BGE 144 IV 69
 
11. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_918/2017 vom 20. Februar 2018
 
Regeste
Art. 184 Abs. 3 StPO; Sachverständigengutachten; Laboruntersuchung.
 
Sachverhalt


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A. Um die Fasnacht einzuläuten, machten X. und Y. (Beifahrer) am 11. November 2012 zwischen ca. 12:00 und 21:00 Uhr mehrere Fahrten mit einem Lieferwagen in der Gegend von Huttwil und liessen es dabei durch Entzündung eines Gas- und Luftgemisches in dafür präparierten Metallrohren mehrfach knallen.
Im Verlauf des Abends hielt die Polizei X. bei Y. zu Hause an und verbrachte ihn zur Blutentnahme ins Spital U. Die Blutentnahme erfolgte um 23:15 Uhr, wobei eine Blutalkoholkonzentration mit einem Mittelwert von 1.88 o/oo gemessen wurde.
B. Mit Urteil vom 16. Juli 2015 verurteilte das Regionalgericht Emmental-Oberaargau X. wegen Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsgesetzgebung, mehrfach begangen durch Führen eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand, Führen eines Motorfahrzeugs in qualifiziert angetrunkenem Zustand, Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, ungenügendes Sichern eines Fahrzeugs gegen die Verwendung durch Unbefugte und Nichtanbringen der vorgeschriebenen Kontrollschilder als Lenker eines Personenwagens sowie wegen Beschimpfung und mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer unbedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 50.- und einer Übertretungsbusse von Fr. 1'200.-.
C. X. sowie die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Emmental-Oberaargau, meldeten Berufung gegen das Urteil an. Das Obergericht des Kantons Bern sprach X. am 16. Februar 2017 von der Anschuldigung des Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand frei und bestätigte den Schuldspruch hinsichtlich des Führens eines Motorfahrzeugs in qualifiziert angetrunkenem Zustand und der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der

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Fahrunfähigkeit. Hinsichtlich der weiteren Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsgesetzgebung und das Betäubungsmittelgesetz sowie der Beschimpfung bestätigte das Obergericht die Rechtskraft des Schuldspruchs. Das Obergericht verurteilte X. zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 50.- und einer Übertretungsbusse von Fr. 300.-.
D. X. führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts vom 16. Februar 2017 sei aufzuheben und zur Neubeurteilung an dieses zurückzuweisen. Eventualiter sei er von den Anschuldigungen des mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs in qualifiziert angetrunkenem Zustand und der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit freizusprechen und die Angelegenheit sei zu neuem Entscheid über die Sanktion und das Strafmass sowie zur Neuverlegung der Verfahrens- und Parteikosten an das Obergericht zurückzuweisen.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.2 Im Zusammenhang mit Sachverständigengutachten beinhaltet das rechtliche Gehör insbesondere das Recht, Kenntnis vom Inhalt des Gutachtens zu nehmen, sich dazu zu äussern und dem Experten ergänzende Fragen zu stellen. Das Gehörsrecht ist in der StPO explizit normiert. Die Verfahrensleitung gibt den Parteien vorgängig Gelegenheit, sich zur sachverständigen Person zu äussern und dazu eigene Anträge zu stellen (Art. 184 Abs. 3 Satz 1 StPO; Urteile 6B_100/2017 vom 9. März 2017 E. 3.6; 6B_549/2014 vom 23. März 2015 E. 3; je mit Hinweisen). Sie kann bei Laboruntersuchungen davon absehen, namentlich wenn es um die Bestimmung der Blutalkoholkonzentration oder des Reinheitsgrades von Stoffen, den Nachweis von Betäubungsmitteln im Blut oder die Erstellung eines DNA-Profils geht (Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO).
Die Ausnahmeregelung von Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO erfasst Routinegutachten (NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 14 zu Art. 184 StPO; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Schweizerische

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Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 23 zu Art. 184 StPO). Der Grund für die Ausnahmeregelung liegt darin, dass es bei den in Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO genannten Gutachten um standardisierte Expertisen geht, welche aufgrund allgemein anerkannter Methoden in weitgehend technisch vorgegebener Weise erstellt werden (ANDREAS DONATSCH, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], 2. Aufl. 2014, N. 38 zu Art. 184 StPO). Die vorgängige Information macht vor allem dort Sinn, wo gutachterliche Erkenntnisse stark von Wertungen abhängen, die mit der konkreten Person eng verbunden sind, wie dies beispielsweise bei psychiatrischen Gutachten der Fall ist (HEER, a.a.O., N. 22 zu Art. 184 StPO).
2.3 Die Vorinstanz erwägt, dass die Staatsanwaltschaft dem Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern (IRM Bern) am 21. Oktober 2013 den Auftrag erteilte, eine neue Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration des Beschwerdeführers zu erstellen. In diesem Gutachtensauftrag habe sich die Staatsanwaltschaft die Durchführung einer Begleitstoffanalyse bei Bedarf vorbehalten. Nach telefonischer Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft habe das IRM Bern eine Begleitstoffanalyse durch das Universitätsklinikum Freiburg im Breisgau (Deutschland) erstellen lassen. Spätestens mit Verfügung vom 24. Februar 2014 und der damit zugestellten Begleitstoffanalyse habe der Beschwerdeführer von den Personen, die diese Analyse durchgeführt haben, sowie von der konkreten Fragestellung Kenntnis genommen. Die Vorinstanz verweist zudem auf die Ausführungen von Dr. rer. nat. A. des IRM Bern anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, gemäss welchen das IRM Bern nicht über die erforderliche Infrastruktur verfüge und sich die entsprechenden Anschaffungen angesichts der geringen Anzahl Fälle (zwei bis drei pro Jahr) nicht lohnen. Deswegen werde in Fällen, in denen eine Begleitstoffanalyse erforderlich sei, seit Jahren eine spezialisierte Institution in München oder Freiburg i. Br. beigezogen. Es sei nicht ersichtlich, weswegen an der Qualitätssicherung des Universitätsklinikums Freiburg i. Br. zu zweifeln sei. Die Vorinstanz erwägt, dass es sich bei der Begleitstoffanalyse um eine Laboruntersuchung im Sinne von Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO handle, weshalb die Staatsanwaltschaft davon habe absehen können, dem Beschwerdeführer vorgängig Gelegenheit zu geben, sich zur sachverständigen Person des Universitätsklinikums Freiburg i. Br. zu äussern.
2.4 Fraglich ist, ob das Begleitstoffgutachten als Laboruntersuchung im Sinne von Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO zu qualifizieren ist. Wie

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sich der Begleitstoffanalyse des Universitätsklinikums Freiburg i. Br. entnehmen lässt, werden für die quantitative Bestimmung der Begleitstoffe Teilmengen des Probematerials nach Standardverfahren aufgearbeitet und mit Headspace-Gaschromatographie-Flammenionisationsdetektion analysiert. Insoweit handelt es sich um eine standardisierte Expertise, welche in technisch vorgegebener Weise im oben dargelegten Sinn erstellt wird. Dem Gutachter kommt im Umfang der quantitativen Bestimmung der Begleitstoffe kein Wertungsspielraum zu. Die vorgenommene Bestimmung der Begleitstoffe ist demnach als Laboruntersuchung im Sinne von Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO zu qualifizieren.
Die Begleitstoffanalyse des Universitätsklinikums enthält ebenfalls eine Bewertung der Befunde resp. eine Überprüfung der Nachtrunkbehauptung. Die Laboruntersuchung sowie die Interpretation der sich daraus ergebenden Resultate werden im Regelfall von derselben sachverständigen Person vorgenommen (JOËLLE VUILLE, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 25 zu Art. 184 StPO; ausführlich zur Unterscheidung zwischen Untersuchung und Interpretation VUILLE/TARONI, L'article 184 al. 3 CPP, une fausse bonne idée du législateur, ZStR 129/2011 S. 166-169). Insofern, als dies wie vorliegend durch die Fachkenntnisse der sachverständigen Person gerechtfertigt ist und der Wertungsspielraum auch bei der Interpretation durch mathematische Grundlagen stark eingegrenzt ist, scheint eine strikte Abgrenzung der Laboruntersuchung von der Interpretation der Laborergebnisse weder sachlich gerechtfertigt noch zweckmässig (mit Bezug auf die Spurensicherung für eine entsprechende Abgrenzung plädierend VUILLE/TARONI, a.a.O., S. 168). Die Verfahrensleitung konnte demnach gemäss Art. 184 Abs. 3 Satz 2 StPO davon absehen, dem Beschwerdeführer vorgängig Gelegenheit zu geben, sich zur sachverständigen Person und den Fragen zu äussern.
2.5 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es zur Wahrung des rechtlichen Gehörs ausreichend, wenn die betroffene Person die Möglichkeit hat, sich nachträglich zum Gutachten wie auch zur Person des Gutachters zu äussern und gegebenenfalls Ergänzungsfragen zu stellen (BGE 125 V 332 E. 4b S. 337; Urteile 1B_196/2015 vom 17. Mai 2016 E. 2; 6B_298/2012 vom 16. Juli 2012 E. 3.3; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat spätestens mit Verfügung vom 24. Februar 2014 und der damit zugestellten Begleitstoffanalyse von den Personen, die diese Analyse durchgeführt haben, sowie von der konkreten Fragestellung Kenntnis genommen. Mit

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seinem Antrag vom 3. April 2014 resp. seiner Beschwerde vom 22. April 2014 erhob er entsprechende Einwände (womit er letztlich vor Bundesgericht unterlag; Urteil 1B_312/2014 vom 26. November 2014). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers liegt nicht vor.