch gemäss dem neuen Revisionsrecht nach der Schweizerischen Strafprozessordnung falle im Revisionsverfahren eine Überprüfung aller Tat- und Rechtsfragen als dem Wesen der Revision widersprechend ausser Betracht. Falls eine klare Trennung möglich sei, habe die neue Beurteilung lediglich die Noven zu erfassen; anders verhalte es sich nur, wenn das frühere Urteil mit offensichtlichen Mängeln behaftet sei (angefochtener Entscheid mit Hinweis auf MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 12 zu Art. 414 StPO). |
6.3 Für den Fall der Gutheissung des Wiederaufnahmebegehrens stellt das Strafgesetzbuch in seinen Bestimmungen betreffend die Revision (Art. 385 StGB; aArt. 397 StGB) keine Vorschriften darüber auf, nach welchen prozessualen Grundsätzen das neue Sachurteil auszufällen ist. Namentlich unter anderem die Festsetzung der Überprüfungsbefugnis des neuen Sachrichters war bis zum Inkrafttreten der eidgenössischen Strafprozessordnung den Kantonen überlassen (BGE 85 IV 234; BGE 86 IV 77; Urteil 6S.421/2003 vom 6. Februar 2004 E. 2.3). Wird die Wiederaufnahme beschlossen, so hebt das Gericht das frühere Urteil auf und weist die Akten an dasjenige Gericht, welches erstinstanzlich erkannt hatte, mit dem Auftrag zurück, die Verhandlung soweit erforderlich zu wiederholen und ein neues Urteil auszufällen (§ 454 Abs. 1 aStPO/ZH). Das Gericht hat im wieder aufgenommenen Verfahren ex nunc zu entscheiden. Dabei sind alle alten und neuen Beweise und Vorbringen, also jene des Bewilligungsverfahrens sowie die in der neuen Hauptverhandlung vorgebrachten, zu berücksichtigen und frei zu würdigen (SCHMID, a.a.O., N. 11 zu § 454 StPO/ZH). Das Gericht muss im wieder aufgenommenen Verfahren auf der Grundlage des aktuellen Stands der Tatsachen entscheiden und nicht, wie im Beschwerdeverfahren, auf der Basis des dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts (BGE 107 IV 133 E. 2a). Dem Sachrichter im wieder aufgenommenen Verfahren ist es nicht verwehrt, Tat- und Rechtsfragen anders zu entscheiden als der Sachrichter im aufgehobenen Urteil, wenn ihm die Überzeugung vom Vorhandensein der früher angenommenen Tatsachen fehlt oder ihre seinerzeitige rechtliche Würdigung als unrichtig erscheint (Entscheid des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 6. September 1976, in: ZR 75/1976, Nr. 98). Im wieder aufgenommenen Verfahren muss das Gericht nicht das aufgehobene Urteil überprüfen, sondern die Sache neu und selbständig verhandeln und entscheiden. |
Da somit der Sachverhalt nicht feststeht, hat das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren auch nicht zu prüfen, ob auf der Grundlage des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Gehilfenschaft zu Veruntreuung vor Bundesrecht standhielte. |