BGE 142 IV 65
 
12. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und A. (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_851/2015 vom 7. März 2016
 
Regeste
Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; Amtsgeheimnisverletzung.
 
Sachverhalt


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A.
A.a X. war seit dem 1. Februar 2008 Mitglied des Universitätsrates der Universität B. A. war Titularprofessor für Medizingeschichte sowie Oberassistent und Konservator am Institut C. der Universität B. Am 28. September 2012 löste die Universität B. das Arbeitsverhältnis mit A. aufgrund ungenügender Leistung und schwerwiegender Loyalitätspflichtsverletzungen per 31. März 2013 auf und stellte ihn per sofort frei. Seine Stellung als Titularprofessor war von der Kündigung nicht betroffen.
A.b Mit Anklageschrift vom 12. August 2014 wird X. vorgeworfen, sie habe am Nachmittag des 26. September 2013 in den Räumlichkeiten des Bundeshauses gegenüber dem Journalisten E. der Zeitung D., welcher sie auf Neuigkeiten in der "Causa A." angesprochen hatte, geantwortet, dass diesbezüglich in nächster Zeit bzw. in den nächsten Wochen ein Bericht erscheinen werde. Auf Nachfrage des Journalisten, was das für A. bedeute, habe X. sinngemäss erwidert, es sehe sicher nicht gut für Herrn A. aus bzw. es stehe um Herrn A. nicht gut. Dadurch habe sie wissentlich Informationen über den Inhalt eines noch nicht öffentlich bekannten, von der

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Universität B. im Frühling 2013 in Auftrag gegebenen Berichts einer internationalen Expertenkommission über die wissenschaftliche Qualität der in den Jahren 2002 bis 2012 an der Universität B. eingereichten medizinhistorischen Dissertationen offenbart.
A.c Anlass für die Überprüfung der Dissertationen durch die Expertenkommission bildete ein am 27. März 2013 in der Sendung F. ausgestrahlter Beitrag "G.", in welchem die Qualität der von A. am Institut C. der Universität B. betreuten Dissertationen in Frage gestellt worden war. Als Reaktion auf diesen Beitrag verbreitete die Universitätsleitung am folgenden Tag eine Medienmitteilung, in welcher sie verlauten liess, dass sie aufgrund der in der Sendung geäusserten Vorwürfe der Medizinischen Fakultät den Auftrag erteilt habe, den Sachverhalt abzuklären und ihr (sc. der Universitätsleitung) Bericht zu erstatten, und dass bis zum Vorliegen der Untersuchungsergebnisse dazu keine weitere Stellungnahme abgegeben werde. Am 26. August 2013 fand eine Sitzung des Universitätsrates der Universität B. statt, in welcher die Mitglieder vorab über das Ergebnis des Kommissionsberichts informiert wurden.
Am 1. Oktober 2013 informierte die Universität B. in einer weiteren Medienmitteilung unter dem Titel "Medizinhistorische Dissertationen: Wissenschaftliche Betreuung der Doktorierenden war teilweise ungenügend" über die Resultate des Berichtes der Expertenkommission. Darin gab die Universität bekannt, die Beurteilung und Analyse des Gesamtbildes habe ergeben, dass ein beträchtlicher Teil der Dissertationen den Standards wissenschaftlicher Arbeiten nur knapp entsprochen habe. Nach der Auffassung der Experten sei die mangelhafte Qualität der Dissertationen auf eine unzureichende Betreuung der Doktorierenden zurückzuführen.
A.d Am 3. Oktober 2013 reichte A. bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen X. Strafanzeige wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses und anderer Delikte ein. Am 14. Oktober 2013 erhob er ebenfalls Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Region Bern-Mittelland. Mit Verfügung vom 18. Oktober 2013 wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland übernommen. Der Universitätsrat der Universität B. verzichtete nach internen Abklärungen auf die Erstattung einer Strafanzeige.
B. Das Regionalgericht Bern-Mittelland sprach X. mit Urteil vom 4. November 2014 von der Anschuldigung der Verletzung des

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Amtsgeheimnisses zum Nachteil von A. frei. Es sprach ihr eine Entschädigung für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte sowie eine Genugtuung von CHF 1'000.- für die besonders schweren Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse zu.
Auf Berufung von A. sowie der Regionalen Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland hob das Obergericht des Kantons Bern am 19. Mai 2015 das erstinstanzliche Urteil auf, erklärte X. der Verletzung des Amtsgeheimnisses schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu CHF 380.-. Den Vollzug der Geldstrafe schob es unter Auferlegung einer Probezeit von 2 Jahren bedingt auf.
C. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und sie sei von der Anklage der Amtsgeheimnisverletzung freizusprechen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D. Das Obergericht des Kantons Bern hat auf Stellungnahme verzichtet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. A. beantragt in seiner Vernehmlassung die Bestätigung des vorinstanzlichen Schuldspruchs. X. hat hierzu Stellung genommen und hält an ihren Anträgen fest.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 5
5.1 Gemäss Art. 320 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich der Verletzung des Amtsgeheimnisses schuldig, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat. Geheimnisse sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind, die der Geheimnisherr geheim halten will und an deren Geheimhaltung er ein berechtigtes Interesse hat (BGE 127 IV 122 E. 1 S. 125 mit Hinweis). Der Tatbestand geht von einem materiellen Geheimnisbegriff aus. Es ist daher nicht wesentlich, ob die betreffende Tatsache von der zuständigen Behörde als geheim erklärt worden ist. Entscheidend ist allein, dass es sich um eine Tatsache handelt, die weder offenkundig noch allgemein zugänglich ist und bezüglich derer der Geheimnisherr nicht nur ein berechtigtes Interesse, sondern auch den ausdrücklich oder stillschweigend bekundeten Willen zur Geheimhaltung hat.


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Ein Geheimnis offenbart, wer es einer dazu nicht ermächtigten Drittperson zur Kenntnis bringt oder dieser die Kenntnisnahme zumindest ermöglicht. Art. 320 StGB schützt das Interesse der Allgemeinheit an der zur ungehinderten Erfüllung der staatlichen Aufgaben unabdingbaren Verschwiegenheit der Behördenmitglieder und Beamten. Der Tatbestand bezweckt damit in erster Linie die Wahrung öffentlicher Interessen, namentlich das reibungslose Funktionieren der Verwaltung und der Rechtspflege. Soweit das Amtsgeheimnis eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache aus der Privatsphäre des Einzelnen betrifft, schützt Art. 320 StGB auch das Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen (Urteile 6B_1192/2014 vom 24. April 2015 E. 4.3 und 6B_28/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 1.4.3; je mit Hinweisen).
Der Tatbestand von Art. 320 StGB ist ein echtes Sonderdelikt. Er kann nur von einem Behördenmitglied oder einem Beamten erfüllt werden. Als Beamte gelten gemäss Art. 110 Abs. 3 StGB u.a. die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege. Entscheidend für die Qualifikation als Behördenmitglied oder Beamter ist nicht die rechtliche Natur des Wahl- oder Anstellungsverhältnisses, sondern die Wahrnehmung von Funktionen im Dienst der Öffentlichkeit (OBERHOLZER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 7 zu Art. 110 Abs. 3 StGB; ders., in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 6 zu Art. 320 StGB).
5.2 Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, sind Geheimhaltungsvorschriften zum Schutz der Geheim- und Privatsphäre des Einzelnen und der staatlichen Verwaltung zwar in zahlreichen speziellen Erlassen des privaten oder öffentlichen Rechts verankert und wird die Wirkung dieser privat- oder öffentlichrechtlichen Bestimmungen zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter durch das Strafrecht verstärkt, indem dieses einzelne Kategorien von Geheimnisverletzungen unter Strafandrohung verbietet (OBERHOLZER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 1 f. zu Art. 320 StGB). Doch lässt sich hieraus nicht ableiten, dass die Geheimhaltepflicht in jedem Fall in einem formellen Gesetz festgeschrieben sein muss. Der Pflicht zur Geheimhaltung unterliegt grundsätzlich jedes solche Geheimnis, das dem Behördenmitglied oder Beamten in dieser Eigenschaft anvertraut oder von ihm in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen wird, selbst wenn keine beamtenrechtliche oder

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sonstige Norm das ausdrücklich so sagen sollte (STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 7. Aufl. 2013, N. 6 § 61; BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Bd. II, 3. Aufl. 2010, N. 23 f. zu Art. 320 StGB; vgl. auch TRECHSEL/VEST, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 5 zu Art. 320 StBG; DONATSCH/WOHLERS, Delikte gegen die Allgemeinheit, 4. Aufl. 2011, S. 551 f.). Dabei ergibt sich die Verpflichtung zur Geheimhaltung aus der besonderen Stellung des Behördenmitgliedes bzw. des Beamten. Einer besonderen ausserstrafrechtlichen Grundlage in dem für die Ausübung des Amtes massgebenden Gesetz bedarf es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, die sich für ihren Standpunkt auf eine vereinzelte Meinung in der Literatur stützt (STEFAN FLACHSMANN, in: StGB Kommentar, 19. Aufl. 2013, N. 8 zu Art. 320 StGB), nicht. Somit steht der Umstand, dass die Beschwerdeführerin als Universitätsrätin nicht dem im Personalgesetz des Kantons Zürich vom 27. September 1998 festgeschriebenen Amtsgeheimnis untersteht (§§ 1 und 51 Abs. 1 PG/ZH; LS 177.10) und dass die Pflicht zur Verschwiegenheit der Mitglieder sowie die Teilnehmer an den Sitzungen des Universitätsrats lediglich im Organisationsreglement des Universitätsrates vom 19. Oktober 1998 verankert ist (§ 9 Organisationsreglement; LS 415.111.1), der Annahme einer Geheimhaltungspflicht nicht entgegen. Für die Strafbarkeit nach Art. 320 Ziff. 1 StGB genügt es mithin im zu beurteilenden Fall, dass die Beschwerdeführerin als durch den Regierungsrat gewähltes Mitglied des Universitätsrates, und damit als Behördenmitglied, in der Sitzung vom 26. August 2013 von der Stossrichtung des Expertenberichts Kenntnis erlangt und diese der Geheimhaltung unterliegende Information dem Journalisten E. mitgeteilt hat. Damit verletzt der Schuldspruch der Amtsgeheimnisverletzung kein Bundesrecht.
Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkt als unbegründet. (...)