BGE 141 IV 465
 
59. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau und Mitb. (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_877/2014 vom 5. November 2015
 
Regeste
Art. 422, 423 Abs. 1, Art. 424 und 426 Abs. 1 und 3 lit. a StPO; Begriff der Verfahrenskosten; gesetzliche Regelung der Gebühren; interne Weisungen; Beleg von Auslagen.
Die Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sind keine Auslagen im Sinne von Art. 422 StPO. Sie dürfen der verurteilten Person nicht gestützt auf Art. 426 Abs. 1 StPO auferlegt werden. Kosten für die Bewachung zu Sicherungszwecken während eines Spitalaufenthalts sind den Kosten der Untersuchungshaft gleichzustellen (E. 9.5.2).
Begriff der Kosten im Sinne von Art. 422 Abs. 2 lit. d StPO. Für Leistungen der Polizei, welche diese aufgrund ihrer Stellung als Strafbehörde in einem konkreten Strafverfahren zu erbringen hat, dürfen der verurteilten Person - abgesehen von allfälligen Auslagen für Material u.Ä. - keine Auslagen verrechnet werden (E. 9.5.3).
Umgang mit Kosten für die medizinische bzw. ärztliche Behandlung der verurteilten Person (E. 9.5.4) sowie mit Kosten für die Reinigung des Tatorts (E. 9.5.5).
Art und Bemessungsgrundlagen der Gebühren müssen gesetzlich geregelt sein. Soweit für die Begründung des pflichtgemässen Ermessens bei der Festsetzung der Gebühren auf interne Weisungen verwiesen wird, müssen diese der betroffenen Person zugänglich gemacht werden (E. 9.5.6). Pflicht der Staatsanwaltschaft, Auslagen zu belegen (E. 9.7).
 
Sachverhalt


BGE 141 IV 465 (467):

A. Das Bezirksgericht Kreuzlingen verurteilte X. am 11. Juli 2013 wegen vorsätzlicher Tötung und versuchter vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren. Es auferlegte ihm die Verfahrenskosten, bestehend aus den Untersuchungskosten von Fr. 134'756.55, den Zuführungskosten der Polizei von Fr. 360.-, der Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.- sowie den Kosten der amtlichen Verteidigung der Privatkläger von Fr. 12'000.-. Zudem wies es die Staatsanwaltschaft an, zu prüfen, ob von der Krankenversicherung/Unfallversicherung von X. und C.H. Leistungen an die in den Untersuchungskosten enthaltenen Spital- und Arztkosten erhältlich zu machen sind; allfällige Versicherungsleistungen seien an die Untersuchungskosten anzurechnen.
B. Das Obergericht des Kantons Thurgau sprach X. am 12. Mai 2014 in teilweiser Gutheissung der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft des Mordes sowie der versuchten vorsätzlichen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren. Im Übrigen bestätigte es das erstinstanzliche Urteil und auferlegte X. die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-. Die Berufung von X. wies es ab.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 14. Oktober 2010 um ca. 20 Uhr kam es zwischen X. und G.H., die den bald sechs Monate alten gemeinsamen Sohn C.H. auf dem Arm trug, in der Küche ihrer Wohnung zu einem verbalen Streit. Dieser nahm an Intensität zu, wobei sich beide Partner eines Messers behändigten. X. stach mit dem Messer kraftvoll auf G.H. ein, welche ihm zuvor leichte Verletzungen an der Hand zugefügt hatte. Als G.H. mit dem Kind auf dem Arm über das Wohnzimmer ins Freie flüchtete, liess X. das verbogene Messer auf den Küchenboden fallen, nahm ein zweites Messer, verfolgte die fliehende und um Hilfe rufende G.H., holte sie ein und stach, auch als diese bereits am Boden lag, weiter kraftvoll zu, bis sie tot war. Danach fügte er sich Verletzungen am Hals sowie - mit grösster Wahrscheinlichkeit - auch in der Bauchgegend zu und legte sich neben G.H. auf den

BGE 141 IV 465 (468):

Boden. C.H. wurde im Verlaufe des Vorfalls mehrmals vom Messer von X. getroffen, da dieser keine Rücksicht auf das Kind nahm, als er wahllos auf G.H. einstach. Als diese vor dem Haus aufgrund der schweren Verletzungen zusammenbrach, liess sie C.H. auf den Boden fallen. X. wies im Zeitpunkt der Blutentnahme um 21.45 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 1,59 bis 1,75 Gewichtspromille auf.
C. X. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 12. Mai 2014 vollumfänglich aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei er des Totschlags (Art. 113 StGB) zum Nachteil von G.H. schuldig zu sprechen und mit einer angemessenen Freiheitsstrafe von maximal acht Jahren zu bestrafen. Bezüglich der weiteren Anklagepunkte sei er freizusprechen. Es seien ihm die Verfahrensgebühren des Untersuchungs- und des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die tatsächlichen Strafuntersuchungsauslagen aufzuerlegen.
D. Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegner 2-5 liessen sich nicht vernehmen.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 9
9.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die ihm auferlegten Untersuchungskosten seien übersetzt. Die Vorinstanz habe sich mit seiner Rüge in Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht befasst. Die Kostenauflage basiere auf einer unsubstanziierten Kostenauflistung der Staatsanwaltschaft, aus welcher nicht hervorgehe, wie sich die auferlegten Gebühren bestimmten und für was die sehr hohen angeblichen Strafuntersuchungsauslagen entstanden seien. Aus der Kostenauflistung ergebe sich immerhin, dass ein wesentlicher Teil der geltend gemachten Auslagen ("Bewachung", "Verlegung", "Bewachungspersonal", "Aufnahmepauschale Regionalgefängnis" etc.) als Strafvollzugskosten anzusehen und keine Auslagen im Sinne von Art. 422 Abs. 2 StPO seien. Weiter habe ihm die Vorinstanz Polizeikosten ("Untersuchungskosten Datensicherung", "Ausrücktaxe", "Kriminaltechnik") in der Höhe von Fr. 4'000.- auferlegt. Dabei handle es sich wohl nicht um tatsächlich entstandene Auslagen, sondern um Gebühren der Polizei, welche ohne gesetzliche Grundlage erhoben würden und ohne dass die Höhe dieser Gebühren überprüfbar sei. Zudem seien ihm Auslagen für die Reinigung des Tatorts in der Höhe von Fr. 774.70 überbunden worden.

BGE 141 IV 465 (469):

Nicht ersichtlich sei, inwiefern die Staatsanwaltschaft verpflichtet gewesen sei, das von ihm und seiner Lebenspartnerin bewohnte Haus durch ein Reinigungsinstitut reinigen zu lassen. Es handle sich daher um unnötige Verfahrenskosten, die auf die Staatskasse zu nehmen seien. Ihm seien überdies diverse Auslagen für seine medizinische Behandlung auferlegt worden. Unterlagen dazu habe er von der Staatsanwaltschaft nie erhalten. Ihm sei dadurch verunmöglicht worden, die doch erheblichen Behandlungskosten im Umfang von offenbar mehreren Zehntausend Franken bei seiner Krankenversicherung oder anderen (Sozial-)Versicherungsträgern geltend zu machen. Nicht bekannt sei schliesslich, wie sich die geltend gemachten Gebühren für das Untersuchungsverfahren von Fr. 4'857.- zusammensetzen würden, nachdem die genannte Weisung nicht öffentlich einsehbar sei.
9.2 Die Staatsanwaltschaft reichte vor Bezirksgericht am 18. April 2013 eine Kostenauflistung zu den Akten. Danach betreffen die Untersuchungskosten von Fr. 134'756.55 u.a. Kosten für "Reinigung Tatort", "Bewachung" im Spital Münsterlingen und im Inselspital Bern, "medizinische Behandlung", "Medikamente und ärztliche Behandlung", "Verlegung während Untersuchungshaft", "Spesen (Verpflegung Bewachungspersonal Intensivstation)", "Regionalgefängnis Bern: Tagespauschale Aufnahme", "Entschädigung 1. und 2. Zwischenabrechnung RA Leu", "Gebühr Strafuntersuchung inkl. Anklagevertr.: Pauschale Grundtaxe gem. Weisung GSTA", "Untersuchungskostentarif Datensicherung Polizei: Untersuchungskosten Datensicherung PC und ext. Datenträger", "Ausrücktaxe Polizei Tatort", "Fotodokumentation Kantonspolizei Kriminaltechnik", "Spurensicherung: Kostenrechnung Kantonspolizei Kriminaltechnik", "Kosten Aktenführung: Gem. Weisung GSTA". Belege zu den einzelnen Auslagen wurden soweit ersichtlich keine zu den Akten gereicht.
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft äusserten sich vor Bundesgericht nicht zur Rüge des Beschwerdeführers betreffend die Untersuchungskosten.
9.3 Die Vorinstanz auferlegt dem Beschwerdeführer ohne nähere Begründung die gesamten von der Staatsanwaltschaft geltend gemachten Untersuchungskosten in der Höhe von Fr. 134'756.55, dies obschon der Beschwerdeführer in seiner Berufungserklärung vom 2. Dezember 2013 ausdrücklich auch die ihm belasteten Untersuchungskosten anfocht, wobei er für die Begründung auf seine

BGE 141 IV 465 (470):

Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren verwies. Die Vorinstanz hätte sich mit der Kostenauflistung der Staatsanwaltschaft daher näher auseinandersetzen müssen. Dies drängte sich auch aufgrund der Höhe der verrechneten Untersuchungskosten und der besonderen Art einzelner Auslagen auf, deren Qualifikation als Verfahrenskosten im Sinne von Art. 422 StPO zumindest nicht offensichtlich ist. Der angefochtene Entscheid genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht und verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Eine Heilung der Gehörsverletzung im bundesgerichtlichen Verfahren (vgl. BGE 137 I 195 E. 2.3.2 mit Hinweisen) kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil die kantonalen Behörden bei der Festsetzung der Verfahrenskosten über ein Ermessen verfügen.
 
Erwägung 9.5
9.5.1 Art. 422 Abs. 1 StPO unterscheidet zwischen Gebühren und Auslagen, die zusammen die Verfahrenskosten bilden. Die Gebühren werden vom Staat für die Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung erhoben. Sie stellen eine öffentlich-rechtliche Gegenleistung für das Tätigwerden der Behörden dar (vgl. BGE 124 I 241 E. 4a; BGE 107 Ia 117 E. 2c; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3. Aufl. 2012, N. 1683; YVONA GRIESSER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/ Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 422 StPO; THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 11 vor Art. 416-436 StPO). Die Gebühren im Sinne von Art. 422 Abs. 1 StPO decken den allgemeinen Aufwand des Staates (Besoldung, Räumlichkeiten etc.) für die Bereitstellung der Strafbehörden (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts [nachfolgend: Handbuch], 2. Aufl.

BGE 141 IV 465 (471):

2013, N. 1775; DOMEISEN, a.a.O., N. 1 f. zu Art. 422 StPO). Diese allgemeinen Kosten gehen grundsätzlich zu Lasten des Gemeinwesens, welches das Verfahren führt (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO). Die Parteien partizipieren daran, indem ihnen nach Art. 422 Abs. 1 StPO Gebühren auferlegt werden dürfen (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1325 zu Art. 429 Abs. 1; SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1775; DOMEISEN, a.a.O., N. 2 zu Art. 422 StPO; HANSPETER KÜNG, in: Kommentierte Textausgabe zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Goldschmid/Maurer/Sollberger [Hrsg.], 2008, S. 418 f.). Gebühren bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die den Gegenstand, die Bemessungsgrundlagen und die Abgabepflichtigen festlegt (vgl. BGE 132 I 117 E. 4.2; GRIESSER, a.a.O., N. 5 zu Art. 422 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 12 vor Art. 416-436 StPO). Sie müssen die Grundsätze der Kostendeckung und der Äquivalenz beachten und dürfen daher nicht höher sein als die Kosten, die der Staat zur Erbringung der entsprechenden Leistung aufgewendet hat. Die Gebühren müssen mit dem objektiven Wert der Leistung vereinbar sein und sich in einem vernünftigen Rahmen halten (BBl 2006 1325 zu Art. 429 Abs. 1; siehe auch BGE 132 I 117 E. 4.2 mit Hinweisen). Art. 424 StPO verpflichtet Bund und Kantone, für ihren Bereich die erforderlichen Vorschriften für die Festlegung und Bemessung der Gebühren zu erlassen. Die StPO selber enthält keine Vorschriften, wie die Gebühren (Art und Höhe) festzusetzen sind (SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1780; ders., Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar [nachfolgend: Praxiskommentar], 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 424 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 2 zu Art. 424 StPO).
Die Auslagen erfassen demgegenüber die im konkreten Strafverfahren entstandenen notwendigen finanziellen Aufwendungen des Staates (GRIESSER, a.a.O., N. 6 zu Art. 422 StPO; SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 2 zu Art. 422 StPO). Zwar ist die Möglichkeit der Kostenauflage im Strafverfahren in der StPO abschliessend geregelt (vgl. Art. 423 Abs. 1 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 8 vor Art. 416-436 StPO; JEANNERET/KUHN, Précis de procédure pénale, 2013, N. 5048). Die Auflistung der Auslagen in Art. 422 Abs. 2 StPO ist dennoch nur beispielhaft ("namentlich") zu verstehen (SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 422 StPO; GRIESSER, a.a.O., N. 7 zu Art. 422 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 6 zu Art. 422 StPO; KÜNG, a.a.O., S. 419; JEANNERET/KUHN, a.a.O., N. 5053). Zu den Auslagen im konkreten Straffall nach Art. 422 Abs. 1 StPO gehören etwa auch Zeugenentschädigungen oder Auslagen im Zusammenhang mit

BGE 141 IV 465 (472):

einem Augenschein (SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1776; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 422 StPO;GRIESSER, a.a.O., N. 15 zu Art. 422 StPO;DOMEISEN,a.a.O., N. 17 zu Art. 422 StPO).
Vom Staat verursachte unnötige Kosten zählen nicht zu den von der beschuldigten Person zu tragenden Auslagen (vgl. Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO; GRIESSER, a.a.O., N. 6 zu Art. 422 StPO). Auch Aufwendungen, die der beschuldigten Person, der Privatklägerschaft oder Dritten in einem Strafverfahren entstanden sind, stellen keine Verfahrenskosten im Sinne von Art. 422 StPO dar (DOMEISEN, a.a.O., N. 2 zu Art. 422 StPO).
9.5.2 Art. 493 Abs. 2 lit. b des Vorentwurfs vom Juni 2001 zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung (VE-StPO) zählte die Kosten der Untersuchungs- und Sicherheitshaft noch ausdrücklich zu den Auslagen. Art. 494 Abs. 3 VE-StPO sah jedoch vor, dass diese Kosten nur den Beschuldigten auferlegt werden, die sich in günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befinden oder entsprechende Anwartschaften besitzen. Im Vernehmlassungsverfahren wurde ein gänzlicher Ausschluss der Möglichkeit der Überwälzung der Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft auf die verurteilte Person gefordert (vgl. Bundesamt für Justiz, Zusammenfassung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens über die Vorentwürfe zu einer Schweizerischen Strafprozessordnung und zu einem Bundesgesetz über das Schweizerische Jugendstrafverfahren, Februar 2003, S. 87). In der vom Parlament diskussionslos übernommenen Bestimmung von Art. 422 Abs. 2 StPO sind die Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft nicht mehr aufgelistet. Auch Art. 426 Abs. 1 StPO sieht - anders als noch Art. 494 Abs. 3 VE-StPO - den Vorbehalt der "günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse" nur noch für die Kosten der amtlichen Verteidigung vor. Die herrschende Lehre geht daher zutreffend davon aus, dass die Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft keine von der verurteilten Person gestützt auf Art. 422 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO zu tragenden Auslagen sind (SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1776 Fn. 39 und N. 1784; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 426 StPO; OBERHOLZER, a.a.O., N. 1684; GRIESSER, a.a.O., N. 19 zu Art. 422 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 19 zu Art. 422 StPO; RUCKSTUHL/DITTMANN/ARNOLD, Strafprozessrecht, 2011, N. 1096 Fn. 686; DANIEL JOSITSCH, Grundriss des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013, N. 740; MARK PIETH, Schweizerisches Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2012, S. 242 Fn. 11; KÜNG, a.a.O., S. 419 f.; anderer Meinung JO PITTELOUD, Code de procédure pénale suisse [CPP], 2012, N. 1299, wonach es dem

BGE 141 IV 465 (473):

kantonalen Gesetzgeber freisteht, die Kosten der Untersuchungshaft den Auslagen gleichzusetzen; anders auch JOËLLE CHAPPUIS, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 7 f. zu Art. 422 StPO). Damit wird eine Ungleichbehandlung von Personen verhindert, die eine längere anrechenbare Untersuchungshaft verbüsst haben, im Vergleich zu Personen, die nicht in Untersuchungshaft versetzt wurden oder die in den Genuss eines vorzeitigen Strafvollzugs (vgl. Art. 236 StPO) kamen (vgl. KÜNG, a.a.O., S. 419 f.; DOMEISEN, a.a.O., N. 19 zu Art. 422 StPO). Dies entsprach beispielsweise im Kanton Zürich schon früher der Rechtslage (GRIESSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 422 StPO). Anders verhielt es sich unter Art. 1 Abs. 3 der früheren Verordnung vom 22. Oktober 2003 über die Kosten der Bundesstrafrechtspflege, wonach die Auslagen ausdrücklich die Kosten der Untersuchungshaft umfassten (dazu BGE 133 IV 187 E. 6; Urteil 6S.99/2007 vom 28. Juni 2007 E. 7). Auch in gewissen Kantonen wie St. Gallen, Thurgau (vgl. NIKLAUS OBERHOLZER, Gerichts- und Parteikosten im Strafprozess, in: Gerichtskosten, Parteikosten, Prozesskaution, unentgeltliche Prozessführung, 2001, S. 34; GRIESSER, a.a.O., N. 18 zu Art. 422 StPO) und Waadt (vgl. BGE 124 I 170; PITTELOUD, a.a.O., N. 1299) durften die Kosten der Untersuchungshaft mit den Verfahrenskosten auf die verurteilte Person überwälzt werden, was nach Auffassung des Bundesgerichts weder gegen die persönliche Freiheit noch gegen das Gleichbehandlungsgebot oder das Willkürverbot verstiess (BGE 124 I 170 E. 2; siehe auch BGE 133 IV 187 E. 6; Urteil 6S.99/2007 vom 28. Juni 2007 E. 7). Es wies aber darauf hin, dass auch eine andere Lösung denkbar wäre (BGE 124 I 170 E. 2g). Aufgrund der Materialien muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Kosten der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft nicht nach Art. 422 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO der verurteilten Person auferlegen wollte. Zumindest die Kosten der auf eine unbedingte Freiheitsstrafe anzurechnenden Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind jedoch gleich zu behandeln wie Strafvollzugskosten. Die verurteilte Person muss sich daran nach Massgabe von Art. 380 Abs. 2 StGB beteiligen (vgl. SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1784; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 426 StPO; JOSITSCH, a.a.O., N. 740).
Die Kosten für die Bewachung zu Sicherungszwecken (Verhinderung einer Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr, vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO) während eines Spitalaufenthalts sind den Kosten der Untersuchungshaft gleichzustellen, da nicht entscheidend sein kann, an welcher Örtlichkeit die beschuldigte Person für die

BGE 141 IV 465 (474):

Zwecke des laufenden Strafverfahrens festgehalten wird. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht Bewachungskosten auferlegt, erscheint a priori daher begründet.
9.5.3 Zu den Kosten für die Mitwirkung anderer Behörden im Sinne von Art. 422 Abs. 2 lit. d StPO zählen etwa solche für Leistungen der polizeilichen Sonder- bzw. Fachdienste wie den wissenschaftlichen Diensten der Polizei oder von rechtsmedizinischen Instituten (BBl 2006 1326 zu Art. 429 Abs. 2; DOMEISEN, a.a.O., N. 11 f. zu Art. 422 StPO; SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1776 Fn. 39; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 9 f. zu Art. 422 StPO; GRIESSER, a.a.O., N. 13 zu Art. 422 StPO; KÜNG, a.a.O., S. 419). Allgemeine Aufwendungen der Polizei, welche diese aufgrund ihrer Stellung als Strafbehörde in einem konkreten Strafverfahren zu erbringen hat, wie beispielsweise Fahndungs- und Festnahmekosten, Ermittlungskosten, Kosten der Beweissicherung oder Kosten der polizeilichen Foto- und Erkennungsdienste, fallen - abgesehen von allfälligen Auslagen für Material u.Ä. - nicht darunter (SCHMID, Handbuch, a.a.O., N. 1776 Fn. 39; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N. 9 f. zu Art. 422 StPO; GRIESSER, a.a.O., N. 13 zu Art. 422 StPO; DOMEISEN, a.a.O., N. 11 zu Art. 422 StPO). Für solche Leistungen dürfen der beschuldigten Person keine Auslagen verrechnet werden. Zulässig ist es demgegenüber, diese allgemeinen polizeilichen Leistungen bei der Festsetzung der Gebühren zu berücksichtigen (vgl. SCHMID, Praxiskommentar, a.a.O., N. 9 zu Art. 422 StPO), wenn hierfür eine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht (oben E. 9.5.1).
Unklar ist, ob die Vorinstanz diesen Grundsätzen Rechnung trägt, da aus der Kostenauflistung der Staatsanwaltschaft zum Teil nicht hervorgeht, ob es sich bei den polizeilichen Kosten um Auslagen oder Gebühren handelt. Für den Fall, dass dem Beschwerdeführer Gebühren für die polizeiliche Tätigkeit auferlegt wurden, macht dieser zu Recht geltend, die Vorinstanz gebe keine gesetzliche Grundlage an.
9.5.4 Der Beschwerdeführer trägt gemäss dem angefochtenen Entscheid zudem Kosten für Medikamente und seine medizinische bzw. ärztliche Behandlung. Nicht ersichtlich ist, inwiefern darin Kosten des Strafverfahrens im Sinne von Art. 422 StPO erblickt werden können, da diese grundsätzlich unabhängig von einem Strafverfahren anfallen und mit der Strafuntersuchung in keinem Zusammenhang stehen. Solche Kosten sind mit der betroffenen Person daher gleich abzurechnen, wie wenn nie ein Strafverfahren eröffnet worden wäre. Verfügt diese nicht über die erforderlichen Mittel, muss

BGE 141 IV 465 (475):

(nach einer Kostengutsprache) unter Umständen die Sozialhilfe für einen allfälligen Selbstbehalt nach Abrechnung mit der Kranken- oder Unfallversicherung aufkommen, was bei Verfahrenskosten von vornherein ausgeschlossen scheint.
Soweit die medizinischen Kosten die von den Strafanstalten sicherzustellende (im Kostgeld der Vollzugseinrichtungen inbegriffene) medizinische oder psychiatrische Grundversorgung während der Untersuchungshaft betreffen, könnten diese allenfalls als Kosten der Untersuchungshaft qualifiziert werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sie nicht in Anwendung von Art. 422 i.V.m. Art. 426 Abs. 1 StPO der verurteilten Person auferlegt werden dürfen (oben E. 9.5.2).
Als Strafuntersuchungskosten nach Art. 422 StPO gelten Auslagen für medizinische Untersuchungen im Zusammenhang mit der Strafuntersuchung (z.B. bei Verdacht auf intrakorporalen Drogenschmuggel, sog. Bodypacking). Solche stehen hier jedoch nicht zur Diskussion.


BGE 141 IV 465 (476):

9.6 Die Vorinstanz wird sich zu sämtlichen Kostenpunkten in der Kostenauflistung nochmals äussern müssen. Fraglich ist namentlich auch, weshalb dem Beschwerdeführer die dort enthaltenen Entschädigungen an Rechtsanwalt Leu von Fr. 10'523.25 und Fr. 5'227.- belastet wurden. Die Kosten für die amtliche Verteidigung trägt die verurteilte beschuldigte Person nur, wenn es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben (vgl. Art. 426 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 135 Abs. 4 lit. a StPO). Dafür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Die Kosten der Offizialverteidigung vor dem Bezirksgericht und im Berufungsverfahren auferlegte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer ausdrücklich nur unter Vorbehalt von Art. 135 Abs. 4 StPO.
9.7 Der Beschwerdeführer beanstandet schliesslich zu Recht, dass Belege für die verschiedenen Auslagen nicht zu den Verfahrensakten gereicht wurden. Gemäss dem Begleitschreiben der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2013 hätte der Beschwerdeführer bzw. sein Rechtsanwalt die Originalrechnungen mitsamt Zahlungsbelegen nach entsprechender Terminvereinbarung in der Buchhaltung der Staatsanwaltschaft einsehen können. Auch hätte die Staatsanwaltschaft dem Rechtsvertreter gegen Gebühr entsprechende Kopien zukommen lassen können. Damit wird verkannt, dass Auslagen zu belegen sind. Die Staatsanwaltschaft hätte die Belege bzw. Kopien davon (auf Verlangen) daher zu den Verfahrensakten reichen müssen. Die Vorinstanz wird die Belege und gegebenenfalls auch zusätzliche Informationen zu den einzelnen Auslagen soweit erforderlich im Zusammenhang mit der Neubeurteilung nachfordern müssen.