BGE 131 V 147 |
20. Auszug aus dem Urteil i.S. VISANA gegen K. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern |
K 24/01 vom 2. März 2005 |
Regeste |
Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung); Art. 90 Abs. 3 KVV: Mahnverfahren. |
Die verordnungsmässige Notwendigkeit, fällige Prämien und Kostenbeteiligungen vor Einleitung des Vollstreckungsverfahrens zu mahnen, ist verfassungs- und gesetzeskonform. (Erw. 6) |
Sachverhalt |
A. K. hat bei der Visana die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgeschlossen. Mit Schreiben vom 12. April 2000 setzte die Visana ihrem Mitglied zum wiederholten Mal eine Frist zur Bezahlung der für die Monate Mai 1999 bis April 2000 geschuldeten Prämien in der Höhe von insgesamt Fr. 2397.20, einschliesslich der Mahnkosten von Fr. 50.-. Gleichzeitig stellte die Kasse in Aussicht, nach unbenutztem Ablauf der Mahnfrist den Rechtsweg zu beschreiten; dabei würden sämtliche im Zeitpunkt der Betreibung offenen Beträge erfasst und weitere Bearbeitungskosten seien geschuldet. Am 17. Mai 2000 leitete sie gegen den Versicherten die Betreibung für die ausstehenden Prämien der Monate Mai 1999 bis Mai 2000 im Betrag von Fr. 2542.80 sowie für Mahnkosten in der Höhe von Fr. 55.- und für Bearbeitungskosten von Fr. 250.- ein. Den dagegen erhobenen Rechtsvorschlag beseitigte die Visana mit Verfügung vom 19. Juli 2000, woran sie mit Einspracheentscheid vom 26. Oktober 2000 festhielt. |
B. Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern am 18. Januar 2001 teilweise gut. Es erteilte die Rechtsöffnung lediglich im Umfang von Fr. 2647.20. Dieser Betrag umfasst die vorgängig gemahnten Prämienausstände (Fr. 2347.20), die angekündigten Mahnkosten (Fr. 50.-) sowie die geltend gemachte Bearbeitungsgebühr (Fr. 250.-).
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C. Die Visana führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den vorinstanzlichen Entscheid aufzuheben.
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K. beantragt in der Stellungnahme vom 9. April 2001 neben der Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die Auflösung des Versicherungsverhältnisses. Das Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Krankenversicherung (seit 1. Januar 2004 im Bundesamt für Gesundheit), verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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D. Am 2. März 2005 führte das Eidgenössische Versicherungsgericht eine publikumsöffentliche Beratung durch.
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Aus den Erwägungen: |
5. Alt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV (in der bis 31. Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) lautet in den drei amtssprachlichen Fassungen (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. März 1986 über die Gesetzessammlungen und das Bundesblatt; SR 170.512) wie folgt: |
"Bezahlen Versicherte fällige Prämien oder Kostenbeteiligungen trotz Mahnung nicht, hat der Versicherer das Vollstreckungsverfahren einzuleiten."
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"Si, malgré sommation, l'assuré ne paie pas les primes ou participations aux coûts échues, l'assureur doit engager une procédure de poursuite."
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"Se, nonostante diffida, l'assicurato non paga premi o partecipazioni ai costi scaduti, l'assicuratore deve promuovere una procedura esecutiva."
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Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der bis Ende 2002 in Kraft gewesene alt Art. 9 Abs. 1 KVV abgesehen von einer redaktionellen Änderung je in der französischen ("en dépit" an Stelle von "malgré") und italienischen Fassung (am Ende des Absatzes: "prevedono" anstatt "contemplano") wortwörtlich in den neuen Art. 90 Abs. 3 KVV überführt worden ist.
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Dies widerspricht aber der gesetzlichen Zahlungspflicht des Versicherten (Art. 61 und 64 KVG), welche mit Blick auf die in der sozialen Krankenversicherung geltenden Grundsätze der Gegenseitigkeit und der Gleichbehandlung der Versicherten (Art. 13 Abs. 2 lit. a KVG) auf der anderen Seite vom Krankenversicherer verlangt, Ausstände einzufordern (vgl. EVGE 1967 S. 11 Erw. 3b; bestätigt in RSKV 1973 Nr. 178 S. 155 Erw. 3). |
Die im SchKG geregelte Ordnung der Zwangsvollstreckung von Geldforderungen verlangt für die Erteilung der Rechtsöffnung nur, dass die betriebene Forderung fällig ist (STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Art. 1-87, Basel 1998, N 39 zu Art. 80 und N 77 zu Art. 82, je mit Hinweisen). Alt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV bestimmt dagegen, dass fällige Prämien und Kostenbeteiligungen erst nach vorgängiger Mahnung der Zwangsvollstreckung nach SchKG zugeführt werden dürfen. Damit wird jedoch keine neue Form der Zwangsvollstreckung geschaffen, sondern es werden lediglich deren Modalitäten für Prämien und Kostenbeteiligungen näher umschrieben. Der Gläubiger ist gefordert, neben dem geltend gemachten Ausstand dessen Mahnung durch Urkunde nachzuweisen, es sei denn, beides werde von der Gegenpartei ausdrücklich anerkannt oder wenn beides notorisch oder gerichtsnotorisch ist (in diesem Sinne ebenso bei zur Vollstreckung anstehenden suspensiv bedingten Forderungen: PETER STÜCHELI, Die Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 116 und 203; STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN, a.a.O., N 44 zu Art. 80). Macht die Verwaltungsbehörde dagegen von der weitaus häufiger anzutreffenden Möglichkeit Gebrauch, einen im Rahmen des von ihr eingeleiteten Betreibungsverfahrens erhobenen Rechtsvorschlag selbst als ordentlicher Richter im Sinne von Art. 79 SchKG zu beseitigen (BGE 119 V 331 Erw. 2b, BGE 128 III 41 Erw. 2; Pra 2003 Nr. 31 S. 159 Erw. 4; vgl. ROTH, Die Krankenkasse als Rechtsöffnungsrichterin in eigener Sache, in: Festschrift 75 Jahre Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz, Basel 2000, S. 235, sowie grundsätzlich AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl. 2003, § 19 Rz 15 u. 15a), wird sie dies ebenfalls nur tun dürfen, falls vorgängig gemahnt worden ist. Alt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV verstösst entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung ebenso wenig gegen betreibungsrechtliche Grundsätze. Zwar mag darin ein gewisser Widerspruch zur für privatrechtliche Rechtsverhältnisse geltenden Regelung erblickt werden, wonach die Mahnung einer fälligen Forderung im Rechtsöffnungsverfahren nur dann von selbstständiger Bedeutung ist, wenn Verzugszinsen im Streit stehen (Art. 102 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 OR; vgl. BGE 129 III 541 Erw. 3.2). In Frage steht indessen die öffentlichrechtliche "Zwangsversicherung" und das KVG schreibt keine analoge Anwendung des OR oder einzelner seiner Bestimmungen vor. |
6.3 Das Versicherungsobligatorium zeichnet sich dadurch aus, dass die versicherungspflichtige Person bei einem Versicherungsträger nach Art. 11 KVG ungeachtet der persönlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwingend im vom Gesetzgeber näher definierten obligatorischen Umfang angeschlossen sein muss und die entsprechenden Prämien (Art. 61 KVG) wie auch Kostenbeteiligungen (Art. 64 KVG) zu tragen hat (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 331 und 342). |
Wenn der Bundesrat mit Rücksicht auf das Versicherungsobligatorium bei fälligen Prämien oder Kostenbeteiligungen in alt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV eine Mahnung verlangt, ehe der Versicherungsträger zur Vollstreckung schreitet, ist darin insbesondere im Hinblick auf die den Kassen offen stehende Möglichkeit, sich selber im Anerkennungsprozess gemäss Art. 79 SchKG die Rechtsöffnung zu erteilen, ein vernünftiger Grund zu erblicken. Als willkürlich kann diese Bestimmung nicht bezeichnet werden, auch wenn sich die vom Bundesrat getroffene Regelung im Einzelfall ausnahmsweise als wenig zweckmässig erweisen mag, etwa wenn sich die versicherte Person aus grundsätzlichen Überlegungen von vornherein einer Prämienzahlung verweigert. Der mit einem solchen Prozedere verbundene, im Allgemeinen eher geringfügige Mehraufwand der Kassen ist hinzunehmen.
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6.4 Gesamthaft gesehen ist die vorgängige Mahnung gemäss alt Art. 9 Abs. 1 Satz 1 KVV durch die allgemeine, einen weiten Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene einräumende Delegationsnorm von Art. 96 KVG gedeckt. Weder fällt die Verordnungsbestimmung offensichtlich aus dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenz noch ist sie aus anderen Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig. Dem Verordnungsgeber wäre es jedoch nicht verwehrt, die Bestimmung differenzierter auszugestalten, so dass Fälle, in denen das vorbehaltlose Mahnerfordernis von vornherein einen Leerlauf produziert, davon ausgenommen sind.
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