BGE 143 IV 145 |
19. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft (Beschwerde in Strafsachen) |
6B_1132/2016 vom 7. März 2017 |
Regeste |
Art. 47 und 49 Abs. 1 StGB; Strafzumessung und Gesamtstrafe. |
Eine Straferhöhung wegen "Missbrauch des Gastrechts" verletzt Bundesrecht. Ebenso wenig darf straferhöhend berücksichtigt werden, dass der Täter, sei er Schweizer oder Ausländer, Sozialhilfe erhält (E. 8.3.2). |
Sachverhalt |
A. Am 14. März 2014 informierte der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) die Bundeskriminalpolizei (BKP) über die von einem Partnerdienst getätigten Ermittlungen betreffend die Terrorgruppe Islamic State of Iraq and the Levante (ISIL). Diese hätten ergeben, dass ein Mitglied des ISIL, das sich Y. nenne, sich seit 2011 in der Schweiz aufhalte. Der Mann sei gehbehindert und Sozialhilfeempfänger. Er plane in naher Zukunft einen Sprengstoffanschlag. Die im Auftrag des NDB eingeschaltete Kantonspolizei Schaffhausen ermittelte X. als diejenige Person, auf welche die Beschreibung des NDB passte. |
Mit Eingabe vom 13. Oktober 2015 erhob die Bundesanwaltschaft beim Bundesstrafgericht Anklage unter anderem gegen X. unter anderem wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation, eventuell Unterstützung einer solchen.
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B. Die Strafkammer des Bundesstrafgerichts sprach X. mit Urteil vom 18. März 2016 (SK.2015.45) der Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB) sowie der Förderung und der versuchten Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz (Art. 116 Abs. 1 lit. a AuG, teilweise in Verbindung mit Art. 22 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 8 Monaten, unter Anrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 729 Tagen.
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X. erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Bundesstrafgerichts sei teilweise aufzuheben, er sei vom Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Organisation, eventuell der Unterstützung einer solchen freizusprechen und mit einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu CHF 30.- zu bestrafen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.
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Aus den Erwägungen: |
Die Vorinstanz erwägt, bei Ausfällung von Geldstrafen für die Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz sei vorliegend in jedem Fall (auch) eine Freiheitsstrafe auszusprechen, "weil für die Verletzung von Art. 260ter StGB die Geldstrafe nicht zur Verfügung steht" (angefochtener Entscheid E. VI.2.2 S. 101). Das Gericht könne in concreto im Rahmen der jeweiligen Strafmaxima wählen, ob eine Gesamt-Freiheitsstrafe für alle drei erfüllten Tatbestände auszusprechen sei oder ob eine Freiheitsstrafe für die Verletzung von Art. 260ter StGB mit einer Gesamt-Geldstrafe für die beiden Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz zu kumulieren sei. Der Strafrahmen für den Beschwerdeführer liege aufgrund der Tatmehrheit (Art. 49 Abs. 1 StGB) zwischen einer Freiheitsstrafe von über einem Tag, eventuell verbunden mit einer Geldstrafe, und 7 ½ Jahren (a.a.O.).
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8.2.3 Hat der Täter durch eine oder mehrere Handlungen die Voraussetzungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so verurteilt ihn das Gericht zu der Strafe der schwersten Straftat und erhöht sie angemessen. Es darf jedoch das Höchstmass der angedrohten Strafe nicht um mehr als die Hälfte erhöhen. Dabei ist es an das gesetzliche Höchstmass der Strafart gebunden (Art. 49 Abs. 1 StGB). Die Vorinstanz geht gestützt auf diese Bestimmung davon aus, dass die mögliche Höchststrafe für alle drei Straftaten im vorliegenden Fall 7 ½ Jahre Freiheitsstrafe betrage. |
Das Höchstmass der für die schwerste Tat angedrohten Strafe beträgt im vorliegenden Fall fünf Jahre. Die Erhöhung dieses Höchstmasses um nicht mehr als die Hälfte wegen der hinzukommenden beiden Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz ergibt eine Höchststrafe von 7 ½ Jahren. Bei dieser Vorgehensweise nach dem Wortlaut von Art. 49 Abs. 1 StGB wird indessen ausser Acht gelassen, dass dieHöchststrafe für die Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 116 Abs. 1 AuG lediglich ein Jahr beträgt. Bei Anwendung des Kumulationsprinzips für die drei Taten, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, würde die Höchststrafe 7 Jahre (5 Jahre + 1 Jahr + 1 Jahr) betragen. Die Anwendung des Asperationsprinzips gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB kann nicht zu einer Höchststrafe führen, die höher ist als die Höchststrafe, die bei Anwendung des Kumulationsprinzips möglich wäre. Denn "ratio legis" des Asperationsprinzips gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB ist es, das Kumulationsprinzip abzuschwächen; die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen (JÜRG-BEAT ACKERMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 118 zu Art. 49 StGB). Dem milderen Straftatbestand kommt eine Art Sperrwirkung nach oben zu. Hätte der Beschwerdeführer eine Straftat der Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Höchststrafe 5 Jahre) und eine Straftat der Förderung des rechtswidrigen Aufenthalts (Höchststrafe 1 Jahr) begangen, so könnte dieHöchststrafe für beide Taten nicht, wie es gemäss dem Wortlaut von Art. 49 Abs. 1 StGB möglich wäre, 7 ½ Jahre, sondern in Anwendung des Kumulationsprinzips lediglich 6 Jahre betragen (vgl. SCHWARZENEGGER/HUG/JOSITSCH, Strafen und Massnahmen, 8. Aufl. 2007, S. 86; siehe auch HANS MATHYS, Leitfaden Strafzumessung, 2016, N. 366). Hätte der Beschwerdeführer lediglich die beiden Straftaten im Sinne von Art. 116 Abs. 1 AuG verübt, betrüge die mögliche Höchststrafe in Anwendung von Art. 49 Abs. 1 StGB ½ Jahre. Dies bedeutet, dass die mögliche Höchststrafe im vorliegenden Fall, bei Verübung einer Straftat der Beteiligung an einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1 StGB und von zwei Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz im Sinne von Art. 116 Abs. 1 AuG, insgesamt 6 ½ Jahre (5 Jahre + 1 ½ Jahre) beträgt. Sie beträgt also entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht 7 ½ Jahre. |
Erwägung 8.3 |
8.3.2 Die Vorinstanz berücksichtigt einen "Missbrauch des Gastrechts" straferhöhend. Dies verstösst gegen Bundesrecht. Daran ändert nichts, dass eine Straftat für einen Ausländer besondere Folgen im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts haben kann (BGE 125 IV 1 E. 5). Der Umstand, dass der Täter ein Ausländer oder ein Asylbewerber ist, kann eine Straferhöhung nicht begründen (WIPRÄCHTIGER/KELLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2013, N. 127 zu Art. 47 StGB). Art. 260ter StGB unterscheidet nicht zwischen ausländischen und schweizerischen Tätern. Wollte man den "Missbrauch des Gastrechts" als Straferhöhungsgrund akzeptieren, so hätte dies die abwegige Konsequenz, dass derjenige, der sich widerrechtlich in der Schweiz aufhält, hier somit kein "Gastrecht" geniesst, besser wegkäme als derjenige, der sich aus irgendeinem Rechtsgrund rechtmässig in der Schweiz aufhält. Auch der Umstand, dass der Täter, sei er Schweizer oder Ausländer, Sozialhilfe erhält, darf nicht straferhöhend berücksichtigt werden. Andernfalls würde die arme Person gegenüber der nicht armen Person benachteiligt. Straferhöhend darf allenfalls berücksichtigt werden, dass ein Ausländer allein zum Zwecke der Verübung von Straftaten in die Schweiz eingereist ist (siehe PETER ALBRECHT, AJP 1999 S. 1174). Die Vorinstanz stellt indessen nicht fest, der Beschwerdeführer sei einzig zum Zweck der Begehung von Straftaten in die Schweiz gekommen. |
Die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Entscheid genügen den erhöhten Anforderungen nicht, die an die Begründung einer auffallend hohen Freiheitsstrafe zu stellen sind. Die Sache ist daher in teilweiser Gutheissung der Beschwerde zur neuen Entscheidung im Strafpunkt an die Vorinstanz zurückzuweisen. (...)
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