BGE 147 IV 209
 
23. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau (Beschwerde in Strafsachen)
 
6B_1456/2020 vom 10. März 2021
 
Regeste
Art. 63 Abs. 4 StGB; Anordnung einer ambulanten Behandlung von psychischen Störungen; Beginn der (Fünfjahres-)Frist.
 
Sachverhalt


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A.
A.a A. beging ab Februar 2009 bis zum 25. November 2014 mehrere sexuelle Handlungen zum Nachteil seines Stiefkinds B.B. (Jahrgang 2002). Zudem verübte er mehrere sexuelle Übergriffe auf seine Stieftochter C.B. (Jahrgang 2003), als diese neun Jahre alt war. Seine Taten hielt er teilweise auf 390 Bildern und 22 Filmen fest. Einen Teil der Foto- und Videoaufzeichnungen verbreitete er im Internet. Er lud eine grosse Menge kinderpornographischen Materials (ca. 130'000 Bilder und 180 Filme) aus dem Internet herunter und speicherte diese (wie auch weitere Bilder mit Tierpornographie und Filme mit sexueller Gewalt an Kindern) auf seiner Festplatte. B.B. zeigte er die (kinder-)pornographischen Darstellungen.
A.b Vom 25. November 2014 bis zum 3. März 2015 befand sich A. in Untersuchungshaft. Das Zwangsmassnahmengericht entliess ihn am 3. März 2015 aus der Untersuchungshaft. Es ordnete mehrere Ersatzmassnahmen an, u.a. wurde A. angewiesen, sich unverzüglich einer regelmässigen, ambulanten psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen. Die Ersatzmassnahmen wurden in der Folge mehrfach verlängert und leicht modifiziert respektive gelockert. Nachdem A. der Hauptverhandlung vom 15. Dezember 2016 vor dem Bezirksgericht Lenzburg unentschuldigt fernblieb, wurde er ausgeschrieben, verhaftet und durch das Zwangsmassnahmengericht am 20. Dezember 2016 in Sicherheitshaft versetzt. Mit Verfügung des Bezirksgerichts Lenzburg vom 23. Dezember 2016 wurde ihm der vorzeitige Strafvollzug bewilligt, den er am 28. Dezember 2016 antrat.
A.c Das Bezirksgericht Lenzburg sprach A. am 30. März 2017 der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, der mehrfachen versuchten Vergewaltigung, der mehrfachen, teilweise versuchten, sexuellen Nötigung, der mehrfachen Schändung, der mehrfachen Pornographie und des Vergehens gegen das Urheberrechtsgesetz schuldig. Es erkannte auf eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 20.-. Auf die Strafe

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rechnete es die Untersuchungshaft von 99 Tagen, die angeordneten Ersatzmassnahmen im Umfang von 66 Tagen, die Sicherheitshaft von 8 Tagen und den vorzeitigen Strafvollzug von 97 Tagen an. Gleichzeitig ordnete es gestützt auf Art. 63 Abs. 1 StGB eine ambulante Behandlung im Sinne einer delikt- und störungsspezifischen Psychotherapie an. Letztere erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 3. November 2017 wurde A. vom Vorwurf der mehrfachen, teilweise versuchten, sexuellen Nötigung, der mehrfachen versuchten Vergewaltigung und der Widerhandlung gegen das Urheberrechtsgesetz freigesprochen. Für die unangefochtenen Schuldsprüche der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, der mehrfachen Schändung und der mehrfachen Pornographie erkannte es auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Das Obergericht bestätigte die erstinstanzlich festgesetzte Anrechnung an die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich erstandenen vorzeitigen Strafvollzugs von insgesamt 315 Tagen.
Das Bundesgericht hiess die im Wesentlichen gegen die Strafzumessung erhobene Beschwerde in Strafsachen am 29. November 2018 gut (Verfahren 6B_1416/2017), hob das Urteil vom 3. November 2017 auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an das Obergericht zurück.
A.d Das Obergericht erkannte am 10. Mai 2019 für die unangefochtenen Schuldsprüche der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern, der mehrfachen Schändung und der mehrfachen Pornographie erneut auf eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Es bestätigte die erstinstanzlich festgesetzte Anrechnung an die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich erstandenen vorzeitigen Strafvollzugs von insgesamt 868 Tagen.
Die dagegen von A. erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht mit Urteil vom 2. September 2019 ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 6B_739/2019). Auf das hiergegen erhobene Revisionsgesuch von A. trat das Bundesgericht am 8. September 2020 nicht ein (Verfahren 6F_15/2020).
B.
B.a Mit begründetem Vollzugsbefehl vom 29. November 2019 regelte das Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau (DVI), Amt für Justizvollzug (AJV), den Vollzug der Strafe sowie

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der ambulanten Behandlung und verfügte unter anderem, dass die ambulante Behandlung in der Regel fünf Jahre dauere, gerechnet ab dem 10. Mai 2019, zuzüglich allfälliger Unterbruchstage.
B.b Die hiergegen sowie gegen eine weitere Verfügung des AJV geführte Beschwerde von A. hiess das DVI, Generalsekretariat, am 15. Juli 2020 teilweise gut und fasste Dispositiv-Ziffer 7 des Vollzugsbefehls des AJV dahingehend neu, als die ambulante Behandlung in der Regel höchstens fünf Jahre dauere, gerechnet ab dem 30. März 2017, zuzüglich allfälliger Unterbruchstage. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.
B.c Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von A. an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau blieb hinsichtlich der Frage der Berechnung der fünfjährigen Regeldauer der ambulanten Behandlung erfolglos.
C. A. beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das verwaltungsgerichtliche Urteil vom 13. November 2020 sei teilweise aufzuheben und die Fünfjahresfrist der ambulanten Behandlung solle ab dem 25. März 2015 gerechnet werden. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2.3
2.3.1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, ist er von Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig, so kann das Gericht anordnen, dass er nicht stationär, sondern ambulant behandelt wird, wenn er eine mit Strafe bedrohte Tat verübt, die mit seinem Zustand in Zusammenhang steht und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seinem Zustand in Zusammenhang stehender Taten begegnen (Art. 63 Abs. 1 StGB). Gemäss Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB darf die ambulante Behandlung in der Regel nicht länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um jeweils ein bis fünf Jahre verlängern (Art. 63 Abs. 4 Satz 2 StGB). Die ambulante Behandlung wird unter anderem aufgehoben, wenn die gesetzliche

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Höchstdauer für die Behandlung von Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimittelabhängigen erreicht ist (Art. 63a Abs. 2 lit. c StGB). Damit unterscheidet das Gesetz zwischen einer ambulanten Behandlung von psychischen Störungen einerseits und einer ambulanten Behandlung von Alkohol-, Betäubungsmittel- oder Arzneimittelabhängigen (nachfolgend ambulante Suchtbehandlung genannt) andererseits. Während Erstere analog zur stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen so lange soll fortgeführt werden können, als sie notwendig ist, um den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten, und damit verlängerbar ist, hat Letztere - wie auch die stationäre Suchtbehandlung (vgl. Art. 60 Abs. 4 StGB) - eine absolute Höchstdauer und kann nicht verlängert werden (vgl. Botschaft vom 21. September 1998 zur Änderung des Schweizerischen Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes sowie zu einem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht, BBl 1999 2091 f. Ziff. 213.441 f.; MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2019, N. 87 zu Art. 63 StGB; QUELOZ/ZERMATTEN, in: Commentaire romand, Code pénal, vol. I, 2. Aufl. 2021, N. 31 ff. zu Art. 63 StGB; TRECHSEL/PAUEN BORER, in: Schweizerisches Strafrecht, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 15 zu Art. 63 StGB; DUPUIS UND ANDERE, Code pénal, Petit commentaire, 2. Aufl. 2017, N. 21 zu Art. 63 StGB; JANN SCHAUB, in: StGB Annotierter Kommentar, Damian K. Graf [Hrsg.], 2020, N. 12 ff. zu Art. 63 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II: Strafen und Massnahmen, 3. Aufl. 2020, § 8 Rz. 90, § 9 Rz. 32; JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, Strafrecht II, Strafen und Massnahmen, 9. Aufl. 2018, § 9 S. 280; RENATE ANASTASIADIS, in: Das schweizerische Vollzugslexikon, 2014, S. 284 f.).
Vorliegend geht es um eine ambulante Behandlung von psychischen Störungen, weshalb im Folgenden nicht näher auf die ambulante Suchtbehandlung eingegangen wird.
2.3.2 Das Bundesgericht hat sich bisher nicht dazu geäussert, wann die Frist für eine ambulante Behandlung von psychischen Störungen gemäss Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB zu laufen beginnt, wenn sich der Betroffene bereits vor der rechtskräftigen gerichtlichen Anordnung der Massnahme in Behandlung befindet. In der Literatur wird die Frage kaum thematisiert (vgl. QUELOZ/ZERMATTEN, a.a.O., N. 31 ff. zu Art. 63 StGB; JOSITSCH/EGE/SCHWARZENEGGER, a.a.O., § 9 S. 279 ff.; SCHAUB, a.a.O., N. 14 zu Art. 63 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., § 8 Rz. 90; TRECHSEL/PAUEN BORER, a.a.O., N. 15 zu Art. 63 StGB;

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ANASTASIADIS, a.a.O., S. 284 f.). HEER nimmt an, dass die Massnahme ab deren Kenntnisnahme bzw. Rechtskraft des Sachurteils zu laufen beginnt (HEER, a.a.O., N. 84 zu Art. 63 StGB). Eine Gesetzesauslegung von Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Bestimmung lässt prima vista sowohl ein Abstellen auf den "vorzeitigen" Behandlungsbeginn als auch auf das Sachurteil zu. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, wann die Dauer gemäss Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB beginnt, respektive dass diese Frage im Gesetzgebungsverfahren überhaupt thematisiert wurde (BBl 1999 2091 Ziff. 213.441; AB 1999 S 1123; AB 2001 N 573; AB 2001 S 511; AB 2002 N 1185; AB 2002 S 1061).
2.3.3 In BGE 145 IV 65 setzte sich das Bundesgericht ausführlich mit der Frage auseinander, wann die Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. eine richterlich festgesetzte Frist zu laufen beginnt. Es entschied, dass für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen ist, wenn die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten wird. Es erwog, Personen, die in den vorzeitigen Massnahmenvollzug eingewilligt hätten, würden nicht benachteiligt. Dieser habe nicht zur Folge, dass der betroffenen Person die Freiheit länger entzogen sei oder dass sie sich länger in Behandlung befinde. Das Gericht habe für die Verhältnismässigkeit der Massnahme in zeitlicher Hinsicht einen allfälligen vorzeitigen Massnahmenvollzug mitzuberücksichtigen, dies sowohl bei der Prüfung der Erstanordnung der Massnahme als auch im Zusammenhang mit einem Gesuch um Verlängerung derselben (ausführlich BGE 145 IV 65 E. 2 S. 68 ff., insb. E. 2.6 f. S. 74 ff. mit Hinweisen). Das Bundesgericht hielt weiter fest, dass für die Verlängerung der stationären therapeutischen Massnahme nach Art. 59 Abs. 4 Satz 2 StGB der Zeitpunkt des Ablaufs der (Fünfjahres-)Frist gemäss Erstanordnung bzw. einer allfälligen vorausgegangenen Verlängerung entscheidend ist. Letzteres gilt auch, wenn die gesetzliche oder richterliche Frist zum Zeitpunkt des (neuen) Verlängerungsentscheids noch nicht abgelaufen ist ( BGE 145 IV 65 E. 2.8 S. 77 f.). Das Bundesgericht rief zudem in Erinnerung, dass die Behörden das Gesuch um Verlängerung der Massnahme rechtzeitig, das heisst, vor Ablauf der Fünfjahresfrist gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. einer entsprechenden richterlichen Frist stellen müssen. Der Verlängerungsentscheid müsse auf einer möglichst breiten und aussagekräftigen Beurteilungsgrundlage basieren sowie den Verhältnissen im Zeitpunkt nach Ablauf der

BGE 147 IV 209 (215):

Massnahmendauer gemäss Erstanordnung Rechnung tragen. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn das Verlängerungsverfahren erst gegen Ende der maximal möglichen Dauer der stationären Massnahme eingeleitet werde. Im konkreten Fall beurteilte das Bundesgericht den mehr als ein Jahr vor Ablauf der Fünfjahresfrist erfolgten Antrag auf Verlängerung zwar als eher verfrüht, angesichts der konkreten Umstände jedoch im Ergebnis nicht zu beanstanden ( BGE 145 IV 65 E. 2.9 S. 79 f. mit Hinweisen).
In BGE 147 IV 205 entschied das Bundesgericht, dass auch im Fall, in dem nach einer rechtskräftigen Massnahmenaufhebung eine stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen (Art. 59 StGB) angeordnet und die Massnahme nicht aus der Freiheit heraus angetreten wird, für den Fristenlauf gemäss Art. 59 Abs. 4 StGB auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen ist ( BGE 147 IV 205 E. 2.4.2).
In BGE 146 IV 49 äusserte sich das Bundesgericht sodann zur Berechnung der Höchstdauer einer Massnahme für junge Erwachsene gemäss Art. 61 Abs. 4 Satz 1 StGB und gelangte zum Schluss, der vorzeitige Massnahmenvollzug sei dabei zu berücksichtigen. Die unterschiedliche Berechnung erscheint insbesondere deshalb gerechtfertigt, weil die Massnahme für junge Erwachsene gemäss Art. 61 StGB im Gegensatz zu der stationären therapeutischen Behandlung nach Art. 59 StGB zeitlich absolut limitiert ist (vgl. BGE 146 IV 49 E. 2.4.2 S. 52; BGE 145 IV 65 E. 2.2 S. 69, E. 2.3.3 S. 70 f. mit Hinweisen).
 
Erwägung 2.4
2.4.1 Der Beschwerdeführer hat unbestrittenermassen am 25. März 2015 eine ambulante therapeutische Behandlung begonnen. Diese stellte eine im Urteil des Zwangsmassnahmengerichts vom 3. März 2015 angeordnete Ersatzmassnahme i.S.v. Art. 237 Abs. 2 lit. f StPO dar. Nach seiner Verhaftung am 16. Dezember 2016 fiel die Ersatzmassnahme dahin. Der Beschwerdeführer besuchte in der Sicherheitshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug weiterhin die Therapie, was mangels einer entsprechenden behördlichen Anordnung bzw. Bewilligung freiwillig erfolgte. Damit ist vorliegend kein Fall eines vorzeitigen Massnahmenvollzugs im Sinne von Art. 236 StPO zu beurteilen, womit nicht geprüft werden muss, ob dieser bei ambulanten Behandlungen (während der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug) überhaupt möglich oder lediglich für freiheitsentziehende Massnahmen vorgesehen ist (siehe

BGE 147 IV 209 (216):

hierzu QUELOZ/ZERMATTEN, a.a.O., N. 32 zu Art. 63 StGB [verneinend]; MATTHIAS HÄRRI, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 8 zu Art. 236 StPO [implizit verneinend]; ANASTASIADIS, a.a.O., S. 285; STRATENWERTH/BOMMER, a.a.O., § 8 Rz. 83 [beide wohl bejahend]).
2.4.2 Allerdings ist die Absolvierung einer ambulanten Behandlung als Ersatzmassnahme im Sinne von Art. 237 StPO vergleichbar mit dem vorzeitigen Antritt einer stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen im Sinne von Art. 236 StPO. In beiden Fällen ist die therapeutische Behandlung ein Ersatz bzw. eine Vollzugsform für die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft und dient dazu, die psychische Störung des mutmasslichen Täters möglichst rasch zu behandeln. Während die Ersatzmassnahme gegenüber der Untersuchungs- und Sicherheitshaft ein milderes Mittel darstellt, kann beim vorzeitigen Massnahmenantritt nicht vom Freiheitsentzug abgesehen werden, jedoch wird dieser bereits für die therapeutische Behandlung genutzt. Die vorliegend zu beurteilende Ausgangslage ist damit vergleichbar mit der eines vorzeitigen Massnahmenvollzugs gemäss Art. 236 StPO vor der gerichtlichen Anordnung einer stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen.
2.4.3 Sowohl die ambulante als auch die stationäre Behandlung von psychischen Störungen sind zeitlich nicht absolut limitiert. Ihre Dauer hängt vom Behandlungsbedürfnis des Massnahmeunterworfenen und den Erfolgsaussichten der Massnahme (vgl. Art. 56 Abs. 1 lit. b StGB), letztlich also von den Auswirkungen der Massnahme auf die Gefahr weiterer Straftaten, ab. Sie dauern grundsätzlich so lange an, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich eine Zweckerreichung als aussichtslos erweist ( BGE 143 IV 445 E. 2.2 S. 447; siehe für die stationäre therapeutische Behandlung von psychischen Störungen BGE 145 IV 65 E. 2.3.3 S. 71 mit Hinweisen). Wie die Fristen gemäss Art. 59 Abs. 4 Satz 1 StGB regeln auch jene von Art. 63 Abs. 4 Satz 1 und 2 StGB bezüglich der ambulanten Behandlung von psychischen Störungen - anders als für die ambulante Suchtbehandlung - nicht die absolute Höchstdauer der Massnahme, sondern innert welcher Frist ein neuer Gerichtsentscheid über die Weiterführung der Massnahme zu ergehen hat. Angesichts dieser vergleichbaren Ausgangslage sind die Erwägungen, die das Bundesgericht in Zusammenhang mit Art. 59 Abs. 4 StGB gemacht hat (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.6 S. 74 f.), auch in der vorliegenden Konstellation heranzuziehen. Es rechtfertigt sich daher, bei einer ambulanten

BGE 147 IV 209 (217):

Behandlung von psychischen Störungen - analog der stationären Behandlung von psychischen Störungen nach Art. 59 StGB - für den Beginn der Frist gemäss Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen.
2.4.4 Das Bundesgericht hat bereits im Zusammenhang mit der stationären therapeutischen Behandlung von psychischen Störungen festgehalten, dass mit der dargelegten Lösung Personen, die in den vorzeitigen Massnahmenvollzug eingewilligt haben, nicht schlechter gestellt werden. Dies gilt auch für ambulante Behandlungen. Eine "vorzeitige" ambulante Behandlung - als Ersatzmassnahme oder während des strafprozessualen Freiheitsentzugs - hat nicht zur Folge, dass sich eine Person länger in Behandlung befindet. Das Gericht hat für die Verhältnismässigkeit der ambulanten Behandlung in zeitlicher Hinsicht eine allfällige "vorzeitige" Therapie mitzuberücksichtigen, dies sowohl bei der Prüfung der Erstanordnung der Massnahme als auch im Zusammenhang mit einem Gesuch um Verlängerung derselben (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.6.1 S. 74 mit Hinweisen; BBl 1999 2091 Ziff. 213.441).
2.4.6 Als Zwischenfazit ist daher Folgendes festzuhalten: Wird eine ambulante Behandlung von psychischen Störungen erst nach deren rechtskräftigen Anordnung angetreten, beginnt die Fünfjahresfrist gemäss Art. 63 Abs. 4 Satz 1 StGB bzw. die richterlich festgesetzte Frist mit dem effektiven Behandlungsbeginn zu laufen. Hat die betroffene Person bereits "vorzeitig" - in Freiheit als Ersatzmassnahme oder während der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug - mit einer ambulanten Behandlung begonnen, ist für den Fristenlauf auf das Datum des in Rechtskraft erwachsenen Anordnungsentscheids abzustellen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung zum Fristbeginn bei stationären

BGE 147 IV 209 (218):

therapeutischen Behandlungen von psychischen Störungen (vgl. BGE 147 IV 205 E. 2.4.2; BGE 145 IV 65 E. 2.7.1 S. 76; je mit Hinweisen). Ob das Gesagte auch für die ambulante Suchtbehandlung gilt, braucht vorliegend nicht beurteilt zu werden.