BGE 108 V 235 - Psychotherapiekosten |
53. Urteil |
vom 28. Dezember 1982 |
i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen W. und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz |
Regeste |
Regeste |
- Die Abzugsfähigkeit von Psychotherapiekosten im Bereich der Ergänzungsleistungen beurteilt sich nicht nach den für die Leistungspflicht der Krankenkassen entwickelten Grundsätzen (Erw. 3). |
- Verfassungskonforme Auslegung von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG (Erw. 4a-c). |
- Begriff der Krankenpflege im Rahmen des ELG. Die Kosten der Psychotherapie sind auch dann zu berücksichtigen, wenn die Behandlung auf ärztliche Anordnung und Zuweisung hin von einem selbständigerwerbenden nichtärztlichen Psychologen oder Psychotherapeuten vorgenommen wird (Erw. 4d, e). |
Art. 11 ELKV. Diese Bestimmung schliesst die Erfassung gewöhnlicher Reisespesen nicht aus; Voraussetzungen für deren Abzug vom anrechenbaren Einkommen (Erw. 5). |
Sachverhalt |
A. |
Elisabeth W., geb. 1939, leidet u.a. an einer schweren neurotisch-reaktiven Depression. Sie steht seit Jahren beim Internisten Dr. med. K. in L. in ärztlicher Behandlung; ferner erhält sie auf ärztliche Anordnung hin bei Dr. phil. B. in L. Psychotherapie. Seit 1. September 1976 bezieht Elisabeth W. eine ganze einfache Invalidenrente der Invalidenversicherung.
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Ende 1978 ersuchte Elisabeth W. um Ausrichtung von Ergänzungsleistungen. Dies lehnte die Ausgleichskasse mit Verfügung vom 7. März 1979 ab, da das anrechenbare Einkommen die Einkommensgrenze überschreite.
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B. |
Hiegegen reichte Elisabeth W. Beschwerde ein, wobei es ihr im wesentlichen um die Berücksichtigung von Krankheitskosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen ging.
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Mit Entscheid vom 18. Juli 1980 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz die Beschwerde insofern gut, als es Elisabeth W. zufolge Krankheitskosten für 1977 eine Ergänzungsleistung von Fr. 656.-- und für 1978 eine solche von Fr. 34.-- zusprach; im übrigen wies es die Beschwerde ab. Seiner Berechnung legte das Gericht als Krankheitskosten die folgenden Beträge zugrunde:
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1977 1978 - Honorare für die Behandlung durch den
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Psychologen Dr. B. Fr. 4'655.-- Fr. 4'125.-- - Selbstbehalte der Krankenkasse Fr. 212.30 Fr. 117.50 - Fahrtkosten Fr. 311.10 Fr. 290.70 - Kurkosten Fr. 320.--
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------------ ------------ Total Fr. 5'178.40 Fr. 4'853.20
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C. |
Auszug aus den Erwägungen: |
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 |
Erwägung 2 |
Demgegenüber geht die Vorinstanz, der sich die Beschwerdegegnerin in ihrer Stellungnahme zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde anschliesst, davon aus, dass die Ergänzungsleistungen den minderbemittelten AHV/IV-Rentenbezügern ein gewisses Existenzminimum gewährleisten sollen; man dürfe daher bezüglich des Begriffs der "Krankenpflege" nicht einfach auf die Rechtsprechung im Bereich der Krankenversicherung abstellen; im Rahmen des Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG seien alle Vorkehren der Krankenpflege zuzurechnen, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft zur Heilung, Linderung oder Stabilisierung eines Leidens erforderlich sind; darunter falle auch die von einem Arzt angeordnete und von einem Psychologen durchgeführte Psychotherapie.
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Erwägung 3 |
"ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für Arzt, Arznei und Krankenpflege sowie für Hilfsmittel".
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Sowohl Art. 12 KUVG als auch Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG sprechen von "Krankenpflege". Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, dass dieser Begriff in beiden Gesetzen gleich zu verstehen ist. Dies liesse sich mit den unterschiedlichen Zielsetzungen der fraglichen Bestimmungen nicht vereinbaren. Während Art. 12 KUVG die Mindestversicherungsleistungen der Krankenkassen umschreibt, soll Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG dazu beitragen, dass die bedürftigen Bezüger von Renten der AHV und Invalidenversicherung zusammen mit den Ergänzungsleistungen über ein regelmässiges Mindesteinkommen verfügen (vgl. hinten Erw. 4c). In seiner Rechtsprechung hat das Eidg. Versicherungsgericht daher bei Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG einen erheblich weiteren Massstab angelegt als bei Art. 12 KUVG. So hat es die Zahnarztkosten schon zu einer Zeit, als der Zahnarzt in Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG noch nicht erwähnt war (vgl. die genannte Bestimmung in der bis Ende 1968 gültig gewesenen Fassung, AS 1965 539), als abzugsfähige Arztkosten betrachtet (EVGE 1968 S. 134 Erw. 4a), wogegen zahnärztliche Vorkehren grundsätzlich nicht zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen gehören (BGE 105 V 305 Erw. 5b, c). Ferner hat das Gericht - ohne Rücksicht darauf, ob allenfalls eine Leistungspflicht der Krankenkassen gemäss Art. 12 KUVG besteht - Krankenpflegekosten im Sinne von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG anerkannt und Abzüge zugelassen bei lebensnotwendiger Diät (EVGE 1968 S. 69; nicht veröffentlichtes Urteil Hollosy vom 31. Oktober 1968), bei Aufwendungen für eine ärztlich verordnete Badekur (nicht veröffentlichtes Urteil Marschall vom 9. Dezember 1970), bei Starbrillen als notwendiger Ergänzung einer Staroperation (nicht veröffentlichtes Urteil Herzog vom 22. August 1967), bei den Auslagen eines Blinden für die Begleitung bei Arztbesuchen (nicht veröffentlichtes Urteil Hollosy vom 31. Oktober 1968), ferner bei Ambulanzkosten und bei Transportspesen, die durch den sachlich gerechtfertigten Besuch eines auswärtigen Arztes oder bei einer ärztlich angeordneten Badekur entstehen (nicht veröffentlichte Urteile Dörrwächter vom 4. März 1971, Caflisch vom 2. März 1971 und Marschall vom 9. Dezember 1970) ... |
Aus diesen Gründen hält der Einwand des beschwerdeführenden Bundesamtes nicht Stich, die hier streitigen Behandlungskosten des Psychologen Dr. phil. B. könnten im Hinblick auf Art. 12 KUVG und die Rechtsprechung dazu nicht berücksichtigt werden.
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Erwägung 4 |
"Vom Einkommen werden abgezogen:
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...
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e. ausgewiesene, im laufenden Jahr entstandene Kosten für Arzt, Zahnarzt, Arznei und Krankenpflege sowie für Hilfsmittel."
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Demgegenüber enthalten der französische und der italienische Text die folgenden Formulierungen:
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"Sont déduits du revenu:
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e. les frais intervenus durant l'année en cours et dûment établis, de médecin, de dentiste, de pharmacie, d'hospitalisation et de soins à domicile, ainsi que de moyens auxiliaires."
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...
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e. le spese insorte durante l'anno in corso e debitamente comprovate di medico, dentista, farmacista, cura ospedaliera, cura a domicilio come anche mezzi ausiliari."
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Die Divergenz zwischen dem deutschen Text einerseits und dem französischen und italienischen Text anderseits war schon im bundesrätlichen Entwurf zum Ergänzungsleistungsgesetz enthalten (Botschaft vom 21. September 1964, BBl 1964 II 713, fr. FF 1964 II 741, it. FF 1964 II 1819) und besteht seit dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1966 (allerdings mit einem Unterbruch für den italienischen Text, der bis Ende 1968 dem deutschen entsprach; vgl. RU 1965 537). Die Gründe für die unterschiedlichen Fassungen von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG und die Änderung des italienischen Textes sind aus den Gesetzesmaterialien und den parlamentarischen Beratungen nicht ersichtlich (vgl. BBl 1964 II 693, 705, fr. FF 1964 II 719, 732, it. FF 1964 II 1798 f., 1811; Amtl.Bull. 1964 S 267 f., 1965 N 39, S 38 f.). Ebensowenig vermögen darüber die späteren Gesetzesnovellen zum genannten Artikel Aufschluss zu geben (Botschaft vom 4. März 1968, BBl 1968 I 602 ff., insbesondere 630, 665; Botschaft vom 28. Januar 1970, BBl 1970 I 141 ff., insbesondere 151; Botschaft vom 7. Juli 1976, BBl 1976 III 1 ff., insbesondere 74 f.). |
Unter diesen Umständen ist nach dem Sinn und Zweck von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG zu fragen. Gemäss Bundesverfassung sollen die Renten von AHV und Invalidenversicherung den Existenzbedarf angemessen decken; solange dies nicht der Fall ist, richtet der Bund den Kantonen Beiträge an die Finanzierung von Ergänzungsleistungen aus (Art. 34quater Abs. 2 BV, Art. 11 Abs. 1 ÜbBest. BV). Diese bezwecken demnach, das Renten- sowie weiteres Einkommen der Betagten, Hinterlassenen und Invaliden so weit zu ergänzen, dass ein regelmässiges Mindesteinkommen sichergestellt ist (BBl 1964 II 689 und 692, 1981 III 804). Die nicht durch Versicherungsleistungen gedeckten Krankheitskosten stellen namentlich für Betagte und Invalide eine oft sehr grosse finanzielle Belastung dar. Mit der Ermöglichung eines Abzugs solcher Kosten wird ein entsprechender Ausgleich geschaffen und verhindert, dass das Einkommen unter die Grenze eines angemessenen Existenzbedarfs absinkt. Dieser Zielsetzung wird nur eine weite Umschreibung der abziehbaren Krankheitskosten gerecht. Gemäss Beschluss des Gesamtgerichts sind daher in Übereinstimmung mit dem deutschen Text im Rahmen von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG alle nicht durch Versicherungsleistungen gedeckten Kosten zu berücksichtigen, die unter den Begriff der Krankenpflege fallen und nicht schon Arzt-, Zahnarzt-, Arznei- oder Hilfsmittelkosten darstellen.
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d) In EVGE 1968 S. 69 hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG die Ausgaben für alle Arten von Vorkehren umfasst, die nach bewährter Erkenntnis der medizinischen Wissenschaft zur Heilung, Linderung oder Stabilisierung eines Leidens erforderlich sind (so auch die nicht veröffentlichten Urteile Caflisch vom 2. März 1971, Marschall vom 9. Dezember 1970 und Hollosy vom 31. Oktober 1968). Daran ist festzuhalten. Als Krankenpflege gelten daher alle Vorkehren, welche der erwähnten Umschreibung entsprechen und nicht schon unter den Titel der Arzt-, Zahnarzt-, Arznei- oder Hilfsmittelkosten fallen. Psychotherapie kann verschiedene Aufgaben erfüllen. Einerseits kann sie der Heilbehandlung seelischer oder auch körperlicher Störungen dienen, anderseits aber auch blosse Erziehung, Beratung oder Lebenshilfe bezwecken (Brockhaus Enzyklopädie, Wiesbaden 1972, Band 15 S. 237 f.; Bleuler, Lehrbuch der Psychiatrie, Berlin usw. 1979, S. 140, 144 f.). Unter den Begriff der Krankenpflege nach Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG fällt sie jedoch nur, wenn sie zufolge eines seelischen oder körperlichen Leidens notwendig ist. Unter dieser Voraussetzung sind die Behandlungskosten gemäss Beschluss des Gesamtgerichts auch dann zu berücksichtigen, wenn die Psychotherapie auf ärztliche Anordnung und Zuweisung hin von einem selbständigerwerbenden nichtärztlichen Psychologen oder Psychotherapeuten vorgenommen wird. |
Erwägung 5 |
Demgegenüber vertritt das Bundesamt die Auffassung, eine Anerkennung solcher Kosten könne nicht in Betracht kommen. Dabei geht es davon aus, dass die Fahrtkosten, für welche im Bereich der Krankenversicherung keine Leistungspflicht besteht, nicht als Krankheitskosten im Sinne von Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG betrachtet werden könnten; dies werde verdeutlicht durch Art. 11 ELKV, wonach lediglich die "Kosten für den Transport mit Krankenwagen und die Entschädigung für Begleitpersonen" abziehbar sind; diese Bestimmung erfasse allein die Transportkosten von Spital zu Spital sowie in Notfällen und schliesse eine Berücksichtigung normaler Reisekosten für den Arztbesuch e contrario aus; dies ergebe sich auch aus Rz. 288 der Wegleitung über die Ergänzungsleistungen. |
c) Wie Vorinstanz und Beschwerdegegnerin in ihren Stellungnahmen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ausführen, kann die von der Beschwerdegegnerin benötigte Psychotherapie am Wohnort oder in dessen Umgebung nicht gewährt werden, womit die Notwendigkeit einer auswärtigen Behandlung und der damit verbundenen Auslagen für die Bahn hinreichend erstellt ist. Die Vorinstanz entschied demnach richtig, indem sie die Fahrtkosten ebenfalls in ihre Berechnung der Ergänzungsleistung miteinbezog. Angesichts der im Streite liegenden Beträge kann hier offenbleiben, ob Reisespesen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie bloss gelegentlich anfallen und nur Bagatellcharakter aufweisen. |
Entscheid: |
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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